Die sechste Sitzungsperiode der Werchowna Rada, dem Parlament der Ukraine, endete Mitte Juli. Mittlerweile haben sich alle Abgeordneten, Regierungsmitglieder und sogar Präsident Janukowytsch in die Sommerferien verabschiedet. Die Zeit vorher war geprägt von wichtigen Entscheidungen und Weichenstellungen für das Land. Die Serie „Ukraine in der Sommerpause“ fasst die wichtigsten Ereignisse zusammen:
- Teil 1: Verfassungsänderung um jeden Preis?
- Teil 2: Gezerre ums Gas
- Teil 3: Außenpolitik
von Dr. Kyryl Savin und Andreas Stein
Gezerre ums Gas
Entscheidungen fielen auch im Bereich der Wirtschaft. Am 3. Juli konnten die langwierigen Verhandlungen mit dem IWF abgeschlossen werden, wobei nun ein neues Stand-by-Programm über zweieinhalb Jahre und etwa 14,9 Milliarden Dollar vereinbart wurde. Bedingung für dieses Programm ist die Begrenzung des Budgetdefizits auf 5,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in diesem Jahr und auf 3,5 Prozent im Jahr 2011. Das betrifft insbesondere eine Reduzierung des Defizits des staatlichen Gasunternehmens „Naftogaz“, welches in diesem Jahr bei etwa 1 Milliarde Euro liegen soll.
Gaspreiserhöhung trotz Charkiwer Verträge
Wie dieses Ziel erreicht werden soll, wurde am 13. Juli klar, als die Nationale Regulierungskommission für die Energiepreise eine Erhöhung der Gaspreise um 50 Prozent ab dem 1. August verkündete. Um Unmut in der Bevölkerung vorzubeugen kommunizierte die Regierung gleichzeitig, dass für die einkommensschwächeren Teile der Bevölkerung Preisermäßigungen gewährt werden. Diese Beschwichtigungen scheinen jedoch nicht zu wirken. Denn die Zugeständnisse der Charkiwer Verträge, die explizit Preisnachlässe beim Einkauf von russischem Gas beinhalten, wurden gegenüber der Bevölkerung vor allem mit einer Preisgarantie für Gas begründet.
Diese Behauptung hat sich jetzt offensichtlich als Lüge entpuppt. Erklärungen, dass die Preiserhöhung eine Bedingung des IWF ist, wurden vielmehr als Ausreden wahrgenommen. Gemäß Umfragen glaubt mehr als ein Drittel der Ukrainer/innen, dass der Präsident die alleinige Verantwortung für die Erhöhung trage, ein weiteres Drittel sieht das Kabinett in der Verantwortung. Nur knapp zehn Prozent der Befragten ist der Meinung, dass der IWF Auslöser für die Erhöhung ist.
Wenn erst einmal der Winter vor der Tür steht und sich die Preiserhöhung direkt im Geldbeutel der Ukrainer widerspiegelt, dann kann sich das im Oktober unmittelbar bei den Kommunalwahlen im Ergebnis niederschlagen. Zumal Vizepremier Serhij Tihipko eine harte Politik bei Zahlungsverzügen angedroht hat.
Die Rückkehr von RosUkrEnergo
Für die Opposition, und hier vor allem Julia Tymoschenko, ist die Preiserhöhung ein willkommener Anlass um auf den Skandal um die Rückkehr der undurchsichtigen Firma „RosUkrEnergo“ hinzuweisen – und daraus eventuell bei den Kommunalwahlen Kapital zu schlagen. Die Firma „RosUkrEnergo“ war von 2005 bis 2009 als Gaszwischenhändler zwischen „Gazprom“ und „Naftogaz“ tätig. Dabei wurden Milliarden mit dem Einkauf von russischem Erdgas zu Vorzugspreisen und dem anschließenden Weiterverkauf nach Europa zu Weltmarktpreisen verdient.
Bei der Einigung nach dem „Gaskrieg“ zwischen der Ukraine und Russland am 19. Januar 2009 bestand Julia Tymoschenko auf der Ausschaltung jeglicher Zwischenhändler. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Zwischenhändler „RosUkrEnergo“ 11 Milliarden Kubikmeter Erdgas in den Untertagespeichern von „Naftogaz“ für den Weiterverkauf in den Westen gelagert, ohne dieses Gas bei „Gazprom“ zu bezahlen. Im Zuge der Einigung vom 19. Januar erhielt das ukrainische Staatsunternehmen „Naftogaz“ als Anzahlung für den Erdgastransit der russischen „Gazprom“ über das Territorium der Ukraine diese 11 Milliarden Kubikmeter aus dem Besitz von „RosUkrEnergo“. Dadurch wurde Tymoschenko in die Lage versetzt, die anstehende Gaspreiserhöhung auf die Zeit nach den Präsidentschaftswahlen zu verschieben, was ihr jedoch letztendlich nichts nutzte.
Der Haupteigentümer von „RosUkrEnergo“ ist Dmytro Firtasch, er hält 45 % an dem im schweizerischen Zug registrierten Unternehmen. Firtasch klagte gegen diese Vereinbarung vor dem Stockholmer Schiedsgericht (in allen Gasverträgen zwischen Russland und der Ukraine gilt im Streitfall schwedisches Recht). Wie jetzt bekannt wurde, gab das Schiedsgericht „RosUkrEnergo“ in zwei noch nicht öffentlich gemachten Zwischenentscheidungen Recht. Dadurch muss „Naftogaz“ „RosUkrEnergo“ die elf Milliarden Kubikmeter Erdgas entweder natural oder zum damaligen Marktwert (kolportiert werden in der Presse die den Winterverträgen zugrundeliegenden 450 Dollar pro tausend Kubikmeter) erstatten. Hierüber müsste „Naftogaz“ 4,95 Mrd. Dollar plus einer Strafzahlung von 197 Mio. Dollar aufbringen.
Personelle Verwicklungen der Regierung
Der Interpretation von Julia Tymoschenko nach, stehen die Gaspreiserhöhung und das Urteil aus Stockholm in einem direkten Zusammenhang und der Skandal besteht in der kampflosen Aufgabe der Positionen von „Naftogaz“ vor Gericht. Insbesondere ist hierbei die so genannte „Gashändlergruppe“ innerhalb der Partei der Regionen zu erwähnen. Diese besteht aus Präsidialamtsleiter Serhij Ljowotschkin, dem jetzigen Energieminister Jurij Bojko und dem Leiter des Sicherheitsdienstes der Ukraine, Walerij Choroschkowskij, der gleichzeitig der größten Mediengruppe des Landes vorsteht. Hinter ihnen steht der Oligarch Dmytro Firtasch dem 45 Prozent an „RosUkrEnergo“ gehören. Firtasch war maßgeblich für die Finanzierung des Wahlkampfes von Wiktor Janukowytsch verantwortlich und hat verlässlichen Informationen nach ihn auch jetzt persönlich finanziell unterstützt.
Jurij Bojko unterzeichnete in seiner damaligen Funktion als Vorstandsvorsitzender von „Naftohas Ukrajiny“ 2004 die Verträge mit „RosUkrEnergo“. Eine Unterschrift, die sich für ihn auch finanziell lohnte. Heute gibt er als Energieminister der Leitung von „Naftogaz“ direkte Anweisungen. Offiziell sind die Entscheidungen des Stockholmer Gerichts noch nicht verkündet und ebenso handeln auch die Vertreter der ukrainischen Regierung. Wie glaubhaft Tymoschenkos Interpretation der Gaspreiserhöhung für die Bevölkerung ist, wird sich auch am 31. Oktober an den Wahlurnen zeigen.
Der Artikel erschien zuerst bei der Heinrich-Böll-Stiftung
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