Stellen Sie sich ein Land vor, in dem die Steuerabgaben nicht in Infrastrukturprojekte wie den Ausbau des öffentlichen Verkehrsnetzes, die Errichtung von Kindergärten, Schulen, Büchereien, Krankenhäusern, Grünanlagen sowie moderne menschen- und umweltfreundliche Wohnviertel investiert werden, sondern auf privaten Konten landen. Wo sich der Staat jeglicher Kontrolle durch die Gesellschaft entzogen hat. Wo die Polizei nicht die Bürger, sondern das Regime vor den Bürgern schützt. Wo gefoltert wird und Zwangsabgaben kassiert werden. Wo nicht derjenige, der einen Unfall gebaut hat, vor Gericht kommt, sondern seine Opfer, falls sie überhaupt überlebt haben. Wo Paläste von Ministern und Bürokraten umso schneller wachsen, als das Land verarmt. Wo seit Langem fällige Reformen immer wieder zerredet werden. Wo inmitten der Krise, als an allen Ecken gespart wird, die Oligarchen ihr Vermögen vervielfachen. Wo der Sohn des amtierenden Präsidenten, gestern noch ein alles andere als prominenter Stomatologe, heute bereits ein dreistelliger Millionär ist. Wo ein steinreicher Abgeordneter Sozialhilfeempfänger (sic!) ist, während es den AIDS- und Tuberkulosekranken an medikamentöser Grundversorgung mangelt. Wo die regierende „Elite“ bolschewistische Überzeugungen und kapitalistische Appetite aufweist. Wo die Machthaber die Zollunion mit Russland, Weißrussland und Kasachstan predigen, ihr Kapital aber im Westen deponieren, sich im Westen einkaufen und ihre Kinder an westliche Gymnasien und Universitäten zum Studium schicken.
Was als Studentenprotest gegen die Nichtunterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit der EU begonnen hat, ist in der Ukraine zu einem Widerstand der Gesellschaft gegen die Willkür, gegen die Korruption, gegen den Polizeistaat, gegen die Diktatur geworden. Die Ukrainer wollen ihr Land zurückbekommen und es selbst gestalten. Die ukrainische Zivilgesellschaft ist dem nicht reformierten, von der totalitären Sowjetunion als dessen Bruchteil geerbten Staatssystem viele Meilen voraus. Die medizinische Selbstversorgung der Protestierenden kennt im Gegensatz zu der „kostenlosen“ Staatsmedizin keine Korruption und Schmiergelder. Die selbstorganisierte Müllentsorgung und Schneeberäumung leistet das, was die Kommunaldienste zu leisten unfähig sind.
Es ist eine durch und durch ukrainische Hausaufgabe, ihr eigenes Land umzugestalten. Es wird keiner für uns tun – wir wollen es auch nicht. Was wir benötigen, ist Solidarität. Sie ist unsere Luft zum Atmen. Eine Niederlage der friedlichen Proteste in der Ukraine würde auch eine europäische sein – die Niederlage des Europa der Menschenrechte. Zu guter Letzt wird der friedliche Protest in der ukrainischen Hauptstadt Kiew und in den anderen Teilen der Ukraine nicht „bloß“ als Maidan, wie 2004, sondern als Europäischer Maidan apostrophiert – ein nicht zu übersehendes Identitätsbekenntnis.
Tymofiy Havryliv, ukrainischer Schriftsteller und Blogger
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