Von der Redaktion von LB.ua: der Autor dieses Artikels lebt in Sewastopol, deshalb kann er aus Sicherheitsgründen einige der in der Ukraine gängigen Begriffe nicht verwenden.
Man sagt, in China gibt es einen Fluch: „In einer Epoche der Umbrüche sollst du leben!“ Die Umbrüche auf der Krim und in Sewastopol begangen im Mai 2014 und ziehen sich bis heute. Zuerst änderten die Veränderer die Flagge und das Geld, darauf die Nummern der Mobiltelefone, und machten sie sich an die gewöhnlichen Bürger, für die die revolutionären Veränderungen unerwartet kamen.
Auf der Krim begann eine vollständige Neu-Registrierung von allem und jedem nach russischen Gesetzen und Normen. Um-registrieren musste man Autos, Häuser, Grundstücke, Eigentumsrechte, Dokumente für kommerzielle Strukturen, persönliche Konten, Veteranen-Dokumente, die Geburtsurkunden der kleinen Kinder usw. Zur gleichen Zeit wurden alle Arten von Neuregistrierung von langen Warteschlangen und Ärger begleitet.
Plätze in den Warteschlangen der Staatlichen Autoinspektion (Staatliche Verkehrssicherheitsinspektion) wurden um ein Uhr nachts gesichert, obwohl es keine Garantie dafür gab, dass sich die Dinge weiterentwickeln würden. Die Warteschlangen in den Sozialdiensten waren mehrstündig und mehrstufig: eine Person stellte sich in die Warteschlange und verweilte so mehrere Stunden, wurde vom Beamten in Empfang genommen, hörte sich diesen an und ging wieder, um den Anweisungen zu folgen und die Bemerkungen beseitigen, und das so lange, bis man vollends umgemeldet war.
Dann beeinflusste der chinesische Fluch das Geschäft und das Eigentum dessen. Viele erfolgreiche Unternehmer spürten den Atem der russischen Staatsbediensteten, den der Gerichte und den der Machtstrukturen, die begannen, bereits lange etablierte Geschäfte wegzunehmen oder zu verbieten. Auf Befehl von russischen Staatsbediensteten begannen Banditen in Anzügen der „Selbstverteidigung“ und Kosaken die großen und mittleren Unternehmen zu kapern, um diese dann schließlich eben diesen Staatsangestellten zu überreichen. Diesen Prozess nannte man manchmal „Nationalisierung“, obwohl er eklatant das relevante russische Gesetz verletzte. Allerdings ist dies in Russland eine normale Erscheinung.
Der Kampf mit den Unternehmern stellte sich als langwierig und langfristig heraus. Viele lokale Unternehmer wurden unterdrückt, ihr Geschäft wurde geschlossen, sie wurden durch Geschäfte vom russischen Festland ersetzt, zu denen lokale, genauer gesagt ausländische Staatsbedienstete, ein „grünes Licht“ in einem so heiklen Thema wie der Aneignung von Haushaltsgeldern gaben.
Zeitgleich setzte sich die sogenannte „Verwaltungsrevolution“ auf der Halbinsel fort, infolge derer Hunderte, wenn nicht gar Tausende Manager verschiedener Ebenen begannen, ihre Posten zu verlieren: Direktoren der Hausverwaltungen, kommunaler Einrichtungen, Schulen, Polikliniken und andere Organisationen. An ihre Stelle kamen blöde Administratoren vom russischen Festland, oft korrupte Staatsangestellte mit langer Arbeitserfahrung beim Verstoß gegen russische Gesetze.
Im Jahre 2014 begann auf der Krim und in Sewastopol der Hauptprozess der Lohnkürzungen in Haushaltsorganisationen. Dies wurde durch einen Rückgang der Ölpreise auf den Weltmärkten verursacht, durch Geldmangel in der russischen Haushaltskasse und in gewissem Maße auch durch die internationalen Sanktionen. Gehälter und sonstige Ausgaben in vom Haushalt abhängigen Organisationen sind bereits seit zwei Jahren rückläufig, da die Haushaltsmittel zurückgegangen sind, und zur gleichen Zeit geben Staatsangestellte verschiedener Ebenen mit energischen Stimmen den Untergebenen Forderungen: „Erhöht die Durchschnittslöhne!“ Wie man das machen soll, weiß niemand, aber solch kräftige Forderungen hört man ständig. Und auf dem Papier „steigen“ die Gehälter bei allen in Sewastopol demonstrativ.
Die Verwaltungsrevolution betrifft nicht nur die Direktoren der Hausverwaltungen. Alexej Tschalyj, der Held der russischen „Revolution“, erhielt und verlor seinen Posten, der von einer Gruppe gekaufter Bürger zum sogenannten „Bürgermeister von Sewastopol„gemacht wurde. Auch wenn Tschalyj aus dem Amt des Bürgermeisters der Stadt entlassen wurde, angeblich dies persönlich akzeptierend, so musste der zweite Revolutionär, der Führer des „Russischen Blocks“ Gennadij Bassow, plötzlich hinter Gitter – angeblich wegen Korruption.
Sie kamen nach Sewastopol geflogen und buchteten eine Vielzahl von hoch- und mittelrangigen Staatsangestellten aufgrund von verschiedenen Artikeln und Vorwänden ein. Jemand wegen Korruption, ein anderer dafür, weil er Verfahren scheitern ließ. Es gibt kein Vertrauen in die örtlichen Kader im Kreml, da sie „unter der Ukraine lebten“. Diese inoffizielle Anschuldigung ist ähnlich dem Punkt in den sowjetischen Personalfragebögen, in denen es die Frage gab: „Haben Sie in (von den Deutschen) besetzten Gebieten gelebt?“ So wie jene, die unter den Deutschen lebten, wurden auch diejenigen, die unter der Ukraine lebten, als perspektivlos abgestempelt. Einer der verdienten pro-russischen Politiker von Sewastopol, Jewgenij Dubowik, saß für eine Weile im Sessel des Vizebürgermeisters der Stadt (oder wie man hier sagen würde „Gouverneur“), trat unerwartet zurück und nahm den unauffälligen Posten des Führers des Stadtzweiges einer unbeliebten Partei in der Stadt „Gerechtes Russland“. Im Grunde ist das besser, als unter den Fittichen der Gerechtigkeit zu sein, wie sein ehemaliger Kollege Bassow.
Aber genug von Revolutionen und korrupten Staatsangestellten. Kehren wir zu den gewöhnlichen Bewohnern der Halbinsel zurück, die heute die Rubel zählen, wie sie damals zu Sowjetzeiten die Kopeken gezählt haben. Die Menschen vergleichen die alten und neuen Gehälter und Renten, sie vergleichen die Preise, dabei entspricht eine „alte“ Hrywnja der Epoche von Asarow derzeitig etwa neun russische Rubel, wenn nicht zehn, wenn wir von der Kaufkraft ausgehen und nicht einfach durch den Dollar neu berechnen. Von „Änderungen“ haben die Spitzenbürokraten profitiert, ihre Gehälter sind gestiegen. Und Tausende und Zehntausende Staatsangestellte und die einfacheren ärmeren Bürger haben verloren. Die Armen erzählen, dass man früher von der Mindestrente von 900 Hrywnja mehr kaufen konnte als heute von den 8-9.000 Rubel. Man muss halt an allem sparen.
In Sewastopol liegt das Rentenminimum bei ungefähr 8400 Rubel und paar Zerquetschten, was fast 4000 Hrywnja sind – eindeutig höher, als in der Ukraine. Das „offizielle“ (aufgestockte) durchschnittliche Gehalt in Sewastopol liegt bei etwa 22.000 Rubel, und das tatsächliche „gewöhnliche“ Gehalt bei etwa 15.000. Sieht bei der Umrechnung in Hrywnja nicht schlecht aus: jeweils 10.700 und 7.300. Aber es sind auch andere Preise.
Fleisch (Rindfleisch, Filet) kostet etwa 500 Rubel das Kilo (um die 244 Hrywnja). Der O-Bus kostet momentan 12 Rubel pro Fahrt, wird jedoch bald 19 kosten, schreiben die lokalen Seiten, wir erwarten eine Preiserhöhung (d.h. eine Erhöhung von sechs auf etwa 8-9 Hrywnja). Ein Männerhaarschnitt kostet 300 Rubel (um die 140 Hrywnja). Ein Privatarzt in Sewastopol nimmt zwischen 1000 und 2000 Rubel pro Konsultation oder Behandlung (488-976 Hrywnja), und in den staatlichen Krankenhäusern sind die Warteschlangen schrecklich. Eine Zahnbehandlung oder ein Handwerker sind teurer geworden: alle Handwerker orientieren sich mit ihren Tarifen an den Preisen in Krasnodar oder Moskau.
Zu den Vorteilen der russischen Preiszone zählen die Tarife für den privaten Nahverkehr – Kleinbusse, die unter dem lokalen Leiter Walerij Saratow von der Partei der Regionen zwischen 2-2,5 Hrywnja kosteten, fahren heute die Bevölkerung für 18-20 Rubel, was unter Berücksichtigung der Kaufkraft – etwas billiger oder etwa so viel wie vor vier Jahren ist. Die lebhafteste Manifestation des russischen Fortschrittes ist an den Preisen anhand des Besuchs einer öffentlicher Toilette am Grafen-Kai in Sewastopol sichtbar: der Eintritt kostet 10 Rubel, was unter der Berücksichtigung der Kaufkraft zweimal niedriger als zur Zeiten von Asarow ist (damals kosteten die Dienstleistungen dieser Korruptions-Toilette zwei Hrywnja). Der Zucker ist auch nicht teuer: in Sewastopol wird der süße Sand in Privatgeschäften für 55 Rubel pro Kilogramm verkauft, im Supermarkt sogar für 35 Rubel (27 bzw. 17 Hrywnja). Es ist merklich billiger, ein neues Auto zu erwerben, der Sprit ist auch günstiger, als noch unter der Ukraine. Aber nach wie vor steht diese Freude jedoch nur Menschen mit hohem Einkommen offen. Ein gewöhnlicher Rentner oder ein junger Fachmann kann sich kein Auto leisten.
Eine weitere unangenehme Veränderung sind die langen Warteschlangen in den staatlichen Polikliniken und Krankenhäusern. Sie sind merklich länger: einige Stunden muss man in der medizinischen Einrichtung rumhängen, um einen Arzttermin zu vereinbaren. Und die Coupons in den Polikliniken werden nicht im Voraus vergeben, sondern für den gleichen Tag. Und die Ärzte untersuchen den Patienten nicht so sehr, wie sie irgendwelchen Papierkram ausfüllen, die von ihnen von den russischen Behörden verlangt werden. Krankenversicherung russischer Art.
In der Zeit russischer Umbrüche entwickelte sich eine neue soziale Klasse: betroffene Eigentümer, deren Grundbesitz entwendet oder der Gefahr der Vernichtung unterlag. Die Drohungen gehen von lokalen russischen Staatsangestellten aus, die entweder einen volksfeindlichen Generalplan ausarbeiten, der den Abriss von Häusern im privaten Sektor vorsieht, oder sie verlangen über das Gericht den Abriss eines dreistöckigen Privathauses aufgrund der Tatsache, dass die Erbauer und Besitzer dieses Hauses in der ukrainischen Zeit angeblich die ukrainische Gesetzgebung verletzt haben. Bei dieser Frage ziehen die lokalen Staatsangestellten und die Gerichte an einen Strang.
Der Mitinhaber eines Privathauses auf der Wolnystajastraße, Alexander Prozenko, verkündete offen in einem Interview, dass er und seine Verwandten keinen Glauben in die russischen Gerichte haben und dass ihnen „nur die Hoffnung auf den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bleibt“, nur dieser kann das Familienhaus vor dem Abriss retten.
Auf der Straße demonstrieren ist möglich, jedoch schwierig. Demjenigen, der mit mehr als drei Leuten auf die Straße geht, wird etwas angehängt, ihm (ihnen) wird ein Verwaltungsprotokoll aufgrund einer „unerlaubten Versammlung“ ausgestellt und sie werden gezwungen, eine Strafe von 10-20.000 Rubel zu bezahlen. Am Jahrestag des Leninschen – Staatsstreiches am 7. November ging der Hauptkommunist Sewastopols Wassilij Parchomenko wie gewöhnlich mit seinen Anhängern den Nachimow-Prospekt lang und kassierte dafür eine Verwaltungsstrafe über 30.000 Rubel. Politische Repressionen und fehlende bürgerliche Freiheiten sind dieselben russischen Realitäten, wie es der unveränderliche Staatsführer selbst ist.
4. Januar 2018 // Wadim Polischtschuk
Quelle: Lewyj Bereg
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