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„Grüner“ Wasserstoff: Kurze Aufklärung für die Ukraine

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„Grüner“ Wasserstoff: Kurze Aufklärung für die Ukraine

Gibt es einen Platz für uns in der Energiepolitik der Zukunft?

In den letzten Jahren ist das Interesse an Wasserstoffenergie sehr angestiegen, sie wird oft als die Energie der Zukunft und als wichtigster Trumpf im Kampf gegen den Klimawandel bezeichnet. Und die Ukraine gilt fast als Hauptlieferant von „grünem“ Wasserstoff für Europa. Schöne Aussichten, wenn man nicht ins Detail geht.

Tatsächlich ist der aktuelle Trend die „zweite Welle“ der Schaffung der Wasserstoffenergieindustrie. Das Konzept, fossile und kohlenwasserstoffhaltige Brennstoffe durch Wasserstoff zu ersetzen, entstand Mitte der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts. Damals basierte seine Umsetzung auf der Verwendung eines Hochtemperatur-Gaskühlmittels (ca. 700–900 °C) für Kernreaktoren, dessen Betrieb verständliche Risiken mit sich brachte, und die Idee floppte. Jetzt hat die Popularität der erneuerbaren Energien die Welt gezwungen, Wasserstoff wieder zu betrachten, diesmal aus einem anderen Blickwinkel.

Ein bekanntes Merkmal des Betriebs von Stromnetzen ist die ungleichmäßige Belastung des Netzes während des Tages. Dieses Problem wird durch Akkumulation gelöst, hauptsächlich durch den Einsatz von Pumpspeicherkraftwerken (mehr als 96 Prozent der weltweiten Gesamtstromspeicherkapazität – 184 Gigawatt gemessener Leistung). Bei den erneuerbaren Energien gibt es jedoch ein zusätzliches Problem – die Instabilität der erzeugten Kapazitäten selbst aufgrund von Wetteränderungen sowie die Differenz zwischen Verbrauchs- und Erzeugungsspitzen. Bevor Erneuerbare-Energie-Anlagen bestimmte Strommengen erzeugen, wird diese Instabilität durch die bestehenden Pumpspeichersysteme abgedeckt, jedoch mit einer Zunahme dieser Mengen, nennen wir sie „Überschuss“, wird es notwendig sein, zusätzliche Energieanlagen zu bauen, um diese Instabilität auszugleichen.

Und was tun mit dem überschüssigen Strom, der durch die Nutzung erneuerbarer Energien erzeugt wird? Und sie können, wie die Zeit gezeigt hat, von Bedeutung sein, insbesondere wenn es einen Anreiz gibt – einen „grünen“ Tarif. Als akzeptabelste Lösung wurde die Nutzung von Strom aus erneuerbaren Energiequellen zur Herstellung von Wasserstoff durch Elektrolyse aus Wasser – eine nahezu unerschöpfliche Rohstoffquelle, und nach allgemein anerkannter Terminologie sogar „grün“.

Es scheint, dass die Ideologie des „grünen“ Wasserstoffs in großem Maße durch den großflächigen Bau von Wind- und Solarkraftwerken und die aufgetretenen Probleme bei der Nutzung des gesamten erzeugten Stroms in Stromnetzen entstanden ist. Anders ist die Notwendigkeit der Schaffung komplexer Systeme zur Herstellung von Wasserstoff, der Organisation der Infrastruktur für dessen Lieferung und Weiterverwendung (und dies ist ein separates Diskussionsthema) nicht zu erklären. Und das alles, anstatt den erzeugten „grünen“ Strom direkt zu nutzen, um die fossilen Brennstoffe und Kohle wirksam zu ersetzen, was den Bestimmungen des Pariser Abkommens über die Entwicklung kohlenstofffreier Energie vollständig entspricht.

Lassen Sie uns einige Aspekte der Produktion von „grünem“ Wasserstoff bewerten. Die Umsetzung der Wasserstoffstrategie der Europäischen Union sieht die Produktion von einer Million Tonnen Elektrolysewasserstoffes bis zum nicht so weitem Jahr 2024 vor, was die Installation von 6-Gigawatt-Elektrolysezellen erfordert. Bis 2030 ist geplant, diese Zahl auf zehn Millionen Tonnen zu steigern und dementsprechend Elektrolyseure mit einer Gesamtkapazität von 60 Gigawatt zu installieren. Bei Kosten einer Elektrolysezelle von etwa 0,5 Millionen Euro pro Megawatt verbrauchtem Strom sind dies 3 bzw. 30 Milliarden Euro. Hier folgt, natürlich, die entsprechende Reaktion der Hersteller von Elektrolysezellen auf diese Anfragen. In Deutschland hat, zum Beispiel, das bereits für seine großen Entwicklungen in diesem Bereich bekannte europäische Unternehmen Enapter seine Bereitschaft angekündigt, an seinem neuen Standort dort 100.000 Elektrolysezellen pro Jahr zu produzieren. Die britische ITM Power und die norwegische NEL gehören zu den großen Topherstellern.

Es ist interessant, dass die größten Hersteller von Elektrolyseuren wie Deutschland und England in Bezug auf den Anteil der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen an der Gesamtmenge ihrer Produktion Weltrekordwerte erreicht haben. Zum Ende 2019 lagen diese Indikatoren bei 36,6 und 35,0 Prozent bzw. 224,1 und 113,3 Milliarden Kilowattstunden (Statistical Review of World Energy 2020/69). Macht dies nicht nachdenklich?

Derzeit werden die Perspektiven der Ukraine als einer der Hauptlieferanten von „grünem“ Wasserstoff nach Europa aktiv diskutiert. Gleichzeitig ist geplant, bis 2030 9,8 Gigawatt Kapazität bereitzustellen, selbstverständlich durch Elektrolyse.

Warum in unserem Land? Dies erfordert den Bau neuer und bedeutender Anlagen für erneuerbare Energien. Und noch ein wichtiger Faktor: Wir haben keine Nordseeküste mit stetigen Winden, und wir sind nicht Spanien, was die Anzahl der Sonnentage angeht. Die Effizienz der Nutzung der installierten Wind- und Solarenergie in unserem Land beträgt 13 Prozent. Aber die Ukraine zahlt den höchsten „grünen“ Tarif auf dem Kontinent und ist in dieser Hinsicht für inländische und vor allem ausländische Investoren sehr attraktiv.

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Wie ist unsere Situation? Anfang 2020 erzeugten unsere Wind- und Sonnenkraftwerke rund fünf Milliarden Kilowattstunden Strom. Die Nutzung dieses Volumens im Energiesystem des Landes spart etwa 200 Millionen US-Dollar durch den reduzierten Einkauf von Kohle (Anthrazit). Stellen wir uns vor, all diese Energie wird verwendet, um „grünen“ Wasserstoff zu erzeugen. Dann erhalten wir bei Verbrauch von 4,6 Kilowattstunden pro Kubikmeter Wasserstoff insgesamt etwa 1,1 Milliarden Kubikmeter Wasserstoff. Umgerechnet auf Erdgas (in Bezug auf den Heizwert, wenn es in eine Gasleitung geleitet wird), erhalten wir 355 Millionen Kubikmeter und einen Gewinn von 106,5 Millionen US-Dollar. Aber das ist noch nicht alles. Elektrolyseure müssen angeschafft werden, und das sind allein für deren Anschaffung mehr als 400 Millionen Euro, von den Kosten für die Infrastruktur ganz zu schweigen. Und wenn es sich um Wasserstoffpipelines handelt, sind die Kosten unverhältnismäßig höher. Und es stellt sich die Frage: Wozu? Die Entwicklung dieser Technologien wird von uns um ein Vielfaches höhere Investitionen verlangen als die zu erwartenden Einsparungen nach dem Ersatz von Gas durch Wasserstoff. Die Antwort ist das Interesse ausländischer Unternehmen, die uns Elektrolyseure verkaufen möchten.

Es gibt noch andere Details: Die europäischen 9,8 Gigawatt entsprechen unter Berücksichtigung von 13 Prozent ihres Verbrauchs etwa 260.000 Tonnen Wasserstoff. Um eine Tonne Wasserstoff durch Elektrolyse zu gewinnen, sind neun Tonnen destilliertes Wasser (oder etwa 20 Tonnen Wasser aus unseren Wasserbecken) und mehr als eine halbe Million Tonnen pro Kreis, da gibt es etwas zu bedenken. Schließlich ist Wasser auf der Welt und auch in der Ukraine längst zu einem knappen Gut geworden.

Was kann also getan werden? Es gibt zwei Wege: den Ausbau erneuerbarer Energieanlagen, um europäische und heimische Kunden mit „grünem“ Wasserstoff zu versorgen, oder heimische Energiesysteme mit CO2-freiem Strom zu versorgen.

Wir werden von nationalen Interessen ausgehen. Nach Angaben der staatlichen Energieeffizienzagentur kann unser Energiesystem maximal sieben Gigawatt Strom aus Erneuerbare-Energien-Anlagen nutzen, der von den bestehenden Pumpspeicheranlagen bereitgestellt wird (und dies ohne Berücksichtigung der Zugewinnkapazität durch das Dnjestr-Pumpspeicherkraftwerk). Im ersten Halbjahr 2021 betrug die installierte Leistung der Erneuerbaren-Energien-Anlagen 9,2 Gigawatt (plus 8,3 Prozent!). Bei einer Auslastung von 13 Prozent sind dies 1,19 Gigawatt tatsächlich produzierten Stroms. Das heißt, wir haben erhebliche Möglichkeiten, die Kapazität kohlenstofffreier Energie weiter zu erhöhen. Dies ist vor allem auf das Vorhandensein eines ausgedehnten Stromleitungssystems in der Ukraine zurückzuführen.

Aber bedeutet all das, dass wir uns nicht aktiv an der europäischen „grünen“ Wasserstoff-Euphorie beteiligen sollten? Wohl kaum. Aber in welche Richtung? In Europa wird der Einsatz von Wasserstoff in der Industrie und im kommunalen Bereich aktiv weiterentwickelt. Stimmen Sie zu, dies sind sehr vielversprechende Bereiche, und in diesem Fall wird es jemanden geben, mit dem Sie den Investitionsbedarf teilen können.

In Großbritannien wird beispielsweise bereits ein Großversuch vorbereitet. In Schottland wurden bis Ende 2020 etwa 300 Haushalte in der Council Area Fife kostenlos mit Wasserstoffbrennstoffkesseln und —boilern ausgestattet. Hier ist sie, die energetische Modernisierung — unser alter Traum! In unserem Land gibt es Stadtwerke und Industriestrukturen, die an einer autonomen Versorgung mit Wasserstoff als alternativer Energiequelle interessiert sind. Es gibt sogar bereits Pioniere, zum Beispiel erwägt das Bergbau- und Aufbereitungskombinat von Poltawa die Möglichkeit, ein Solarkraftwerk auf dem Gebiet der Deponien der Eisenerzaufbereitung zu installieren.

Im Juli dieses Jahres haben die führenden Forschungseinrichtungen der Ukraine auf dem Gebiet der Herstellung, des Transports und der Nutzung von Wasserstoff und Gas-Wasserstoff-Gemischen den Forschungskonzern „HYDROGEN“ gegründet. Seine Aktivitäten zielen auf die Durchführung und Koordinierung von Forschungen zur Untersuchung der Wirkung von Wasserstoff bei seiner Anwendung in Ausrüstungen, Elementen und Materialien von Gaspipelines sowie auf die Untersuchung von Aspekten der Verwendung von Gas-Wasserstoff-Gemischen in Haushaltsgasgeräten.

Am Institut für Gas der Nationalen Akademie der Wissenschaften der Ukraine wurden in verschiedenen Jahren bedeutende Entwicklungen zur Verwendung wasserstoffhaltiger Gase (Ölraffination, Koksofen) in Industrieöfen durchgeführt. Es wurde das Zentrum für Wasserstofftechnologien eingerichtet, es wird zum Thema „Transport und Speicherung von Wasserstoff in Pipelines“ geforscht und es liegen bereits spannende Ergebnisse zur Untersuchung der Verbrennung von Erdgas-Wasserstoff-Gemischen in Haushaltsgasgeräten vor. Die Grundlagen sind geschaffen. Es bleibt, sie mit Bedacht zu nutzen.

02.10.2021 // Boris Iljenko

Quelle: ZN.ua

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Übersetzerin:   Ilona Stoyenko — Wörter: 1414

Ilona Stoyenko stammt aus Krementschuk (Ukraine) und hat an der Ludwig-Maximilians Universität München das Fach Wirtschaftswissenschaften mit einem Bachelor abgeschlossen. Dem folgte ein Master-Abschluss an der Fernuniversität Hagen. Sie arbeitet freiberuflich als Übersetzerin und von Zeit zu Zeit trägt sie zu den Ukraine-Nachrichten bei.

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