Vergangene Woche geriet die Ukraine erneut ins Zentrum eines internationalen Skandals. Die Delegation des Unterkomitees der UNO zur Verhütung von Folter hat ihren Besuch in der Ukraine unterbrochen, nachdem ihr der Zugang zu Orten verweigert wurde, wo, ihrem Verdacht nach, Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes der Ukraine Festgenommene foltern.
Die Delegation hatte in der Ukraine am 19. Mai zu arbeiten begonnen und der Besuch hätte bis zum 26. Mai gehen sollen, doch wurde er vorzeitig abgebrochen: Das Unterkomitee der UNO informierte über die Unmöglichkeit das Programm in vollem Umfang umzusetzen.
Die UNO-Delegation führte ein Monitoring aller Gefängniseinrichtungen durch, die sie in der Ukraine aufsuchen wollten. Doch außerplanmäßige Überprüfungen der SBU-Verwaltungen in Mariupol und Kramatorsk ließen die Vertreter des Geheimdienstes nicht zu.
„Diese Zutrittsverweigerung ist ein Verstoß gegen die Pflichten der Ukraine … Sie bedeutet, dass wir einige Orte nicht aufsuchen konnten, von denen wir zahlreiche und ernsthafte Vorwürfe hörten, dass Personen festgehalten werden und wo Folter und brutaler Umgang möglich gewesen sein könnten“, erklärte der Delegationsleiter Malcolm Evans.
Das Unterkomitee der UNO zur Verhütung von Folter ist gewöhnlich ein nichtöffentliches Organ, daher erschien seine Presseerklärung wie ein Blitz aus heiterem Himmel.
Hinzu kommt: In der Geschichte kam derartiges nur einmal vor – 2015 in Aserbaidschan.
Am nächsten Morgen wurde das Vorgehen des SBU vom Leiter des Parlamentsausschusses in Menschenrechtsfragen, Hryhorij Nemyrja und der Ombudsfrau Walerija Lutkowska verurteilt.
Warum sie nicht reingelassen wurden: ungeschickte Rechtfertigungen
Als Antwort erklärte der Leiter des Sicherheitsdienstes der Ukraine, Wassyl Hryzak, dass der SBU der UNO-Delegation den Zugang zu den Einrichtungen der Kreisabteilungen des Geheimdienstes in Mariupol und Kramatorsk begründet verweigert hatte, da dort keine Festgenommenen oder Häftlinge festgehalten werden.
„Ich habe persönlich die Dokumente unterzeichnet, mit denen der Besuch von Einrichtungen in denen Personen festgehalten werden, die sich in Haft befinden – Untersuchungsgefängnisse – gestattet wurde. Doch das bedeutet nicht, dass ausländische Beobachter in Gebäude der Unterabteilungen des SBU auf Kreisebene in der Zone der Antiterroroperation gehen können. Wenn Sie beispielsweise in den USA beim CIA oder FBI in den Keller, in Arbeitszimmer gehen wollen, würde man Sie dorthin lassen?!“, fragte der Geheimdienstchef.
In die Keller des CIA und FBI würde die UNO-Delegation gegen Folter tatsächlich nicht gelassen werden, da die USA im Unterschied zur Ukraine, kein Teilnehmer der Antifolterkonvention und auch nicht der Konvention über den Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten ist (in Verbindung damit wird in den Staaten bis heute die Todesstrafe angewandt).
Mit seiner Erklärung demonstrierte Wassyl Hryzak lediglich seine Nichtkenntnis des internationalen Rechts und eben des Fakultativprotokolls der Antifolterkonvention, welches die Ukraine 2006 ratifizierte.
Entsprechend dem Artikel 12 dieses Protokolls verpflichtet sich unser Land dem Unterkomitee ungehinderten Zugang zu Haftanstalten zu geben. Und nicht nur zu Untersuchungsgefängnissen – es geht um „jede Form des Festhaltens oder der Inhaftierung oder die Unterbringung einer Person in einer öffentlichen oder privaten Gewahrsamseinrichtung, die diese Person nicht nach Belieben verlassen darf.“
Übrigens sind die Besuche des Unterkomitees der UNO geheim, Informationen über ihre Ergebnisse werden nicht ohne Erlaubnis der Regierung verbreitet. Jedoch haben die Handlungen des SBU in die ganze Welt den Verdacht der Folter gesandt, die in der Ukraine bei Festgenommenen angewandt wird.
„Die Pflichten der Staaten gegenüber dem Unterkomitee zur Verhütung von Folter sind absolut. Erstens, da das Verbot der Anwendung von Folter absolut ist und zweitens, weil das Unterkomitee zur Verhütung von Folter ein absolutes Recht hat, zu jeder Zeit jeden Ort der Unfreiheit aufzusuchen, wie es möchtet“, kommentiert der Leiter der Advocacy of the Human Rights House Foundation, Florian Irminger.
Die Stellvertreterin des Justizministers der Ukraine, Natalija Sewostjanowa, versuchte eine andere Rechtfertigung zu finden, indem sie sagte, dass der SBU die Mission des Unterkomitees der UNO aufgrund der Anwesenheit eines Russen in ihrem Bestand nicht in seine Gebäude in Mariupol und Kramatorsk ließ.
Hier hielt es die Chefin der Fraktion der Grünen im Europäischen Parlament, Rebecca Harms, nicht mehr aus, die am nächsten Tag einen Brief an die ukrainische Regierung schrieb.
„Eine derartige Rechtfertigung für die Handlungen des SBU ist für mich unverständlich und diskreditiert das Unterkomitee, da gemäß den offiziellen Dokumenten keines der Mitglieder der Delegation die russische Staatsbürgerschaft besaß“, schrieb sie.
Davon kann man sich einfach überzeugen, indem man die Seite des Obersten Kommissars der UNO für Menschenrechte aufsucht, auf der die Zusammensetzung der Delegation angegeben ist: Malcom Evans (Großbritannien), Mari Amos (Estland), June Caridad Pagaduan Lopez (Phillipinen) und Wiktor Sacharija (Moldau).
„Der Abbruch des Besuchs der UNO-Delegation zeugt davon, dass die Ukraine nicht mit der internationalen Gemeinschaft in Fragen der Menschenrechte zusammenarbeiten möchte“, sagte Florian Irminger.
„Von den Zeiten des Euromaidans, der Annexion der Krim und dem Konflikt im Osten her hätte man eine vollständige Zusammenarbeit der Regierung mit internationalen Menschenrechtsmechanismen erwarten können, um ein Land zu errichten, dass die universalen Werte der Menschenrechte achtet“, betonte der Menschenrechtler.
Ein Problem, vor dem man die Augen verschließt
Neben dem Rufschaden in der internationalen Arena, brachte der Skandal ein Problem in den Vordergrund, vor dem man in der Ukraine bereits zwei Jahre lang die Augen verschließt: Die Existenz illegaler Orte des Freiheitsentzugs, die vom SBU kontrolliert werden.
„Wir haben etwa 600 Leute gezeigt, die vom SBU festgenommen wurden, deren Strafsachen sich im Stadium der vorgerichtlichen Untersuchung befinden oder die auf die Verhandlung warten. Zur gleichen Zeit wurden vonseiten der „D/LNR“ lediglich der Besuch zu vier Menschen zugelassen. Hier haben Sie Ihre Statistik. Wir haben in diesem Bereich gegen nichts verstoßen“, erklärte Wassyl Hryzak, dabei hinzufügend: „Bei uns wird niemand in den Kreisunterabteilungen des SBU festgehalten. Dort arbeiten hingegen operative Spezialmitarbeiter. Dort stehen Geheimhaltungsgerätschaften, befinden sich Waffen und Dokumente.“
Gleichzeitig gibt es Anlass am Wahrheitsgehalt der Erklärung Hryzaks zu zweifeln.
Über die Existenz von diesen Orten hat die Monitoringmission der UNO zu Menschenrechten, die seit März 2014 in der Ukraine arbeitet, mehrfach berichtet. Diese Orte bleiben für den Nationalen Präventionsmechanismus und internationale Organisationen unzugänglich.
Die Leiterin der Monitoring-Mission der UNO für Menschenrechten in der Ukraine, Fiona Frazer, erklärte, dass es inoffizielle Orte des Freiheitsentzugs in Charkiw, Saporischschja, Mariupol und Kramatorsk gibt.
Bei der UNO bezeichnet man die Anzeigen als glaubwürdig, die von Folteropfern und ihren Verwandten kommen.
Dort ist man überzeugt davon, dass in der Ukraine die Praxis des Entzugs jeglicher Kontakte zur Familie und der Zugangsverweigerung für Anwälte durch Mitarbeiter des SBU weit verbreitet ist.
So zeugt die Information der Verwaltung des UNO-Menschenrechtskommissars davon, dass zum Stand Februar 2016 im Gebäude der Gebietsverwaltung des SBU in Charkiw ungesetzlich und ohne Verbindung zur Außenwelt zwischen 20 und 30 Personen festgehalten werden.
Die Mehrzahl von ihnen wurde nicht angeklagt und nicht gesetzeskonform verhaftet, ungeachtet dessen, dass sie angeblich wegen Verbindungen zu bewaffneten Gruppen festgenommen wurden.
„Diese Festgenommenen verbleiben in diesen Bedingungen solange, wie sie nicht den bewaffneten Gruppen im Rahmen gleichzeitiger Freilassung (Austausch) von Festgenommenen übergeben werden“, heißt es im Bericht des Hohen Kommissariats für Menschenrechte.
Der Charkiwer Anwalt Olexander Schadrin berichtet über Beispiele seiner Klienten, die er vor Gericht verteidigte. So wurde Ihnat Kromskyj (auch als Topas bekannter Maidangegner aus Charkiw, der sich sowohl durch besondere Dummheit als auch Brutalität auszeichnete, A.d.Ü.) im Verlaufe von 95 Tagen, beginnend vom 12. März 2014 im Untersuchungsgefängnis des SBU im Gebiet Charkiw festgehalten, das offiziell nicht existiert. Eine andere Mandantin – Julia Kolesnikowa – verbrachte dort 38 Tage. „In dieser Zeit verlor sie 20 Kilogramm und alterte um zehn Jahre“, sagte ihr Anwalt.
Im UNO-Bericht wird das Beispiel einer 74-jährigen Frau angebracht, die am 8. Dezember im vorigen Jahr in Schtschurow im Donezker Gebiet festgenommen wurde, als sie ihren Sohn suchte. Die Frau wurde im SBU-Gebäude in Mariupol festgehalten, des Terrorismus beschuldigt und geschlagen. Die Monitoring-Mission der UNO suchte sie im Mariupoler Untersuchungsgefängnis am 24./25. Dezember vergangenen Jahres auf.
Nachdem das Hohe UN-Kommissariat für Menschenrechte über diesen Fall der Militärstaatsanwaltschaft berichtete, wurden strafrechtliche Ermittlungen aufgrund von Fakten brutaler Behandlung eingeleitet.
Außerdem dokumentierte die UNO-Mission einen Fall mit drei Frauen, die im Mai 2015 in einer Stadt im Gebiet Donezk festgenommen wurden, die von der Ukraine kontrolliert wird. Unter ihnen war die Frau eines Kommandeurs der gesetzwidrigen Formationen und ihre Tochter. Dem Bericht zufolge wurde die Tochter stark gefoltert und beiden wurde mit sexueller Gewalt gedroht.
In einem anderen Fall, der von der UNO-Mission dokumentiert wurde, wurde ein Odessit, ein Anhänger der Föderalisierung der Ukraine, im SBU-Gebäude des Odessaer Gebiet gefoltert, und dazu gezwungen zu gestehen, dabei wurde er mit einer Plastiktüte auf dem Kopf gewürgt und geschlagen. Danach, wie das Opfer berichtete, führten die SBU-Mitarbeiter ihn auf den Flur und zeigten seinen Sohn. Der Sohn wurde in ein anderes Zimmer gebracht und der Vater „hörte herzzerreißende Schreie.“
Ein ehemaliges Mitglied der gesetzwidrigen bewaffneten Formationen informierte im Dezember 2015 über Fakten brutalen Umgangs mit ihm (wahrscheinlich vonseiten des SBU) im September 2014 in Slowjansk. Er wurde im Keller der lokalen Berufsschule festgehalten und regelmäßig geschlagen. Später wurde er nach Isjum überführt, wo er in einem Keller gemeinsam mit zwölf anderen Festgenommenen saß.
Der Mann erklärte, dass er dort zum Zeugen einer außergerichtlichen Hinrichtung wurde.
Am 26. Januar dieses Jahres wurden drei Männer für Terrorismus auf der Grundlage von Geständnissen verurteilt, die sie nach Folter im Saporischschjaer SBU-Gebäude unterschrieben hatten. Beim SBU wurden die Angaben über Folter unbeachtet gelassen, obgleich Aussagen, die unter Folter erhalten wurden, nicht als Beweise in Gerichtsprozessen genutzt werden können.
Straflosigkeit als Regel
Bei der UNO spricht man vom Nichtwunsch der Regierung, Erklärungen über Folteranwendung zu untersuchen. Das besonders in den Fällen, wenn die Folteropfer Menschen sind, die aus Anlässen festgenommen wurden, die mit der nationalen Sicherheit in Verbindung stehen oder die als Separatisten gelten.
„Folter kann man lediglich unter der Bedingung vermeiden, wenn die Festgenommenen unverzüglich vor ein Gericht kommen“, heißt es im Bericht des Hohen Kommissariats für Menschenrechte. In der Praxis finden Verzögerungen statt, was oft zum Verlust von entscheidenden Beweisen darüber führt, dass Folter stattfand.
„Leider gibt es heute für die Bekämpfung von Folter und gesetzeswidrigen Festnahmen keinen politischen Willen“, sagt Olexander Schadrin. „Und wenn für Europa bereit ein paar Stunden gesetzeswidriger Festnahme eine ernsthafte Bedrohung der Menschenrechte darstellt, so beträgt dieser Zeitraum in der Ukraine für einige Personen über anderthalb Jahre!“
Es gibt eine große Wahrscheinlichkeit dafür, dass unser Staat dafür in der nahen Zukunft bereits vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zahlen muss. Beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ist bereits einer dieser Straffälle eingegangen – „Marezkyj und andere gegen die Ukraine“.
Wie aus dieser Sackgasse herauskommen?
Das Unterkomitee der UNO zur Verhütung von Folter nicht zulassend, hat die Ukraine vor der gesamten Welt zugegeben, dass sie ihren internationalen Pflichten nicht nachkommt und etwas zu verbergen hat. Jetzt ist der einzige Ausweg die UNO-Delegation darum zu bitten in die Ukraine zurückzukommen und ihnen noch einmal alles zu zeigen, was sie sehen möchten. Und ebenfalls zu erklären, was der Grund für die Nichtzulassung war – die Inkompetenz der SBU-Führung, welche die internationalen Pflichten der Ukraine nicht kannte. Solange wie Wassyl Hryzka seinen Fehler nicht zugibt.
Man möchte hoffen, dass sich die Situation schlussendlich ändert. Dass Folter und Haft in ungesetzlichen Orten des Freiheitsentzugs beim SBU letztendlich aufhören – denn es gibt gesetzliche Wege, es gibt Mechanismen der Festnahme und des Arrests. Wir wollen glauben, dass es eine effektive Untersuchung der Vorfälle gibt, die es gab. Dass es auf gesellschaftlicher Ebene ein Bewusstsein dafür gibt, dass man niemanden foltern darf – nicht einmal „Terroristen“ und „Separatisten“.
Andernfalls, worin unterscheiden wir uns dann von der „DNR“?
3. Juni 2016 // Tetjana Petschontschyk, Zentrum für Informationen über Menschenrechte
Quelle: Jewropejska Prawda
Zum Thema der aktuelle 14. Menschenrechtsbericht der UNO für die Ukraine.
Den ersten Kommentar im Forum schreiben