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Schriftsteller Serhij Zhadan: "Es gibt eine enorm große Zahl von Fragen an die Regierung"

Schriftsteller Serhij Zhadan - Quelle: Facebookseite - https://www.facebook.com/sergiyzhadan/Schriftsteller Serhij Zhadan - Quelle: Facebookseite - https://www.facebook.com/sergiyzhadan/
Etwas mehr als vor einer Woche haben weißrussische Polizisten in Minsk den bekannten Charkiwer Schriftsteller Serhij Zhadan unter dem Vorwand festgenommen, Zhadan sei „wegen Teilnahme an terroristischen Aktionen“ die Einreise in die Russische Föderation untersagt. Da Belarus (Weißrussland) und Kasachstan Teile eines Staatenbündnisses mit Russland seien, erstrecke sich das Verbot auch auf dieses Land. Zhadan übernachtete in der Polizeistation und rief seine Fans zu einem „Kreuzzug nach Minsk“ auf, der Zug wurde aber nicht notwendig – die belarussische Staatsmacht wendete sich schnell und erklärte, es habe ein Missverständnis gegeben, und die untersagte Einreise für Zhadan sei aufgehoben worden.

Dieser abenteuerliche Vorfall wurde Anlass für das zweite Interview von MyKharkiv.info mit Serhij Zhadan. Wir trafen uns in einem Café im Zentrum Charkiws. Zhadan bestellt auf Ukrainisch grünen Tee, die Bedienung nimmt auf Russisch die Bestellung entgegen, ich aber spreche über den Skandal, der hätte entstehen können, wenn anstelle des nachdenklichen und ausgewogenen Zhadan ein weniger bekannter, aber noch radikalerer ukrainischer Künstler von der Art einer Laryssa Nizoj (Kinderbuchautorin, die einer russischsprachigen Kassiererin das Wechselgeld ins Gesicht geworfen haben soll, A.d.R.) gewesen wäre. Für seine ausgewogene ukrainische Position kriegt es Zhadan übrigens von beiden Seiten – die prorussischen Kräfte halten den Schriftsteller für russophob und für einen Faschisten, ukrainischerseits bekommt es Zhadan manchmal wegen der Versuche, einen Dialog mit dem Donbass zu etablieren und wegen unzureichender Radikalität hinsichtlich der Sprachenfrage. Im Interview sprechen wir über Belarus, einen dritten Majdan, die nächsten Pläne, die Sprachenfrage, die Möglichkeit des Auftritts des ersten Präsidenten der Ukraine Leonid Krawtschuk im Film „Woroschylohrad/Woroschilowgrad“ und das „konservierte Charkiw“.

Haben Sie in Minsk nicht Angst gehabt, man würde Sie nach Russland abschieben?

Es gab den Gedanken, man würde mich entführen, aber eher noch habe ich gezweifelt, ob es wirklich Polizisten seien. Es gab eine gewisse Gespanntheit, solange wir noch nicht auf der Polizeistation waren. Als ich sah, dass es wirklich Polizisten waren, habe ich mich beruhigt.

Was haben sie Ihnen vorgeworfen?

Sie haben mir überhaupt nichts vorgeworfen. Ich habe verstanden, dass sie von oben irgendeinen Hinweis erhielten und reagieren mussten. In der Datenbank konnten sie mich aber nicht finden, vielleicht gab es dort Fehler beim Aufschreiben meines Namens. Sie wussten nicht, was sie mit mir machen sollten, ob ich wirklich Beziehungen mit Terroristen habe oder nicht.

Haben Sie in einer Einzelzelle übernachtet?

Nein, das war ein gewöhnlicher Raum in einer Polizeistation für eine Reihe von Leuten.

Mit wem waren Sie dort zusammen?

Mit irgendwelchen Alkoholikern. Übrigens, sehr angenehme Leute. Man ließ sie bereits in der Nacht wieder laufen, anscheinend für Geld. Der letzte, der blieb, war ein Kerl aus Turkmenistan, er war nach Minsk gekommen, um am Agrikulturinstitut zu studieren und hatte Geld gestohlen. Man hat ihn wohl in Mohyljow für einige Zeit eingesperrt und zwei Wochen danach freigelassen. Er kam raus, betrank sich, nahm einem Bruder das Auto weg und man verhaftete ihn in Minsk erneut. Er war schrecklich aufgebracht, dass er nicht abhauen konnte, dass man ihn abschiebt, und beschwerte sich bei den belarussischen Polizisten: „Warum bin ich nicht nach Europa gegangen? Weshalb ging ich in Euer Belarus? Aus Europa hätten sie mich sicher nicht abgeschoben.“ Und die Bullen unterstützten ihn: „Klar, Du hättest nach Europa gehen sollen.“ Angenehme, liebe Menschen.

Was für einen Eindruck haben Sie insgesamt von Belarus? Einerseits ist es ein unabhängiger Staat, andererseits ist es Teil des Staatenbündnisses mit Russland. Was überwiegt dort, das souveräne unabhängige Belarus oder dieses „Staatenbündnis“?

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Nach meinem subjektiven Eindruck hat dort am meisten Väterchen Lukaschenka zu sagen. Alles hängt ab von seinen Launen, von seinem Verständnis der Situation, von seinen Wünschen. Das Land befindet sich unter der praktischen Leitung eines einzigen Menschen.

In Wahrheit gibt es zwei Belarus. Das eine ist das offizielle Belarus Lukaschenkas mit der inneren Ordnung, einem Quasisozialismus, erneuerten Straßen, Ackerbau, Polizei, KGB, Repressionsmechanismen. Und es gibt das andere Belarus, unabhängig, mit belarussischer Sprache, in dem es belarussische Kultur und Geschichte gibt. Faktisch sind das parallele Welten. Klar, ich habe Beziehungen zu diesem anderen Belarus, ich reise zu ihnen, ich tausche mich aus mit belarussischen Künstlern, wir übersetzen einander wechselseitig, nehmen an Festivals teil. Das sind nicht vereinzelte Leute, sondern eine ziemlich große Schicht. Eine andere Sache ist, es, dass dieses Belarus in den Untergrund gedrängt ist, es gibt für es nicht so viele Möglichkeiten, auf die Lage Einfluss zu nehmen. Dabei gibt es zwischen ihnen und uns einen Unterschied. Bei uns hat sich die Gesellschaft in den vergangenen vier Jahren erheblich größere Territorien erobert. Gleichwohl gibt es bei uns auch viele Probleme, man darf unsere Situation keinesfalls idealisieren.

Momentan läuft dort gerade überall die Belarussifizierung…

Verstehen Sie, sie geht angeblich vonstatten, und es gibt eine Art „Tauwetter“, aber alles geht nur von einer Person aus. Wenn morgen die Laune zusammenbricht, wird das alles zusammenbrechen. Das ist kein natürlicher Prozess, kein Prozess, der vonseiten der Gesellschaft ausgeht.

Bei uns kann man von einer natürlichen Ukrainisierung reden, denn bei uns gibt es trotz populistischer Erklärungen von Politikern eine wirkliche gesellschaftliche Nachfrage. Dementsprechend gibt das bei uns Chancen zu hoffen, dass dieser Prozess sich natürlich entfalten wird, zivilisiert und vor allem effektiv. Dort aber hängt alles von einer Person ab, von der Laune dieses Menschen.

Bei dem Arbeitstreffen mit dem belarusisschen Dichter Andrij Schadanowytsch hat man Sie zu den Sprachgesetzen befragt und Sie haben geantwortet, dass Sie sie nicht gelesen haben…

Hab sie nicht gelesen.

Ich habe den Eindruck, Sie wollen nicht besonders über dieses Thema reden.

Ich sage Ihnen, warum ich darüber nicht reden mag. Wir bereden momentan etwas, Sie drucken das Interview, natürlich werden Sie äußerst genau wiedergeben, was ich sage, aber irgendeiner wird irgendeine Bemerkung aus dem Kontext klauben und sie so verwenden, wie er will.

Im Interview mit der (Wochenzeitschrift) „Nowoje Wremja“ habe ich versucht, meine Sicht der Situation zu erklären. Klar, ich bin für die Ukrainisierung. Ich bin ein ukrainischsprachiger Schriftsteller und Bürger der Ukraine, ich will, dass die ukrainische Sprache in meinem Land populär ist, dass in ihr immer mehr Ukrainer reden. Aber mir ist es zutiefst unsympathisch, wenn ukrainischsprachige Bürger der Ukraine damit anfangen, russischsprachige Bürger der Ukraine zu hassen. Selbst wenn diese russischsprachigen Ukrainer nicht gegen die Ukrainisierung agieren.

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Wenn ich sage, dass es bei uns in der Gesellschaft auf der Ebene von Diskussionen und Stimmungen nicht solch ein Kampf für die ukrainische Sprache vonstatten geht wie man gegen die russische kämpft, wird diese Bemerkung aus dem Kontext gegriffen und man beginnt mich der Ukrainophobie zu bezichtigen, weil ich die ukrainische Sprache bekämpfe. Das ist Schwachsinn, wenn man sich ansieht, was ich die letzten 25 Jahre treibe.

Deshalb versuche ich nicht, diese Sachen zu kommentieren. Ich sehe bisher keine konstruktiven Polemiken, ebenso wenig konstruktive Vorschläge. Ich sehe den Populismus der Politiker, die auf diesem Thema zu spielen versuchen, und die Kurzsichtigkeit einiger unserer Bürger, die über dieses Thema aufgebracht sind, als wäre es das heißeste und aktuellste, und dabei nicht verstehen, dass sie bloß die Gesellschaft spalten. Die Paranoia der Facebook-„Irren“ zu füttern ist eine wirklich traurige Beschäftigung. So wollen wir annehmen, dass ich Ihnen nichts gesagt habe.

Wenn man die sprachliche Karte auszieht, dann ergibt sich der Gedanke, in anderen Richtungen, in der Ökonomie, bei den Reformen, gibt es einen gesellschaftlichen Untergang …

Für mich ist das offensichtlich. Ebenso offensichtlich ist auch, dass man die ukrainische Sprache fördern soll. Es ist gut, wenn das Ukrainische zunimmt, wenn es sich ausbreiten wird, wenn die Menschen ins Ukrainische übergehen und diese Sprache lieben. Einfach zu lieben kann man nicht mit Gewalt zwingen. Die Liebe kann man nicht anerziehen. Aber den Hass – das ist leicht.

Ich muss nach den russischsprachigen Schriftstellern der Ukraine fragen. Es gibt Wolodymyr Rafejenko, es gibt Oleksij Niktin, man kann noch andere Namen anführen…

Man kann die Charkiwer Nastja Afanassjew, Illja Rissenberg, Jurik Zaplin, Andrij Krasnjaschtschych erwähnen. Man kann Borys Chersonskyj (Boris Chersonskij) erwähnen, Andrij Kurkow (Andrej Kurkow), Schriftsteller voller Talent.

Wie schätzen Sie es ein, gibt es Perspektiven in der russischsprachigen ukrainischen Literatur? Oder geht diese Schicht auf lange Sicht unter oder geht über zur ukrainischen Sprache?

Ich glaube nicht, dass sie verschwindet. Für den Schriftsteller ist die Sprache nicht nur sprachliche Heimat. Eine Sache ist es, wenn Du im Geschäft Kefir orderst, eine andere, wenn Du über Deine Eltern oder Kinder schreibst. Nehmen wir Borys Chersonskyj, den ich sehr mag. Er versucht für sich ins Ukrainische überzuwechseln, aber ich kann mir schwer vorstellen, dass er damit anfängt, ständig Gedichte auf Ukrainisch zu schreiben. Dabei ist es äußerst schwer, Borys fehlender Liebe zur ukrainischen Kultur zu verdächtigen. Er ist ein Mensch, der klar und eindeutig proukrainische Positionen einnimmt. Die Sprache des Schriftstellers ist nicht bloß ein Instrument, es ist erheblich mehr, bedeutsamer, Klare Sache, oder?

Sie haben sich wohl dafür ausgesprochen, dass es im Raum der Literatur, insbesondere beim Buch des Jahres des BBC, auch Auszeichnungen für russischsprachige Literatur geben soll.

Richtig, ich hatte eine Idee, die, soweit ich mich erinnere, niemand unterstützt hat. Momentan radikalisieren sich die ukrainischen Kreise, einschließlich der Kreise der Künstler, weshalb ich nicht glaube, dass man es in der nächsten Zeit wagen wird, darüber ernsthaft zu sprechen. Eine Menschenmasse kann man schwerlich überschreien. Deshalb ziehen viele es einfach vor zu schweigen.

Was halten Sie von der Idee eines Dritten Majdan? Es gibt zwei Standpunkte – dass die Revolution der Würde ihre Aufgaben nicht erfüllt hat und fortgesetzt werden soll, und die zweite, dass das revolutionäre „Limit bereits ausgeschöpft ist“. Welcher ist ihnen näher?

Ich weiß nicht, ich bin mir gar nicht sicher über die Zweckmäßigkeit eines dritten Majdan einfach jetzt, gerade in diesem Augenblick. Mir scheint, dass wir überhaupt nicht korrekt reden. Eine Revolution, wenn wir über eine wirkliche Revolution sprechen, kann man nicht künstlich organisieren. Es ist einleuchtend, dass eine revolutionäre Situation eintreten muss, und wenn sie ausbricht, kann man sie nicht stoppen. So war es etwa 2004 und so war es 2013.

Künstlich kann man Proteste organisieren, Staatsstreiche, Aktivisten herbeibringen, Widerstand provozieren, eine Revolution aber wird nicht künstlich organisiert. Andererseits macht die ukrainische Regierung alles Mögliche, so dass das Gerede über einen „dritten Majdan“ weiter aktuell bleibt. Es gibt eine enorm große Zahl von Fragen an unsere Regierung, und diese Fragen bleiben leider weiter ohne Antworten.

Alle Schemen der alten Regierung sind geblieben…

Und alle reden darüber. Von oben in Kiew bis runter in die Ortschaften. Sehen Sie, was die Charkiwer Regierung macht. Sie hat den Sprachgebrauch geändert, hat sich ohne Wimpernzucken an den neuen Realitäten angepasst, Kernes trifft sich mit den Veteranen der ATO, Kernes sträubt sich nicht, die Straßen Charkiws umzubenennen, gibt es aber bei jemanden, der nicht zweifelt, ob sich Kernes wirklich verändert hat? Alle kapieren, dass er bloß eine für sich praktische Position eingenommen hat und nicht gegen den Strom läuft. Prima, er trägt nicht mehr das Georgsband. Aber dort, wo es um nicht dekorative Sachen und äußerliche Attribute geht, sondern um die für ihn wirklich wichtigen Dinge, um Cash-flow, da hat sich meiner Meinung nach nichts geändert. Wenn jemand sein Territorium betritt, wird er die Zähne zeigen, und es wird keinerlei Kompromisse von seiner Seite geben.

Man hat den Eindruck, dass sich in Charkiw seit 2013 überhaupt nichts verändert hat.

Ich meine, dieses Empfinden trifft auf die meisten ukrainische Städte zu. Wohin du auch kommst, das sagen alle. In einigen Städten sogar hat die Regierung nicht gewechselt. Wenn irgendwo nominell der Bürgermeister gewechselt hat, so ist in Charkiw doch die Stadtregierung in Charkiw dieselbe geblieben.

Es ist schade, dass der Euromajdan nicht so sehr neue politische Kräfte hervorgebracht hat wie irgendwelche starken Führer. Warum das so ist, wäre eine eigene Unterhaltung. Wir haben selber in Charkiw im Januar 2014 eine Euromajdanversammlung einberufen, damals haben sich mehr als einhundert Delegierte uns angeschlossen. Das war für uns ein Versuch zu verstehen, wie sehr man aus der gesamten Euromajdan-Bewegung so etwas wie eine politische Kraft oder starke Bürgerbewegungen aufbauen kann. In Kiew aber verschärfte sich die Situation brutal, alles wandelte sich von Bürgerinitiativen zu gewalttätigem Widerstand, und dann endete alles in tragischem Blutvergießen, Schießereien, Regierungswechsel, und all jene gesellschaftlichen Initiativen erschienen als nicht besonders beliebt. Das bedeutet nicht, dass sie völlig verschwinden sollten.

Die Mehrzahl der Fragen, die während der Revolution aufgeworfen wurden, bedarf auch weiterhin der Klärung. Das betrifft ebenso die Außen- wie die Innenpolitik, die Ökonomie und Kultur, und die sozialen Probleme. Wir haben ein Land ungeklärter Fragen. Einige sind weniger brennend, einige aktueller, aber von diesen Fragen gibt es so viele, dass man nicht über irgendeine lokale Lösung jeder einzelnen reden sollte, sondern über den Umbau des Landes, über einen Neustart dieses Systems. Der Präsident, das Ministerkabinett, das Parlament haben gewechselt, aber nur noch wenig, und das System beginnt wieder so zu arbeiten, wie es bis zu den Änderungen arbeitete.

Fantasieren wir: Serhij Zhadan ist Präsident der Ukraine. Die drei ersten Dinge, die Sie in dieser Funktion machen?

Ich haben ehrlich gesagt nie darüber nachgedacht. Um einige Versuchungen soll man besser prinzipiell einen weiten Bogen machen. Etwa um die Versuchung von Macht.

Ah, hören Sie, vielleicht kann ich Ihre Frage beantworten. Ich würde versuchen, unabhängige Gerichte zu schaffen, würde den Abgeordneten die Unverletzlichkeit nehmen und das vielleicht gewaltsam legalisieren. Der Bürger muss sich sicher fühlen. Bei uns fühlen sich nur 450 Bürger sicher.

Haben Sie nicht beispielsweise Ambitionen, Parlamentsabgeordneter zu werden?

Nein. Auch keine Ambitionen, Volkskünstler zu werden.

Ich will Sie zu dem kürzlich von Ihnen gegründeten Wohltätigkeitsfonds befragen. Was soll die letzte Strategie, das äußerste Ziel sein, nach dem Sie sagen: Gut, wie haben alle strategischen Aufgaben erledigt, alles gemacht, was wir wollten, lasst uns auseindergehen.

Für ein erfolgreiches Endziel würde ich persönlich es halten, wenn ein ukrainischsprachiger Donbass in 10-15 Jahren aufhört, für diese „Parteien der Regionen“ und „kommunistischen Parteien“ zu votieren. Das wäre das Maximum.

Wenn man realistischer sprechen will, so versuchen wir etwas auf humanitärer Ebene zu schaffen, auf der Ebene der Bildung und Kultur. Vielleicht erscheinen diese Ebenen als nicht erstrangig, aber wenn man sie vergisst, tauchen üblicherweise viele andere Probleme auf.

Einfach gesagt, dort, wo es nur eine kleine Anzahl von Bibliotheken und Buchläden gibt, dort gibt es üblicherweise eine große Konzentration des Oligarchats und der Korruption. Auf seltsame Weise sind diese Dinge miteinander verwoben.

Wir planen nicht nur im Donbass zu wirken, sondern ebenso im Raum Charkiw. Die Charkiwer Gegend unterscheidet sich in einer Reihe von Dingen nur wenig von den Gebieten in den Oblasten Luhansk und Donbas. Es gibt viele Gemeinsamkeiten sowohl in der Stimmung der Bevölkerung wie auf der Ebene der Probleme und im Verhalten der Regierung.

Wen planen Sie im Rahmen des Projekts „Fünftes Charkiw“ herzuholen?

Am 3. März kommt zu uns Saschko Poloschynskyj aus der Gruppe „Tartak“. Es wird kein Konzert, sondern ein Workshop in der Universität. Ebenso wollen wir Treffen mit Kindern im Internat für Blinde machen. Im April soll Jurij Andruchowytsch herkommen, im Mai Andrij Kurkow. Es gibt noch weitere interessante Ideen.

Wir wollen auch eine große Diskussion veranstalten, die den geflohenen Schriftstellern, die in Donezk und Luhansk lebten, gewidmet ist. Wir wollen Autoren einladen, die proukrainische Positionen einnehmen und nicht in den besetzten Territorien geblieben sind. So ist eine der Sachen, über die man nicht sehr gerne bei uns spricht, dies, dass der Donbass ein wesentlicher Teil des ukrainischen Kulturraumes ist. Mit ihm sind die Biografien einer großen Zahl ukrainischer Denker verknüpft. Das sind Stus und Switlytschnyj und Tychyj und Dsjuba und Wassyl Holoborodko und Emma Andijewska und Leonid Talalaj, ich hab noch nicht von (Wolodymyr) Sosjura und vielen vielen anderen gesprochen. Eine große Zahl von Autoren, die zum goldenen Grundstock, der ukrainischen Literatur zählen, sind von hier und könnten durch ihre Anwesenheit und Biografie Stereotypen eines ukrainophoben Donbass zum Verstummen bringen.

Haben Sie einen neuen Roman geschrieben/beendet?

Ich bin daran. Aber was soll man von einem Buch sagen, dass noch nicht beendet ist? Ich schreibe, habe irgendwelche „Arbeitstreffen“ und wir reden über alles. (Am 1. März schrieb Zhadan bei Twitter, dass sein neuer Roman fertig ist. A.d.R.)

Was gibt es Neues von den Aufnahmen des Filmes „Woroschilograd“?

Die Aufnahmen sollen am letzten Tag des Juli beginnen. Zunächst kommen Aufnahmen irgendwo bei Kyjiw, dann planen wir nach Starobilsk zu gehen, dort kommen die Herbstszenen. Wir werden uns mit dem Regisseur, der Aufnahmecrew kommenden Montag in Starobilsk treffen.

Werden Sie eine Cameo- oder eine andere Rolle spielen?

Bislang gab es keine Anfrage. Ich steige nicht in diese Küche, das sind Angelegenheiten des Regisseurs und Producers. Für mich ist die größte Geschichte nicht, wer die Hauptrolle spielen wird, sondern, ob Leonid Makarowytsch Krawtschuk zustimmen wird, im Film eine Rolle zu spielen. Wir haben so eine Idee, Jaroslaw Lodyhin, der Filmregisseur, hat sich an den Presseservice Krawtschuks gewendet und gefragt, ob er eine Rolle im Film spielen könnte. Dort gibt es den ehemaligen Fabrikdirektor, der im Sanatorium lebt und mit einem Protagonisten „Skrakli“ (eine Art ukrainisches Kricket) spielt. Der Presseservice hat positiv geantwortet, Krawtschuk ist angeblich interessiert. Wir hoffen sehr, dass er nicht ablehnt, das wäre so ein Sahnehäubchen.

Vor kurzem wurde der russische Schriftsteller Sachar Prilepin Politoffizier eines Bataillons der „Donezker Volksrepublik“. Bedeutet das, dass die russische Literatur unser Feind wird, und im direkten Sinne Krieg gegen die Ukraine führt?

Das bedeutet, dass Sachar Prilepin ein Kriegsverbrecher ist. Und wer ihn rechtfertigt, rechtfertigt Kriegsverbrechen und Terrorismus auf dem Territorium der Ukraine.

20. Februar 2017 // Andrij Wojnizkyj

Quelle: mykharkov.info

Übersetzer:    — Wörter: 2883

Christian Weise trägt seit 2014 übersetzend und gelegentlich schreibend bei zu den Ukraine-Nachrichten. Im Oktober 2020 erschienen von ihm zwei literarische Übersetzungen: Vasyl’ Machno, Das Haus in Baiting Hollow. Leipziger Literaturverlag und Yuriy Tarnawsky, Warme arktische Nächte. Ibidem, Stuttgart. Im Januar 2020 bereits erschien seine Übersetzung des Bandes Verfolgt für die Wahrheit. Ukrainische griechisch-katholische Gläubige hinter dem Eisernen Vorhang. Ukrainische katholische Universität, Lwiw.

Mit ukrainischen Themen ist er seit 1994 vertraut, als er erstmals Kiew und Lemberg besuchte und sich zunächst mit kirchengeschichtlichen Fragen beschäftigte. Wenn nicht Pandemien hindern, bereist er etwa fünfmal im Jahr die Ukraine.

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