Im Januar 2000 ertönte auf dem Forum in Davos die Frage: „Who is Mister Putin?“ Diese stellte die Journalistin des Philadelphia Inquirer, Trudy Rubin. In diesem Moment war Putin noch geschäftsführender Präsident. Seine ersten Wahlen gewann er zwei Monate später.
19 Jahre später möchte man dieselbe Frage dem Stab Wladimir Selenskijs [Wolodymyr Selenskyj] stellen. Und die Rede geht nicht vom Versuch Parallelen zu ziehen oder die Biografien zu vergleichen. Diese geht davon, dass Wladimir Selenskij sich bemüht seine Anhänger nicht dabei zu stören ihn sich selbst auszudenken. Denn heute stimmen für ihn Menschen mit den unterschiedlichsten Sichtweisen auf die Zukunft.
Die Untersuchung des Rasumkow-Zentrums ist da hinreichend eindrucksvoll. 56 Prozent der Anhänger Selenskijs wollen in die Nato, doch 35 Prozent Blockfreiheit. 55 Prozent wollen von Russland weg, doch 32 Prozent die Beziehungen zu ihm wiederherstellen. 52 Prozent wollen eine Unterstützung der ukrainischen Sprache, doch 41 Prozent gleiche Bedingungen für alle. 47 Prozent wollen Markt, aber 41 Prozent staatliche Kontrolle.
Eine ähnliche Disproportion bei den Einstellungen gibt es auch bei den Wählern Poroschenkos. Doch bei den aufgezählten Punkten ist diese Kluft weitaus geringer, als bei der Wählerschaft Selenskijs. Bedingt gesagt sind die Wähler des amtierenden Präsidenten homogener, als die Wähler seines Visavis. Und darin ist nichts Verwunderliches.
Vom ersten Tag seiner Wahlkampagne an versucht Wladimir Selenskij nicht seine Zielgruppe zu finden. Anstelle der Exklusion trat die Inklusion. Anstatt Antworten zu geben, versucht sein Stab diese zu vermeiden. Um anschließend die Wahlernte im ganzen Land einzuholen. Dem ersten Wahlgang nach zu urteilen, ist diese Strategie mehr als erfolgssicher. Der Kandidat tritt in der Rolle eines Malbuchs auf, für das jeder Wähler selbstständig seinen Farbstift wählt. Die Crux besteht lediglich darin, dass es trotzdem nicht das Problem löst.
Die Motive können für den Wähler verschieden sein. Der eine Stab verkauft dem Land einen Spatz in der Hand, der andere eine Taube auf dem Dach. Die Kandidaten wetteifern darin, wer die Tagesordnung bestimmt. Darin, wer dem Gegner seine Strategie aufbindet.
Jedes Lehrbuch erzählt Ihnen, dass der erste Wahlgang immer eine Abstimmung „dafür“ ist, doch der zweite eine Abstimmung „dagegen“. Doch wenn wir das geringere Übel wählen wollen, brauchen wir dafür trotzdem ein gewisses Koordinatensystem.
Denn für unterschiedliche Wähler kann das „Übel“ komplett andere Dinge sein. Für die Einen ist das „Übel“ der IWF, doch für die anderen die Notenpresse. Für die einen ist es der Bodenmarkt, aber für die anderen dessen Fehlen. Für den einen Wähler ist das Verbot von russischen Inhalten ein Sicherheitsfaktor, jedoch für den anderen Zensur.
Es ist komplett möglich, dass der Stab von Wladimir Selenskij eben darauf setzt. Er kapitalisiert die Müdigkeit vom amtierenden Präsidenten. Zählt darauf sich bis zum zweiten Wahlgang auszuschweigen. Setzt darauf, dass der ukrainische Wähler mit dem Herzen wählt. Findet immer neue Gründe dafür, um nicht zur Debatte zu erscheinen und geht nicht zu Talkshows. Schlussendlich kann diese Taktik durchaus zum Sieg führen.
Wir treten bereits in die Saison der politischen Wechsel ein. Der Stab von Wladimir Selenskij wird um Politiker und Aktivisten anwachsen. Wir hören von neuer Hoffnung und dem Sprengsatz unter den alten Eliten. Von neuen Spielregeln und der Unvermeidbarkeit einer Erneuerung.
Und ich habe nur eine Frage an all diejenigen, die Einsätze in diesem politischen Kasino gemacht haben. Wenn Sie überzeugt sind von Ihrem Kandidaten, warum diesen nicht überzeugen mit uns allen zu reden?
Jede Regierung muss gewechselt werden. Nicht ein Politiker verdient die Unsterblichkeit. Doch einige Situationen sind wertvoll durch Gabelungen. Und daher wäre es nicht schlecht zu verstehen, wen genau und warum Sie in der Rolle der Alternative vorschlagen.
Man kann nicht ein Spiel nach Regeln deklarieren und dabei gegen diese verstoßen. Man kann nicht gegen einen Drachen nur deswegen kämpfen, um eben selbst dessen Platz zu besetzen. Man kann nicht in Verteidigung der Prinzipien auftreten und den Kandidaten vom Interview abraten.
Der einzige Kandidat aus dem Top-6-Umfragewerten, der vor dem ersten Wahlgang zustimmte zu einer Debatte zu kommen, war Anatolij Grizenko [Anatolij Hryzenko]. Man kann über sein Wahlprogramm denken was man will, doch das war ein starker Zug. Er bat nicht um ein Stadion, versteckte sich nicht hinter Daten und forderte für sich keine Änderung des Formats. Er kam einfach und antwortete anderthalb Stunden auf die Fragen.
An die Polittechnologen Wladimir Selenskijs gibt es keine Fragen. Sie machen ihre Arbeit und das, allem Anschein nach, hinreichend gut.
Fragen gibt es an all die, die bereit sind in den „Hoffnungskandidaten“ ihre Reputation zu investieren. Riskieren Sie zu beweisen, dass die Rede nicht von ihrer persönlichen Hoffnung, sondern der kollektiven geht. Denn andernfalls beginnt es einer Fälschung zu ähneln.
Über die Sieger wird nur im Sprichwort nicht gerichtet. Im realen Leben muss für den Sieg beinahe sofort bezahlt werden. Wenn wir die Wählerschaftskarten sehen, mit denen Wladimir Selenskij das Land geeint hat, dann ist das eine Illusion.
Denn der Kandidat, für den die Menschen im ersten Wahlgang ihre Stimme gaben, bleibt ein „sphärischer im Vakuum“. Jeder seiner Schritte im Fall der Wahl verdammen seinen Wähler zur Frustration. Denn die Erwartungen sind zu verschiedene.
In der ganzen Diskussion um die Debatten ging das Hauptsächliche verloren. Wichtig sind nicht der Ort, nicht das Datum und nicht der Name des Moderators. Wichtig sind die Antworten. Und wenn man mir sagt, dass die derzeitige Wahlkampagne eine Ringen des „Alten“ und des „Neuen“ ist, so wäre es nicht schlecht die ungefähren Konturen eben dieses Neuen zu umreißen. Das geringere Übel existiert. Doch in jedem Wahlkampf muss man beweisen, dass eben du das geringere Übel bist. Und dafür braucht es überhaupt nicht viel. Beispielsweise zu reden.
10. April 2019 // Pawel Kasarin – Er ist unter anderem Moderator der Debattensendung „Sworotnyj Widlik“ (Countdown) beim Öffentlich-Rechtlichen Fernsehen.
Quelle: Ukrainskaja Prawda
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