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Zum Tag des Sieges: Der Tag des Managers

3 Kommentare

Jedes Jahr wird der 9. Mai mehr und mehr mit einem neumodischen Stalinkult assoziiert. Der postsowjetische Bürger wird hartnäckig daran erinnert, dass Genosse Dschugaschwili nicht nur der Vater der Völker ist, sondern auch der Vater des Sieges und der Vater der Industrialisierung, der den Sieg erst möglich machte. Insgesamt ein effizienter Manager, wie Koba (Deckname Stalins) im benachbarten Russland genannt wird.

Diese Sichtweise hat sowohl Anhänger als auch Gegner. Doch gewöhnlich verwechseln die leidenschaftlichen Streithähne zwei unterschiedliche Begriffe: Effizienz und Erfolg.

Erfolg ist das Erreichen eines Resultats. Erfolgreich kann auch das Einschlagen von Nägeln mit einem Mikroskop sein oder das Schießen auf Spatzen mit dem Raketenwerfer „Grad“ und auch der zufällige Gewinn beim Roulette oder das Anzünden eines Streichholzes beim zwanzigsten Versuch.

Effizienz ist eine optimale Entscheidung, die genaue Umsetzung des Erdachten, das Erreichen der anvisierten Ziele mit dem geringsten Aufwand.

Und wenn man nur schwerlich die Erfolge von Iossif Wissarionowitsch Stalin negieren kann, dann ist es bei seiner Effizienz wesentlich schwieriger.

Wie seltsam das auch ist, aber das Image des „effizienten Managers“ unterstützen nicht nur Stalinisten, sondern auch viele Antistalinisten. In ihrer Vorstellung ist Stalin ein Genie des Bösen, der Hannibal Lecter des Kreml, der Massenmord plante und der methodisch seine Pläne verwirklichte. Den Tod von Millionen nur mit der bösen Absicht Dschugaschwilis erklärend, erkennen wir unfreiwillig seine Effizienz an.

Das von ihnen geschaffene System wirkt unmenschlich, doch wie eine Uhr arbeitend. Der Führer beschloss die ukrainischen Bauern verhungern zu lassen und verwirklichte seine diabolische Idee mit Präzision!

Die Leute, die Koba als übermäßig berechnenden Mörder darstellen, schmeicheln ihm. Iossif Wissarionowitsch brachte Millionen seiner Untergebenen um, doch waren die menschlichen Opfer in der Mehrzahl der Fälle für den Generalsekretär kein Selbstzweck, sondern ein ungeplanter Nebeneffekt.

Bei aller Brutalität konnte sich das Regime weder Präzision, noch Informiertheit oder der Fähigkeit die Situation viele Schritte im Voraus zu berechnen rühmen. In der Stalinschen UdSSR herrschte keine tödliche Ordnung, sondern eher ein todbringendes Chaos unter dem Anschein von Ordnung.

Beispielsweise legen die verschwörungstheoretischen Auslegungen des Holodomors (Hungersnot in der Ukraine 1932/33) nahe, dass man im Kreml die Situation kontrollierte und von Anfang an von der Irrealität des Getreidebeschaffungsplanes wusste.

Doch die gesamte Erfahrung der sowjetischen Planung und die gesamte Atmosphäre des ersten Fünfjahrplanes zeugen vom Gegenteil. Niemand an der Spitze konnte die realen Folgen der Kollektivierung modellieren. Niemand zweifelte daran, dass sie einen starken Anstieg der Ernten nach sich ziehen wird.

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Gefälschte Vorortberichte wurden als Bestätigung der eigenen Richtigkeit aufgefasst und die nachfolgende Plannichterfüllung als massenhafte absichtliche Sabotage. Das harte Kommandoverwaltungssystem ist nicht in der Lage anders zu funktionieren.

Führen wir nur eine typische Skizze aus dieser Epoche an – die Erinnerungen des Spezialisten für die Fischindustrie Wladimir Tschernawin („Aufzeichnungen eines Schädlings – Flucht aus dem Gulag“).

Der anfängliche Plan sah vor, dass am Ende des Fünfjahrplanes das Fischfangkombinat in Murmansk sich in einen großen Betrieb mit 70 neuen Fischkuttern und einem Jahresfang mit 175.000 Tonnen verwandelt. In der Stadt fing man mit dem Bau an, die Leute arbeiteten unter großer Anstrengung. Doch im Sommer 1929 gingen aus Moskau neue Eildirektiven ein. Es wurde angewiesen, mit dem Bau von 500 Kuttern zu beginnen und den Fang auf 1.500.000 Tonnen zu erhöhen.

Es zeigte sich, dass die krampfhafte Überarbeitung der Pläne nicht umsonst vorgenommen worden war: „Die Aufgabe kommt unmittelbar aus dem Politbüro, an den Organen in Moskau vorbei, die für die Fischindustrie verantwortlich sind und der Aufgabe wird daher politische Bedeutung zugesprochen.

Die Bauern, die mit Gewalt in die Kolchosen getrieben wurden, vernichteten das Vieh so gründlich, dass es im Lande weder Fleisch, noch Butter, noch Milch gab. Und es gab keine Hoffnung diese in den nächsten Jahren zu erhalten. Dann erinnerte man sich an den Fisch. Fisch gibt es viel im Meer, ihn muss man nicht aufzüchten, nicht pflegen, nicht füttern, ihn muss man nur fertig nehmen“.

Wie endete die weise Entscheidung des Politbüros in der Praxis? Im vollständigen Chaos. Bereits angefangene Bauten, die auf geringere Kapazitäten ausgelegt waren, erwiesen sich als nutzlos. Alles musste aufgegeben und von Neuem projektiert werden. Sogar oberflächliche Berechnungen zeigten, dass die notwendige Zahl an Arbeitern nirgends unterzubringen war, dass man von nirgendwoher vorbereitete Mannschaften für Hunderte von Fischkuttern nehmen konnte und die örtliche Eisenbahn war nicht in der Lage die geplante Fischmenge zu transportieren.

Die Absurdität des Planes war für alle offensichtlich, doch, die Strafe fürchtend, versicherte die kommunistische Führung Moskau des Gegenteils. Anschließend fielen unschuldige Sündenböcke in Ungnade – parteilose Spezialisten. Fast alle wurden verhaftet, viele als Schädlinge erschossen.

Die ausgeblutete und desorganisierte Branche ging in den Niedergang. Im Januar 1933 meldete die Prawda stolz, dass in Murmansk bereits ganze 49 Fischkutter arbeiten. Dabei fiel der Fang auf die Hälfte des Stands von vor ein paar Jahren zurück.

Gleichartiges passierte überall. Inkompetenz der oberen Führung und totale Augenwischerei, irreale Pläne und ihr reguläres Scheitern, die Ausrottung scheinbarer Schädlinge und Saboteure, Durcheinander und Verwüstung. Schlussendlich halfen die Devisen, die fieberhaft aus dem Land herausgeschlagen wurden und in neue importierte Ausrüstung umgewandelt wurden, dabei, den Industrialisierungsschub zu vollenden.

Doch der stalinsche Fünfjahrplan wurde nicht in einem Wert erfüllt, ungeachtet der gefälschten Berichte über die vorzeitige Erfüllung. Und der Preis, der für die Industrialisierung gezahlt wurde, überstieg alle denkbaren und undenkbaren Vermutungen des Endes der 1920er.

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Zu Lebzeiten Stalins wurden alle Menschenverluste sorgfältig verschwiegen, um das helle Antlitz der UdSSR und die Reputation des Führers nicht zu verderben. Im XXI. Jahrhundert werden sie zu „unumgänglichen und gerechtfertigten“ verklärt, damit post factum die katastrophalen Misserfolge als rationale Politik ausgebend.

Eine ähnliche Geschichte passierte auch mit dem großen Krieg.

Niemand kann behaupten, dass der Zweite Weltkrieg Iossif Wissarionowitsch überrascht hätte. Nein, er wurde erwartet und große Hoffnungen auf ihn gesetzt. Mehr als zehn Jahre wendete die UdSSR alle Kräfte und Ressourcen auf die Vorbereitung für den zukünftigen Krieg auf, doch gelang ihr dennoch keine geeignete Vorbereitung.

Die stalinschen Pläne erwiesen sich als absolut lebensunfähig. Alles kam nicht so, wie es vorgesehen war. Anstelle von geringen Verlusten – 27 Millionen Tote. Anstelle eines Blitzkriegs auf fremden Territorium – Rückzug bis zur Wolga und zum Kaukasus.

Anstelle einer Weigerung der europäischen Arbeiter für die kapitalistische Regierung zu kämpfen – die fehlende Bereitschaft der sowjetischen Bürger die sozialistische Ordnung zu verteidigen. Anstelle proletarischen Internationalismus – erzwungene Rufe nach der Heiligen Rus.

Ja, den Krieg hat Stalin trotzdem gewonnen, genauso wie er vorher dennoch die Industrialisierung durchzog. Und man braucht seinen persönlichen Anteil am Sieg nicht zu unterschätzen: Der eiserne Wille und die Mitleidslosigkeit von Koba haben eine entscheidende Rolle gespielt. Die stalinsche Härte war keine Unterpfand der Effizienz, sondern nur eine Kompensation für die Ineffizienz.

Wenn auch alles Drunter und Drüber geht, ein Fiasko dem anderen folgt und die ambitionierten Pläne wortwörtlich, wie Kartenhäuser zusammenfallen. Die Hauptsache ist – nicht den Kopf verlieren, nicht wanken, keine Schwäche zeigen und kaltblütig voran schreiten, für den eigenen Dünkel mit fremdem Blut bezahlend, unvorhergesehene Löcher mit menschlichen Leben stopfend und Sündenböcke hart bestrafend.

Ein effizienter Manager war Genosse Stalin nicht. Dafür bewies Iossif Wissarionowitsch, dass ein ineffizientes Management trotzdem erfolgreich sein kann. Dafür sind zwei Bedingungen notwendig:

a) die Unabsetzbarkeit des Managers, ungeachtet jeglicher Fehleinschätzungen und Misserfolge;

b) unbegrenzte Ressourcen, die sich unter Verfügung des Managers befinden.

Der stalinsche Managementstil passt nicht zu den bemitleidenswerten „Scheißokraten“, für die jedes große Fiasko das Ende ihrer Karriere bedeutet.

Wenig geeignet ist er auch für kleine Länder: Sobald du die neue Ordnung in irgendeinem Kambodscha zu errichten beginnst und du auf den richtigen Weg kommst, geht das Menschenmaterial bereits aus. Ein unglücklicher Zusammenstoß mit dem benachbarten Vietnam und alles ist verloren. Kann ein sich selbst achtender Manager unter diesen Bedingungen arbeiten?

Doch wenn Sie in Ihren Händen absolute Macht und ein unbegrenztes Imperium mit 200 Millionen Einwohnern haben, dann managen sie mutig und entschlossen. Wahrscheinlich werden Ihre anfänglichen Berechnungen wie Seifenblasen platzen, doch mit der Methode von Versuch und Irrtum wird ein sichtbares Ergebnis erreicht werden.

Dieses Ergebnis überdeckt alle Kosten, wie kolossal und sinnlos sie auch gewesen sein mögen. Und Ihre Untergebenen werden sich ihm gegenüber mit besonderer Ehrfurcht verhalten, denn es wurde zu einem hohen Preis erreicht!

9. Mai 2013 // Michail Dubinjanskij

Quelle: Ukrainskaja Prawda

Übersetzer:   Andreas Stein — Wörter: 1346

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Kommentare

#3 von Siggi
Sehr nett und zum Teil sogar vergnüglich zu lesen. Danke!

Gruß
Siggi

#2 von Handrij
tja, wirklich schöner Text. Ich glaube zwar nicht an eine große Verbreitung des Stalinkults, aber Ereignisse, wie die Einweihung des Stalindenkmals in Jakutsk, sind schon krass. In Saporoshje waren es ja auch nur ein paar Beknackte von der sogenannten Kommunistischen Partei.

#1 von mbert
Was soll man sagen - Dubinjanskij at his best.

Natürlich werden diese für wahre Gläubige wahrhaft niederschmetternden Wahrheiten weiter nur von einer kleinen Gruppe Lästermäuler überhaupt wahrgenommen, während die anderen weiter dem zwar nicht ganz makellosen, aber ja doch durch sein Lebenswerk großen Führer huldigen, weil es doch einfach viel zu gut ins Gesamtkonzept passt...

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