Diesen Sommer fand in unserem Kinoleben ein nie dagewesener Vorfall statt: der neue Film unter Regie von Nariman Alijew (Aliev) „Nach Hause / Dodomu“ geriet zugleich ins Blickfeld von zwei „Oscars“, den amerikanischen und den europäischen Filmpreis.
Der ukrainische Oscar-Ausschuss schlug gerade diesen Streifen für die Präsentation der Ukraine bei der Amerikanischen Kinoakademie vor. Fast gleichzeitig erweckte der ukrainische Film Interesse in Europa, deswegen bewirbt sich „Nach Hause“ um die Nominierung für den Preis der Europäischen Filmakademie, der auch als „Europäischer Oscar“ bezeichnet wurde. Der ukrainische Film erwies sich als unter 46 Filmen, die durch eine Kommission ausgewählt wurden. Welche Streifen und in welcher Nominierung um den Gewinn des Preises kämpfen werden, wird am 9. November beim Europäischem Filmfestival in Sevilla bekanntgegeben. Die Verleihung des Preises findet im Dezember in Berlin statt. Der ukrainische Zuschauer kann den Film in den Kinos ab dem 7. November sehen.
Bisher sahen diesen Film bei weitem nicht alle. Die Weltpremiere des Filmes „Nach Hause“ fand bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes statt, die Premiere in der Ukraine – beim Filmfestival in Odessa, wo der Film „Nach Hause“ den Grand Prix erhielt. Nebenbei gesagt spendeten die Zuschauer nach dem Abspann dem Aufnahmeteam einen zehnminutigen Beifall.
Es ist das Spielfilm-Debüt von Nariman als Regisseur. Er hat schon einige Kurzfilme gedreht („Ohne dich“, „Ich liebe dich“, „Mit dem Tagesanbruch zurückzukehren“), wo er sich als ein ernsthafter Regisseur zeigte. In seinen Werken untersucht Nariman das Thema der Familienbeziehungen, Traditionen und Lebensweise der Krimtataren.
Erste Zuschauer des Films „Nach Hause“ betonen, dass der Streifen ab den ersten Sekunden den Zuschauer in Spannung hält und man muss alle Gefühle, die Emotionen der Helden durchleben, denn dieser Film ist stark, kontrastreich, er fesselt sehr, um kurz zu sein. Die Helden „Nach Hause“ sprechen übrigens drei Sprachen – Krimtatarisch, Ukrainisch und Russisch. Hier werden sehr fein die Beziehungen zwischen dem Vater und dem Sohn, dem Verständnis von Heimat und Gott gezeigt.
Im Film stirbt der ältere Sohn des Krimtataren Mustafa. Der Vater kommt nach Kyjiw, wohin zwei seine Söhne nach der Krim-Annexion hingelangt sind, um seinen jüngeren Sohn nach Hause zu holen und den älteren in der Heimat nach islamischer Tradition zu bestatten. Diesen Film kann man zu einem „Road Movie“ zählen, denn nach dem Stoff fahren die Helden aus Kyjiw auf die Krim. Deswegen ist die Geografie der Dreharbeiten ziemlich breit – Kyjiw, das Kyjiwer Gebiet, das Gebiet Mykolajiw, die Arabat-Nehrung …
Die Hauptrollen im Film „Nach Hause“ spielten Achtem Seitablajew (Ahtem Seitablayev) und der Laienschauspieler Remsi Biljalow (Remzi Bilyalov). Zum Produzent des Filmes wurde Wolodymyr Jazenko.
So gibt es einen Anlass mit den Filmautoren zu sprechen, dem Regisseur Nariman Alijew (er ist der Coautor des Drehbuchs) und der Drehbuchautorin Marysja Nikitjuk.
— Nariman, sagen Sie bitte, ist die Handlung eine rein künstlerische, ausgedachte Geschichte oder gibt es irgendwelche tatsächliche Fakten, die Sie zum Drehen dieses Films anregten?
— Das ist eine künstlerische Geschichte. Zur Arbeit an dem Thema hat mich die Idee meines Kollegen aus Aserbaidschan Novruz Hikmet angeregt. Ich habe gehört, dass es wirklich ähnliche Situationen gab, aber die Handlung unseres Films gründet sich nicht darauf.
— Was können Sie über die Reaktion der ersten Zuschauers des Films „Nach Hause“, darunter auch Krimtataren, sagen?
— Man soll natürlich selbst die Zuschauer danach fragen, aber der Hauptpreis in Odessa, der nach den Ergebnissen der Zuschauerabstimmung verliehen wird, bedeutet, dass der Zuschauer unseren Film hoch bewertet hat. Hoffentlich werden die anderen Zuschauer, die unseren Film im Kino sehen, das nicht noch bedauern.
— Wie lief das Casting für Ihr Projekt ab? Hatte Achtem Seitablajew Konkurrenz?
— Wir mussten uns anstrengen, denn für die Hauptrollen brauchten wir Schauspieler, die Krimtatarisch sprechen und eigentlich Krimtataren sind. Achtem hatte natürlich Konkurrenz, er war aber einige Schritte weiter. Für eine Rolle haben wir zum Beispiel Akmal Huserow genommen, der kein Krimtatare ist, er hat dennoch für den Film Krimtatarisch gelernt und hat seine Rolle vorzüglich gemeistert.
— Wie ist schlägt sich der Streifen bei Festivals? Welche Festivals haben Sie in nächster Zeit eingeladen?
- Die Weltpremiere des Films fand bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes statt. Außerdem nahmen wir an einem Festival in Kasachstan teil. In Bukarest haben wir von der Jury den Hauptpreis für den besten Film bekommen. Die Festival-Premiere in der Ukraine war in Odessa, wo der Film auch den Hauptpreis erhalten hat, zusammen mit dem georgischen Film „Und danach tanzten wir“. Im September zeigen wir den Film in Belgien. Es gibt noch ein paar Bestätigungen von wichtigen Filmfestspielen, aber wir können noch nicht darüber sprechen. Mit der Filmstrategie und dem Vertrieb des Streifens beschäftigen sich unsere französischen Partner von Wild Bunch. Nebenbei gesagt haben wir die Rechte an dem Film in Frankreich, Großbritannien, China, die Türkei, Griechenland und den Beneluxstaaten verkauft.
— Haben Sie schon ein neues Projekt in Arbeit?
— Theoretisch ja. Heute arbeiten wir an seiner praktischen Realisierung, aber zurzeit kann ich darüber nichts sagen.
— Was die Situation in der ukrainischen Filmindustrie betrifft, gibt es zwei Meinungen – eine optimistische: man stellt Mittel bereit und dreht viel, und eine skeptische: es wird viel gedreht, aber wenige sehen das und der Film bekommt keine vollen Säle. Sind Sie bezüglich dieser Frage Optimist oder eher Skeptiker?
— Das, was Sie beschrieben haben, ist weder eine optimistische noch skeptische Sicht der Situation, das ist die Logik von entweder Sieg oder „Verrat“. Wir bewegen uns langsam in die richtige Richtung, weil man innerhalb von zehn Jahren keine erfolgreiche Industrie bauen kann. Man braucht Zeit, Geduld und viel Arbeit.
* * *Die Drehbuchautorin Marysja Nikitjuk erzählt dem Dserkalo Tyschnja, dass das Schwierigste an dem Drehbuch „Nach Hause“ der Mangel an Wissen über die Krimtataren und die islamischen Bräuche war. Sie habe aber das Drehbuch zum Film zusammen mit Nariman geschrieben und er hat immer Korrekturen vorgenommen, falls etwas nicht stimmte. Die Idee des Streifens habe der Regisseur schon lange mit sich herumgetragen. Er wendete sich in der Phase der mehr oder weniger existenten Handlung an sie und sie machten sich an die Arbeit. Apropos unterscheiden sich die Schemata des Schreibens des Drehbuchs abhängig von der Idee und dem Typ der Geschichte, die sie verfassen. Es gibt deswegen keinen einheitlichen Standard.
— Marysja, sind Sie mit dem Casting der Schauspieler zufrieden? Haben Sie sich die Helden so vorgestellt, als Sie das Drehbuch geschrieben hatten?
— In diesem Projekt bin ich Drehbuchautorin. Und alles, was nicht das Drehbuch ist, ist nicht mein Verantwortungsbereich. Weiter machen sich die Leiter der verschiedenen Bereiche und der Regisseur an die Arbeit. Ich bin der Meinung, dass Nariman ein wunderbares Team versammelt hat und ihnen ist alles gut gelungen. Das Casting war sehr gut.
Ich erinnere mich, dass ich während der Filmpremiere in Cannes einfach ganz in dem Film versunken war. Und als der Film zu Ende war, haben viele neben mir geweint. Das bedeutet, dass es ihnen nahe gegangen war und das ist das Wichtigste.
— Wurde das Drehbuch sofort genommen oder sollten Sie noch etwas überarbeiten, ergänzen?
— Alle Überarbeitungen und Ergänzungen fanden schon ohne mich statt und oft war es direkt am Drehort. Sie hatten keine Zeit, um den Prozess zu stoppen und das Drehbuch abzustimmen.
— Was können Sie angehenden Drehbuchautoren empfehlen, die sich gerade an das Schreiben von Filmdrehbüchern machen?
— Man sollte mit Kurzfilmen beginnen und damit auf eigener Erfahrung den Verlauf der Geschichte, die Entwicklung der Helden, Wendepunkte und das Timing zu spüren. Die Geschichte des Kurzfilms sollte bis zu 30 Minuten dauern. Der Kurzfilm ist dazu die beste Weise der Einführung in den Beruf und in die Festival-Bewegung. Aus meiner Erfahrung des Unterrichtens der Drehbuchkunst möchte ich sagen, dass unerfahrene Drehbuchautoren sich oft etwas komplett lebensunfähiges auszudenken beginnen, indem sie Fantasy-Ereignisse aufhäufen. Leuten scheint es oft, dass ihr Leben uninteressant ist und in einem Film mit Intervall von einigen Minuten etwas Außerordentliche geschehen soll. Das ist ein großer Fehler, denn zu Beginn muss man die Realität beherrschen, lernen in die Tiefe von Auseinandersetzungen aus dem Alltagsleben zu schauen. Deshalb empfehle ich, sehr aufmerksam auf sich selbst und seine Umgebung zu hören und zu schauen. Eine der hilfreichen Techniken ist die Sammlung von Informationen mit dem Diktiergerät, Befragung von interessanten Personen, die ihre Aufmerksamkeit geweckt haben. Und danach folgt die Entzifferung des diktierten Materials auf dem Papier. Das erweitert das Spektrum der Helden und lehrt die Handlung mit Umgangssprache vorzubringen, denn jeder Held hat seine linguistische Besonderheiten.
— Stimmen Sie der Meinung zu, dass es in der Ukraine ein Problem mit qualitativen Geschichten für Filme gibt?
— In der Ukraine gibt es in vielen Bereichen der Filmproduktion Probleme, denn diese Industrie fängt gerade damit an auf die Beine zu kommen. Doch die Verkennung der Wichtigkeit eines guten Drehbuchs durch viele Prozessbeteiligte ist eine Tatsache. Das Drehbuch für einen Spielfilm schreibt sich zwischen einem halben und einem ganzen Jahr und manchmal auch länger. Das hängt von vielen Faktoren ab. Dazu begreifen gerade sehr wenige Leute, dass das Schreiben ein langwieriger Prozess ist, der nicht nur die Investition von Zeit, sondern auch von Geld erfordert. Wenn der Drehbuchautor vier Arbeiten gleichzeitig machen muss, wird kein Wunder geschehen.
30. August 2019 // Kateryna Konstantynowa
Quelle: Dserkalo Tyschnja
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