Früher habe ich das im Bus oder auf dem Markt gehört. Gesprochen haben darüber ältere, ärmlich angezogene Leute, die offensichtlich nicht gerade luxuriös lebten. In letzter Zeit hört man das offen von gut gebildeten, abgesicherten Männern und Frauen zwischen 30 und 40. Vor kurzem, genauer gesagt letzte Woche war ich in dem Krankenhaus, wo ich früher gearbeitet habe. Meine frühere Kollegin hat mich erkannt, sie ist Kinderärztin. Sie hat privat so einiges durchgemacht und hat bei mir gleich ihren ganzen Frust abgeladen.
Ihr Mann ist schon vor langer Zeit gestorben (ich kannte ihn), ihre Tochter ist mit den Enkeln nach Deutschland gegangen. Und plötzlich sprang sie ohne Vorwarnung zur „Politik“, senkte die Stimme und sagte eindringlich: „Das sind alles die Amerikaner! Sie bringen die Ukraine absichtlich um, sie tun alles, damit wir so schnell wie möglich abkratzen. Sie wollen unser Land!“
Ich war empört und versuchte zu widersprechen. Schnell aber sah ich ein, wie vergeblich meine Erklärungen waren, verabschiedete mich und ging. Ich war schwermütig und schämte mich. Das war der Moment, in dem ich erkannte, dass viele meiner Landsleute ganz anders denken als ich. Sogar junge Leute, die die Maidan-Qualen durchgemacht haben. Ich gebe sofort zu, dass russische Spezialdienste oder andere russische Beeinflussungs-Institute dieses Phänomen befeuern. Aber ich weiß, dass auch einige Mitbürger so denken, die ganz und gar nicht mit Putin sympathisieren.
Ukrainische Soziologen haben die negative Einstellung gegenüber US-Amerikanern schon in den ersten Jahren unserer Unabhängigkeit festgestellt. Die Einstellung war gemäßigt negativ, im Unterschied zur extrem negativen Einstellung gegenüber „Angehörigen der kaukasischen Nationalität“ …
Die Ukraine, Winden aus allen politischen Richtungen ausgesetzt, hat sich in den 26 Jahren ihrer Unabhängigkeit in vielem geändert. In vielen Familien ist irgendjemand nach Europa oder in die USA ausgewandert, hat dabei aber seine Verwandten daheim nicht vergessen und unterstützt sie materiell und lädt sie zu sich in seine neue Heimat zu Besuch ein…
Und dann: „Die Amerikaner wollen unseren Tod!“ Das ist bitter und abscheulich. Sie helfen uns (wenn auch manchmal etwas unbeholfen). Sie verteidigen uns gegen den Feind von außen. Sie vermitteln uns modernste Kenntnisse… Alles vergeblich, wir mögen sie nicht, wir haben Angst vor ihnen, wir trauen ihnen die übelsten und hinterlistigsten Dinge zu. Ich weiß, das lässt sich am einfachsten so erklären: „Das sind alles Putins Ränkespiele“. Das ist in Wirklichkeit aber nicht so. Wir legen unsere Zukunft selbst fest, indem wir die Schlechtesten, Gierigsten und Dümmsten an die Macht wählen.
Zwingen uns etwa Obama und Trump vollkommen unfähige Ministerkandidaten aus Georgien und den USA auf? Sind etwa Obama und Trump Schuld daran, dass ukrainische Machthaber grundsätzlich nicht gegen die grassierende Korruption im Land kämpfen wollen? Halten etwa Obama und Trump unsere Regierenden davon ab, im Land wirksame Reformen umzusetzen, um die Wirtschaft zu fördern? Leiten uns etwa Obama und Trump dazu an, selbst das zu klauen, was zur Versorgung der Soldaten und Offiziere bestimmt ist, die unter schwierigen Bedingungen dem Aggressor widerstehen? Haben etwa Obama und Trump unserem Gesundheitsministerium empfohlen, in unserem Gesundheitssystem, das sämtliche ausländischen Neuerungen ignoriert, ein Rettungsdienst-Institut einzuführen?
Im satten, glücklichen Amerika wurde vor Kurzem ein Manifest mit dem Titel „The Giving Pledge“ (Schenkungsschwur) veröffentlicht. 105 Milliardäre aus unterschiedlichen Ländern haben es unterschrieben und sich dazu verpflichtet, mindestens 50 Prozent ihres Vermögens für wohltätige Zwecke zu spenden. Ukrainische Milliardäre fehlen dort leider. Sie teilen nicht mit uns. Sie wollen nicht und vergessen dabei, dass ihre Milliarden uns gehören, den Ukrainern, dass sie dem Land und seinen Menschen weggenommen wurden. Sie sehen, ich verwende nicht das Wort „gestohlen“, sondern weggenommen. Das klingt weniger harsch.
Einige unsrer Gesetzgeber und Herrscher dürfen nicht in die USA einreisen. Sie stehen dort auf der „Schwarzen Liste“. Es heißt, bald würde es bei uns wieder Parlamentswahlen geben. Und wir werden wie früher diesen Leuten auf der Schwarzen Liste unsere Stimme geben und ihnen unsere Zukunft anvertrauen.
Was haben Obama und Trump damit zu tun?
6. März 2017 // Semjon Glusman, Psychiater
Quelle: Lewyj Bereg
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