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Die Phantome des galizischen Separatismus und Ultranationalismus

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Jedes Mal wenn die Ukraine gerade dabei ist, sich wieder mal der EU oder generell Europa zu nähern, wird Galizien auf einmal seltsamer- oder vielleicht durchaus logischerweise von den wiederkehrenden Krämpfen des sogenannten galizischen Separatismus befallen.

Das regelmäßige Aufkommen derlei Stimmungen und ihr zeitliches Einhergehen mit den Phasen erhöhten Interesses für die Ukraine seitens ihres nördlichen Nachbars sind beunruhigend. Sowie der zähe Charakter dieses Phänomens. Noch beunruhigender ist jedoch, dass separatistische Begehrlichkeiten in der „ukrainischsten“ und patriotischsten bis hin zur „nationalistischsten“ (wie die Ergebnisse der letzten Lokalwahlen nahelegen) Region der Ukraine entflammen oder zum Entflammen gebracht werden. Denn es gibt keinen Separatismus in, sagen wir mal, Wolhyniens oder Bessarabiens. Transkarpatien ist eine andere Frage. Von dem sogenannten ruthenischen Separatismus in Transkarpatien lässt sich sagen, dass er seltsamerweise immer wieder dann Feuer fängt, wenn sich auch der galizische Separatismus aufrüttelt. Sie sind wie Zwillinge – zwei politische Projekte, im gleichen Büro für Sonderoperationen zusammengezimmert.

Natürlich käme es manchem geopolitischen Player, der seine Finger in den ukrainischen geopolitischen Spielchen hat, zupasse, dass die an ihn grenzenden Regionen, wenn nicht gerade separatistische Tendenzen aufwiesen, so wenigstens kulturell an ihm orientiert wären.

Der russische Separatismus auf der Krim stellt meines Erachtens die drängendste Gefahr dar. Und nicht nur weil er sich auf die russische Schwarzmeerflotte stützt. Es gibt auch objektive Umstände, die nicht zu missachten sind. Hier geht es vor allem quasi um eine russische Autonomie in unserem Land – um die Republik Krim. Davon wurde viel gesprochen. Und wird noch mehr gesprochen, denn die Frage nach dem Status der Russen auf der Krim wurde nicht endgültig gelöst. Wir, ukrainischsprachigen Ukrainer, mögen diesbezüglich unsere Meinungen haben, doch die Russen auf der Krim dürfen auch ihre haben.

Meiner Ansicht nach ist dies ein Identitätsproblem der Russen auf der Krim: entweder wollen sie ihr russisches Leben auf der Krim einrichten, oder sie hoffen immer noch, dass sich die Krim von der Ukraine abspalten und der Russischen Föderation oder zumindest der Eurasischen Wirtschaftsunion, die von Wladimir Putin angekündigt wurde, anschließen wird. Die erste Variante birgt keine absehbaren Katastrophen, die zweite kann Probleme nach sich ziehen, vor allem für die Krim selbst. Doch jeder trifft seine eigene Wahl. Momentan scheinen die meisten Einwohner der Krim nicht zu einem solchen Sprung ins kalte Wasser bereit zu sein. Deshalb gibt es auf der Halbinsel nicht so viele echte prorussische Separatisten.

Doch das sind „Separatismen“ fremden, so zu sagen, nicht ukrainischen Schlages. Der galizische Separatismus hingegen setzt ausgerechnet auf das „Ukrainischsein“, die ukrainische Sprache, ukrainische Kultur, auf alles Ukrainische schlechthin. Es ist eine Art ultraukrainisches Projekt, zumindest theoretisch soll es die europäische ukrainische Ukraine bewahren und stärken. Doch merkwürdigerweise deckt sich dieser Separatismus mit seinem Ultra-Anhängsel, zumindest ideologisch, mit einigen jüngsten Erscheinungsformen des ukrainischen Ultranationalismus. Zumal ist die Region einer potenziellen Verbreitung des „galizischen Separatismus“ die gleiche wie bei diesem jüngsten Nationalismus – Galizien.

Manchmal geht es sogar um die ganze Westukraine bis zum Fluss Sbrutsch. Dann ist das nicht mehr galizischer Separatismus. Doch grundsätzlich ändert sich nichts daran. Im Falle einer unabhängigen Westukraine, wie man sie sich vorstellen könnte, würde es weiterhin die alten Probleme der nationalen Minderheiten geben, die in ihren Prozentzahlen noch mehr zunehmen würden. Es würde weiterhin die Sprachprobleme geben. Und die Ansprüche der Nachbarn würden weiterhin bestehen und sogar mehr an Gewicht gewinnen. Ganz zu schweigen davon, dass die Westukraine nicht homogen ist, und dass es zwischen den Einwohnern Transkarpatiens, Wolhyniens, Galiziens und der Bukowina manchmal mehr Unterschiede in ihrer Denkweise gibt, als zwischen denen Galiziens und der Zentralukraine.

Von einer Zukunftsfestigkeit dieses Projektes kann kaum die Rede sein. Das Schicksal der Westukrainischen Volksrepublik ist leider ein Beweis, dass dies kaum möglich ist. Zu viele Interessenten. Letztendlich wird jemand die Verantwortung für dieses Territorium übernehmen müssen, das in der neueren Geschichte niemals einen eigenen Staat hatte. Die Ukraine tut sich ja gerade so schwer mit dem Aufbau eines Staates. Warum sollte es für die Westukraine einfacher sein? Wir sehen doch, wie viele politische Eliten es im Westen des Landes gibt. Sie heben sich von den Kollegen in der übrigen Ukraine kaum ab. Obwohl es doch einige stilistische Unterschiede gibt: Wenigstens verstehen sie es, sich richtig zu bekreuzigen.

Doch zurück zur Frage des galizischen Separatismus. Dieses Phänomen hat mehrere Ursachen und mehrere Zentren, die ihn regelmäßig zur Entfachung bringen. Ein sorgfältiger Analyst darf nicht alles auf Einflüsse und Inspirationen von Außen zurückführen. Diese gibt es auch, doch mehr dazu später. Beginnen wir mit dem Wichtigsten.

Dieser Separatismus oder dieses Gären in den Köpfen der Galizier erblüht auf dem Nährboden der Diskrepanz zwischen der tatsächlichen Entwicklung des ukrainischen Projektes und der Vorstellung davon, wie es hätte sein sollen. Eine andere Ukraine wollten sie sehen, für eine andere Ukraine haben sie gekämpft. Und die Galizier sehnten sich wirklich nach der Unabhängigkeit und taten viel um derentwillen in der Nachkriegszeit. Daher gibt es mit Blick auf diese Erwartungen und Projekte erhebliche Unterschiede je nach Regionen. Während für die Einwohner Galiziens und Transkarpatiens eine proeuropäische Entwicklung der Ukraine alternativlos ist, muss dieses Axiom für andere Regionen noch bewiesen werden: sie erwägen immer noch Pros und Contras. Und daran ist nichts Falsches. Die Westukrainer nehmen ihr Europäertum als eine Selbstverständlichkeit wahr, weil sie eine entsprechende historische Erfahrung hatten: Was auch immer gesagt werden mag und wie viele auch immer Konflikte mit unseren westlichen Nachbarn wir hatten, war der zivilisatorische Einfluss des Westens in dieser Region immer positiv.

Erstmals nahmen die Galizier Anstoß an der Entwicklung des Projektes Ukraine, als Präsident Kutschma den Staat zu einer Oligokratie auszubauen begann. Unter Leonid Krawtschuk ging es lediglich um den Kollaps des alten Politkonstruktes. Natürlich war für das Volk, unter anderem auch für den im Entstehen begriffenen Mittelstand, in diesem Oligarchenstaat kein Platz. Darüber hinaus war der Staat Kutschmas rein ästhetisch kein Hingucker, was die Galizier, wie ich noch später ausführen werde, sehr ernst nahmen.

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Deshalb entstanden in Lwiw, Iwano-Frankiwsk und Tscherniwzi regionale Szenen, die für politische Träumereien und Stilisierungen besondere Vorliebe hatten. Sie bemühten sich, wenn auch nur auf dem regionalen oder munizipalen Niveau, mit dem übrigen Mitteleuropa Schritt zu halten, das damals in die EU und NATO stürmte.

Vergessen wir nicht, dass die Westukrainer eine Zeit lang neben den genauso verarmten oder in den 90-er Jahren sogar ärmeren Polen, Ungarn und Slowaken gelebt hatten. Und wenn nach einigen Jahren der Lebensstandard dieser Länder um die Jahrtausendwende sich um ein Vielfaches erhöhte (und wir traten immer noch auf der Stelle), rief das Bedenken hervor. In den 90-er Jahren hatte man noch die Hoffnung, dass wir mit Polen, Tschechien und Ungarn mithielten, oder höchstens zehn Jahre im Rückstand wären. Dann wurde aber der „Rückstand“ immer größer, die Hoffnungen schwanden. Schließlich war man über sich selbst frustriert und wegen „denen, die östlich des Sbrutschs leben, die nicht begreifen, was zu tun ist und wohin man gehen soll“. So begann dieses Gären des galizischen Separatismus.

Und diese Ressentiments der galizischen und transkarpatischen Ukrainer wurden sofort im Ausland zur Kenntnis genommen. Es ist schwierig aufgrund nackter Tatsachen zu sagen, was konkret unternommen wurde, wer und wie Öl ins Feuer goss, um dieses für unsere geopolitischen Partner-Opponenten so günstige Brodeln im Volke zu „unterstützen“. Bei mir ist das eher Gefühlssache. Und unsere Gefühle sind es eben, mit denen diese Strippenzieher so geschickt spielen. Sie wissen nur zu gut, wo Zuckerbrot, und wo Peitsche einzusetzen sind, um den Mechanismus des Separatismus und somit der Spaltung der Ukraine in Gang zu setzen.

Am Anfang war das ein Spiel mit dem „Habsburger“ Monarchismus, eine Art Mix aus künstlerischem Projekt und geopolitischer Provokation. Diese Spielart des Protoseparatismus wurde übrigens nicht in Lwiw oder Tscherniwzi, sondern in Kiew gezüchtet und in die Welt gesetzt. Noch zu Zeiten des späten Kutschma und der ersten Schritte russischer Spindoktoren auf ukrainischem Boden.

Man setzte unter anderem auf regionalen Patriotismus, bestehende Unterschiede in der Denkweise und auch auf reinen Ästhetizismus, um noch mal eben diesen Aspekt des galizischen Separatismus zu betonen: auf Ästhetik wird großer Wert gelegt. Und nicht nur, weil hauptsächlich Künstler damit herumtollen. Zwischenzeitlich stilisierte sich der galizische Regionalismus zu einem echt coolen europäischen Projekt, von der Literatur bis hin zur Heraldik. Und diese sämtlichen ästhetischen Suchen können ruhig harmlose Künstlerprojekte genannt werden.

Genauso wichtig ist es, eine weitere klare Grenze zu ziehen: zwischen dem galizischen Separatismus als einer politischen Idee oder Provokation und dem galizischen oder wolhynischen regionalen Patriotismus, der durchaus zum ukrainischen politischen Projekt passt. Die Mentalität eines jeden Landes besteht aus vielen regionalen Patriotismen und einem nationalen Patriotismus. Diese stehen in keinem Widerspruch zueinander. Als Bayer muss man nicht unbedingt für ein unabhängiges Bayern kämpfen. Bayer sein heißt eigentlich ein Deutscher zu sein. Obwohl sich die Bayern von den übrigen Deutschen ziemlich unterscheiden.

Deswegen können sich ästhetische Suchen Juri Andruchowytschs in der Literatur oder Wlodko Kostyrkos in der Malerei sowohl mit den ästhetischen Projekten als auch mit der politischen Polemik, ausgedrückt in der Kunst, vertragen. Eine solche Ukraine mögen sie nicht leiden. Ich glaube, sie haben alle Gründe und das Recht, diese Ukraine nicht zu akzeptieren. Wobei – wer mag schon eine solche Ukraine leiden? Mittlerweile nur Einzelne. Einzelne, die daran ein unmittelbares Interesse haben.

Anders ist es um politische Erklärungen bestellt, mit denen sich andere Teilnehmer dieser Diskussion zu Wort melden. Den beiden oben genannten Künstlern sind sie logischerweise nicht in der Lage, das Wasser zu reichen. Doch sie beinhalten eine politische Komponente. Und so kommen wir zum politischen galizischen Separatismus. Er ist auch ein Mysterium. Ehrlich gesagt, von einigen Personen abgesehen, kenne ich seine wirklichen Anführer oder Mitstreiter nicht. Bestimmte Gäranzeichen sind dennoch vorhanden – bei galizischen Küchengesprächen hört man häufig: „sie sollen uns mal“, „wie lange treten wir noch auf der Stelle“, „alleine hätten wir es besser – schon längst hätte man es in die EU geschafft“, „Einigkeit wollte man, verdammt noch mal“ und so weiter. Auf der anderen Seite – „nein, die Krim geben wir nicht her“ etc. Kurzum, das ist die Geschichte eines Koffers mit abgerissenem Griff: zu unhandlich, um weiter ihn zu schleppen, zu schade, um ihn weg zu werfen. Nur wer der Koffer ist und wer ihn tragen muss, ist nicht klar. Diese Frage wird uns noch lange verfolgen, bis wir eine funktionsfähige munizipale und regionale Selbstverwaltung haben, dann wird man sehen.

Bislang war die Rede von inneren Faktoren, die diverse regionale Separatismen, unter anderem auch den galizischen, auslösen und aufrechterhalten. Dazu gehört auch die Donezker Spielart, wie auch seltsam es für die Ohren der galizischen Patrioten klingen mag. Ihre Argumente sind beinahe die gleichen.

Aber neben diesen Ursachen gibt es noch die aktive „Unterstützung“ durch unsere Brüder in- und außerhalb der Ukraine. Wie kann man nur in diesem Zusammenhang den großen „Freund“ der Ukraine vergessen, den zentralen Ideologen der russischen eurasischen Bruderschaft Alexander Dugin: „Der westukrainische Faktor erhebt Anspruch darauf, um sich als um einen Kern eine besondere „ukrainische Nation“ zu bilden, die sich von Russland und seiner sozialen Identität abgrenzt. Somit ist die ukrainische Idee an sich antirussisch, gegen Moskau gerichtet. Dieses Segment der ukrainischen Gesellschaft sieht Europa wie ein natürliches zivilisatorisches Umfeld, Russland hingegen als eine „Kolonialmacht“. Daraus entspringt der ukrainische Nationalismus, der mal mehr, mal weniger Einfluss auf die ganze ukrainische Gesellschaft hat. Wie auch immer wir dazu stehen mögen, ist der empirische Fakt nicht zu leugnen: Die Ukraine von Heute hat eine wesentliche „westliche“ Komponente, die mit zäher Beharrlichkeit die Ukraine der europäischen Zivilisation zuschreibt und jegliche Annäherung an den Osten als eine „erneute Unterwerfung der Ukraine durch die Russen“ deutet. Dies ist eine anhaltende Tendenz und nicht eine kurzfristige Folge einer oberflächlichen Propaganda. Es geht um eine Weigerung, die gemeinsame zivilisatorische Identität mit Russland anzuerkennen, sowie um eine ernstzunehmende Abneigung gegen jede Art Integrationsinitiativen. Diese Komponente macht es für die Ukraine unmöglich, sich dem Integrationsprozess anzuschließen, daher muss die Aussicht auf die Gründung einer Eurasischen Union aufgeschoben werden.“ (A. Dugin, Kampf um die Ukraine).

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Ein klarer ideologischer Hinweis für die Theoretiker des galizischen Separatismus. Ganz frisch verfasst, die Tinte ist noch nicht ganz trocken. So ist das Thema der galizischen Abspaltung wieder aktuell geworden, denn der ganze Text Dubins soll dem neuen Präsidenten Russlands Wladimir Putin an sein einstiges Image erinnern, das Image eines alten und treuen Ideologen des Eurasiertums.

Apropos, Dugin ist nicht originell. Noch in den politischen Auseinandersetzungen, die 2004 begannen, setzte man auf die Spaltung der Ukraine, nicht administrativ, sondern eher elektoral. Schon Leonid Krawtschuk machte sich das zunutze, als er gegen Leonid Kutschma um die Präsidentschaft wetteiferte. Und Leonid Kutschma ebenfalls, als er sich einen Gegner in Person Petro Symonenkos schaffte. Doch am geschicktesten bedienten sich dieser Technologie diejenigen, die die Karte der Aufteilung der Ukraine in unterschiedliche Regionen, die angeblich unterschiedlichen Wert haben, auszuspielen versuchten. Dies war eine unverhohlene Provokation, die die Westukrainer, allen voran die Galizier, aus dem ukrainischen Projekt davonjagen sollte.

Seitdem wurde das Davonjagen der Galizier aus dem ukrainischen Projekt sowohl durch ihre politischen Opponenten wie Dmytro Tabatschnyk als auch durch ihr eigenes Wirken (darüber im Folgenden) zu einem fortwährenden politischen Trend in Bezug auf die Ukraine. In der Hauptstadt des Nachbarstaates hat man offensichtlich die „unverbesserlichen“ Galizier aufgegeben und nach einer Möglichkeit gesucht, diese von der restlichen Ukraine zu isolieren. Stichwort „isolieren“. Die Isolierung kann diverse Formen annehmen. Hauptsache, dass die restlichen Ukrainer dieses klar ausgeprägte Anderssein der Westukrainer ganz klar vor Augen hätten. Am Ende dieses Prozesses der Isolierung der Galizier vom Rest der Ukrainer sollte eine Art Hass oder Abneigung der Letzteren gegen die Ersteren entstehen.

Deswegen malte die Opposition unter Präsident Juschtschenko hartnäckig das Menetekel der „galizischen Übermacht“ in den Regierungskorridoren an die Wand. Antigalizische Stimmungen wurden zu dieser Zeit andauernd geschürt. Dies hatte sogar einen gewissen galizischen Komplex zur Folge: man war überzeugt, dass das ukrainische Volk es niemals wagen wird (zumindest nicht die Generation von Heute) einen Galizier zum Präsidenten zu küren. Mehr noch: In den letzten Jahren der Präsidentschaft Juschtschenkos hatte man den Eindruck, dass (unbewusst oder nicht) in die Spitzenpositionen im Staatsapparat möglichst Personen ohne „galizischen Hintergrund“ berufen wurden. Und dies ist sehr schlimm für eine im Entstehen begriffene Nation. Denn wer die antigalizischen Stimmungen schürt, könnte künftig Fremdenfeindlichkeit aller Art ernten. Beispielsweise eine Abneigung gegen Donezk. So wie früher die Donezker Herkunft eine Eintrittskarte in die Topetagen der ukrainischen Gesellschaft war, genauso kann sie – Gott bewahre! – zu einem Ausschlusskriterium werden. Ansatzweise ist das schon zu beobachten, wenn man sich an die bekannte Skandierung der Fußballfans erinnert.

Doch diejenigen, die die römische Regel „teile und herrsche“ anwenden, scheren sich wenig um das Schicksal galizischer und donezker Menschen und ihre normale Eingliederung in das politische Konstrukt der Ukraine. Und tatsächlich haben gleich nach dem Amtsantritt des neuen Präsidenten die bereits erwähnten Dmytro Tabatschnyk & Co. alles getan, um zu beweisen: die Galizier haben mit den Ukrainern nichts zu tun. Im Grunde genommen entfachten sie eben damit den galizischen Separatismus. Nur die Methoden waren anders. Das Ziel hingegen nach wie vor das gleiche: die Westukraine aus dem ukrainischen Projekt, wie es von Dmytro Tabatschnyk, Patriarchen Kyrill mit seiner „russischen Welt“ und anscheinend Wladimir Putin mit seiner Eurasischen Wirtschaftsunion gesehen wird, davonzujagen. In einem Wort, musste man Galizien irgendwie entsorgen.

Doch zu diesem Zwecke bediente und bedient man sich nicht nur der Ästhetik anhängenden romantisch gestimmten Galizier oder teufelsgleichen Galizierfeinde. Seit kurzem ist auch eine Abgrenzung Galiziens von der übrigen Ukraine aufgrund der politischen Überzeugungen en vogue. 2004 „vereinten“ sich Galizien und Zentralukraine aufgrund ihrer politischen Gesinnung. Und dies bedeutete eine direkte Bedrohung für diejenigen, die eine vereinte und demokratische Ukraine nicht brauchen können. Daher zog man alle Register, um Galizien in den Augen der anderen Ukrainer als etwas Fremdes oder Andersartiges dastehen zu lassen. Die Taktik der Schürung ultranationalistischer politischer Stimmungen in Galizien kam zum Einsatz. Was auch immer man sagen mag, können derlei Stimmungen in der restlichen Ukraine kaum Fuß fassen. Somit wurden mehrere Probleme auf Anhieb gelöst.

Erstens, stand Galizien mit seinen politischen Vorlieben wieder alleine da. Die Lokalwahlen im Herbst 2010 haben diesen Schützengraben entlang des Sbrutsch noch mehr vertieft. In Galizien etablierte sich, zumindest nominell, die Partei „Swoboda/Freiheit“, deren Rhetorik zunehmend nationalistisch wurde und natürlich die meisten mittig gesinnten ukrainischen Wähler abschreckte. Jetzt aber nicht mehr durch die Worte Oleh Tjahnyboks, dafür gab es nun exaltierte Marionetten. Mitunter kam es zu recht profaschistischen und neonazistischen Ausschreitungen. Und das alles in der Öffentlichkeit, in den wichtigsten Sendern des Landes – natürlich jedes mal reiner Zufall. Dies kann mit Sicherheit jeden gemäßigten Anhänger der angeblich „oppositionellen“ Allukrainischen Vereinigung „Swoboda“ an den Rand der Verzweiflung oder Tollwut treiben. Wer denkt, dieses „ultra“ ist Kinderei, irrt sich sehr. Genauso wie sich viele treue einfache Mitglieder der Vereinigung irren. Leider werden sie auch manipuliert, die Energie ihres Nationalgefühls wird in eine aussichtslose und sogar für die Ukraine diskreditierende Richtung getrieben. Schade, denn die Kerle sind zwar einfältig, aber meistens aufrichtig. Sie ahnen nicht, dass die ultranationalistische Rhetorik, die ihnen verfüttert wird, die gleiche isolierende Rolle spielt, wie der galizische Separatismus – sie verdrängt Galizien aus dem ukrainischen Kontext, entkoppelt es von den übrigen Regionen.

Zweitens, hat die Verbreitung der Allukrainischen Vereinigung „Swoboda“ in Galizien eine allukrainische demokratische Bewegung verhindert. Denn es steht fest: im Land votiert die eine Hälfte gegen die andere. Und die Paar Prozent Stimmen, die „Swoboda“ bei den nächsten Wahlen wegfressen wird, machen es unmöglich, dass ein – immer noch rein hypothetisch möglicher – demokratischer Block an die Macht kommt. Wir wollen doch nicht glauben, „Swoboda“ könne Teil eines solchen demokratischen Blocks werden, sollte er zustande kommen. Auch sie selbst können sich nicht als Teil dieses Blocks vorstellen.

Drittens. Die Prävalenz der „Swoboda“ mit ihrer antieuropäischen Rhetorik fördert die Abschottung der Ukraine von der EU. Die Zusammenarbeit von „Swoboda“ mit betont antieuropäischen rechtsradikalen Bewegungen in Europa ist ein Beweis dafür. Folglich wird die Westukraine, die wie ein Zug den Rest des Landes in die EU befördern sollte, in Wirklichkeit zu einer Schranke auf dem Weg in die EU, man wolle doch einen übermächtigen und unabhängigen ukrainischen Nationalstaat aufbauen. Objektivitätshalber muss man hier sagen, dass auch andere politische Parteien, die in Galizien Einfluss hatten, sich hie und da groteske politische Verrenkungen zuschulden kommen ließen. Wie beispielsweise das ausdrückliche Schweigen Julia Timoschenkos zum NATO-Beitritt der Ukraine oder zum Russisch-Georgischen Krieg. Genauso befremdlich wirkte Arsenij Jazenjuk in der letzten Phase seiner Präsidentschaftskampagne, als er der ukrainischen Gesellschaft das Projekt einer mythischen Ukraine von Tschop bis Wladiwostok auftischen wollte. So etwas gab es wirklich. Natürlich war das nichts weiter als eine „politische Technologie“, um im Osten mehr Stimmen zu gewinnen. Und dennoch…

Da hat man sie – die „prowestliche“ Westukraine… Schön arrangiert. Eine lose-lose-situation.

Sehr einleuchtend beschreibt diese Technologien zur Zähmung der Ukraine der uns bereits bekannte Aleksandr Dugin. In einem der vorgeschlagenen Szenarien des „Kampfes für die Ukraine“ gibt er die Galizier nicht auf, sondern versucht, sie zu zügeln. Hier sind seine „Drei Strategien für die Integration der Ukraine“:

„Das erste Szenario: Teilung der Ukraine […]

Das zweite Szenario: ein kompliziertes Spiel mit der pragmatischen Führung der Ukraine […]

Das dritte Szenario (das avantgardistischste) besteht darin, sich unmittelbar den ukrainischen westlichen Nationalismus vorzuknöpfen, der sowohl ideologisch gesehen als auch der Definition und den Gesetzen des Genres nach mitnichten mit den kulturellen Werten solidarisch sein kann, die in der modernen westeuropäischen Gesellschaft vorherrschen […] Der ukrainische Nationalismus, wie bereits gezeigt wurde, ist das wichtigste Hindernis für die Verwirklichung des eurasischen Integrationsprojektes. Doch man kann versuchen, das Gift zum Heilmittel, den Feind zum Freund zu machen“ (A. Dugin, „Kampf um die Ukraine“).

Und das tut man auch. Nach dem Motto, kannst du etwas nicht beenden, stell dich an dessen Spitze… Und das Ziel ist – die Ukraine vom europäischen Integrationsprozess fernzuhalten, selbst wenn einem dabei der „unbelehrbare“ Teil der Ukraine, ihre westliche Region, oder die ganze Ukraine durch das Aufgehen im großen eurasischen Schmelztiegel abhanden kommen. Deswegen werden sowohl galizische Separatisten, als auch galizische Ultranationalisten gleichermaßen aufgewiegelt. Und zur gleichen Zeit auch die Ukrainophoben allerlei Couleur. Letztendlich werkeln sie alle am gleichen Ziel – der Demontage des ukrainischen Projektes. Dann bleibt nur ein Weg – in die Eurasische Wirtschaftsunion. Wohin denn sonst?

11. November 2011 // Taras Wosnjak

Quelle: Dserkalo Tyshnja

Übersetzerin:   Iryna Tsyumrak — Wörter: 3332

Iryna Tsyumrak stammt aus der westukrainischen Stadt Lwiw/Lemberg. Dort hat sie ihren Master in Angewandter Linguistik erlangt, zur Zeit studiert sie Konferenzdolmetschen an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz/Germersheim

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