Naftogas Ukrainy ist heute gleichbedeutend mit bis zu 90 Prozent des Gases und Öls im Land, mit dem nahezu gesamten Gasimport sowie mit 40 Prozent des Transits russischen Gases nach Europa. Das Unternehmen nimmt hinsichtlich der Gasversorgung der Bevölkerung und kommunalen Versorger eine Monopolposition ein. Daher kann man auch ohne Übertreibung sagen, dass das Wirtschaftsergebnis von Naftogas quasi mit dem der gesamten Branche gleichgesetzt werden kann.
In den vorangegangenen Jahren wurde Naftogas häufig als „Geschäft der Präsidenten“ bezeichnet und lange Zeit befand sich das Unternehmen im Zentrum eines durch und durch korrupten Systems. Aber nach dem Machtwechsel in der Ukraine im Jahr 2014 wurde Naftogas zum Testfeld für Reformen erklärt. Lassen Sie uns mal einige der bisher erreichten Erfolge durch diese Unternehmensreformen anhand der öffentlichen Stellungsnahmen des Unternehmens und seines Managements analysieren. In einem offenen Brief vom September 2016 an die ukrainischen Abgeordneten werden vier bedeutende Erfolge des aktuellen Unternehmensmanagements. Schauen wir uns diese mal genauer an.
Erfolg Nr. 1: Russisches Gas – Nicht für uns?
Seit der ukrainischen Unabhängigkeit hat sich der Gaspreis zu einer Art „Thermometer“ für die Beziehungen zwischen beiden Ländern entwickelt. Seit 2005 hat sich die Temperatur dieser Beziehungen kontinuierlich erhöht und zwischenzeitlich einige Krisensituationen hervorgebracht. Die explosive Mischung aus Politik, Wirtschaft, Korruption und persönlichen Ambitionen erreichten eine kritische Masse und führten zu einer Kehrtwende in den russisch-ukrainischen Gasbeziehungen. Diese Kehrtwende war so radikal, dass die ukrainischen Politiker und im Gassektor tätigen Beamten bereits 2016 ein besonderes Ereignis feierten: Die Ukraine kam ein Jahr ohne russisches Gas aus.
Der CEO von Naftogas Andrej Koboljew empfiehlt seit 2014 die vollständige Herausnahme politischer Interessen aus den ukrainisch-russischen Gasbeziehungen und einen Übergang auf eine rein geschäftliche Ebene. Aber „die Position unser russischen Kollegen war zunächst irrational. Wir hofften, dass sich diese noch ändern würde, aber das ist nicht geschehen“, sagte Koboljew. Die ukrainische Seite forderte die Korrektur der Gasverträge von 2009 und die Anpassung an die sich verändernden Marktbedingungen. Die Russen lehnten dies kategorisch ab. Eine wichtige Bedingung sollte die Beteiligung der EU als vermittelnde Partei an den Gasverhandlungen werden.
Irgendwelche Einigungen waren angesichts des zunehmenden militärisch-politischen Konflikts zwischen den Ländern nicht möglich. Die Parteien entschieden sich den Handelsstreit vor dem unabhängigen Schiedsgericht in Stockholm auszutragen, dessen Entscheidung für 2017 erwartet wird. Auf diese Weise gelang es der Ukraine, die Gasverhandlungen aus den Hinterzimmern, die gemäß dem Motto „Preisnachlass für politische Zugeständnisse“ geführt wurden, in die juristische Sphäre zu transportieren.
Zugleich löste Naftogas ein für das Land sehr wichtiges Problem – die Versorgung mit Gas per Reverse-Flow-Modus über die Slowakei, Polen und Ungarn. In Kombination mit einem bedeutendem Rückgang der Inlandsnachfrage konnte so ab Ende 2015 vollkommen auf russisches Gas verzichtet werden. Dies war vor allem durch die aktive politische und finanzielle Unterstützung der EU möglich.
Aber das allein trug noch nicht viel zur von der Regierung und vom Naftogas-Management angestrebten Diversifizierung des Gasimports bei. Dies liegt hauptsächlich daran, dass das über Reverse-Flow-Modus gelieferte Gasvolumen Beschränkungen unterliegt. Das gilt insbesondere für die Wintermonate. Gelöst werden könnte dieses Problem durch die Pipeline zwischen der Ukraine und Polen, deren Inbetriebnahme für 2020 geplant ist. Wobei sich diese allerdings aus technischen und ökologischen Gründen noch nach hinten verschieben könnte. Sollte in den nächsten Jahren die ukrainische Wirtschaft wieder wachsen, wird die Nachfrage nach Gas ebenfalls ansteigen. Das über den Reverse-Flow-Modus gelieferte Gas wird diese Nachfrage nicht decken können. Entsprechend könnten russische Gaslieferungen in naher Zukunft durchaus wieder aktuell werden.
Man kann davon ausgehen, dass es vor dem Urteil des Stockholmer Schiedsgerichts keine signifikanten Fortschritte im ukrainisch-russischen Gasstreit geben wird. Man kann auch nicht vorhersagen, zu wessen Gunsten das Urteil ausfallen wird. Allerdings zeichnet sich für die Ukraine bereits jetzt ein gewisser Negativaspekt ab – der sukzessive Verlust der Möglichkeiten der Einflussnahme unseres Landes in den Beziehungen zur EU und Russland.
Die Ukraine hängt immer stärker von der Position einer dritten Partei ab (Stockholmer Schiedsgericht, EU). Das ist vor allem an der Frage zur Aufrechterhaltung des Transits russischen Gases durch die Ukraine erkennbar. Während immer mehr Umgehungspipelines wie Pilze aus dem Boden sprießen, hat sich Naftogas von Verhandlungen mit Gasprom zum Gastransit zurückgezogen und das Problem implizit dem Ermessen der EU überlassen.
Der stellvertretende Vorsitzende der Europäischen Kommission Maroš Šefčovič hat im Oktober 2016 noch einmal daran erinnert, dass die Aufrechterhaltung des Gastransits durch die Ukraine auch über 2019 hinaus ein strategisches Primärziel der EU bleibe und dies einhellig von den Mitgliedsstaaten unterstützt würde. Am 28. Oktober hat die EU-Kommission Gasprom erlaubt, bis zu 90 Prozent der Opal-Pipeline-Kapazitäten (überirdische Fortsetzung von Nord Stream) zu nutzen. Gleichzeitig besteht das Exklusivrecht auf 50 Prozent der Kapazitäten weiter. Einer der Hauptgründe für diese Entscheidung ist, dass die Kapazitäten der Pipeline nicht ausgelastet sind. Nichts politisches also, alles rein geschäftlich.
„Das war ein Schock für uns“, sagte Andrej Koboljew. Diese sehr emotionale Reaktion ist leicht zu erklären: Mit einer solchen Entscheidung drohen der Ukraine Verluste im Transitgeschäft. Aber das ist nicht das Wichtigste. Das Verhalten der EU-Kommission wird von internen Geschäftsinteressen bestimmt, daher ist dies ein ernstes Signal für die Ukraine. Der politische Wille der europäischen Beamten, an welchen die ukrainische Regierung ständig appelliert, ist nicht grenzenlos. Niemand hat ökonomische Interessen und Geschäftsgewinne aufgekündigt.
Erfolg Nr.2: Naftogas mit Gewinn – Träume werden wahr?
2016 hat Naftogas zum ersten Mal keine direkte Unterstützung im Sinne einer Kompensation für Gaspreisdifferenzen vom Staat erhalten. Darüber hinaus hat das Unternehmen einen Nettogewinn von mehr als 21 Milliarden Hrywnja (etwa 750 Millionen Euro) realisiert. Woher dieser Gewinn kommt? Gemäß dem Unternehmen selbst sind hierfür vor allem die Einnahmen aus dem Gastransitgeschäft verantwortlich. Diese stellen auch mehr als die Hälfte des Gewinns. Der Transit russischen Gases ist also der entscheidende Faktor für den Gewinn, und nicht die Umverteilung von Haushaltsmitteln, Subventionen oder Kredite. Gleichzeitig ist der Anstieg der Gewinne aus dem Transitgeschäft zu 70 Prozent auf den steigenden Dollarkurs und zu 30 Prozent auf andere Faktoren (Erhöhung des Transitvolumens bei geringen Preisen für den Transit) zurückzuführen.
Die zweite Gewinnquelle ist die Gasversorgung der Industrieunternehmen. Dabei hat sich 2016 der Marktanteil von Naftogas im Vergleich zu 2015 etwa halbiert, und der Gashandel ist seit 2014 um ein Viertel eingebrochen, schreibt Forbes Ukraina. Dieser Zusammenbruch wird seitens des Unternehmensmanagements damit erklärt, dass man bestrebt sei, dem korrupten System aus dem Weg zu gehen. Es gibt aber auch eine andere Erklärung: Der Gasmarkt für Industrieunternehmen ist ziemlich kompetitiv und der Monopolist fühlt sich auf diesem einfach nicht sehr wohl. Die dennoch generierten Gewinne sind hier eindeutig auf die Preiserhöhungen zurückzuführen.
Eine weitere Einflussgröße ist der Absatz bei der Bevölkerung. Hier fühlt sich der Monopolist ziemlich sicher: Der Absatz von Erdgas ist fast nicht gesunken. Das gleiche lässt sich hinsichtlich der kommunalen Versorger sagen. Die finanziellen Ergebnisse sind entsprechend beeindruckend: 2015 hat dieses Segment Gewinne von 17,4 Milliarden Hrywnja eingebracht, für dieses Jahr wird mit einem Gewinn von 11,1 Milliarden Hrywnja gerechnet.
Dieser Anstieg ist vor allem auf die Preiserhöhung auf mehr als das Doppelte zurückzuführen. Korrespondierend steigen natürlich die Steuereinnahmen durch Naftogas 2016. Es gibt allerdings eine Einschränkung, von welcher das Unternehmensmanagment abzulenken versucht. Es geht nicht um „echtes“ Geld, sondern um subsidäres. Aus dem Staatshaushalt werden die festgesetzten Subventionsmittel protokollarisch zugewiesen und bilden einen Zyklus: Haushalt – Gasverbraucher – regionale Versorger – Naftogas – Haushalt. Geld kommt hier überhaupt nicht vor. Man kann davon ausgehen, dass mit Erhöhung der Subventionen für Gas im Jahr 2017 auch die Einnahmen von Naftogas und des Haushalts steigen werden. Eben wegen dieses „zyklischen Mechanismus“, schreibt ZN,UA.
Erfolg Nr. 3: Ukrainisches Gas – nicht für uns?
„Der dritte Erfolg besteht im Verzicht auf die für das Land selbst suizidale und für die Mehrheit der Bürger räuberische Strategie „billiges Gas für alle““. 2016 ist man erfolgreich zur neuen Erfolgsstrategie „teures Gas für alle“ übergegangen.
Gerechtigkeit sieht gemäß Naftogas folgendermaßen aus: Gemäß der ukrainischen Verfassung gehören die Vorkommen der ukrainischen Bevölkerung, das heißt jedem Bürger zu gleichem Anteil. Für die Förderung dieser Gasvorkommen bezahlen die fördernden Unternehmen eine Rente an den ukrainischen Haushalt. Da der Preis auf ukrainisches Gas, das von Staatsunternehmen gefördert wurde, spärlich war, zahlten diese Staatsunternehmen auch eine entsprechend dürftige Rente. Zudem leben zwei Drittel der Ukrainer in Häusern, die nicht an die Gasversorgung angeschlossen sind oder verwenden Gas lediglich zum Kochen. Der Nutzen des aus den allen Ukrainern gehörenden Vorkommen geförderten Gases ist also ungleich verteilt. Neben den korrumpierten Akteuren innerhalb des Systems haben vor allem diejenigen einen Vorteil realisieren können, die einen hohen Gasverbrauch hatten. Das heißt diejenigen, die sich größere Häuser und Autos leisten konnten, keiner staatlichen Unterstützung bedurften und selbst für ihr Gas zahlten. Die Familien, die den Gaspreis nicht vollständig bedienen konnten, nahmen stattliche Zuschüsse in Anspruch.
Gemäß den Prognosen sollten bis zu zwei Drittel der Haushalte derartige Zuschüsse in Anspruch nehmen können. Sie sollen für kommunale Dienstleistungen im Schnitt 15 Prozent ihres Einkommens zahlen müssen. Darin besteht die eigentliche Marktreform.
Vizeministerpräsident Rosenko: „Ich bin ein Anwärter für staatliche Zuschüsse.“
Gemäß den Zahlen von Naftogas verbrauchten in der letzten Heizperiode diejenigen Haushalte, welche staatliche Zuschüsse in Anspruch genommen haben, doppelt so viel Gas wie die Haushalte, die keine Mittel erhielten. Energieeinsparungen und Energieeffizienz verschieben wir also, bis sich die Zeiten gebessert haben? Wenn zwei Drittel des Landes als arm gelten, dann ist ganz offensichtlich das gesamte Land arm. Und wenn diese zwei Drittel nicht dazu motiviert werden können, aktiv zu werden, statt lediglich auf Almosen vom Staat zu warten, dann kann dieses Land auch nicht reich werden.
Erfolg Nr. 4: Die Korruption wurde fast beseitigt
Naftogas behauptet: „Der Übergang zu gezielten staatlichen Zuschüssen brach das Rückgrat des Systems der Gassubventionen, das für viele Jahre Korruption in Höhe von vielen Milliarden Dollar ermöglichte.“ Der einheitlich hohe Gaspreis hat das alte korrumpierte System an der Wurzel zerstört. 2016 sollten die Bevölkerung und kommunalen Versorger mehr als 16 Milliarden Kubikmeter Gas verbraucht haben. Um die 73 Prozent der Haushalte sind mittlerweile mit Gaszählern ausgerüstet. Mit Fernwärmezählern mehr als 70 Prozent der Wohnhäuser. Der Gasverlust beträgt in Gasboilern mehr als 70 Prozent. Man kann davon ausgehen, dass die Betrugsmöglichkeiten abgenommen haben, aber die Möglichkeiten der „sich Auskennenden“ bestehen bleiben.
Noch ein Schlag gegen die Korruption durch das Naftogas-Management: „Früher haben „unsere eigenen Leute“ veraltetes Equipment zum doppelten Marktpreis an staatliche Unternehmen verkauft. Jetzt kaufen wir wirklich nur das, was wir wirklich brauchen und das zu Marktpreisen über das ProZorro-System (e-Procurement-System bzw. elektronisches Beschaffungssystem).“ Weiter werden Zahlen dazu genannt, wie viel während der Ausschreibungen der letzten Zeit „nicht gestohlen“ wurde. Denken wir mal weiter: Wenn bekannt ist, wie viel „bis zu uns gestohlen wurde“ und wer dies getan hat, warum ist dann lediglich ein einziger „Casus Kazuba“ bekannt? Es können doch nicht alle potenziellen Mittäter des alten Naftogas-Korruptionsdschungels außerhalb der Reichweite von Staatsanwaltschaft und Nationalem Antikorruptionsbüro sein?
Ein weiterer Schritt im Kampf gegen die Korruption seien laut Naftogas-Management die jetzt in Angriff genommenen Reformen des Corporate-Governance-Systems. Diese sollen das Staatsunternehmen transparenter und effektiver machen. Der erste Schritt ist die Schaffung eines unabhängigen Aufsichtsrats, der die Arbeit des Managements kontrolliert. Diesem gehören fünf Personen an: drei internationale unabhängige Experten sowie zwei Vertreter der ukrainischen Regierung – der Minister für Energie und Kohleindustrie sowie die stellvertretende Wirtschaftsministerin. Die Beamten wurden vor einigen Monaten aus ihrem Amt entlassen, im Aufsichtsrat sitzen sie aber weiterhin. Kann die Arbeit eines solchen Organs wirklich effektiv sein, fragen hier die Kollegen vom „Business Censor“.
„Bei Ukrtransgas“ und „Ukrgasdobytscha“ existieren derartige Aufsichtsräte bislang nicht. Daher bestehen theoretisch auch weiterhin Einflussmöglichkeiten durch die Behörden.“
Betrachtet man die „Erfolge“ von Naftogas nicht als einzelne Maßnahmen, sondern im Rahmen eines Reformprozesses, ist in der Tätigkeit des jetzigen Managements des Unternehmens ein eindeutiger Reformtrend zu erkennen. Die „Erfolge“ hinsichtlich der Erhöhung der Gaspreise und der Managementgehälter sind im Übrigen unstrittig.
Wir können davon ausgehen, dass sich Naftogas am Beginn eines komplexen und widersprüchlichen Reformprozesses befindet, dessen Effektivität leider in vielerlei Hinsicht vom Urteil des Stockholmer Schiedsgerichts abhängen wird.
Das Licht am Ende des Tunnels ist erkennbar, hoffen wir mal, dass es nicht nur ein entgegenkommender Zug ist.
29. Dezember 2016 // Walerij Schtscherbina
Quelle: Lewyj Bereg
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