Wat-Mobil: Anhänger des russischen Frühlings schieben einen Saporoschez, Quelle: http://styazshkin.livejournal.com/929603.html
Der Ironie des Schicksals nach fielen die massenhaften Straßenproteste in der Russischen Föderation praktisch auf den dritten Jahrestag des sattsam bekannten „russischen Frühlings“. Der Aufbruch der russischen Jugend, die unzufrieden mit eben jener russischen Regierung ist, erinnerte unfreiwillig an den gescheiterten Auftritt unter den Flaggen der „russischen Welt“.
Vor drei Jahren konnte der Kreml die gesetzten Ziele nicht erreichen: der ukrainische Staat zerfiel nicht, das Projekt „Neurussland“ krachte zusammen, Russland gelang es nicht ohne direkte militärische Einmischung auszukommen und im Endeffekt bekam es nur Fetzen fremden Landes.
Es ist immer angenehm, den feindlichen Misserfolg mit unseren Qualitäten zu verbinden. In diesem Fall mit der Entschlossenheit der ukrainischen Patrioten, der Tapferkeit der freiwilligen Kämpfer, der Hingabe der Freiwilligen. All das ist tatsächlich so. Doch eine nicht geringere Rolle in der Niederlage des Gegners spielen seine eigenen Schwächen, die es ebenso zu studieren und zu analysieren gilt.
Das Scheitern des „russischen Frühlings“ 2014 wurde zum Beispiel dafür, wie die Masse nicht in Qualität umschlägt und ideologische Einstellungen können sich gegen ihren Ursprung wenden. Und dieses Beispiel ist äußerst lehrreich.
Entgegen den Stereotypen hat die „russische Welt“ lediglich eine entfernte Beziehung zur Geografie, der Sprache oder der nationalen Herkunft.
Vor allem ist die „russische Welt“ eine besondere Lebensphilosophie, welche die Verbindung zwischen der Tätigkeit des Menschen und seiner Selbsteinschätzung zerstört. In der westlichen Gesellschaft hängt der psychologische Komfort von den persönlichen Leistungen, aktiven Anstrengungen, ständiger Perfektionierung und der Vorwärtsbewegung ab. Der Anhänger der „russischen Welt“ braucht das alles nicht.
In der „russischen Welt“ lehrt man darauf stolz zu sein, wozu man nicht die geringste Beziehung hat. „Wir haben den Faschismus besiegt“, „wir haben einen Menschen in den Kosmos geschickt“, „wir haben die Krim angeschlossen“ – die imaginierte Beteiligung des russischen Normalbürgers zum oben aufgezählten beschränkt sich auf das Fernsehschauen und das Tragen von Georgs-Bändern.
Die „russische Welt“ lehrt stolz auf die eigene Rückständigkeit und Unwissenheit zu sein. Der Fortschritt wird mit der vermeintlichen geistigen Größe ersetzt, die Informiertheit wird von primitiver Verschwörungstheorie ersetzt, die dem russischen Patrioten angeblich alle Weltgeheimnisse eröffnet.
Schlussendlich lehrte die „russische Welt“ Millionen Menschen, stolz auf ihre eigene Passivität und ihren Kleinmut zu sein. Die Bereitschaft inmitten von Lügen, Korruption und Willkür zu leben wird mit dem gesunden Menschenverstand gleichgesetzt. Und der Nichtwunsch zu protestieren wird als Weisheit angesehen, welche den unbeteiligten Normalbürger über die „hüpfenden Maidauner“ erhebt.
Das Problem besteht darin, dass diese Philosophie von Anfang an an die Schutzpolitik der Russischen Föderation gebunden war. Sie funktionierte auch in der Ukraine Janukowitschs, solange von den prorussischen Bürgern geforderte wurde vor den Fernsehern zu sitzen und auf den Maidan zu schimpfen.
Doch im Frühling 2014 wünschte Moskau seine Sympathisanten für die Zerstörung der ukrainischen Staatlichkeit zu nutzen und forderte von ihnen die Qualitäten, die gezielt durch die „russische Welt“ verwässert wurden.
Menschen, die stolz auf ihre Teilnahmslosigkeit waren, sollten diese aufgeben. Leute, die über bürgerliche Aktivität lachten, sollten aktiv handeln. Menschen, die immer fremde Passion verdächtigten, sollten selbst zu leidenschaftlichen Kämpfern werden.
Um zu siegen, mussten sich die Anhänger der „russischen Welt“ in ihr eigenes Gegenüber verwandeln. Doch, versteht sich, fand das nicht statt. 2014 zeigte, dass die ideellen Anhänger der „russischen Welt“ in ihrer übergroßen Mehrzahl nicht fähig zu kämpfen sind, da die Idee der „russischen Welt“ selbst den Verzicht auf einen selbstständigen Kampf und das Abwälzen der Verantwortung auf fremde Schultern vorsieht.
Von Anfang an sah sich der „russische Frühling“ mit einem banalen Defizit an Menschenmaterial konfrontiert. Die fehlenden prorussischen leidenschaftlichen Kämpfer mussten eilig mit Söldnern kompensiert werden, die aus allen Enden der Russischen Föderation herangekarrt wurden und danach mit regulären Armeeeinheiten. „Russen, nicht verwechseln: in Abchasien und Ossetien seid Ihr für die Aufständischen, in Tschetschenien und Syrien dagegen und im Donbass anstelle der Aufständischen.“
Und zum Hauptfaktor, der es dem Kreml dennoch erlaubte ein Stück des ukrainischen Territoriums abzutrennen, wurden nicht die Handlungen der lokalen Bevölkerung, sondern grobe militärische Kraft.
In der Ukraine spricht man gern von der jahrelangen propagandistischen Arbeit der Russischen Föderation, die dem „russischen Frühling“ voranging. Jedoch hat diese Arbeit sich im Großen und Ganzen nicht gerechtfertigt. Eben jenes Charkow oder Odessa befanden sich jahrelang im Informationsfeld des Kremls und 2014 gelang es dort, das gewünschte Niveau an prorussischer Stimmung zu erreichen.
Doch der prozentuale Anteil der Bürger, der unter dem Einfluss dieser Stimmungen bereit ist auf die Straße zu gehen, war unvergleichbar gering. Und der nichtgroße, doch aktive proukrainische Kern erwies sich als ausreichend, um den „russischen Frühling“ im frühen Stadium niederzuschlagen.
Natürlich hat der „russische Frühling“, auf den Straßen verlierend, die Ukraine nicht verlassen, er hat sich in die Küchen und die sozialen Netzwerke entfernt. Von Zeit zu Zeit mit ihm im Alltag zusammenstoßend, reagieren patriotische Ukrainer äußerst empfindlich auf ihn, obgleich es sich nicht lohnt die Situation zu dramatisieren.
Ja, im vierten Jahr des hybriden Konflikts sympathisiert ein Teil unserer Mitbürger wie gehabt mit Russland.
Der typische prorussische Normalbürger kann stundenlang im Kreis ihm ähnlicher Geifer spritzen, die Himmlische Hundertschaft verhöhnen, Schmutz auf die Kämpfer der Antiterroroperation vergießen, die „Kiewer Junta“ verfluchen, doch er ist organisch nicht zu aktiven Handlungen in der Lage.
Dabei versucht er nicht einmal sich zu ändern, denn er ist dressiert darauf, die eigene Passivität als lobenswerte Tugend aufzufassen.
Derart geriet ein Instrument in die Hände des Kremls, das sich leicht manipulieren lässt, doch wenig geeignet für die Untergrabung des ukrainischen Staates ist.
Diese Leute könnten russische Panzer mit Blumen begrüßen, doch für den Anfang muss man sich zu einer großflächigen Intervention entschließen, was zum jetzigen Moment für die Russische Föderation unannehmbar ist.
Schlimmstenfalls könnten diese Leute für eine Partei mit prorussischen Losungen stimmen, doch dafür muss ihnen eine bereits fertige, hinreichend mächtige politische Kraft präsentiert werden. Unter den derzeitigen Bedingungen ist das auch problematisch.
Von der Sache her bleibt Moskau ein Ausweg: für die Destabilisierung der Ukraine nicht die eigenen, sondern fremde Leute nutzen. Fremde Energie, fremde Aktivität, fremde Leidenschaft ausnutzen, die häufig nicht belastet von kalter Vernunft ist.
Und wenn der Kreml Revanche für den Misserfolg von 2014 nehmen will, dann wird die neue Version des „russischen Frühlings“ durch ukrainische Hände realisiert. Von den Händen derjenigen, die zu handeln bereit sind, doch nicht immer bereit sind nachzudenken.
31. März 2017 // Michail Dubinjanskij
Quelle: Ukrainskaja Prawda
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