Das einheimische politische Panoptikum zu beobachten ist keine schwere Sache. Das allgemeine Szenario, aus der Sicht eines Oppositionsanhängers, ist sehr einfach. Die Situation scheint durch einen Skandal außer Kontrolle zu geraten, doch ein neuer Skandal überdeckt den vorhergehenden, daher ist anstelle einer Explosion das gewohnte „guten Abend“ vom angenommenen Sawik Schuster [Moderator einer populären Talkshow am Freitagabend, A.d.Ü.] zu vernehmen. Dann versucht die Regierung im Studio gemäß den Genregesetzen die Lage zu „beruhigen“ und die Opposition bei den Zuschauern den Wunsch nach Gerechtigkeit zu „entfachen“.
Theoretisch sollte jedes dieser Mikrosujets, als Episode irgendeiner Serie, der Opposition dabei helfen, zur Regierung zu werden. Doch das findet nicht statt, die Umfragewerte bleiben unverändert. Der Zuschauer akzeptiert dieses Spektakel jedoch nicht, gleich ob die Serie über die Wagner-Leute, über Offshore-Firmen oder über Vetternwirtschaftsschaft ist.
Es scheint so, als ob die Teilnehmer dieser Endlosshow, indem sie an das „einfache Volk“ appellieren, sich in ihrer Vorstellung ein etwas falsches Bild von diesem geschaffen haben. Dabei überschätzen sie das Niveau der Moral und unterschätzen das Intelligenzniveau dieser „einfachen Leute“. Die, übrigens, nicht existieren. Denn der durchschnittliche „einfache Ukrainer“ ist in der Regel „schwieriger“ als die von ihm Gewählten. Mit den Gewählten ist es umgekehrt alles einfach: Macht ausüben, eine Wohnung für „die Mama“ kaufen, ein Auto für „die Frau“, ein neues Telefon, sich in Modemarken kleiden und ins Fernsehen gehen. Und keinerlei Herzschmerz, keinerlei Dramen.
Das „Volk“ bewertet den Grad der Anstrengungen, die Falschheit und die „Ausbeute“ der Akteure auf der politischen Bühne. Daher begreift der „einfache Mensch“, wenn ein schlechter Schauspieler den anderen schlechten Schauspieler (jedoch besseren, das braucht man nicht zu verbergen) vorwirft, dass er ein Schauspieler ist, dass dieses Escobar-Theorem [unwirkliche Wahl zwischen zwei unwahrscheinlichen Extremen, A.d.Ü.] nicht für ihn ist.
Wenn ein hochgestellter Oppositioneller sagt, dass Selenskyj einfach „Glück hat“, dass es keine ernsthaften Herausforderungen gibt, denn der Krieg ist nicht in der heißen Phase und die Pandemie hat uns nicht hart getroffen, dann „spielt“ das nicht mit dem zusammen, was im realen Leben stattfindet. Denn wenn Selenskyj eindeutig dessen beschuldigt wird, dass er eine Marionette sei und die Macht usurpiert habe (doch jetzt nicht wisse, wie er sie gebrauchen soll), dann ruft eine derartige „Analyse“ nicht so sehr den Wunsch hervor diese Regierung auszuwechseln, als das Radio auszuschalten.
Journalisten, die schlecht waren, als sie über die Panama papers [und damit über Petro Poroschenko] schrieben, wurden schlagartig zu guten, als sie andere Materialien im Rahmen der Pandora Papers [über Wolodymyr Selenskyj] veröffentlichten. Und der Skandal sollte darin liegen, dass der Mensch, der drei Jahre täglich als Marionette [des Oligarchen Ihor] Kolomojskyjs bezeichnet wurde, wie es sich erwies von Kolomojskyj Geld für seine Produktion erhalten und dieses in Offshore-Firmen verborgen hat … Unglaublich.
Nun, die Zuschauer werden offensichtlich unterschätzt. Zumal, während wir vor der Post-Wahrheit gewarnt wurden, wurde sie zu einem Teil unseres täglichen Lebens. Und wir haben uns nicht schlecht angepasst. Haben Sie bemerkt, dass jede zweite Nachricht an die „Hotline“ mit den Worten „dort laufen Kinder, damit es kein Unglück gibt“ enden? Die Menschen haben bereits wunderbar gelernt zu manipulieren, Angst einzujagen, an die Gesundheit von Kindern, Alten, Hilflosen zu appellieren. Die Leute kriegt man nicht mit primitiven Schauermärchen, denn sie haben das Thema bereits seit langem „durchdrungen“ und nutzen es selbst aktiv.
Seien wir offen. Wer vom „einfachen Volk“ würde auf eine Wohnung im Ausland verzichten? Würde der „einfache Mensch“ den Beamten Steuern bringen oder diese mit Hilfe von Offshorefirmen sparen, wenn er die Möglichkeit dazu hätte? Würde der „kleine Ukrainer“ seine Verwandten nicht auf Staatsposten bringen? Daher laufen die Appellationen an die Moral ins Leere.
In einer solchen Situation braucht die Regierung die derzeitige Opposition nicht zu fürchten. Und beim vorhandenen Wahlsystem, in dem die Parteien alles entscheiden, braucht die Regierung auch keine „neuen Gesichter“ fürchten. Denn dank der „Vorgänger“ können diese jetzt nicht mehr auftauchen. Es wird keine aussichtsreichen Politiker aus der Provinz geben, denn sogar in unglücklichen Vereinten Territorialgemeinden muss man eine Partei haben. Das heißt, bereits beim Start der politischen Karriere muss man sich auf einen Listenplatz, Geld und Medienzugang einigen.
Erinnern wir uns an die vergangenen Kommunalwahlen. Die Parteilisten waren überfüllt mit Volontären, Kämpfern, Medizinern und anderen guten Leuten. Doch nur wenige von ihnen erhielten ein Mandat. Anstatt dessen erhielten irgendwessen Juristen, Verwandte und andere „richtige Leute“ Mandate.
Und die „einfachen Leute“ sind doch keine Idioten. Sie sehen, dass „für die Ukraine kämpfen“ nicht immer ein und dasselbe ist. Diejenigen, die das auch im Krieg machen, altern schnell und verlieren ihre Gesundheit. Doch bei denjenigen, die in den Räten unterschiedlicher Ebene und in den „Organen kämpfen“, ist es umgekehrt. Die Zähne werden weißer, die Haut jünger, schön anzuschauen. Die materielle Lage ändert sich auf unterschiedliche Weise. Einfacher gesagt, ist kein einziger „Kämpfer“ ärmer oder während der Amtszeit mit einem Futtersack abgespeist worden. Was man nicht über die Soldaten sagen kann.
Unsere „zweitschönste Sprache in der Welt“, die ukrainische Sprache, gibt diese Nuance nicht wider. Doch auf der Gefühlsebene begreifen das alle. Ganz gleich, wie viel Redegewandtheit die Leute im Fernsehen auch an den Tag legen.
7. Oktober 2021 // Nasar Kis
Quelle: Zaxid.net
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