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Andreas Umland: „Russland blufft, was den Effekt möglicher Sanktionen angeht“

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n-tv.de: Seit Tagen gibt es heftige Kämpfe in Kramatorsk und Slawjansk, am Freitag kam es zu dem Feuer in Odessa, bei dem Dutzende starben. Ist die Lage in der Ukraine völlig außer Kontrolle?

Andreas Umland: Außer Kontrolle würde ich nicht sagen. Aus meiner Sicht gibt es eine groß angelegte Unterwanderung der Ukraine, die von Russland gesteuert und finanziert wird. Das Ziel ist, einen ordnungsgemäßen Verlauf der Präsidentschaftswahlen am 25. Mai zu verhindern, und für den künftigen Präsidenten ein Legitimitätsproblem zu schaffen. Wenn es in den nächsten Wochen so weitergeht, ist es tatsächlich fragwürdig, wie man ordnungsgemäß Wahlen in der Ost- und Südukraine durchführen kann.

Sie sprechen von einer durch Russland geförderten Unterwanderung. Was für Hinweise gibt es dafür?

Die Ukraine war in den vergangenen 22 Jahren schon in vielen riskanten Situationen, bei denen es zu Ausschreitungen hätte kommen können: Wirtschaftskrisen, Protestaktionen, politische Spannungen. Bis auf einige Handgreiflichkeiten im Parlament, hat es aber nie eine auch nur annähernd ähnliche gewaltsame Auseinandersetzung gegeben. Das ist ein Argument, welches darauf verweist, dass Russland dahintersteckt.

Gibt es konkretere Hinweise?

Natürlich führt Russland keine offene Intervention durch. Aber es gibt viele Indizienbeweise. Da sind zum Beispiel die gut bewaffneten Freischärler und die Filmaufnahmen von Spezialeinheiten, die Milizstationen übernehmen und dann wieder verschwinden. Zuletzt gab es den merkwürdigen Vorgang, dass mit Wladimir Lukin eine offizielle russische Figur die Freilassung der inhaftierten OSZE-Beobachter arrangiert hat. Dazu kommen Ähnlichkeiten mit den Ereignissen in Georgien 2008 und auf der Krim 2014.

Kiew warnt schon seit Tagen vor einer russischen Invasion. Wie realistisch ist es, dass Putin Truppen nicht nur an die Grenze, sondern sogar in die Ukraine schickt?

Ich glaube nicht, dass es zu einer Invasion regulärer Truppen kommt. Man könnte sich vorstellen, dass es kurze Militärschläge oder Grenzüberschreitungen der russischen Armee gibt, aber wahrscheinlich keine Annexion wie im Fall der Krim. Das wäre für Putin ein zu riskantes Szenario. Meine Vermutung ist eher: Er versucht die Instabilität, die er in der Ost- und Südukraine erzeugt, zu nutzen, um den gesamten ukrainischen Staat unkonsolidiert zu halten, ausländische Investitionen abzuschrecken und zu verhindern, dass sich eine europäisierte, demokratische und erfolgreiche Ukraine zum Gegenmodell für das Putin-System entwickelt.

Der russische Außenpolitik-Experte Fjodor Lukjanow sagt, nur ein schmutziger Hinterzimmer-Deal könne den Zerfall der Ukraine noch stoppen. Stimmen Sie zu?

Das höre ich jetzt zum ersten Mal. Ich weiß nicht, was das bedeuten soll. Die russische Führung wird ihre Agenten nur zurückpfeifen, wenn erheblicher Druck aus dem Westen kommt. Die bloße Androhung von Sanktionen wird im Kreml offenbar nicht ernst genommen. In der russischen Wirtschaft beziehungsweise der privaten Situation der Menschen, insbesondere der politischen und Wirtschaftsbosse, müsste sich etwas signifikant ändern, damit es ein kollektives Umdenken der Moskauer Elite beginnt.

Sie halten es also für möglich, dass Russland durch Sanktionen einknickt und nicht zusätzlich provoziert wird?

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Russland blufft meinem Eindruck nach, was den Effekt möglicher Sanktionen angeht. Es stellt sich als stärker, unabhängiger und unberührbarer dar, als es tatsächlich ist. Die Verflechtung Russlands mit der europäischen, ja mit der Weltwirtschaft ist derart tiefgehend, dass das westliche Potenzial Druck auszuüben, groß ist – wenn man es denn wirklich möchte und bereit ist, die eigenen Kosten solcher Sanktionen zu tragen.

Der erste Friedensgipfel in Genf ist gescheitert. Hätte ein zweites Genf eine Chance?

Ja, sicherlich. So etwas macht immer Sinn. Aber solange die russische Führung nur rhetorisch, selektiv und symbolisch unter Druck ist und nicht mit deutlich spürbaren ökonomischen und sozialen Konsequenzen seiner Politik konfrontiert wird, wird sie ihr Verhalten nicht ändern. Für Putin sind solche Verhandlungen dann nur Zeitgewinn und diplomatisches Geplänkel. Schaut man auf die Beispiele Transnistrien, Abchasien, Südossetien und Krim, sieht man: Der Westen ist letztlich immer eingeknickt und hat sich nach lauten Protesten mit dem neuen Status quo, den Russland jeweils schuf, abgefunden. Solange Putin den Eindruck hat, dass der Westen nicht ernsthaft reagiert, wird er den jetzigen Kurs weiterführen.

Zeichnen die deutschen Medien aus Ihrer Sicht ein objektives Bild von der Lage in der Ukraine?

Es gibt die Tendenz einer merkwürdigen Äquidistanz. Man hat die ukrainische und die russische Seite, und einige Beobachter versuchen so eine Art balanciertes Mittelfeld in diesem Konflikt zu finden. Meiner Ansicht nach ist das falsch gedacht, ja unverantwortlich. Natürlich ist die Ukraine kein ideales Land, es gibt hier viele Probleme wie Korruption, Oligarchie, Rechtsextremismus (mit derzeit ca. fünf Prozent Unterstützung in der Bevölkerung) usw. Trotzdem ist die Ukraine ein souveräner Staat. Kiews alleiniger und vollständiger Machtanspruch über das ganze Territorium der Ukraine ist nicht mit Verweis auf diese oder jene Unzulänglichkeit verhandelbar. Die neue Regierung ist mit einer großen Mehrheit von einem gewählten Parlament bestätigt worden; sie ist die womöglich am wenigsten korrupte, die die Ukraine bislang hatte. Premierminister Arseni Jazenjuk hat 371 von 450 Stimmen bekommen und damit mehr Legitimität, als viele ukrainische Regierungschefs vor ihm. Die häufige Darstellung, dass die derzeitige Kiewer Interimsregierung nicht oder nur eingeschränkt legitim sei, ist eine russische Ente, die erstaunlich weite Verbreitung in der westlichen Medienlandschaft gefunden hat. Der Verweis auf rechtsradikale Minister sollte sich, wenn man denn so prinzipienfest ist, in erster auf das EU- und NATO-Mitgliedsland Lettland richten, welches derzeit auch eine rechtsradikale Regierungspartei hat. Generell scheinen die Maßstäbe, die man an die Ukraine anlegt, manchmal höher zu sein, als für EU-Mitgliedsländer. Die expansionistische, xenophobe und homophobe russische Autokratie wird dagegen nicht selten mit erstaunlichem Respekt und Verständnis behandelt. Das verwundert…

4. Mai 2014 // das Interview führte Christian Rothenberg

Eine gekürzte Version erschien zuvor bei n-tv.de.

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