Ende letzter Woche berichtete der Erste Stellvertreter des Generalstaatsanwalts, Renat Kusmin, von vorher unbekannten Strafverfahren, die gegen die Führerin der Partei „Batkiwschtschyna/Vaterland“ Julia Timoschenko eingeleitet wurden. Darunter ist eine Strafsache über den Versuch der Besetzung eines Untersuchungsgefängnisses im Jahr 2003. Bei der Generalstaatsanwaltschaft plant man sogar, die Beteiligung Timoschenkos an der Ermordung des Parlamentsabgeordneten Jewgenij Scherban im Jahr 1996 zu überprüfen. Der Parlamentsabgeordnete Gennadij Moskal („Unsere Ukraine – Nationale Selbstverteidigung“) behauptet, dass man bei der Generalstaatsanwaltschaft auch andere Anklagen gegen die Ex-Ministerpräsidentin vorbereitet.
Am Freitagabend erzählte der Erste Stellvertreter des Generalstaatsanwalts, Renat Kusmin, im Programm „Bolschaja Politika“ des Fernsehsenders „Inter“ von den Ermittlungen in neuen Strafverfahren gegen Julia Timoschenko. „Die Geschichte Timoschenkos ist eine langjährige Geschichte, die mit unterschiedlichen Verbrechen in Verbindung steht, darunter möglicherweise auch mit Auftragsmorden“, erklärte Renat Kusmin.
Kusmin zählte die fünf Episoden auf, nach denen gegen Julia Timoschenko ermittelt wurde und wird, und erwähnte noch einige weitere, bei denen die Entscheidung zur Verfahrenseinleitung noch aussteht. „In einer Sache ermittelt der SBU (Geheimdienst), in einer zweiten die Steuermiliz“, teilte der Erste Stellvertreter des Generalstaatsanwalts mit. Beim SBU sind die Schulden der Gesellschaft „Vereinigte Energiesysteme der Ukraine“ (EESU), die Timoschenko leitete, gegenüber dem Verteidigungsministerium Russlands (siehe Ausgabe des “Kommersant-Ukraine” vom 14. Oktober) seinen Worten nach Gegenstand der Ermittlungen. Und die Steuermiliz ermittelt in der Sache „der Tatsache der Steuerhinterziehung sowohl durch die Direktorin der EESU Timoschenko, als auch durch die Bürgerin Timoschenko“. Dem “Kommersant-Ukraine” gelang es gestern nicht Kommentare bei der Steuermiliz einzuholen.
Im Bereich der Generalstaatsanwaltschaft befinden sich Renat Kusmin nach noch weitere drei Strafsachen gegen die Ex-Ministerpräsidentin. Eine von ihnen betrifft Steuerhinterziehung (Ausgabe des “Kommersant-Ukraine” vom 25. Oktober). „Außerdem gibt es eine Strafsache wegen versuchter Bestechung der Mitglieder des Obersten Gerichts und eine aufgrund des Sturms des Tschernigower Untersuchungsgefängnis“, fügte der Erste Stellvertreter des Generalstaatsanwalts hinzu.
Der Leiter des Pressedienstes der Generalstaatsanwaltschaft, Jurij Bojtschenko, konnte gestern keine Einzelheiten für die letztgenannte Strafsache nennen. Die einzige Episode in der Tätigkeit Julia Timoschenkos und ihrer politischen Kraft, die mit dem Tschernigower Untersuchungsgefängnis in Verbindung steht, fand 2003 statt. Damals war der Schwiegervater der Ex-Ministerpräsidentin, Gennadij Timoschenko, in das Tschernigower Untersuchungsgefängnis eingeliefert worden. Er war mit anderen ehemaligen Mitarbeitern der EESU unter der Anschuldigung der „widerrechtlichen Aneignung von 2,251 Mrd. $, die beim Verkauf russischen Erdgases erhalten worden waren“, festgenommen worden. Am 13. Mai 2003 sprach das Berufungsgericht von Kiew die EESU-Vertreter frei, jedoch legte man ihnen eine neue Anschuldigung vor – Verschleierung von Devisenerlösen – und auf der Basis dessen weigerte man sich, sie aus dem Untersuchungsgefängnis freizulassen.
Am 14. Mai des gleichen Jahres weilte eine Abgeordnetengruppe unter Leitung von Stepan Chmara (Fraktion von BJuT) in Tschernigow. Am gleichen Tag kletterte Chmara über die Umzäunung des Untersuchungsgefängnisses und geriet an die Gefängnismitarbeiter. „Ich bin tatsächlich auf das Gelände des Untersuchungsgefängnisses gelangt und habe einem dieser Schufte die Schulterklappen abgerissen, ich leugne das nicht“, sagte Stepan Chmara dem “Kommersant-Ukraine”. „Doch von welchem Sturm kann hier die Rede sein? Haben wir etwa Türen oder Fenster eingeschlagen? Wie kann eine Gruppe von unbewaffneten Abgeordneten überhaupt ein Gebäude mit bewaffneten Wachen stürmen?“
Bemerkenswert ist, dass ein Korrespondent des “Kommersant-Ukraine” Chmara am 27. Oktober am Eingang der Generalstaatsanwaltschaft gesehen hat. Jedoch versicherte der ehemalige Abgeordnete dem “Kommersant-Ukraine”, dass er in letzter Zeit keine Angaben zu der Episode in Tschernigow gemacht hat. „Mitunter gehe ich wirklich zur Generalstaatsanwaltschaft, doch nicht in dieser Angelegenheit“, erklärte er.
Julia Timoschenko war an den Ereignissen beim Tschernigower Untersuchungsgefängnis nicht beteiligt. Sie hat ein Alibi: Am 14. Mai 2003 versuchte die Führerin von BJuT mit ihren engsten Mitstreitern in das Lukjanowkaer Untersuchungsgefängnis zu gelangen, wo sich ihr Ehemann Alexander Timoschenko und die Hauptbuchhalterin von EESU, Antonina Boljura, befanden. Einen erneuten Versuch in das Gebäude des Kiewer Untersuchungsgefängnisses zu gelangen unternahmen Julia Timoschenko und ihre Mitstreiter im Juni 2003, wonach die Generalstaatsanwaltschaft gegen die Führerin von BJuT ein Strafverfahren nach Paragraph 341, Paragraph 343 Absatz 1 und Paragraph 345 Absatz 2 des Strafgesetzbuches eingeleitet hatte („Besetzung/Sturm eines staatlichen oder öffentlichen Gebäudes“, „Einmischung in die Tätigkeit von Angehörigen der Rechtspflegeorgane“, „Gewalt in gegen Angehörige der Rechtspflegeorgane“). Es ist nicht ausgeschlossen, dass Renat Kusmin eben diese Episoden und nicht die Ereignisse in Tschernigow meinte.
Bei der Generalstaatsanwaltschaft untersucht man auch die Frage der Beteiligung Julia Timoschenkos an anderen Rechtsverstößen. „Wir haben ein Protokoll über die Befragung eines Zeugen in Amerika, der direkt erklärte, dass der Mord an (dem Parlamentsabgeordneten Jewgenij) Scherban von den Konten Lasarenkos und Timoschenkos bezahlt wurde. Wir haben diese Dokumente und wir möchten das überprüfen“, sagte Kusmin, dabei konkretisierend, dass die Informationen im Verlaufe der Ermittlungen zur Strafsache des Ex-Ministerpräsidenten Pawel Lasarenko in den USA erhalten wurden. Jewgenij Scherban wurde 1996 auf dem Flughafen Donezk erschossen: als Ausführende des Mords wurden Mitglieder der Bande Jewgenij Kuschnirs ausgewiesen. Einige Mitglieder der Bande wurden verurteilt, im Urteil wurde der Assistent Pawel Lasarenkos, Pjotr Kiritschenko (lebt in den USA), als Auftraggeber genannt. Jewgenij Kuschnir selbst starb 1998.
Der Parlamentsabgeordnete Gennadij Moskal ist überzeugt davon, dass die Bemühungen der Generalstaatsanwaltschaft ergebnislos sein werden. „Welchen Sinn macht es Informationen aus den USA anzufordern, dabei begreifend, dass unsere Staatsanwaltschaft von ihnen nichts erhalten wird? Wir haben mit den USA sehr schwierige und ungleiche Beziehungen, besonders jetzt“, erinnerte der Abgeordnete. Kusmin bestätigte, dass die USA nur ungern mit der Ukraine zusammenarbeiten: „Im Verlaufe eines Jahres haben wir wiederholt eine Befragung von Lasarenko vereinbart. Doch leider wurde kein Termin angesetzt“. Derweil ist Moskal überzeugt davon, dass diese Schwierigkeiten die Staatsanwaltschaft nicht von der Präsentation weiterer Anschuldigungen an die Adresse der Führerin von „Batkiwschtschyna“ abhalten werden. „Meinen Informationen nach werden wir in einem Monat noch eine weitere Anschuldigung hören. Die Generalstaatsanwaltschaft wird die Überprüfung der Beteiligung Timoschenkos am Attentat auf Lasarenko beginnen. Die Rede geht von der Explosion auf der Straße Kiew-Borispol im Jahr 1996“, erklärte er.
Sergej Sidorenko
Quelle: Kommersant-Ukraine
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