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Kultur will essen

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Pathetik mag ich nicht, daher möchte ich den Skandal, der sich in den Netzwerken bezüglich des „Auf Nullsetzens“ der Ausgaben für die Kultur erhebt, auf eine andere Ebene heben.[Aufgrund des wirtschaftlichen Einbruchs, der bereits vor der Coronavirus-Krise einsetzte, will die Regierung massiv Haushaltsausgaben kürzen. A.d.R.]

Bei uns vertraut nicht nur unsere Gesellschaft nicht unserer von uns selbst gewählten Regierung, bei uns vertraut auch die Regierung sich selbst nicht. Dies spricht für eine chronische institutionelle Krise, wo ein alleiniger „Führer“ die Ausrichtung der staatlichen Entwicklung bestimmt, sei das der Präsident, der Leiter des Innenministeriums oder der Finanzminister. Außerdem spricht das über Entwertung der Begriffe „Vertrauen“, „Zusammenarbeit“ und „Professionalität“.

Besonders erbärmlich sieht es aus, wenn die Leiter einiger Bereiche (und ich meine nicht das Finanzministerium!) beginnen, in den Ausgaben anderer Zweige „herumzuwühlen“, ihnen eine Bewertung zu geben, sie zu bestrafen und zu streicheln.

Was das Finanzministerium während der Haushaltssperre NICHT vorschlagen kann: die Anteile bei der Parteifinanzierung zu reduzieren; nicht alles der kommunalen Selbstverwaltung auf die Schultern zu legen, und dabei die lokalen Steuern faktisch abzuschaffen und sich dabei daran zu erinnern, dass es zum Erhalt der Gemeinden unter anderem Bibliothekare, Kunstschullehrer, Mitarbeiter von Theatern, Museen und Philharmonien gibt; zu meinen, dass es die lokale Selbstverwaltung ist, die sich jetzt jede für sich auf die Herausforderungen der Pandemie und der Wirtschaftskrise vorbereitet; die finanziellen Verpflichtungen zu berücksichtigen, die viele Institutionen bereits eingegangen sind. Dies können die Finanzbeamten nicht. Was aber können sie? Praktisch alles beschneiden!

Was sollte das Finanzministerium als „gesunde Person“ tun? Sich an das Ministerium für Kultur, Jugend und Sport (oder Ministerium für Kultur und Informatik und das Ministerium für Jugend und Sport oder wie es auch immer heißen mag, wenn es denn existiert) und an das Außenministerium wenden und die Kollegen bitten, ihre Ausgabenbudgets selbst zu überprüfen. Die Professionalität, Verantwortung und der gesunde Menschenverstand aller Teilnehmer am Prozess sollten als Standard angesehen werden, da hier Vertrauen, Zusammenarbeit und Professionalität auf dem Spiel stehen. Ich bin absolut davon überzeugt, dass die Führung des Ministeriums, des Ukrainischen Kulturfonds, des Ukrainischen Buch-Instituts und des Ukrainischen Instituts sich der Herausforderungen bewusst ist und rational eine Umverteilung vorschlagen kann. Aber nein! Es wird einfach alles dumm unters Messer gelegt! Lasst nur Löhne und Nebenkosten! Diese Institutionen waren jedoch nicht darauf ausgelegt, ihre Mitarbeiter zu rekrutieren, nicht um es in der Liste abzuhaken, sondern um ganze Branchen und Bereiche zu unterstützen, die seit der Sowjetunion stagniert haben.

Der Ukrainische Kulturfonds schafft kein Kulturprodukt, sondern der Ukrainische Kulturfonds hat Projekte ausgewählt, hat diejenigen identifiziert, die in der gesamten Ukraine umgesetzt werden, da „Projekte“ keine Trugbilder sind, sondern lebende Menschen, die an ihrer Umsetzung beteiligt sind. Das sind ihre Honorare, Steuern, die sie zahlen; es sind beteiligte Partner. Durch seine Projekte unterstützt das Ukrainische Buch-Institut Verlage, Bibliotheksmitarbeiter, Übersetzer, Schriftsteller und andere Kreativindustrien. Es ist schwer zu überschätzen, wie wichtig ein starker und hochprofessioneller Start des Ukrainischen Instituts für das Image des Landes ist. All diese Institutionen katalysieren nicht nur das Segment der kreativen und verwandten Berufe, schaffen die Voraussetzungen für die institutionelle Kapazität einer relativ geschwächten kulturellen Sphäre, sondern bieten auch die elementare Möglichkeit für Tausende oder Zehntausende Menschen in der Ukraine zu verdienen und Mehrwert zu schaffen (über „Sinn“ und „Werte“ hat man nicht nur geschrieben).

In der Kreativwirtschaft und in Kulturinstitutionen gibt es Menschen, die auch essen, für Wohnraum bezahlen, ärztlich behandelt werden wollen, und sie sollten auch Schlussfolgerungen ziehen. Wo sind Eure „Künstlergewerkschaften“ jetzt? Wo sind Eure verkauften und weiterverkauften Gewerkschaften? Wo ist die Unterstützung der „breiten Schichten der Werktätigen“? Wo ist die Antwort auf diese uralte Frage, die ich immer stelle: „Wer wird weinen, wenn man Euch ‚schließt‘? Wo ist das Verständnis dieser „breiten Schichten“, dass ihr Nachbar in einem Kino für die Masse beschäftigt ist, einen animierten Film mit Ton versieht oder Requisiten, Ton, Licht baut, Kleidung für eine Show entwirft, auf einem Gerüst steht, ein Schloss restauriert oder in einer Druckerei arbeitet?“

Dies ist das Ergebnis der Tatsache, dass wir kein Netzwerk von Beteiligten aufgebaut haben, das Ergebnis von „Mauschelei“ und „Elitarismus“, die andere Seite der Medaille des „der Eigene zum Eigenen wegen des Eigenen“. Und das hätte man schon gestern ändern müssen.

Die europäischen Regierungen schaffen Fonds, um selbstständigen Künstlern, Unternehmern aus dem Bereich des Kreativen und Kulturinstitutionen zu helfen, und wir freuen uns, darüber zu lesen. Es gibt jedoch ein „aber“: wie viele Freiberufler sind bei uns offiziell registriert? Wie könnte man zumindest versuchen, ihnen offiziell zu helfen, wenn gerade dafür niemand sie „rechtskräftig einträgt“, absolut kein „Staat“? Wie vielen Modedesignern, Keramik- und Glaskünstlern, Stickern, Sängern, Übersetzern oder Schriftstellern könnt Ihr mit offizieller Rechnung zahlen, wovon sie Steuern zahlen? Dies ist auch eine Herausforderung, die gemeinsam beantwortet und nicht in alle Ewigkeit dieser oder jener Regierung zugeschrieben werden muss, weil die Politiker wechseln, aber die Politik muss mitziehend, klar für alle und egalitär sein.

Ich hoffe, dies ist eine Zeit, in der alle Vertreter des kulturellen Bereichs – sowohl die der Massen- als auch der Hochkultur – eines noch verstehen werden: demonstrative Loyalität gegenüber den Behörden, diese Liebäugelei, von staatlichen (oder persönlichen) Kosten getragene Festivals zwecks Lobbyarbeit, Konzerte gegen Cash bei allen Wahlen, Bittstellereien, Waschen von niedrigen Budgetgeldern durch „Berufsverbände“ oder Töpfchen für sinnlose Humorauftritte, sogar der kostenlose Handel mit dem Gesicht, das alles ist einer der Gründe für die Haltung der „Behörden“ heute gegenüber der gesamten Sphäre. Ihr macht aus der Kultur eine Nomenklatur und Konjunktur wie den Parteiapparat. Die Weltstars zeigen auch ihre politische und bürgerliche Haltung, sprechen frei, zeigen Zuneigung zu bestimmten Parteien oder Politikern, aber es ist unmöglich sich vorzustellen, dass sie bei „privaten Tanzveranstaltungen“ von Politikern auftreten und dafür Honorar annehmen, weil das zumindest demütigend ist.

Ich stimme der Auffassung zu, dass das Ausmaß der Krise es ermöglicht, die administrative Vertikale zu stärken, die Macht zu zentralisieren, ganze Gebiete Oligarchen zur Ausbeutung auszuliefern, damit faktisch eine parallele Administration einzuführen und die Demokratie einzuschränken.

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Ich hoffe, dass dieser „Stress“ die Kultur nur erfrischt und intensiviert. Ich glaube, dass diejenigen, die überleben, die Kettenhunde dieser unglücklichen Demokratie werden. Kultur sollte die Gesellschaft zum Nachdenken anregen und die Regierung sich vorknüpfen, aber nicht betteln und umgarnen. Allein dafür ist es notwendig, sich selbst zu reinigen. Und essen will jeder. Jawohl.

26. März 2020 // Iryna Podoljak, Ex-Stellvertreterin des Ministers für Kultur, Jugend und Sport

Quelle: Lewyj Bereg

Übersetzer:    — Wörter: 1056

Christian Weise trägt seit 2014 übersetzend und gelegentlich schreibend bei zu den Ukraine-Nachrichten. Im Oktober 2020 erschienen von ihm zwei literarische Übersetzungen: Vasyl’ Machno, Das Haus in Baiting Hollow. Leipziger Literaturverlag und Yuriy Tarnawsky, Warme arktische Nächte. Ibidem, Stuttgart. Im Januar 2020 bereits erschien seine Übersetzung des Bandes Verfolgt für die Wahrheit. Ukrainische griechisch-katholische Gläubige hinter dem Eisernen Vorhang. Ukrainische katholische Universität, Lwiw.

Mit ukrainischen Themen ist er seit 1994 vertraut, als er erstmals Kiew und Lemberg besuchte und sich zunächst mit kirchengeschichtlichen Fragen beschäftigte. Wenn nicht Pandemien hindern, bereist er etwa fünfmal im Jahr die Ukraine.

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