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Lohnt es sich Machno zu Ehren zu marschieren? Gedanken zu dem Gerangel in Lwiw

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Machno-Friedensmarsch in Lwiw
„Wir rufen euch auf, sich dem Marsch zum Gedenken an den revolutionären Kampf des ukrainischen Volkes und seines berühmten Anführers Nestor Machno anzuschließen.“ So haben sich die Organisatoren des „Friedensmarsches“, welcher am 6. November in Lwiw stattfinden sollte, an die Bewohner der Stadt gewandt. Aus bekannten Gründen kam es jedoch nicht dazu [der Marsch wurde gerichtlich verboten, außerdem griffen am Abend des 6. November Mitglieder des Rechten Sektors und des Zivilkorps von „Asow“ das linke Zentrum „Zitadelle“ an, deren Aktivisten den Marsch geplant hatten, A.d.Ü.], gleichwohl aber blieben einige Fragen offen. Es ist interessant, wie aufrichtig die Veranstalter des Marsches Machno ihre Ehre erweisen wollten. Oder kann es sein, dass der Geburtstag von Nestor Iwanowytsch nur als Vorwand dienen sollte, die Veranstaltung dem 99. Jahrestag der Oktoberrevolution „unterzuschieben“? Natürlich ist das eine rhetorische Frage. Aber ob Nestor Machno einen Platz im Pantheon der ukrainischen Helden verdient hat – darüber lässt sich in der Tat nachdenken.

Betrachtet man die Fakten, so war Nestor Machno in den turbulenten Jahren des Bürgerkrieges tatsächlich einer der wichtigen Anführer des ukrainischen Volkes. Genauer, Kommandant einer 150.000-Mann starken Bauernarmee, der sich auch reichlich exotische Formationen angeschlossen haben: Don- und Kubankosaken, deutsche Kolonisten, ein griechisches Regiment und sogar eine jüdische Kompanie. Jede militärische oder politische Bewegung erhält ihre Kraft aber durch entsprechende soziale Tendenzen. Die soziale Basis der Machno-Bewegung war die ukrainische Bauernschaft. Die damaligen Bauern des Gouvernements Jekaterinoslaw [heute Dnipro, A.d.R.] wollten allen voran zwei Dinge: ihr eigenes Land und dass man sie in Frieden ließ.

Die Gutsbesitzer – ganz gleich ob russische, ukrainische oder welche auch immer – waren den Bauern zuwider. Aus diesem Grund halfen die Machnowzi [Bezeichnung für die Anhänger der Machno-Bewegung] den Bolschewiki das Russische Reich in Gestalt der Armeen Denikins und Wrangels zu zerstören.

Hätten die Bolschewiki ihre Losung „das Land den Bauern“ in die Tat umgesetzt, die Machno-Armee hätte sich aufgelöst. Die sowjetischen Machthaber aber, die das Land den Gutsbesitzern entrissen hatten, begannen es an Sowchosen und Kommunen zu übergeben und die Bauern damit erneut in die Fronarbeit zu treiben. So etwas konnten sie nicht dulden und die Machnowzi begannen gegen die Bolschewiki zu kämpfen.

Die Perspektiven, die sich hierbei eröffneten, waren nicht uninteressant, da die sowjetischen Machthaber es schafften, mit vielem zu verwirren. 1920 entstand bei Machno die Idee, eine breite antibolschewistische Front zu schaffen (fast wie der Antibolschewistischer Block der Nationen). Die Machnowzi führten Gespräche mit den Aufständischen am Kuban, am Don und in Tambow. Zu jener Zeit besaßen die sowjetischen Machthaber zahlenmäßig eine absolute Überlegenheit, da die Rote Armee an die fünf Millionen Soldaten umfasste. Größtenteils handelte es sich dabei aber um Bauern, zumal unter Zwang mobilisierte. Den Machnowzi waren deshalb auch einige Teile der Roten Armee zugeneigt.

Nicht ohne Grund also erschraken die Bolschewiki vor dem Aufstand der Bauern und zeigten sich zu Zugeständnissen bereit. Sie übergaben den Bauern einen Teil des Landes der Gutsbesitzer, führten anstelle der Lebensmittelabgaben eine moderate Lebensmittelsteuer ein und erlaubten es, die überschüssigen Lebensmittel auf dem Markt zu verkaufen. Es ist klar, dass das lediglich der traurig berühmte „leninsche Tango“ gewesen ist: zwei Schritte zurück zu machen, um gerade mal zehn Jahre später durch die Inszenierung des Holodomor grausam mit dem ukrainischen Volk für seinen Ungehorsam abzurechnen. Nach solch einem kollektiven Trauma schaffte es die Bauernschaft nicht mehr auf die Beine zu kommen und gab für lange Zeit der Leibeigenschaft in den Kolchosen nach.

Das Ende der Machno-Bewegung und das von Machno selbst waren recht unrühmlich. Die Bauernarmee wurde zerschlagen und ihr Anführer starb in der Emigration an Tuberkulose. Dennoch brachte die Bewegung nicht wenige heldenhafte Gestalten und einiges an Material für dutzende Romane und historische Blockbuster hervor. Es war eine fraglos aufrichtige und zweifellos ukrainische Bewegung, für die man sich schwerlich zu schämen braucht. Selbst ihr Ende entspricht ganz und gar ukrainischen Traditionen – die Mehrheit unserer damaligen Helden hat zwar ruhmreich gekämpft, scheiterte aber und starb entweder an der Front, im Gefängnis oder irgendwo unter einem fremden Himmel.

Das Hauptproblem der Machno-Bewegung bestand darin, dass es eine blinde Bewegung gewesen ist. Nachdem die Bolschewiki zu taktischen Eingeständnissen gezwungen wurden, erkannte Machno nicht die wahre Größe des Problems. Die Herren und Kommissare haben zwar ihre Tracht Prügel bekommen, das ukrainische Volk hätte aber nur der Kollaps des Imperiums retten können, ganz gleich, ob in seiner „weißen“ oder „roten“ Variante. Zumindest hätte die Ukraine aus ihm herausgerissen werden müssen. Jedoch vermochten die Bauern und ihre Anführer nicht, über ihre eigene Nasenspitze hinaus zu blicken. Deshalb konnten die sowjetischen Machthaber sie mit ihrem „leninschen Tango“ einwickeln und sie danach berauben, schänden und für viele Jahrzehnte an eine kurze Kette fesseln. Alles nur deshalb, weil es eben nicht reicht, den Kommissaren lediglich die Visage zu polieren.

Es ist absolut wahrscheinlich, dass das anarchistische Ideal der Selbstorganisation und des gerechten Zusammenlebens das wunderbarste von allen ist. Allerdings wählen wir im echten Leben niemals zwischen einem Ideal und Dreck. Selbst die Wahl zwischen gut und schlecht fällt nur einigen wenigen Glücklichen zu, niemals aber einem ganzen Volk. In der Regel sind wir gezwungen, zwischen schlecht und noch schlechter zu wählen. „Das staatliche Gewaltmonopol ist ein Garant der Sklaverei, wohingegen die allgemeine Bewaffnung und die Selbstorganisation des Volkes ein Garant seiner Freiheit sind“, versichern die Anhänger Machnos aus Lwiw. Doch wie unvollständig auch immer die ukrainischen Silowiki [Machtorgane wie Polizei und Geheimdienst, A.d.R.] dem Lustrationsprozess unterzogen wurden, die Sklaverei im Donbass blühte genau zu dem Zeitpunkt auf, als sie von dort verschwanden.

Vermutlich ist es schwierig festzustellen, ob Machno die eigene Kurzsichtigkeit bewusst geworden war. Im Vorwort zu seinen Erinnerungen beklagt er sich jedenfalls, dass sein Buch in der Ukraine und auf der Sprache des eigenen Volkes (d.h. auf Ukrainisch) nicht erscheinen konnte. Ebenso sind tausende aktive Ukrainer im Donbass, die keinerlei Sympathien für die ukrainischen Oligarchen hegten, nun gezwungen umherzuirren, solange sich in ihren Häusern friedliche burjatische Bergarbeiter und Autowäscher aus Rostow ausruhen.

7. November 2016 // Maksym Wichrow

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Quelle: Zachid.net

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Matthias Kaufmann - Studium der Geschichte und Ethnologie in Leipzig und Kasan. Im Anschluss längere Stationen in Berlin, Ufa, Barnaul und Regensburg. Derzeit als Mitarbeiter im International Office an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

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