Pfad ins Leben - Foto: Alexander Ratuschnjak
Es ist vollbracht. Wir haben wieder einmal einen Gesetzgeber. Zusammengestellt – per Volkswillen – aus lauten, viel redenden, dafür aber schwer verständlichen Personen. Wir haben sie gewählt. Demzufolge müssen wir sie auch aushalten. Oder aber wir lassen uns von ihren Streitereien, Raufereien und wechselseitigen Beleidigungen im Fernsehen belustigen. Einigen von uns, der Mehrheit, gefällt das wohl nicht? Nun ja, so war er aber, unser Wähler-Wille.
Einst durften im zaristischen Russland laut Artikel zehn der Wahlordnung nur solche Abgeordnete in die Staatsduma gewählt werden, die in der Vergangenheit weder wegen Diebstahls noch wegen irgendwelcher Betrügereien verurteilt worden waren. Ein Verfallsdatum für dieses Verbot gab es nicht. Wir, die unabhängigen Ukrainer, waren da schon immer toleranter: Bei uns konnten auch Betrüger, Räuber oder Mörder als Abgeordnete ihren Beitrag zum Ausbau der Demokratie in unserem Land beisteuern. Nur mit der Rechtsstaatlichkeit und der objektiven Justiz hatten und haben wir so unsere anhaltenden Probleme. Auch jetzt gibt es unter unseren Auserkorenen solche Bürger mit hartnäckig abweichendem Benehmen (ich beschreibe sie ganz bewusst so, der Milde wegen).
Das einzige, was mich beruhigt, ist, dass es eine reale Chance gibt, all diese Bürger mit hartnäckig abweichendem Benehmen zu kontrollieren. Ich, ein vollberechtigter Bürger der Ukraine, habe nämlich das Privileg, all diejenigen zu kontrollieren, die das Land führen. Ich habe das Privileg zu sprechen, zu schreiben, Fragen zu stellen, Erklärungen einzufordern. Und ich hoffe, dass in diesem Jahr 2014 eine beachtliche Mehrzahl meiner Mitbürger das versteht: dass jeder von ihnen diese Privilegien hat. Und ich hoffe, dass in diesem Jahr 2014 eine beachtliche Mehrzahl meiner Mitbürger erkennt: dass eine Macht, die vor ihren Wählern keine Angst hat, eine Macht, die lügt und korrupt ist, den nächsten Majdan zu erwarten hat. Den vierten in Folge. Angst vor der Macht zu haben, bedeutet eine Entwicklung hin zur Knechtschaft. Angst vor den Wählern zu haben, bedeutet eine Entwicklung hin zur Demokratie. Die vom Volk kontrollierte Macht, auch wenn in ihr ein Nestor Schufritsch oder ein Oleg Ljaschko anwesend ist, muss notwendigerweise erkennen: dass die Grundlage für eine dauerhafte Rechtsordnung auf Freiheit und Unantastbarkeit jedes Einzelnen basiert. Sic. Die Macht jedoch ist sehr wohl antastbar! Denn erst darin liegt die Garantie für Rechtsordnung und Stabilität im Land.
Bereits zweimal wurde mir ein Abgeordneten-Posten angeboten. Beide Male habe ich, ohne lange zu überlegen und ohne irgendwelche Bedenken zu haben, abgelehnt. Denn ich möchte nicht die Verantwortung tragen, vielmehr möchte ich kritisieren und kontrollieren. Ja, bisweilen hat das bei mir noch nicht so gut geklappt. Denn in diesem unabhängigen ukrainischen Staat darf man zwar (fast) alles sagen und schreiben. Nur wird man so gut wie nicht wahrgenommen. Ich glaube aber, das die Chancen gehört zu werden, zurzeit wachsen. War doch bis vor kurzem noch der Majdan. Ich bin nicht allein, das weiß und sehe ich nun. Und ich werde lauthals schreien, wenn ich sehe, wie der Präsident oder der Premier erneut ihren Gevatter-Bruder-Schwager oder die Ihrigen in einer Kruste aus Diebstahl getränkten ins Gesundheitsministerium berufen. Ich werde ehrliche Artikel über die Miliz und den Sicherheitsdienst der Ukraine (SBU) verfassen, die unsere einheimische Drogenmafia umhegen; ich werde vom Bürgermeister, in seiner Funktion als Entscheidungsträger, einen inkompetenten, dafür aber eigenen Arzt verlangen. Ich werde mich dafür einsetzen, dass in meinem Land eine Rechtsprechung geschaffen wird, und nicht irgendein merkwürdiges “lustrationsähnliches” Ämterverbot für Gauner und Erpresser.
Ich werde nicht wegfahren. In diesem Land sind meine Lebenden und meine Toten. Wir haben die Möglichkeit, auf eine andere Art und Weise hier zu leben, auf eine bessere. Es besteht jedoch keine Notwendigkeit sich deshalb in Parteien, Bündnissen, familiären oder nicht familiären Klans zu vereinigen. Uns sollten vielmehr zielgerichtete Worte und Handlungen vereinigen. Wir müssen es lernen, Forderungen zu stellen, täglich, stündlich, ohne dass ein fünfter Majdan zur Notwendigkeit wird. Dann werden “sie” vor “uns” Angst haben. Einen anderen Weg in ein komfortables, sicheres Leben gibt es nicht.
27. Oktober 2014 // Semjon Glusman
Quelle: Lewyj Bereg
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