Die Coronavirus-Quarantäne ist in der Ukraine bereits über einen Monat in Kraft. Sie versetzte einer Vielzahl von Bereichen einen Schlag: Märkte, Einkaufszentren und Restaurants schlossen. Doch haben die Quarantäne-Beschränkungen auch die Sex-Industrie betroffen?
Der Browary-Prospekt – ein bekannter Ort für die „Miete“ von Frauen für kommerziellen Sex. Man kann sie hier morgens und abends treffen. Einzeln oder in Paaren. In 100 Meter Entfernung von der „Lesnaja“-Metrostation – der äußersten Station der roten Linie der Kiewer Metro – steht in einer Parktasche Weronika. Zumindest nennt sie sich so.
Sie zu übersehen ist unmöglich. Das Erscheinungsbild verrät den Beruf: Sie ist zu herausgeputzt und auffallend für die Endstation der Metro in einem Vorstadtviertel. Der zwischen den vorbeifahrenden Autos wandernde Blick zeigt ihre Absichten und das Angebot.
„400 Hrywnja für oralen Sex und für 1.000 Hrywnja [circa 33 Euro] bleibe ich eine ganze Stunde bei dir“, mit diesen Worten begann die junge Frau unsere Bekanntschaft. Der Preis sank während der Quarantäne nicht und einen Preisnachlass wird sie nicht geben. Sie ist ein Profi, bereits drei Jahre arbeitet sie an dieser Stelle und kann sich einer starken Kundenbasis rühmen.
Bordsteinschwalben – sind die „günstigste“ Variante für den Verbraucher. Das einmalige Vergnügen bewegt sich in einer Breite von 300 – 700 Hrywnja [circa 10 – 24 Euro]. Von der Summe nimmt der Zuhälter 30 Prozent, den Rest behält die Frau für sich.
„Quarantäne hin oder her, gearbeitet werden muss“, sagt Weronika und beschwert sich über die Logistikprobleme.
„Es ist wegen des fehlenden öffentlichen Nahverkehrs schwerer geworden zum Arbeitsort zu gelangen. Doch sonst ist alles wie immer, nichts hat sich geändert. Ich fahre aus einem Vorort nach Kiew. Ich brauche einige Zeit, um nach Hause zu fahren, zu schlafen und wieder zurück nach Kiew zu fahren. Taxi ist teuer, manchmal gerate ich an einen Kunden, der einen mitnehmen kann, aber meistens trampe ich“, erzählt die junge Frau.
Woher sie eigentlich kommt, sagt sie nicht. Sie sagt, dass alle, die an der Trasse arbeiten „von einem Ort“ kommen. „Uns hat alle eine Mutter geboren“, hebt die junge Frau philosophisch hervor.
Weronika ist ohne Mund-Nasen-Schutz auf Schicht gegangen. Auf die Frage wo die Maske sei, antwortet sie abschneidend: „In der Tasche, genau dort, wo auch die Präservative sind.“ Doch gebe es keine Erfordernis für eine Maske, sagt die junge Frau.
„Die Maske streife ich über, wenn ich aus Kiew heim fahre oder umgekehrt. Jetzt fahren alle mit Maske, so ich auch, um nicht aufzufallen. Doch bei der Arbeit stört sie. Ja und die Klienten bestehen nicht darauf. Sie haben als erster gefragt“, gibt die junge Frau offen zu.
Weronika steht allein an der Trasse, doch versichert sie, dass sie noch mit drei Freundinnen arbeitet, zwei von ihnen mieten eine Einraumwohnung nicht weit von der Metro.
Ich frage, ob sie keine Angst hat sich mit dem Coronavirus bei einem Kunden anzustecken. Und ihrer Reaktion nach beeindruckt sie die Frage nicht. Die junge Frau erweist sich als eine überzeugte Fatalistin.
„Ich kann mich mit allem möglichen anstecken. Mein Beruf war in dieser Hinsicht auch vorher bereits sehr riskant. Es gibt gerade einen Haufen Krankheiten, Viren und zu dieser riesigen Liste kam noch das Coronavirus hinzu. Wenn ich krank werden soll, dann bin ich dazu bestimmt krank zu werden, doch wenn nicht, dann nicht“, sagt Weronika.
Daran, dass sie auch Klienten anstecken kann, denkt Weronika wenig.
„Wenn ich krank bin, sitze ich zu Hause. Jetzt fühle ich mich gut“, erzählt die junge Frau ruhig. Unsere Fragen ermüden sie nicht.
Sie ist Gespräche gewohnt. Ihren Worten nach zahlen 60 Prozent der Klienten für die Möglichkeit sich auszusprechen und nicht für Sex.
„Sie erzählen, wie ihnen ihre Frauen das Hirn martern, jemand erzählt von Problemen auf Arbeit oder umgekehrt darüber, wie erfolgreich und vielversprechend er ist. Viele haben niemanden mit dem sie quatschen können, daher kommen sie hierher und zahlen mir für Quatscherei. Tatsächlich fragen sie gewöhnlich weniger, nicht so wie Sie, sie erzählen mehr selbst“, sagt Weronika.
Während der Quarantänezeit wurden es ihren Worten nach wesentlich mehr Männer, die für Plauderei zu zahlen bereit sind, als für Sex.
„Die Leute langweilen sich zu Hause. Sie setzen sich in die Karre, fahren zu uns, rauchen und lachen. Und Sex wollen sie nicht immer. Es ist nicht die Stimmung dafür“, sagt Weronika.
Unser Gespräch wird von einem Telefonanruf unterbrochen. Im Telefonhörer ist eine Männerstimme zu hören, doch es ist schwer auszumachen, worum es geht. Weronika rechtfertigt sich, sagt, dass sie mit einem Kunden redet, doch den kurzen einsilbigen Antworten nach zu urteilen, ist es der Zuhälter. Gewöhnlich arbeiten sie zu zweit. Der Zuhälter wacht nicht weit entfernt in einem Auto – im Falle aggressiver Klienten.
Eine weitere Priesterin der Liebe, Ljuba, arbeitet an der Ringstraße nicht weit von einer Autowäsche. Sie ist über dreißig. Sie ist so gekleidet, dass sie zur Ausstattung und Plänen des Abends wird: weiße Lederstiefel, die Beine von beigefarbenen Lederhosen überzogen. Die Hüften werden kaum von einem roten Minirock bedeckt. Das Bild wird von einem weißen Pelz aus künstlichem Fell vervollständigt. Offensichtlich, dass das Weiße in der Dunkelheit gut zu sehen ist.
Im Unterschied zu Weronika hat Ljuba eine Atemschutzmaske auf, die am Kinn hängt und leicht mit rotem Lippenstift beschmiert ist. Ljuba hat sie genäht. Auf eine Entfernung von einem halben Meter ist der Geruch von Kognak und billigem Parfüm zu spüren.
Die junge Frau arbeitet etwas weniger als zwei Jahre an der Straße.
„Ich bin aus der Provinz. Mein Mann hat mich mit kleinem Kind verlassen und von irgendwas muss man leben“, erklärt Ljuba, warum sie im Beruf gelandet ist. Sie lebt zweihundert Meter von der Autowäsche entfernt, im ersten Stock über einer Sauna.
Für 500 Hrywnja ist sie bereit 30 Minuten Vergnügen direkt im Auto zu schenken. Für 1000 Hrywnja lädt sie in die Sauna ein, über der sie lebt. Arbeitszeit von 20 Uhr bis früh um 4. Und wenn sie nicht mit Kunden beschäftigt ist, dann ist sie immer verfügbar. Die Telefonnummer gibt sie nicht. Sie sagt, dass das sehr intim und daher nur für Stammkunden sei.
Wir interessieren uns dafür, warum sie die Maske nicht ins Gesicht gezogen hat?
„Ich habe die ganze Tasche voll mit Präservativen. Und sie schützen wesentlich besser“, lacht die junge Frau laut über den eigenen Scherz.
Ihren Worten nach verhält sich die Polizei gegenüber ihrer Verdienstweise während der Quarantäne kulant, so wie in der Zeit davor. Der Zuhälter, dem sie 40 Prozent ihrer Einnahmen gibt, einigt sich mit den Cops und bezahlt diese (die Zuhältertarife schwanken zwischen 30 und 60 Prozent in Abhängigkeit von der Erfahrung – je mehr Erfahrung, um so weniger Prozent muss dem Zuhälter gezahlt werden).
Wir erzählen ihr von der Quarantäne und den Einschränkungen für die Bürger und es drängt sich der Eindruck auf, dass die junge Frau viele der Neuigkeiten von uns zum ersten Mal hört.
„Mir wurde gesagt, dass der öffentliche Verkehr nicht arbeitet. Ich wollte nach Hause fahren, doch es kam kein Bus und Taxi ist teuer. Doch meine ich, dass diese Quarantäne von den Politikern erfunden wurde und diesen ist nicht zu trauen“, sagt Ljuba und drängt uns, damit wir verschwinden.
„Wir quatschen schon mehr als zehn Minuten miteinander. Andere Klienten halten nicht an, da sie die Karre sehen. Los, entweder fahren wir jetzt oder hör auf mich vollzutexten“, sagt Ljuba streng.
Den Worten der Straßenprostituierten nach gibt es seit der Verhängung der Quarantäne und der Grenzschließung für sie nicht weniger Kunden. Ihr Zielpublikum sind nicht Ausländer, sondern Taxifahrer, Fernfahrer und Polizisten. Und diese Bevölkerungskategorien haben ihre Arbeit nicht verloren.
In einer Nacht beträgt der Verdienst im Schnitt zwischen 1.500 und 2.000 Hrywnja [circa 50-70 Euro]. Im Monat kommen bis zu 25.000 Hrywnja [circa 860 Euro] in Abhängigkeit von der Zahl der Nächte, die ander Straße verbracht werden, zusammen.
20. April 2020 // Wlad Wowtruk
Quelle: Strana.ua
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