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Ägyptische Düsternis

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Im Jahr 1920 machte eine russische Dame in Belgrad, wo sich damals infolge der Oktoberrevolution eine Menge Emigranten befand, eine Reihe historischer Entdeckungen. Unter anderem teilte sie der Gesellschaft mit, dass Jesus Christus leibhaftig nicht Jude war – wie die christliche Welt bis dahin aufgrund evangelischer Texte angenommen hatte – sondern Ägypter. Sie „bewies“ zudem überzeugend, dass die Ägypter des Altertums weder Hamiten noch eine Mischung aus Semiten und Hamiten waren, sondern Arier. Und es versteht sich von selbst, dass es für diese Dame völlig klar war, dass die Russen von den alten Ägyptern abstammen und das Wort „Rus“ ein altägyptisches Wort ist.

Wie der bekannte russische Wissenschaftler Pjotr Bernardowitsch Struwe zu diesem Thema anmerkte, wurde die welthistorisch bedeutsame Tragödie, die für jegliches christliches Bewusstsein immer nur eine religiöse Berechtigung erhalten hatte, so auf ein fades Missverständnis in Bezug auf die rassische Herkunft des Welterlösers heruntergebrochen. Dieser erschien nun nicht länger als unangenehmer Israelit (oder ganz einfach als „Jude“ – hier verwendet der Autor die im Russischen negativ konnotierte Bezeichnung „schid“ – Anmerk. d. Übersetzerin), sondern als guter Ägypter, ja noch dazu als „Arier“.

Es sind 100 Jahre vergangen. Man sollte denken, dass die zivilisierte Welt sich über ähnliche Pseudo-Historiker ausreichend lustig gemacht hat. Doch leider wiederholt sich alles. Auch hier in der Ukraine. Im Übrigen in Russland, in Kasachstan… Unterschiedliche Bezeichnungen, unterschiedliche „Beweise“, doch das Schema ist dasselbe. Ebenso das Ziel: den eigenen Minderwertigkeitskomplex zufriedenzustellen.

"Für eine saubere Stadt"Foto: meanssonzer.blogspot.com (Übersetzung der Aufschrift: „Für eine saubere Stadt!“)

Gibt es in der Ukraine Antisemitismus? Klar gibt es ihn. Doch es gibt ihn nicht nur in der Ukraine. Sogar im jüdischen Staat selbst, in Israel ist eine kleine Gruppe Neonazis, eine Gruppe aufrichtiger Hitlerverehrer aufgetaucht. Letzten Endes erlaubt die Demokratie, jeglicher Frucht in ihrem eigenen Vergnügen aufzublühen. Und sie blühen, indem sie sich eine spezifisch ukrainische, durch keinerlei gesellschaftliche Normen eingeschränkte Handlungsfreiheit zunutze machen. In TV-Sendungen wird auf pseudowissenschaftliche Art stundenlang über Politik schwadroniert. Doch haben die Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen neulich deutlich gezeigt: Es waren mehr Leute bereit, den Kandidaten mit dem auffälligen Familiennamen Rabinowitsch zu unterstützen, als den ständig auf den Fernsehbildschirmen vorbeihuschenden Tjagnibok. Soviel also zum „traditionellen ukrainischen Antisemitismus“…

Die Erscheinungsformen des Antisemitismus in der Ukraine werden untersucht. Ziemlich viele spezialisierte gesellschaftliche Organisationen beschäftigen sich ständig damit. Und es ist gut, dass sie sich damit beschäftigen. Schade, dass sie antiziganistische Regungen nicht in ihr Monitoring aufnehmen wollen; sie sollten es… Doch, das wird nicht verlangt, das interessiert dort im Ausland niemanden. Und keinen interessiert, niemand verfolgt die zahlreichen Erscheinungsformen des zügellosen Antiukrainismus, der unter anderem auch in den ukrainischen ( – ukrainisch von der Zugehörigkeit her, nicht vom Geist – ) Massenmedien herrscht. Ja, auch den Nährboden des Antiukrainismus untersucht niemand. Weder in den Geschichtslehrbüchern noch in der Memoirenliteratur. Vor einiger Zeit habe ich die netten Erinnerungen unseres pensionierten Tschekisten gelesen, der mit Wohlgefallen seine effektive und nützliche Arbeit im Milieu der ukrainischen Dissidenten in den fernen 70er Jahren beschreibt…

Jetzt vollende ich ein Buch über Scharlatane in der ukrainischen Psychiatrie. Über Zeitgenossen. Gerne würde ich ein Buch über Scharlatane in der zeitgenössischen Geschichtswissenschaft lesen. Und ach, es gab viele davon in den letzten 23 Jahren… Sehr nützlich wäre dieses Buch, besonders für junge Männer und Frauen, die den Geschichtsunterricht zu ihrem Beruf machen. Ob wohl jemand so etwas schreibt? Ich weiß es nicht…

Um die Kontinuität der Generationen in dieser ewigen Angelegenheit der Pseudoprofessionalität zu zeigen, hier ein Beispiel, fast ein Zitat: im Jahr 1887 veröffentlichte ein russischer Architekt mit einem klassisch französischen Nachnamen in der Stadt Smolensk, natürlich mit Erlaubnis der Zensurbehörden, eine unterhaltsame Informationsschrift mit dem pikanten, fast sensationsheischenden Titel: „Der Sozialismus als direkter Grund für den Verfall des Bauernpferdes und als mittelbarer Grund für die unzeitigen Regenfälle Mitte August“. Schade, dass der Autor schon lange nicht mehr lebt, heute wäre er in der Ukraine Doktor jeglicher Wissenschaften, Akademiker und mit dem Staatspreis ausgezeichnet. Der Hauptgrund hierfür ist die richtige ideologische Zuspitzung, denn heute können wir Ukrainer Sozialisten auf den Tod nicht leiden.

Ich habe ein eigenartiges Hobby und schaue mir die Titel der von der Staatlichen Prüfungskommission bestätigten Dissertationen an. Manchmal sehe ich da so etwas…

28. Juli 2014 // Semjon Glusman, Arzt, Mitglied des Kollegiums des Staatlichen Dienstes für Strafvollzug der Ukraine

Quelle: Lewyj Bereg

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Übersetzerin:   Helena Maier — Wörter: 693

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