Mein Lehrer, Professor Misruchin vermochte es, mir eine respektvolle Haltung gegenüber meiner Spezialisierung, der Psychiatrie, einzureden. So habe ich meine Zukunft gewählt. Die Romantik löste sich allmählich auf, als ich in die Provinz zog und eine selbstständige Tätigkeit als Psychiater begann. Eine der ersten unerwarteten Eindrücke – der Angriff seitens eines Patienten auf mich, welchen ich verpflichtet war an seinem Wohnort zu besuchen. Ich war jung und schaffte es auszuweichen …
In die Psychiatrie kommen mehr junge Ärzte, als in ihr bleiben. Die romantischen Erwartungen verblassen im Alltag schnell. Wir Psychiater haben einen gefährlichen Beruf. Es ist unangenehm darüber öffentlich zu reden, sich zu beschweren. Am Ende sind wir nicht die einzigen: das Ambulanzpersonal ist ebenfalls Angriffen ausgeliefert. Und Morden. Auch dort, auf ihrem Gebiet? Es ist üblich sich zu beschweren. Verstümmelte, von Säure erblindete Ärzte und Krankenschwestern gehen still in die Arbeitsunfähigkeit…
Eine seriöse, objektive Statistik über die Überfälle auf medizinisches Personal gibt es in der Ukraine nicht. Es gibt jedoch hunderte Überfälle im Jahr. Ruhig setzen wir Freunde und Kollegen bei, wir trösten, wie wir können, ihre Verwandten. Und der Staat ist gleichgültig. Man hat sich so einen Beruf ausgewählt – also musst man es dulden. So war es. So war es schon immer, auch schon zu Sowjetzeiten, und jetzt, in den Jahren unserer staatlichen Unabhängigkeit.
Ein plötzlicher, vielversprechender Lichtblick: die Parlamentsabgeordnete Irina Syssojenko (keine Ärztin, sondern Juristin) organisierte und führte am 24. Januar einen Runden Tisch zum Thema „Das Recht des medizinischen Personals, sich vor unrechtmäßigen Angriffen auf sein Leben und seine Gesundheit zu schützen“ durch. Das Ziel war es, die Situation auszudiskutieren und die Schaffung eines speziellen Gesetzes zu einzuleiten. Es nahmen Dutzende von Menschen, Ärzten, Juristen, ein Polizist, ein Journalist, Gewerkschaftsaktivisten teil. Nicht nur Leute aus Kiew. Sie sprachen offen, bitter, unparteiisch. Die Parlamentsabgeordnete und Vorsitzende des Parlamentsausschusses Olga Bogomolez hat ebenfalls teilgenommen. Andere Abgeordnete waren nicht anwesend. Sie waren, wie es scheint, mit wichtigeren Staatsangelegenheiten beschäftigt.
Es kam niemanden von der Führung des Gesundheitsministeriums. Obwohl der stellvertretende Minister Pawel Kowtonjuk hätte anwesend sein sollen, sein Platz am Tisch war neben dem meinen. Und ich wollte unbedingt diesen jungen Mann aus dem berüchtigten „Reformteam“ aus der Nähe betrachten. Und einander kennenlernen, und paar schneidende Fragen stellen. Leider kam er nicht. Ich verstehe schon, es ist ein langweiliges Thema…
Während der Vorbereitung auf die Teilnahme zu diesem runden Tisch, schickte ich Briefe an Kollegen in allen psychiatrischen Anstalten in der Ukraine. Die Antworten sind erschreckend. Angriffe auf das Personal sind Alltag. Verletzungen und Morde nahmen zu. Oft aufgrund von Armut. In den sogenannten Beobachtungszimmern unserer Krankenhäuser, wo die „akuten“ und gefährlichen Patienten untergebracht sind, befinden sich im Fensterrahmen gewöhnliche Fenster aus Glas. Es ist ein Leichtes diese zu zerschlagen, und genauso leicht ist es, mit den Glasscherben einen menschlichen Leib zu schneiden. Ob das Gesundheitsministerium davon weiß? Nein, weiß es nicht. Dort gibt es durch die Bemühungen von Frau (Uljana) Suprun keine kompetenten Spezialisten.
Traurig und ehrlich äußerte sich der Offizier unseres Polizeisystems. Und vor allem sie, unsere Polizisten, sollten in prekären Minuten in der Nähe des medizinischen Personals sein. Nun, ich habe das Problem der bösartigen Folgen für die Reform des Justizsystems angesprochen. Wir Psychiater sollten die Erlaubnis eines Richters für eine unverzügliche Hospitalisierung erhalten, für eine unfreiwillige Behandlung usw. Der Mechanismus schaut wie folgt aus: der Arzt fährt zusammen mit dem Patienten mit dem Auto für die benötigte Erlaubnis zum Gericht. Persönlich, da die Kontaktaufnahme über Skype per Gesetz verboten ist. Obwohl dies durchaus technisch möglich ist! So hat die Konsolidierung der Gerichte dazu geführt, dass die Anzahl der Gerichtsräumlichkeiten reduziert wurde. Und im Gerichtsgebäude warten mehrere Autos mit meist aufgeregten Patienten darauf, an den Richter zu kommen.
Der Arzt und der Fahrer, unfreundliche Gefühle für diese Justizreform durchlebend, leiden in der langen Wartezeit. Aber die Patienten, psychisch kranke Menschen, können sich nicht lange gedulden. Dies ist ein weiterer Grund für die Aggressionen gegen medizinisches Personal …
29. Januar 2018 // Semjon Glusman
Quelle: Lewyj Bereg
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