Ungeachtet dessen, dass die Zahl der mit dem Coronavirus-Infizierten in der Ukraine sich noch nicht der Zahl von Tausend Menschen angenähert hat [zum Zeitpunkt der Drucklegung waren offiziell 669 Menschen in der Ukraine mit Sars-CoV-2 infiziert, 17 starben an Covid-19], beginnen schon die ersten Probleme aufzutreten. Während der eine Mediziner tapfer seine Pflicht tut, fliehen andere vom „Schlachtfeld“ und begründen dies mit der Angst sich mit Covid-19 [sic!] anzustecken, fehlenden individuellen Schutzmitteln und niedrigen Löhnen. Und diese Tendenz verstärkt sich noch.
Keine Schutzanzüge und keine Probenröhrchen
Im Kreis Monastyrska, im Gebiet Ternopil haben sich 27 Menschen des medizinischen Personals (sieben Ärzte, zwölf Krankenschwestern und acht Krankenschwestern in Ausbildung) mit dem Coronavirus angesteckt. Einige haben bereits ihre Kündigungen geschrieben. Wie der Stellvertreter des Vorsitzenden der Kreisverwaltung, Pawel Dron [ukr. Pawlo Dron, A.d.Ü.], konkretisierte, waren das Krankenschwestern. Bisher mangelt es nicht an medizinischem Personal, doch wenn die Tendenz des Anstiegs der Infiziertenzahl beibehalten wird, dann könnte der Mangel an medizinischen Mitarbeitern spürbar werden.
„Zurzeit ist kein Personalmangel zu spüren“, versichert Dron. „Im Krankenhaus, das zu einem Infektionshospital umgerüstet wurde, arbeiten zehn Ärzte und etwa 15 Krankenschwestern.“
Der Zustand eines Infektionsarztes ist mittelschwer, einer Krankenschwester schwer. Beide befinden sich im Krankenhaus. Doch bei den übrigen zehn Leuten verläuft die Krankheit in leichter Form und sie werden zu Hause behandelt.
Wie der Staatsbedienstete hervorhob, liegt das Problem darin, dass die Mediziner ungeschützt sind.
„Innerhalb einer Woche haben wir etwa 120 Schutzanzüge verwendet, heute wurden 110 geliefert, doch das reicht uns für etwa vier Tage. Es fehlen Schutzmasken, Probenröhrchen und Spatel für die Probenentnahme, um die Kontaktpersonen zu untersuchen. Wir forderten über die Linie des Gesundheitsministeriums sechstausend Probenröhrchen und Spatel an. Diese seien defizitär, sagte man uns, Probenröhrchen gebe es nirgendwo. Bisher antwortet das Gesundheitsministerium nicht“, teilte der Staatsangestellte mit.
Übrigens, wie die Westi erfuhren, blieben zum Stand 31. März im Krankenhaus Monastyrska lediglich acht Ärzte, die in der Lage sind medizinische Hilfe zu leisten. Im Ergebnis werden Patienten mit Infarkten oder Blinddarmentzündungen in die Nachbarkreise gebracht. Und das geht damit einher, dass sie Virusüberträger sind, und dass sich Covid-19 schnell im Bezirk ausbreitet.
Hotelunterbringung
In Ternopil selbst ist die Lage noch schlechter. Wie der Chefarzt des örtlichen Notfall-Krankenhauses. Jaroslaw Tschaikowski [ukr. Jaroslaw Tschajkowskyj], mitteilte, kündigten acht Ärzte aus der Infektionsstation bereits, dabei waren sie noch nicht einmal in Kontakt mit Coronavirus-Kranken gekommen. „Sie fürchten um sich selbst. Der eine hat eine chronische Erkrankung, der andere kleine Kinder. Und um die Familie nicht in Gefahr zu bringen, kündigen die Leute. Das hätte verhindert werden können, wenn unsere Angestellten eine Motivation hätten. 4.000 Hrywnja [circa 135 Euro, A.d.Ü.] Gehalt erhaltend, engagiert sich kaum einer unter diesen gefährlichen Bedingungen in vollem Umfang“, meint Tschaikowski.
Gerade wird den Medizinern nur ein Zuschlag in Höhe des Grundgehalts gezahlt, der durch eine Anordnung des Bürgermeisters von Ternopil, Sergej Nadal [ukr. Serhij Nadal], vorgesehen ist. Zur gleichen Zeit hat niemand die von der Regierung versprochen 200 Prozent [Zuschlag] gesehen.
In Ternopil versucht man mit allen Kräften, die Mediziner am Arbeitsplatz zu halten. Beispielsweise wurden für die Krankenhausmitarbeiter Zimmer im Hotel Halytschyna gebucht, wo sie sich in der arbeitsfreien Zeit erholen können. „Drei unserer Mitarbeiter kamen dort unter. Sie kehren nicht zu ihren Familien zurück, um die Verwandten keinem Risiko auszusetzen“, fügte Tschaikowski hinzu.
Und die Mediziner des Kreises Koselez im Gebiet Tschernigow [ukr. Tschernihiw] wandten sich an die Regierung mit der Bitte, nicht auf die örtlichen Staatsbediensteten zu hören. Ihren Worten nach ist kein einziges der Krankenhäuser vorbereitet auf die Aufnahme von Coronavirus-Kranken. Das medizinische Personal ist ohne Schutz und das bedeutet, dass in irgendeinem Moment einfach niemand mehr die Menschen behandeln kann.
Aufstand in Schytomyr
Bezeichnend, dass es in Kiew die gleiche Tendenz gibt. „Ja, ich habe die Entscheidung zu kündigen allein deswegen getroffen, weil uns im Krankenhaus zwei gewöhnliche Einwegmasken pro Schicht gegeben wurden und ein Handschuhpaar, die nach jedem Patienten gewaschen werden müssen. Von Spezialkleidung haben wir nichts gehört, von Desinfektionsmitteln ebenso. Das heißt die Chance sich bei einem Patienten ohne offensichtliche Anzeichen für das Coronavirus zu infizieren ist sehr groß und ich bin schwanger. Und das Krankenschwesterngehalt von 4.000 Hrywnja reicht nicht für eine Behandlung. Und versuch jetzt mal auf Arbeit zu kommen, und ich wohne außerhalb der Stadt, fahre nach Kiew per Anhalter oder der Ehemann bringt mich [Der Nahverkehr zwischen Kiew und den Vororten wurde Mitte März komplett eingestellt. A.d.Ü.]. Also ist es besser, zu Hause zu sitzen“, erzählte Westi Krankenschwester Anna aus einem der Kiewer Krankenhäuser. Und den Worten der jungen Frau nach überlegen gerade viele in ihrem Krankenhaus, ob es sich jetzt überhaupt lohnt zu arbeiten.
Im Stadtkrankenhaus Nr. 1 von Schytomyr hat das gesamte Kollektiv der Infektionsabteilung gekündigt, nachdem der Bürgermeister der Stadt, Sergej Suchomlin [ukr. Serhij Suchomlyn, A.d.Ü.], ihnen Korruption vorwarf. Er teilte mit, dass er eine Bestätigung dafür bekommen hab, dass von den Patienten 500 Hrywnja [circa 17 Euro, A.d.Ü.] „Wohltätigkeitsbeitrag“ für kostenlose Expresstests auf das Coronavirus verlangt wurden. Nach der Massenkündigung musste der Bürgermeister den Konflikt regeln. In seinem Kommentar für Schytomyr-Info teilte er mit, dass das Exekutivkomitee des Stadtrates Mittel für den Kauf von Expresstests bereitgestellt hat, jedoch hatte das Krankenhaus Nr. 1 vorher bereits 50 Tests über die freiwilligen Beiträge erworben. Suchomlin versprach, dass allen, die diese Beiträge gezahlt haben, das Geld zurückerstattet wird.
Und die Mediziner des Romanow-Krankenhauses beschlossen sofort, nicht gleichgültige Bürger um Hilfe zu bitten. Sie bitten darum ihnen Bioschutzanzüge, Atemschutzmasken, Handschuhe, Schutzbrillen usw. zu kaufen.
„Wir ernten die Früchte der Reformen“
In anderen Regionen hofft man noch auf die Regierung und versucht sich soweit es geht herauszuwinden. Die Krankenschwester Julia K. Aus Poltawa erzählte Westi, dass sie mit Kollegen ein Lager durchforstete und verjährte Masken noch von Zeiten der Schweinegrippe fanden. Anstelle von Kappen werden Kopftücher verwendet und Desinfektionsmittel gehen bereits zur Neige.
In Kiew „prahlten“ Ambulanzmediziner mit ihnen ausgegeben Schutzanzügen, die, ihren Worten nach, nicht einmal vor Schnupfen schützen. „Nun, warten wir auf den 200—Prozent—Zuschlag“, schreiben die Ärzte ironisch im Forum.
„Die heutige Situation zeigt, dass wir das Gesundheitssystem von Semaschko [gemeint ist Nikolai Semaschko, von 1918 bis 1930 Volkskommissar für Gesundheit in der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik, A.d.Ü.] nicht hätten aufgeben sollen“, resümiert der Präsident des Allukrainischen Rates zum Schutz der Rechte und Sicherheit der Patienten, Wiktor Serdjuk. „In Belarus blieb es und im Ergebnis sind von 100 Infizierten 30 bereits gesundet, andere haben sich nicht angesteckt und es war keinerlei Quarantäne notwendig. Dabei werden bei ihnen im Jahr für einen Patienten 350 Dollar bereitgestellt und in der Ukraine 100 Dollar. Übrigens werden in Spanien und Italien 3500-5000 Dollar pro Patient bereitgestellt, und sie schaffen es nicht. Und bei ihnen fehlt es auch an Spezialkleidung, es gibt keine Ausrüstung, keine Spezialisten. Polen hält stand, bei ihnen blieb auch das soziale System von Semaschko teilweise erhalten. Und bemerken sie, in diesen Ländern fliehen die Mediziner nicht von der Arbeit. Bei uns wurde das Gesundheitssystem total runtergewirtschaftet. Heute hat sich eine solche Situation ergeben, dass in einigen Kreiskrankenhäusern nur noch ein Intensivmediziner und ein Anästhesist für eine Bevölkerung von mehreren Zehntausenden blieben. Wer wird die Bevölkerung retten und wie?! Niemand hat, als sie die sogenannte Reform machten, daran gedacht. Sie dachten nur daran, wie gespart werden kann. Jetzt ernten wir die Früchte.“
1. April 2020 // Alla Dunina
Quelle: Westi
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