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Erfolgsstory auf Sand gebaut? Zum Stand der Dezentralisierungsreform nach der ukrainischen Revolution der Würde von 2014

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Von Maryna Rabinovych (Metschnikow-Universität Odessa / Ukraine Democracy Initiative), Anthony Levitas (Brown University, Providence/USA) und Andreas Umland (Institut für Euro-Atlantische Kooperation, Kiew)

Zusammenfassung: Die 2014 in der Ukraine eingeleitete umfassende Dezentralisierungsreform hat sich trotz widriger Umstände bei der Implementierung relativ erfolgreich entwickelt. Insbesondere die darin enthaltene Gebietsreform, vor allem die bislang freiwillige Zusammenlegung von Kleinkommunen zu sogenannten „Vereinigten Territorialgemeinden“, hat Fortschritte gemacht. Ungeachtet des Kriegszustandes, in dem sich die Ukraine seit 2014 befindet, wurden die schon vorher relativ hohen Staatsausgaben für die lokale Ebene beibehalten beziehungsweise sogar noch erhöht. Auch die Dezentralisierung des ukrainischen Bildungs- und Gesundheitswesens hat begonnen. Allerdings kann eine den Verwaltungsumbau absichernde Verfassungsänderung aufgrund ihrer Koppelung an eine Klausel, welche den Minsker Vereinbarungen geschuldet ist, derzeit nicht durchgesetzt werden.

Die ukrainische Politik ist seit 2014 von immer neuen Reformprojekten, parallelen Transformationsagenden, von einer Reihe neuer Gesetze und von diversen neuartigen Institutionen geprägt. Entscheidend sind letzten Endes jedoch die konsequente Umsetzung und tatsächliche Auswirkung des neuen rechtlichen Rahmens in den jeweiligen Reformbereichen. Das Ausmaß und die Kontinuität der Implementierung von Reformen werden von sorgfältiger Beobachtung und kritischer Evaluation abhängen. Sofern nötig, muss eine neue Bewertung sowie anschließend eine Veränderung der gesetzlichen Grundlagen und die Anpassung ihrer praktischen Umsetzung erfolgen. Vor diesem Hintergrund beleuchten wir hier erste Bemühungen der Ukraine, die Effektivität und die Responsivität ihres öffentlichen Sektors durch eine Dezentralisierung der staatlichen Verwaltung zu erhöhen. Welche Veränderungen haben in diesem Bereich bereits stattgefunden? Was blockiert weitere Fortschritte? Und was ist noch zu tun, um dieses große Teilprojekt der Transformationsagenda nach dem Euromaidan erfolgreich zu beenden?

Die beginnende Gemeindezusammenlegung

In den letzten drei Jahren ging es in der ukrainischen Debatte über den Fortschritt der Dezentralisierungsreform in erster Linie um den Umfang und die Geschwindigkeit der freiwilligen Zusammenlegung bisheriger Kleinkommunen. Der Vereinigung der Basiseinheiten des Staates zu größeren Gebilden liegt die Ansicht zugrunde, dass die bisherigen Hromady (Gemeinden) häufig zu klein waren (beziehungsweise teilweise noch sind), um grundlegende öffentliche Dienstleistungen für ihre Bürger eigenständig organisieren und finanzieren zu können. Klein mag oft fein sein. Winzige Kommunen machen es für die Selbstverwaltung jedoch unmöglich, etwa effektiv Straßen zu bauen oder Schulen zu betreiben, so dass unter den alten Umständen eine Devolution der Macht aus verwaltungstechnischer und ökonomischer Perspektive wenig Sinn ergab.

Seit 2015 ermutigt die ukrainische Regierung die Hromady daher, sich zusammenzuschließen und so größere sogenannte „Vereinigte Territorialgemeinden“ (VTGs) zu bilden. Die Regierung begünstigte diesen bislang freiwilligen Prozess, indem sie größere Teile der Steuereinnahmen den VTGs überlässt und sie mit staatlichen Transferleistungen für den sozialen Bereich, etwa zum Betrieb von Schulen, unterstützt. Auch stimuliert die Zentralregierung die Zusammenlegung von Kommunen, indem sie die VTGs mit Investitionszuschüssen ausstattet und ihnen Zugang zum Staatlichen Fonds für Regionalentwicklung (SFRE) gewährt.

Das führte zwischen 2015 und 2017 zum Zusammenschluss 3.118 kleinerer Gemeinden zu 665 größeren Vereinigten Territorialgemeinden (Monitorynh procesu […] 2018). Bis Anfang Februar 2018 hatten sich bereits 3.313 beziehungsweise 29,5 Prozent aller bisherigen Kleinkommunen zu 710 VTGs zusammengeschlossen, wobei sich jeweils durchschnittlich vier bis fünf Kleinkommunen zu einer Territorialgemeinde zusammenschlossen. Anfang Februar 2018 lebten etwa 6,1 Millionen Menschen beziehungsweise 14,4 Prozent der ukrainischen Bevölkerung in den neuen Vereinigten Territorialgemeinden, die zu diesem Zeitpunkt 30,2 Prozent des Territoriums der Ukraine ausmachten. Diese – im Vergleich zu den bisherigen Kleinkommunen – relativ großen Gemeinden mit für 2018 prognostiziert durchschnittlich etwa 10.600 Einwohnern pro VTG haben höhere Einnahmen und mehr Befugnisse in der lokalen Raumnutzungsplanung und -genehmigung sowie bei der Erhebung lokaler Gebühren und beim Betrieb örtlicher Schulen. Zudem stehen den VTGs mehr Rechte und mehr Humankapital für die Umsetzung von Infrastrukturprojekten zur Verfügung. Sie können Mittel des Staatlichen Fonds für Regionalentwicklung zur Finanzierung derartiger Projekte erhalten.

Weiterhin haben die Vereinigten Territorialgemeinden begonnen, vom neuen Instrument interkommunaler Kooperationsverträge Gebrauch zu machen – einer Möglichkeit, die im Zuge der Dezentralisierung eingeführt wurde. Im Rahmen solcher Verträge können spezielle Arbeitsaufgaben sowie entsprechende Mittel von einer Gemeinde an eine andere delegiert werden; es können Mittel zusammengeführt werden, um gemeinsame Projekte zu realisieren; die Gemeindeinfrastruktur kann gemeinschaftlich finanziert werden; und es können gemeinsame Exekutivorgane zur Realisierung gemeinsamer Ziele ins Leben gerufen werden. Bislang haben 587 Gemeinden untereinander 133 derartige Kooperationsverträge geschlossen, unter anderem in den Bereichen Erziehung, Gesundheitswesen, Brandschutz und kommunale Dienstleistungen.

So vielversprechend die spontane Bildung von VTGs und die praktischen Auswirkungen seit 2015 sind – die bislang geltende Freiwilligkeit der Zusammenlegung hat seine Schattenseiten. So sind bisher etwa 7.900 beziehungsweise etwa 70 Prozent aller Kommunen noch nicht zusammengelegt worden. Der fehlende Zwang zur Zusammenlegung hat das Übergeben der zentralstaatlichen Kontrolle über die grundlegenden öffentlichen Dienstleistungen an die selbstverwalteten Kommunen verlangsamt. Wo sich die Hromady noch nicht zusammengeschlossen haben, verbleibt die lokale Selbstverwaltung daher unter weitreichender administrativer und finanzieller Kontrolle der sogenannten „Rajons“, das heißt subregionaler, Kiew unterstellter administrativer Distriktverwaltungen, sowie unter Kontrolle der Oblaste beziehungsweise Regionen, deren Exekutivorgane nicht demokratisch gewählt, sondern zentral ernannt werden. Auch gibt es eine Diskussion darüber, ob etliche der durch die bisherige Freiwilligkeit und Spontaneität der Gemeindezusammenlegung entstandenen besonders ländlichen VTGs nach ihrer Fusionierung tatsächlich wirtschaftlich überlebensfähige Selbstverwaltungseinheiten bilden können. Die Vereinigten Territorialgemeinden müssen etwa lernen, wie sie Unternehmen dazu bringen können, sich bei ihnen zu registrieren, um damit das Steueraufkommen zu erhöhen. Funktioniert dies, können auch nur aus Dörfern bestehende VTGs eigenständig existieren.

Letztlich besteht bei dem spontanen Zusammenlegungsprozess bisher auch ein Rest Rechtsunsicherheit für die neuen VTGs. Da das Parlament bislang noch kein Gesetz erlassen hat, das den Zusammenschluss zu VTGs für alle Hromady verpflichtend macht und detailliert regelt, bleiben die genaue Rolle und die exakten Kompetenzen der neuen Gemeinden im ukrainischen Verwaltungssystem vage. In einigen gesetzlichen Regelungen der lokalen Selbstverwaltung werden die Vereinigten Territorialgemeinden noch immer nicht erwähnt. Im November 2016 wurde zwar eine Assoziation der VTGs mit eigener aktiver Facebook-Seite gegründet. Jedoch sind die Befugnisse und Rolle dieser (und anderer) kollektiver Vertretungen der VTGs im Beziehungsgeflecht der ukrainischen Staatsorgane bislang nicht definiert. Aufgrund solcher gesetzgeberischer Unterlassungen ist bislang unklar, welche Funktionen die alten Rajonverwaltungen haben werden, sobald die meisten ihrer Aufgaben an die VTGs übertragen worden sind. Die Unklarheit über die künftige Struktur des ukrainischen Verwaltungssystems macht auch die parallel laufenden Reformen des Bildungs- und Gesundheitssystems komplizierter (dazu unten mehr).

Budgetäre Dezentralisierung

Es ist bemerkenswert, dass die ukrainische Regierung die Staatsfinanzen trotz des Kriegs im Donezbecken und der mit ihm einhergehenden schweren Wirtschaftskrise nicht rezentralisiert hat. Die subnationalen Verwaltungsebenen erhielten auch nach 2013 weiterhin bis zu 40 Prozent der öffentlichen Einnahmen oder mehr – ein kaum bekannter Umstand, der die Ukraine schon seit den 1990er Jahren in dieser Hinsicht zu einem der formal am stärksten dezentralisierten Länder Europas macht. In der Regel erhöhen Staaten, die sich im Krieg und in einer wirtschaftlichen Notlage befinden, den Anteil der von der Zentralregierung kontrollierten öffentlichen Einnahmen. In der Ukraine ist jedoch das Gegenteil passiert: Der Anteil der insgesamt an die Lokalregierungen ausgeschütteten öffentlichen Gelder einschließlich der Transferleistungen aus dem Zentrum stieg von 45,6 Prozent im Jahr 2015 auf 51,2 Prozent im Jahr 2017, obwohl die öffentlichen Einnahmen infolge der tiefen Rezession, welche vor allem die russische Krim-Annexion und Intervention im Donbas ausgelöst hatten, insgesamt zurückgegangen sind. Die Zentralregierung ist trotz beträchtlichen Drucks zur Rezentralisierung öffentlicher Gelder dem Dezentralisierungskurs in finanzieller Hinsicht treu geblieben.

Dieses untypische Verhalten zeigt, dass die Dezentralisierungsidee in der Ukraine tief verwurzelt ist. Darüber hinaus sehen einige ukrainische Politiker in der Stärkung der lokalen Selbstverwaltung ein Instrument zur Neutralisierung des russischen Hybridkrieges und des Schürens von Separatismus (durch Moskau) innerhalb der Ukraine an. Der Sprecher der Werchowna Rada (des Obersten Rats – Nationalparlament der Ukraine) Andrij Parubij etwa bemerkte auf dem zweiten Allukrainischen Forum der Vereinigten Territorialgemeinden im Dezember 2017 in Kiew: „Der Weg der Dezentralisierung war eine asymmetrische Antwort auf den Aggressor [das heißt Russland]. Der Prozess der Bildung handlungsfähiger Hromady stellte de facto eine Art Zusammennähen des ukrainischen Raums dar.”

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Derartige Bekenntnisse der ukrainischen Zentralmacht zur Abgabe von Kompetenzen nach unten bedeuten allerdings nicht, dass die verschiedenen Unterebenen der Verwaltung ähnlich große Teile des ukrainischen Gesamtbudgets erhalten. Vielmehr erhalten die Oblaste und Rajons inflationsbereinigt weniger Geld, während die großen Städte und die VTGs sowohl substanziell als auch im Vergleich mehr erhalten. Diese Verschiebung der Verteilung der Staatseinkünfte weg von den Oblasten, Rajons und nicht zusammengelegten Hromady hin zu den sogenannten „Städten regionaler Bedeutung“ (ein Prozess, der als „Munizipalisierung“ der Machtstrukturen der Oblaste bezeichnet wurde) sowie hin zu den VTGs (ein Prozess, der als „Hromadysierung“ der Macht der Rajons bezeichnet wurde) ist ein wichtiger Aspekt der Verwaltungsreform (Levitas/Djikic 2017: 3). Die neue Verteilung der Staatseinkünfte macht deutlich, dass Kiew die Absicht hat, eine administrative Struktur zu schaffen, in welcher die Städte und VTGs zu den wichtigsten subnationalen Verwaltungsakteuren werden.

Zwar nimmt diese neue Konstellation bereits erste politische und juristische Formen an. Die Dezentralisierung der Ukraine ist jedoch bei Weitem noch nicht abgeschlossen, und ihre Gesamtkonzeption bleibt unklar. So muss Kiew etwa die durch die neue Form der Mittelzuweisung an die verschiedenen subnationalen Regierungsebenen notwendig gewordene Umstrukturierung behördlicher Verantwortlichkeiten formell erst noch festschreiben. Es ist bislang nicht klar, welche Rolle die Oblaste und Rajons in dem neuen System genau spielen werden und welche Funktionen sowie Mittel den Städten mit regionaler Bedeutung sowie den Vereinigten Territorialgemeinden exklusiv und dauerhaft zugesprochen werden – und welche nicht.

Dieses bislang noch verschwommene Bild wird weiter verkompliziert durch die parallel stattfindende Reform des Gesundheitssystems der Ukraine, die unten noch kurz angesprochen wird. Ein Teilaspekt dieser Reform ist eine partielle Rezentralisierung von Finanzmitteln, die derzeit zum Unterhalt von Krankenhäusern an die Lokalregierungen gezahlt werden. Die Gesundheitsreform geht davon aus, dass wachsender landesweiter Wettbewerb zwischen Anbietern von Gesundheitsdienstleistungen sowie Bezahlung nach Leistung die Qualität medizinischer Infrastruktur, Behandlung, Medikamente und Materialien in der Ukraine verbessern wird. Diese Umstrukturierung bedeutet, dass die örtlichen Gesundheitsbudgets gekürzt und entsprechende Mittel nunmehr aus Kiew verteilt werden – ein Umstand, auf den zurzeit noch nicht alle Lokalregierungen psychologisch vorbereitet sind. Bis dato kreiste die öffentliche Diskussion über die Dezentralisierung – einschließlich der Öffentlichkeitsarbeit der Zentralregierung in Bezug auf dieses Thema – häufig darum, jenes „neue Geld“ anzupreisen, welches an die entstehenden VTGs fließt (oft ohne die inflationsbedingte Entwertung der Mittel zu berücksichtigen). Die Gesundheitsreform steht teilweise im Widerspruch zu dieser Betonung der dezentralisierten Finanzen.

Regionalentwicklung und Capacity Building

Praktiker/innen der Dezentralisierung, wie die ehemalige Bürgermeisterin von Rawa-Ruska Iryna Wereschtschuk oder die Koordinatorin des Chersoner Büros zur Unterstützung der Reform Oksana Silukowa, haben zuletzt erneut eine wohlbekannte Hauptherausforderung der Reform betont: die Überwindung des Mangels an qualifiziertem Verwaltungspersonal, welches vor Ort bei der Devolution der Macht immer mehr gebraucht wird. Die flächendeckende, umfassende und praxisorientierte Weiterbildung, die zur Bewältigung dieser Herausforderung notwendig ist, kann ohne externe Unterstützung im Bereich Capacity Building nicht realisiert werden. Diese Unterstützung leisten momentan zu großen Teilen mehrere parallel agierende ausländische Entwicklungsorganisationen. Unter ihnen spielt die Multi-Geber-Initiative „U-LEAD with Europe“ (Ukraine – Local Empowerment, Accountability and Development) mit ihrem „House of Decentralization“ in Kiew und Regionalbüros in allen 24 Oblasten der Ukraine eine Schlüsselrolle. Zudem haben die USA – neben einer Reihe weiterer engagierter Länder – zwei umfangreiche und mehrere Millionen Dollar schwere Programme zur Unterstützung der Reform auf den Weg gebracht: PULSE (Policy for Ukraine Local Self-Governance) und DOBRE (Decentralization Offering Better Results and Efficiency).

Derartige aus dem Westen unterstützte Projekte und die umfassende Expertise, die sie lokalen Gemeinden zur Verfügung stellen, werden jedoch im Laufe der Zeit weniger werden und früher oder später auslaufen. Deshalb, aber auch aufgrund der allgemeinen Notwendigkeit eines ukrainischen State Building müssen das ukrainische Parlament und die ukrainische Regierung die Attraktivität des öffentlichen Dienstes in selbstverwalteten Organen steigern. Lohn und Zusatzleistungen werden hinreichend ansprechend gestaltet sein müssen, um Personen, die in Feldern wie Projektmanagement, Verwaltungsrecht und ländliche Entwicklung qualifiziert sind, zur Arbeit in lokalen Selbstverwaltungen zu motivieren und sie dort zu halten.

Dezentralisierung im Bildungs- und Gesundheitswesen

Der Transfer von Verantwortung für den Schuldienst und die lokale Infrastruktur der Gesundheitsversorgung gehören zu den wichtigsten Bereichen der ukrainischen Dezentralisierunsreform. Im Februar 2018 waren 5.420 beziehungsweise 35,6 Prozent der ukrainischen Schulen lokalen Selbstverwaltungseinheiten zugeordnet, also Städten von regionaler Bedeutung oder VTGs. Bis Februar 2018 wurden 484 Schulen in den Stand sogenannter „Basisschulen“ (oporni školy) erhoben. Diese neuen Superschulen in regionalen städtischen Zentren sind mit einer besseren Ausstattung und besonderen Privilegien, Kompetenzen und Mitteln ausgestattet. Sie sollen den Aufbau von bislang 944 Zweigschulen in kleineren Orten anleiten. Diese Zahlen für die Dezentralisierung des Bildungssektors sind – nach nicht einmal vier Jahren Reformen – ähnlich beeindruckend wie diejenigen für die freiwillige Zusammenlegung von Gemeinden. Allerdings wurden bislang erst in 184 VTGs Basisschulen gegründet, das heißt in etwa einem Sechstel der neuen Territorialgemeinden.

Größte Herausforderung dieser Reform ist es, die Qualität des Bildungswesens trotz des in den Kommunen sehr unterschiedlichen Humankapitals beziehungsweise Lehrpersonals zu verbessern sowie dabei besonders die Schere zwischen Stadt und Land in der Beschulungsqualität zu verringern. Etwa 64 Prozent der Schulen müssen die Zentralbehörden noch von den Rajonverwaltungen an die lokalen Selbstverwaltungsorgane übertragen. Nur ein Teil der bislang zusammengelegten Gemeinden nehmen ihr Recht auf Verwaltungshoheit im Bereich der Schulbildung bereits komplett in Anspruch. Weitere Fortschritte bei der Dezentralisierung des Bildungswesens können etwa durch die Beteiligung von mehr VTGs an der Verwaltung ihrer Bildungseinrichtungen, durch eine Stärkung der institutionellen Kapazitäten der Gemeinden und durch die vereinfachte Vergabe von Transferleistungen für den Bildungsbereich auf lokaler Ebene erreicht werden.

Nachdem die Werchowna Rada am 20. Oktober 2017 einer großen Reform des Gesundheitswesens zugestimmt hat, steht nun die schrittweise Umsetzung der Dezentralisierung medizinischer Dienstleistungen bei gleichzeitiger partieller Rezentralisierung der Mittelvergabe auf der Grundlage landesweiter Ausschreibungen an. Geplant ist auch eine Stärkung der lokalen Gesundheitsversorgung durch Bildung von Krankenhausbezirken, in denen Krankenhäuser zu funktionstüchtigen Einheiten zusammengelegt werden sollen. Die neuen Krankenhausbezirke sollen die Zusammenarbeit verschiedener Gemeinden im Gesundheitsbereich fördern. Für die primäre Gesundheitsversorgung soll es darüber hinaus Netzwerke geben, die Gesundheitszentren, ländliche Gesundheitsposten sowie niedergelassene Ärzte mit einschließen und vor allem die Versorgung in schwer zugänglichen Gebieten sicherstellen. Die verabschiedete Reform soll Gemeinden in die Lage versetzen, verschiedene Wege einschlagen zu können, um die Gesundheitsversorgung ihrer Bürger sicherzustellen – etwa Gemeindekrankenhäuser instand zu setzen, zu modernisieren, umzufunktionieren beziehungsweise zu bauen, Verträge mit privaten Gesundheitseinrichtungen zu schließen oder separat praktizierende Ärzte zu unterstützen.

Die Umsetzung der Reform wird vor verschiedenen Herausforderungen stehen. So muss der Zugang zu medizinischer Grundversorgung auch in VTGs in entlegenen Gebieten gewährleistet sein und außerdem ein effizienterer Einsatz der Subventionen aus Kiew durch die neue Nationale Gesundheitsagentur sichergestellt werden. Nötig sind adäquate Entwicklungspläne für Landkrankenhäuser und das Zurverfügungstellen erschwinglicher spezialisierter (sekundärer und tertiärer) Gesundheitsdienstleistungen auch für arme Patienten. Die derzeitigen Pläne für den Gesundheitssektor beinhalten, dass die Betriebskosten der entsprechenden Institutionen von der Nationalen Gesundheitsagentur getragen werden und nicht aus den Haushalten der Lokalregierungen kommen. Dennoch besitzen die Territorialgemeinden und Städte die Krankenhäuser und Gesundheitseinrichtungen – beziehungsweise werden sie besitzen –, sie müssen mit ihnen zusammenarbeiten und sind für die Erhaltung der Infrastruktur verantwortlich.

Verfassungsreform und Minsker Vereinbarungen

Die Dezentralisierung in der Ukraine ist zwar noch nicht vollendet und steht vor etlichen Herausforderungen, sie ist jedoch eine sich besonders dynamisch entwickelnde Reform. Anders als einige andere seit der Euromaidan-Revolution angestrebten Veränderungen existiert diese Transformation nicht nur auf dem Papier, sondern hat auf den Alltag der Menschen schon heute beträchtliche praktische Auswirkungen. Besonders gilt das für jene Ukrainer, die in den neuen VTGs leben und arbeiten. Ein grundlegendes Problem ist jedoch nach wie vor, dass die ukrainische Verfassung bislang weder die momentan stattfindenden vielfältigen Veränderungen im Verwaltungssystem des Landes reflektiert, noch die neuen Beziehungen zwischen den verschiedenen Bereichen und Ebenen der Macht grundgesetzlich regelt.

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Das Parlament hat die mit der Dezentralisierung zusammenhängenden Verfassungsänderungen nicht verabschiedet, weil die dafür notwendige große Mehrheit der Stimmen bislang nicht erreicht werden konnte. Hauptgrund für das bisherige Scheitern der Verfassungsänderung ist, dass die mit der Reform der lokalen Selbstverwaltung und Gebietsreform zusammenhängenden Neuerungen 2015 an eine neue Verfassungsklausel zum Sonderstatus der momentan nicht unter der Kontrolle Kiews befindlichen Donbas-Gebiete gekoppelt wurde (Hanuschtschak/Sydortschuk/Umland 2017). Dies geschah in Übereinstimmung mit den Minsker Vereinbarungen zwischen Russland und der Ukraine vom Februar 2015. Zwar verweist die in die Verfassungsnovelle eingeführte kurze Klausel nur knapp auf bestimmte Besonderheiten der Regierungsführung in den vorübergehend besetzten Gebieten und schreibt als solche noch keinen Sonderstatus dieser Gebiete fest. Doch selbst diese vorsichtige Formulierung führte im Sommer 2015 zu gewalttätigen Protesten vor dem ukrainischen Parlament, bei denen insgesamt fünf Soldaten der ukrainischen Nationalgarde ums Leben kamen und Dutzende verletzt wurden. (Es wurden vier Nationalgardisten getötet und 131 verletzt, A.d.R.)

Es ist bedenklich, dass die ukrainische Verfassung bislang noch nicht auf die neue Lage Bezug nimmt, die entstanden beziehungsweise im Entstehen begriffen ist – durch die Zusammenlegung von Gemeinden und durch deren Kooperationsverträge, durch die laufende Gebietsverwaltungsreform, durch die neuen eigenen Einkommensquellen der Gemeinden und die Zuständigkeitsverschiebungen zwischen lokaler Selbstverwaltung und zentralstaatlicher Verwaltung sowie durch einige weitere mit der Dezentralisierung zusammenhängende Neuerungen im gesellschaftlichen Leben der Ukraine. Bis dato reflektiert die Verfassung die sich derzeit systemisch verändernde Machtverteilung in der Ukraine nicht. Dies bedeutet, dass der derzeit stattfindende Wandel auch noch nicht als uneingeschränkt nachhaltig charakterisiert werden kann. Die bereits erzielten Reformerfolge könnten theoretisch durch eine einfache Mehrheit von 226 Stimmen im Parlament wieder aufgehoben werden. Die zweifelsfrei vorhandenen – beträchtlichen – Erfolge bei der Dezentralisierung der Ukraine sind daher in mancher Hinsicht noch auf Sand gebaut.

Übersetzung aus dem Englischen: Sophie Hellgardt. Dr. Benedikt Herrmann von der Ukraine-Unterstützungsgruppe der Europäischen Kommission in Kiew gab hilfreiche Hinweise zu einer früheren Fassung dieses Artikels. Zuerst erschienen in den „Ukraine-Analysen“, Nr. 198, 23.03.2018, S. 5-9.

Im Text zitierte Literatur:
  • Jurij Hanuschtschak, Oleksij Sydortschuk und Andreas Umland: Die ukrainische Dezentralisierungsreform nach der Euromajdan-Revolution 2014–2017. Vorgeschichte, Erfolge, Hindernisse; in: Ukraine-Analysen Nr. 183, 26.04.2017, S. 2–11
  • Tony Levitas und Jasmina Djikic: Caught Mid-Stream. “Decentralization”, Local Government Finance Reform, and the Restructuring of Ukraine’s Public Sector 2014 to 2016. Kyiv 2017.
  • Monitorynh procesu decentralizaciï vlady ta reformuvannja miscevoho samovrjaduvannja stanom na 12 ljutoho 2018. Kyiv 2018.

Über die Autoren:
Maryna Rabinovych ist Promovendin an der Nationalen I.-I.-Metschnikow-Universität Odessa und Global Community Manager bei der Ukraine Democracy Initiative.
Anthony Levitas ist Senior Fellow am Watson Institute for International and Public Affairs der Brown University (Providence/USA) und Berater für das Projekt „Support to Decentralization in Ukraine“ der schwedischen Behörde für internationale Entwicklungszusammenarbeit.
Andreas Umland ist Senior Fellow am Institut für Euro-Atlantische Kooperation Kiew und Herausgeber der Buchreihe “Soviet and Post-Soviet Politics and Society” beim ibidem-Verlag Stuttgart.

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