In der Ukraine läuft die Impfkampagne. Mit Stand heute gibt es im Land 2,5 Millionen vollständig geimpfte Menschen. Dabei ist die Zahl der Impfverweigerer ziemlich hoch – 51,5 Prozent der Ukraine wollen keine Impfung gegen das Coronavirus aus unterschiedlichen Erwägungen machen.
Zur gleichen Zeit bestehen die Regierungen vieler Länder auf dem Vorzeigen eines Impfpasses als verpflichtendes „Eintrittsticket“ in Restaurants, Hotels, Museen und beim Überschreiten der Grenze.
Von Zeit zu Zeit stellt auch die ukrainische Regierung Überlegungen darüber an.
Doch wenn sie sich trotzdem dazu entscheiden ernsthafte Einschränkungen für ungeimpfte Bürger einzuführen, dann muss man sich darüber im Klaren sein, dass das einen kolossalen Ausbruch von Korruption bei der Ausgabe von „gefälschten“ Zertifikaten hervorrufen könnte. Und über dieses Problem sollte rechtzeitig nachgedacht werden.
Zumal bereits jetzt schon, wo es in der Ukraine keine ernsthaften Einschränkungen für diejenigen gibt, die nicht geimpft sind, funktioniert der Schwarzmarkt bereits.
Journalisten der Onlinezeitung Strana haben ein Experiment durchgeführt, um zu erfahren, wie der Schwarzmarkt der medizinischen Passausstattung funktioniert und wie viel es kostet, ein Impfzertifikat zu kaufen.
Drei Wege für den Erhalt eines Zertifikats
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt existieren verschiedene Varianten, wie man ein Impfzertifikat erhalten kann, ohne eine Impfung zu machen.
Der erste und einfachste ist es ein fiktives Papier zu kaufen, dessen Stammdaten nicht in einer medizinischen Einrichtung registriert sind. Der Preis liegt bei 150 Euro, die Ausfertigungszeit bei drei Tagen.
„Äußerlich sieht es einem Impfpass ähnlich. Mit ihm reist man nach Europa, doch gibt es Risiken. Die ukrainischen Passkontrolleure können verlangen den Impfnachweis in der Dija-App [Mobiltelefonanwendung bzw. Website für digitale Regierungsdienstleistungen in der Ukraine. A.d.Ü.] zu zeigen. Und die Zertifikatsdaten sind weder in Dija noch in Helsi [digitale Patientenakte in der Ukraine. A.d.Ü.] registriert. Doch zum gegenwärtigen Moment gab es noch keine Probleme mit derartigen Bescheinigungen. Einmal wurde ein Kunde gebeten Dija zu zeigen, doch er sagte, dass er die Anwendung nicht installiert habe und die Passkontrolleure ließen ihn gehen“, erzählt die Kiewerin Irina, die mit dem Untergrundgeschäft für medizinische Nachweise vertraut ist.
Die zweite Variante: ein ukrainisches Impfzertifikat mit einer Registrierung in Helsi und Dija. Ein solches Dokument wird relevant bei Grenzüberquerungen und für die Anwendung innerhalb der Ukraine. Ein solcher Impfpass kostet zwischen 400 und 700 Euro. Die Ausfertigungsfrist liegt bei einem Monat.
Der Preis hängt von den Kosten für die Dienste des Hausarztes ab, der die Daten ins System einträgt. Von der Sache her ist der gesamte Prozess eben an die Hausärzte gebunden.
„Der Prozess ist der folgende. Sie schicken das Foto des Personalausweises und des Reisepasses und der Steuernummer an den Arzt. Danach trägt der behandelnde Arzt die Daten zur ersten Impfung in das Helsi-System ein. Ihre Anwesenheit ist nicht erforderlich. Nach 21 Tagen (oder einer anderen Frist in Abhängigkeit vom verwendeten Impfstoff) trägt der behandelnde Arzt die Daten über die zweite Impfung ein. Nach Ablauf der festgelegten Frist wird Ihnen das Zertifikat ausgegeben, das in Dija registriert wird“, erzählt ein medizinischer Mittler mit dem Namen Ilja.
Er arbeitet mit mehreren regionalen Kliniken und Hausärzten zusammen. Eben diese Sorte von Impfpässen ist in der Ukraine gerade die populärste – ein erschwinglicher Preis und es ist leichter einen Mittler zu finden.
Und zum Schluss die dritte Variante, die teuerste: ein gefälschter Impfpass nach europäischem Muster. Der Preis liegt bei 1500 Euro und die Ausfertigungsfrist bei 21 Tagen.
Es gibt eine sehr wichtige Bedingung. Der Besteller des Impfpasses muss sich auf dem Territorium der Europäischen Union in der Zeit befunden haben, als dort die Impfungen losgingen. Das erlaubt es der Klinik, den Impfnachweis rückwirkend auszustellen. Das Datum für die Spritze wird in das Dokument nahe an dem eingetragen, an dem der Patient die europäische Grenze überschritten hat.
„Mit einem europäischen Impfpass lässt es sich am einfachsten in Europa bewegen. Der Impfpass wird in der deutschen Stadt München in einer privaten medizinischen Klinik ausgestellt. Die Bestellung läuft über Vorkasse“, erzählt Irina.
Wie wir einen europäischen Impfpass kauften
Für die Vollständigkeit der Recherche wählten wir den schwierigsten Weg und beschlossen ein europäisches Impfzertifikat zu erhalten, ein sogenanntes „Gelbes Ticket“, das den höchsten Preis im Markt der Untergrunddienstleistungen hat.
Die Mittlerin Irina teilt mit, dass wir mit Johnson & Johnson „geimpft“ werden. Dieser Impfstoff wird im Unterschied zu allen anderen Marken nur einmal gespritzt, was die Aufgabe für die Ausfertigung des Impfpasses sehr vereinfacht. Dafür ist es ausreichend, dass der Auftraggeber einmal in Europa war.
Auf die direkte Frage von Strana, wieweit man dem Impfpass vertrauen kann, sagt Irina, dass sie bereits einen Monat genau so ein Dokument benutzt und in Ruhe reist: „Frankreich, Deutschland, die Schweiz – in all diese Länder reisten die Leute mit solchen Impfpässen und es gab keine Probleme.“
Für den Produktionsstart bittet man darum eine Anzahlung von 50 Prozent der gesamten Summe zu machen – 750 Euro, den zweiten Teil geben wir beim Erhalt des Impfpasses. Nach der Überweisung teilt man uns mit, dass man sich mit uns in drei Wochen in Verbindung setzen wird.
Tatsächlich war der Impfpass nach 29 Tagen fertig. Irina verschwand in dieser Zeit nicht, sondern setzte sich regelmäßig mit uns in Verbindung. Und die Verzögerung rechtfertigte sie mit Schwierigkeiten bei der Logistik des Dokuments.
Den Impfpass übergab Irina bei einem persönlichen Treffen. Zum Treffen kam die junge Frau abgehetzt an, die Tasche war mit Bargeld und Impfpässen vollgestopft. Beim Öffnen ihrer Tasche legte Irina Dutzende Impfpässe offen. Während des Gesprächs klingelte ihr Telefon wegen Anrufen von Kunden, die sie nicht weit entfernt erwarteten, ununterbrochen.
„Heute ist ein sehr schwieriger Tag, viele reisen in den Urlaub und alle brauchen Impfnachweise, Impfpässe, Impfzertifikate. Ich fahre schon rund drei Stunden in Kiew herum und übergebe Dokumente“, beklagt sich Irina.
Das Gespräch blieb kurz, Irina zeigte ihren Status in Dija als geimpfte Patientin. Sie empfiehlt uns ihrem Beispiel zu folgen, sich an den Hausarzt zu wenden, damit er die Daten über die Impfung auf der Basis des europäischen Impfpasses in das allgemeine System einträgt.
Der Impfpass selbst ist ein kleineres gelbes Heftchen, in das die persönlichen Daten des Besitzers eingetragen werden: Name, Geburtsdatum, Staatsbürgerschaft und die Nummer des Reisepasses. Ebenfalls im Dokument wird das Impfdatum angegeben, die Bezeichnung der Klinik, in der die Impfung vorgenommen wurde, der Name des Arztes, der die Prozedur vornahm, der Impfstoff, dessen Bezeichnung und die Chargen-Nummer.
Im Weiteren können in den Impfpass Daten zu Grenzpassierungen und den Besuch von Orten eingetragen werden, an denen das Vorhandensein des entsprechenden Dokuments notwendig ist.
Die Registrierung des „gefälschten“ Impfpasses im Programm Dija dauerte bei uns eine Stunde.
Sehr schwer zu bekämpfen
Regierungsvertreter geben zu, dass es sehr schwer ist, gegen die gefälschten Impfzertifikate vorzugehen.
Wassili Schiwotenjuk, Impfkoordinator in Kiew hebt seinerseits hervor, dass es praktisch unmöglich ist, „gefälschte“ europäische Impfpässe auf ihre Echtheit zu überprüfen, genauso wie sie nicht in das allgemeine Impfregister einzutragen.
„Wenn einer mit einem Impfnachweis ankommt, dass er die erste Impfung oder zwei im Ausland gemacht hat, dann muss ich die erste und zweite Impfung in das System eintragen. Sogar wenn sie dort einen anderen Impfpass haben. Kennzeichnen, dass nicht wir das [Dokument] ausgegeben haben und nur in das Register eintragen und das Impfzertifikat ausgeben.
Gestern gab es eine Beschwerde von jemanden, der mitteilte, dass er im Ausland die Impfung gemacht hat und der Arzt sich weigerte, sie ins System einzutragen. Und die Beschwerde ging über das Ministerium wegen sozusagen ‚Lebensgefahr’, da er alle Dokumente vorgelegt hat: Chargennummer, Impfstoffbezeichnung und ihm der Eintrag verweigert wurde. Und das Ministerium schreibt mir: ‚Schnell prüfen‘. Wenn alle Buchstaben, Kommas und Punkte gesetzt sind, welche Grundlage habe ich ihm den Eintrag zu verweigern?“, fragt Schiwotenjuk.
Dabei ist es seinen Worten nach ebenfalls ein Anlass für einen Skandal, wenn ein Geimpfter ein Dokument ohne Stempel vorlegt und man ihn nicht registrieren will.
„Bei Euch ist ein Stempel notwendig, aber dort ist das, was der Arzt auf ein Papier schreibt, bereits Gesetz. Und was soll man denen antworten“, sagt er.
Im Gespräch mit Strana versprach er das Problem der Recherche der Redaktion, auf der Fachberatung des Ministeriums anzusprechen.
„Dokumente fälschen kann man auch außerhalb der Ukraine, obgleich der Mensch nirgendwo hinfährt und sich nichts spritzen lässt. Ich glaube nicht, dass man in Deutschland irgendwo massenhaft Impfzertifikate fälscht. Dort muss man sich verantworten, dort wissen die Leute, dass die Demokratie an der Stelle endet, an der gegen das Gesetz verstoßen wird. Ein Dokument zu fälschen, ist ein bewusster Kauf einer ‚Reise‘ in die andere Welt, denn wenn die Krankheit einen befällt, wird sich der Mensch in die Faust beißen. Als ich am Coronavirus erkrankte, war ich im Krankenhaus und wie ich Leute sah, die Dinge ins Krankenhaus an Patienten übergeben wollten, hat mich das sofort an Krieg erinnert, eine derart beklommene Atmosphäre. Sie muss man fragen, ob sie Impfpässe fälschen werden oder nicht? Doch bei uns ist die Situation so: Solange es mich nicht betrifft, bin ich gesund, doch wenn es mich zu betreffen beginnt, dann ist es bereits zu spät“, sagt Wassili Schiwotenjuk.
13. August 2021 // Swetlana Krjukowa, Wladislaw Wowtruk
Quelle: Strana
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