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Krieg spielen in der Ukraine

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Russlands offene Drohung in die Ukraine einzumarschieren, aller Welt durch die Stationierung von über 100.000 Truppen nahe der ukrainischen Grenze vor Augen geführt, zeitigt zivile Folgen.

Bereits seit der Krim-Annexion hat Russland in der Ukraine etwas erreicht, das bis dahin kaum ausgeprägt war: Ein Nationalgefühl. Eine (überwiegend) geeinte Nation.

Urbane Kriegsführung als Freizeittraining für den Normalbürger

In westlichen Medien wird zurzeit häufiger von Bürgern berichtet, die in der Ukraine freiwillig an „Trainings“ zur Verteidigung des Landes teilnehmen. Dies unter dem Deckmantel: Vorbereitung des Landes auf den Krieg.

Diese Bilder wirken oft befremdlich, gar verstörend. Bürger mit Waffenattrappen aus Holz, Tarnkleidung wie aus der Requisite eines Filmstudios, ungelenke Bewegungsabläufe wie bei der ersten Tanzstunde.

Die Teilnehmer sind eine seltsame Mischung aus „besorgten“ Bürgern und zweifelhaften Gruppierungen, die sich als Patrioten beweisen wollen, und gemeinsam Krieg spielen. Darunter extrem-nationalistische und rechte Zeitgenossen. Es sind solche Gestalten, die die Ukraine nun gar nicht in der Auseinandersetzung mit Russland benötigt. Dieser Fehler wurde bereits 2014 begangen.

Eine Menge naiver Bürger, die denken, sie könnten nach ein paar Stunden Kriegstraining unter Anweisung einiger selbsternannter Spezialisten an der Waffe Aufgaben übernehmen, für die Soldaten eigentlich eine jahrelange Ausübung benötigen. Nicht mal eine militärische Grundbefähigung ist in solchen Feierabendkursen vermittelbar. Schon gar nicht, wenn waffentragende Hinzes und Kunzes Trainings leiten, statt echte Ausbilder mit den nötigen Fachkenntnissen. Einige Ausbilder geben sich als Veteranen aus. Weder wird deren Befähigung zum Ausbilder hinterfragt noch deren psychische Verfassung, auch nicht deren ideologischer Hintergrund, der mit „nationalistisch“ euphemistisch wiedergegeben wäre.

Wenn in militärischen Dingen völlig unerfahrene Bürger sich freiwillig als Kanonenfutter hergeben, sollte man an deren geistigen Zurechnungsfähigkeit zweifeln und sich hüten, ihnen jemals eine echte Waffe in die Hand zu geben. Sie wären bloß eine Gefahr für sich selbst und die Berufssoldaten, die notfalls an ihrer Seite kämpfen müssten.

Eine psychologische Betreuung solcher Möchtegern-Helden findet ehedem nicht statt. Diese wird ersetzt durch Gehirnwäsche. Es wird ihnen eingeredet, sie wären fähig, im Notfall für die Ukraine zu kämpfen. Ob bei diesen Übungen auch der „heldenhafte“ Tod thematisiert wird?

Querdenken auf Ukrainisch

Es passt leider zur Mentalität vieler in der Ukraine, wo jeder, der mal einen Ziegelstein in der Hand hielt, ein Maurer ist; jede Person, die mal eine Schere in der Hand hielt, ein Frisör oder eine Frisörin; jeder, der ein Fremdsprachendiplom in Händen hält, diese aber nicht beherrscht, ein Übersetzer oder eine Übersetzerin ist; jeder, der mal eine Lampe an der Decke befestigt hat, ein Elektriker.

Die Selbstüberschätzung vieler Menschen, die sich selbst teils als Genies sehen und sich ähnlich gebärden, ist grenzenlos. Und so werden auch einige, die sich nun im Geiste als Retter der Ukraine an der Front, die auch der eigene Wohnbezirk sein kann, wähnen, ihren Irrtum erst erkennen, wenn ihnen die ersten Kugeln des Gegners um die Ohren fliegen werden. Man hofft nicht bloß für solche an der Front verirrten und verwirrten Bürger, dass dieser Ernstfall nicht eintreten wird.

Aber es hebt das patriotische Gemeinschaftsgefühl … und vermindert die Sicht auf die Realitäten.

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Es fällt scheinbar vielen nicht auf, dass sie Seite an Seite mit ASOW-Leuten, mit Menschen, denen eine Nazi-Ideologie nachgesagt wird, mit Rassisten und anderen geistig deformierten Gesellen Krieg üben. Querdenken auf Ukrainisch.

Die Folge wird sein: Viele Normalbürger, die nach einem eventuellen Kriegseinsatz im Überlebensfalle zwar noch Bürger sein werden, aber ob dann noch normal, ist fraglich. Heute schon hat die Ukraine ein Problem mit sogenannten Veteranen, die psychische Wracks sind, unberechenbar und häufig bewaffnet.

Offiziellen Angaben zufolge besitzen 1,3 Millionen Ukrainer einen Waffenschein. Inoffiziell dürfte es ein Vielfaches sein. In der Ukraine an eine Waffe zu gelangen, scheint eine einfache Übung. Viele Waffen sind während der kriegerischen Handlungen im Osten des Landes in „private“ Hände gelangt. Bürger rüsten auf. Einige dieser aufrüstenden Bürger gehören zweifelsohne zu den freiwilligen „Kursteilnehmern“ der Verteidigungsübungen. Sie sind somit potenzielle Zeitbomben in Friedenszeiten.

Fehler im System

Warum melden sich viele ukrainische Bürger zu Trainings an der Waffe? Es gibt sicher verschiedene Gründe. Die meisten jedoch treibt wohl die Angst auf die Zukunft in einer russischen Diktatur leben zu müssen um. Diese Befürchtung ist nicht von der Hand zu weisen, unterfüttert Putin doch selbst immer wieder seinen Wunsch, die Ukraine in seinen Herrschaftsraum einzubeziehen. Er sieht die Ukraine als natürlicher Teil Russlands. Und er erkennt die Ukraine nicht als unabhängigen Staat an. Die von ihm annektierte Krim bezeichnet er als „russischen Tempelberg“.

Seine Vorstellung einer „Russki mir“ (Russischen Welt), wo alle Russen und russischsprachige Menschen automatisch Teil Russlands seien, ist gefährlich. Effektiv gibt es in der Ukraine viele Menschen, deren Muttersprache Russisch ist, auch wenn die ukrainische Sprache seit einigen Jahren bei der Bevölkerung auf dem Vormarsch ist. Russische Bürger in der Ukraine gibt es immer mehr, vor allem in den sogenannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk, in denen Putin eine Russifizierung forciert, indem er dort bereits über 600.000 russische Pässe verteilt hat. Dies zur Vorbereitung eines offiziellen Angriffes auf diese Gebiete, um russische Bürger vor der Ukraine zu schützen. Perfide und gefährlich.

All das ist den Ukrainern wohl bekannt. Und greifen deshalb zur Waffe, um sich, wenn nötig, gegen Russland zur Wehr zu setzen. Dies im Wissen, dass aus der westlichen Welt kaum aktive Hilfe zu erwarten sei.

Würden die EU und die Nato der Ukraine militärische Hilfe im Falle eines Angriffes Russlands auf die Ukraine zusichern, würden viele Bürger sich nicht bemüßigt sehen, den Umgang mit Waffen in zweifelhaften Trainings zu erlernen.

Gerade Deutschland fährt diesbezüglich eine eigenwillige Politik. Man könnte auch sagen: Suizidäre Politik. Als Teil der EU handelt Deutschland grob fahrlässig, wenn es der Ukraine gar Waffenlieferungen zur Selbstverteidigung abschlägt. Die Naivität einiger deutscher Politiker kann fatale Folgen nach sich ziehen. In den meisten EU-Ländern wurde erkannt, dass Putin an einer Destabilisierung der EU arbeitet, mit verschiedenen Mitteln. Sollte die Ukraine als Anrainerstaat der EU unter russische Herrschaft fallen, wäre Polen zwar noch nicht verloren (um die polnische Nationalhymne zu bemühen), aber ein Angriff Russlands auf das Nato-Mitglied Polen würde einen Bündnisfall auslösen. Nicht umsonst warnt Polen dieser Tage vor einer hohen Kriegsgefahr.

Wie viel die russischen Beteuerungen, man würde keinen Krieg gegen die Ukraine planen, wert sind, kann man sich ausrechnen. Russland führt bereits Krieg in der Ukraine. Die maßgeblichen Personen in Luhansk und Donezk sind russische Bürger, ehemalige KGBler und russische Armeeangehörige. Auch auf der Krim war Russland offiziell nicht involviert. Es waren die kleinen grünen Männchen. Heute weiß man, dass es Wagner-Söldner waren, die die Annexion vorbereiteten. Mittlerweile sind einige Wagner-Söldner aus Afrika an die ukrainische Grenze abberufen worden. In der Ostukraine sind ebenfalls Wagner-Söldner zugange.

Der Westen, vor allem Deutschland, täte gut daran, die Gefahren für das eigene Land und die EU eines weiteren russischen Angriffes auf die Ukraine ernst zu nehmen. Und entsprechend zu agieren. Deutschland übt sich derweil in unterlassener Hilfeleistung. Waffenlieferungen an die Ukraine zur Selbstverteidigung und Schulung von ukrainischen Soldaten würde weniger Ukrainer dazu verleiten, sich auf eine selbstmörderische Handlung an welcher Front auch immer einzulassen.

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Hilfe zur Selbsthilfe ist kein Öl ins Feuer gießen, keine Eskalation. Es wäre in diesem Falle Selbstschutz auch für Deutschland und die EU.

Und es würde das Leben ukrainischer Bürger schützen, die in ihrer verzweifelten bis naiven Gedankenwelt sich freiwillig für den Kriegsdienst bereit stellen, statt militärische Aufgaben den Profis, also den Berufssoldaten und der Armee, zu überlassen.

Autor:    — Wörter: 1220

Dr. jur. Daniel M. Porcedda, Jahrgang 1959, luxemburgischer Staatsangehöriger, lebt seit 1998 in Kiew und arbeitete dort viele Jahre als Unternehmensberater und vertrat u.a. eine Schweizer Anwaltskanzlei in der Ukraine. Er hat sowohl die Orange Revolution 2004 als auch die Revolution der Würde 2013/2014 auf dem Maidan direkt miterlebt und für diverse Medien in Luxemburg und Deutschland berichtet. Er war ebenfalls als Interviewpartner in luxemburgischen Printmedien, Radio und TV präsent. Darüberhinaus stand er staatlichen Stellen und Parlamentariern als Informationsgeber über die Vorgänge des Maidans zur Verfügung.

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