Man muss die Staatsangestellten unter Kontrolle halten, dass ihre kleinen „Schwächen“ nicht zu einem großen Schlagstock gegen das Volk werden.
Der Gewinner der Präsidentschaftswahl in der Ukraine, Petro Poroschenko, begann bereits vor seiner Amtseinführung die öffentliche Meinung zu missachten. Nur so ist seine Ankündigung zu verstehen, nach dem Amtsantritt zum Staatsoberhaupt alle seine Geschäfte – bis auf den 5. Kanal – zu veräußern.
Petro Poroschenko
Wäre diese Ankündigung zu Beginn der Wahlkampfkampagne gekommen, hätte man sie mit dem Versuch rechtfertigen können, das „Fell des Bären nicht zu teilen, bevor er erlegt ist“. Da diese Worte aber nach den Wahlen erklingen, die Herr Poroschenko gewonnen hat, wird vollkommen offensichtlich, dass damit ein ernster Aufruf an die ukrainische Gesellschaft ergeht. Zumal in vielen Köpfen die Erinnerung an die Geschichte eines anderen Staatsmannes, der ebenfalls einen Fernsehsender leitete, noch lebendig ist. Es geht, wie Sie vielleicht schon ahnen, um Walerij Choroschkowskyj. Als er zum Chef des Geheimdienstes SBU und Mitglied im Hohen Rat der Justiz wurde, leitete er gleichzeitig eine Media Holding, zu welcher unter anderen auch Inter gehörte, einer der populärsten ukrainischen Sender. Damals nannte man das Interessenskonflikt. Es gab laute Aufschreie einiger politischer Kräfte, es protestierten Journalistenkollektive. Auch in den politischen Kreisen Europas und der USA wurde man darauf aufmerksam.
Ein Interessenskonflikt ist ein ernstes Problem. Im Westen ist so etwas absolut unzulässig. Doch hier in der Ukraine, die in die Europäischen Union strebt, kommt ein hoher Politiker daher, der beschließt, auf die politischen Traditionen der zivilisierten Welt zu spucken und sich an seine Interessen zu halten.
Die Weltpresse begann aus ebendiesem Grund schon unruhig zu werden. Der Korrespondent des Journals Time zum Beispiel, Simon Shuster, führte den Gedanken des ukrainischen Politologen Taras Beresowez an, dass in der Geschichte der Ukraine noch kein Präsident unmittelbar große Massenmedien leitete, schon gar nicht einen der populärsten Sender. „Doch das ist sein (Poroschenkos; Anm. d. Autors) Lieblingsspielzeug“, zitiert der Journalist den Politologen. „Selbst wenn er irgendwann auch zustimmen würde, sich davon zu trennen, woran ich meine Zweifel habe, dann wird es das Letzte sein, was er verkauft.“
Unterdessen versteht auch Herr Poroschenko selbst die Schwäche seiner Position, weshalb er sich rechtfertigt: „Manchmal kritisiert mich der 5. Kanal härter, als irgendein anderer.“ Doch richtig ernst nimmt diese Rechtfertigung niemand.
Es gibt auch einen Grund, Herrn Poroschenko in dieser Frage nicht zu vertrauen. So beschuldigte der bekannte Kiewer Investigativ-Journalist Serhij Leschtschenko den 5. Kanal, seinem Eigentümer während der Wahlkampfkampagne mehr Sendezeit eingeräumt zu haben, natürlich zum Schaden der anderen Kandidaten. Es ist bekannt, so der Journalist, dass Poroschenko der Hausherr des Senders ist und über Besitz nach eigenem Ermessen verfügen kann, doch dann unterscheidet er sich in nichts von anderen Oligarchen der Ukraine, die in den Massenmedien ein Instrument zum politischen Kampf sehen. „Poroschenko ist nicht der ehrlichste Politiker in der Ukraine, er nutzt den ‚5. Kanal‘ zur Selbstbewerbung aus. Es bestehen gewisse Risiken des Autoritarismus nach seinem Sieg“, schrieb Leschtschenko in seinem Mikroblog.
Diese Schlussfolgerung mag verfrüht erscheinen. Doch aus der Geschichte sind nicht wenige Beispiele bekannt, in denen aus kleinen „Schwächen“ der Herrscher riesige Probleme der Völker erwuchsen. Im Grunde genommen fiel auch Janukowytsch nicht von heute auf morgen.
Der Unwille des neuen Oberhaupts der Ukraine sich von seinem „Lieblingsspielzeug“ zu trennen – entgegen dem in der zivilisierten Welt allgemein anerkannten Prinzip, keinen Interessenskonflikt einzugehen – gibt den Ukrainern entsprechend Anlass, Fragen zu stellen: Was, wenn auch Poroschenko „nicht in die richtige Richtung geht“, wenn er beginnt die dienstliche Stellung zu missbrauchen und – Gott behüte – autoritäre Gewohnheiten an den Tag legt? Existieren politische Instrumente, um einen Präsidenten seines Postens zu entheben, der das Vertrauen der Wähler nicht rechtfertigt? Kommt es dazu, dass die Ukrainer erneut auf die Straße gehen müssen? Einige der Politiker, die verloren haben, prognostizieren bereits einen dritten Majdan…
Leider existiert bis heute kein verlässliches politisches Instrument zur Amtsenthebung eines Präsidenten in der Ukraine. Die neue Redaktion des entsprechenden Gesetzes ist noch nicht verabschiedet und über das alte Gesetz lachten sogar die Helfershelfer von Janukowytsch – das Eintreten einer Amtsenthebung erschien demnach absolut realitätsfern, entsprechend kompliziert und lang war die Prozedur.
Wahr ist, dass sich seitdem in der Ukraine einiges geändert hat. Eine der Hauptänderungen war die, dass die Präsidial-Parlamentarische Regierungsform in eine Parlamentarisch-Präsidiale geändert wurde. Aber das sollte niemanden gleichgültig machen. Herr Poroschenko ist ein Oligarch, unter seinen Freunden sind nicht minder begüterte Personen. Reiche Leute können sich, besonders in einem Land mit einer halb verelendeten Bevölkerung, viel zu leicht ??„absprechen“??…
Man muss das richtig verstehen. Sie können sich darüber abstimmen, dem Volk ehrlich zu dienen, ohne dem eigenen Leib und den gewonnenen Millionen zu schaden. Aber sie können sich auch anderweitig absprechen. Kann jemand eine hundertprozentige Garantie dafür geben, dass sich Poroschenkos Team durchgehend aus kristallklar ehrlichen und anständigen Leuten zusammensetzt? Ich würde mich damit nicht beeilen… Die Risiken sind sehr hoch, umso mehr als die Vergangenheit des neuen Präsidenten der Ukraine lange nicht so hell und wolkenlos ist, als dass die Leute ihm blindlings und auf’s Wort glauben könnten.
Auch darf man nicht vergessen, dass die ukrainische politische Szene stark überlastet ist von Korrupten, „Überläufern“, Verrätern und anderen unanständigen Persönlichkeiten. Ihre Erneuerung nach dem Euromajdan hat praktisch nicht stattgefunden und nichts deutet zurzeit darauf hin, dass es noch geschieht. Neue Parlamentswahlen werden nichts ändern, wenn sie nach den alten Regeln ablaufen. Man wird die Ukrainer erneut „an der Nase herumführen, wie junge Katzen“. Ich wäre froh, wenn ich damit falsch läge.
Sehr wichtig ist es nun zu verfolgen, wie sich die Umgebung des Präsidenten formt. In der ukrainischen Presse werden derzeit nicht wenige Vermutungen geäußert bezüglich der Frage, wer nach der Inauguration von Poroschenko die wichtigsten staatlichen Ämter bekommt. Einig sind sich Politologen und Beobachter nur in einem: Der neue Präsident wird wahrscheinlich die Führungspositionen des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats (RNBO), der Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine (HPU), des Sicherheitsdienstes der Ukraine (SBU) und des Innenministeriums (MVS) seinen loyalen Leuten anbieten.
Obwohl die Leute, die während der Aktionen von Dezember bis Februar in den ersten Reihen standen, etwas ganz anderes erwarten. Während der Witsche (A.d.Ü.: Volksversammlung), das am 1. Juni auf dem Hauptplatz des Landes stattfand, wurde ein Manifest der Bürgerorganisationen des Majdans verlesen. Die Teilnehmer der Volksversammlungen erklärten, dass sie nicht auseinander gehen, solange nicht all ihre Forderungen erfüllt sind: eine Überprüfung und gegebenenfalls Entfernung der Mitarbeiter im öffentlichen Dienst, die Annahme eines Gesetzespakets zur Änderung des Regierungssystems, die Bestrafung der für Tod und Qualen von Aktivisten Verantwortlichen…
Ein charakteristischer Zug: Auf der Versammlung bot man auch an, eine Dialogform zwischen dem Majdan und der Regierung auszuarbeiten. Allein der Fakt, dass dieses Angebot gemacht wurde, zeugt davon, dass sich die Regierung bereits vom Majdan entfernt hat. Es bleibt zu hoffen, dass sie das versehentlich getan hat, in der Aufregung um andere dringende Sorgen. So sollte die Sache berichtigt werden!
Aber wie schon gesagt: Vertraue auf Gott, doch habe selbst Vernunft. Dem gewählten Präsidenten und der gewählten Regierung kann und soll die Bevölkerung der Ukraine vertrauen. Es ist jedoch besser, die Staatsbediensteten unter Kontrolle zu haben, dass sich ihre kleine „Schwächen“ und „Spielzeuge“ nicht in einen großen Schlagstock gegen das Volk verwandeln.
3. Juni 2014 // Olexander Koswinzew
Quelle: Zaxid.net
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