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Imitation von Demokratie

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Imitation von DemokratieErfolgreiche Ukraine: "Die Ukrainer gehen nicht wählen, da sie keinen wirklichen Führer sehen?"
Der durchschnittliche Wähler stimmt für einen Kandidaten wie für einen Teilnehmer beim Eurovision Song Contest.

Demokratie ist die schlechteste Regierungsform – abgesehen von allen anderen Regierungsformen. Dieses Zitat von Winston Churchill ist ein ideales Argument zur Verteidigung der Demokratie. Und sei es nur deshalb, weil der Rest der Apologetik der Volksherrschaft weniger überzeugend ist. Bei uns wird dieser Aphorismus seit 1992 reichlich oft bemüht, aber aus ukrainischem Munde klingt er noch immer naiv. Denn bevor man die ukrainische Demokratie verteidigen kann, muss man sie erst einmal aufbauen. Und genau damit gibt es in der Ukraine ziemlich große Probleme.

Am deutlichsten treten die Pathologien an der ukrainischen (Möchtegern-) Demokratie während der Regionalwahlen zutage. Gerade auf der lokalen Ebene nehmen diese die vulgärsten Formen an. Bei Parlaments- oder Präsidentenwahlen steht jeder Kandidat im Fokus der führenden Medien und somit der ganzen Gesellschaft. Das betrifft besonders die Bürgerrechtler, die beim geringsten Anlass Geschrei erheben. Bis zu einem gewissen Grad verpflichtet das alle, sich an die politischen Formalitäten zu halten.

Regionalwahlen sind eine andere Angelegenheit. Wird die Situation in Kiew und anderen großen Städten einigermaßen von der Gesellschaft verfolgt, so funktioniert dieser Faktor in der Provinz nicht. In Kiew, Lwiw oder Charkiw ist organisierter bürgerlicher Protest möglich, aber nicht in den verschlafenen regionalen Zentren, wo man die Aktivposten der bürgerlichen Gesellschaft an einem einzigen Cafétischchen unterbringen kann. Die unabhängigen Medien, der Wachhund der Demokratie, bellen selbst in Kiew mehr, als dass sie beißen. Ganz zu schweigen von den zahnlosen alten Hofhunden in der Provinz.

Die internationale Gemeinschaft, die die Legitimität einer neu gewählten Regierung anerkennen muss, nimmt sich der Regionalwahlen auch nicht wirklich an. Eineinhalbtausend ausländische Wahlbeobachter, das ist eher eine Formalität als das tatsächliche Bemühen, den Wahlvorgang ernsthaft zu kontrollieren. Dabei geht es auch nicht nur um die formale Einhaltung des Prozedere. Das Hauptproblem ukrainischer Wahlen besteht darin, dass dieses Prozedere oft mit ganz und gar undemokratischem Gehalt angefüllt wird, und sich so die Wahlen in eine bloße Nachahmung von Volksherrschaft verwandeln.

Theoretisch sind Wahlen ein Prozess, bei dem bestimmten Personen bestimmte Vollmachten übertragen werden. Vereinfacht gesagt absolvieren die Kandidaten während des Wahlkampfes ein Vorstellungsgespräch bei der Gemeinde, in dem sie sich bemühen, ihre Kompetenz und Loyalität unter Beweis zu stellen und ein Maßnahmenprogramm für den Posten vorzustellen. Aber die professionelle Eignung des Kandidaten interessiert den ukrainischen Wähler wenig. Darum gibt es bei uns auf allen Regierungsebenen halbgebildete Lenin’sche „Köchinnen“, die nach ihrem bäuerlichen Verständnis den Staat führen.

Gleiches gilt für die Programme, die den Kandidaten zu nichts verpflichten. Nicht zuletzt deshalb, weil es in der Ukraine keinen Mechanismus gibt, der es erlaubt, den Gewählten abzusetzen. Und es scheint auch nicht so, als würde das den durchschnittlichen Wähler besonders stören: nach 24 Jahren Unabhängigkeit sieht sich der Präsident gezwungen, die Schaffung eines solchen Mechanismus anzuregen. Daher geraten die Wahlen zu einem Festival des Populismus, das in diesem Jahr groteske Züge annahm: ein Kandidat für das Amt eines Bürgermeisters versprach gar, die Armee zu reformieren. Wenn es so weitergeht, versprechen die Kandidaten demnächst die Vergebung der Sünden.

Es wundert nicht, dass der durchschnittliche Wähler für einen Kandidaten stimmt wie für den einen oder anderen Teilnehmer beim „Eurovision Song Contest“. Dadurch sind die Korridore der Macht angefüllt mit Vertretern der Berufsgruppe „einfach ein guter Bursche“. Auf lokaler Ebene macht sich das besonders vulgär und primitiv. Nach der Agitation der Kandidaten und der Motivation der Wähler zu urteilen, haben längst nicht alle verstanden, dass es einen Unterschied gibt zwischen der Wahl einer Person in ein Amt oder der Verleihung der Ehrenbürgerschaft der Kreisstadt N.

Und das ist noch nicht die schlimmste Variante. In so einer Situation bleibt wenigstens noch das Element der Wahl als solcher erhalten, sei es auch sinn- und inhaltslos. Viel schlimmer ist es, wenn durch die Wahlen eine Legitimation neofeudalistischer Herrschaft stattfindet. Während sich der Neofeudalismus auf nationaler Ebene mehr oder weniger gewissenhaft hinter den Kulissen der Parteienvielfalt verbirgt, so ist das Problem bei den örtlichen Wahlen so offensichtlich wie eine Laus unter dem Mikroskop.

Dass die Macht örtlicher Fürsten, die wirtschaftliche und administrative Ressourcen in ihren Händen konzentriert haben, umso größer ist, je tiefer man in die Provinz kommt, ist für niemanden mehr ein Geheimnis. Vor tausend Jahren vertraten sie ihre Machtansprüche mit Feuer und Schwert, heute sind sie genötigt, alle vier Jahre am elektoralen Glücksrad zu drehen. Der Ausgang ist ungewiss, dafür überleben ihn aber alle Beteiligten. So eine Schlacht kann Jahre dauern, aber den Wählern kommt darin die Rolle eines Orakels zu, dessen trügerische Urteile es dem Feudalherrn erlauben, sein blaues Blut nicht vergießen zu müssen.

Da, wo es Konkurrenz gar nicht gibt, kommt man völlig ohne Intrigen aus. In solchen Fällen sind Wahlen nur ein Ritual zur Legitimation der Macht einer bestimmten Person oder eines Clans. Für ihr Mitwirken bei diesem Ritual erhalten die Untertanen materielle Aufmerksamkeiten gemäß der Großzügigkeit des Feudalherrn. Tatsächlich kaufen die Kandidaten ganz einfach die Loyalität ihrer Wähler mit einer renovierten Schule, einer ausgebesserten Straße usw. Entsprechend betrachten die Ortsansässigen die Wahlen als Gelegenheit, beim Feudalherrn um etwas zu bitten, was der Bürgermeister einer zivilisierten Stadt routinemäßig gewährleisten sollte.

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Natürlich hat das alles nicht das Geringste mit tatsächlicher Volksherrschaft zu tun. Bei dem Ausmaß, das diese Erscheinung hat, sind jedwede Wahlen nur eine Imitation. Man könnte sie daher auch als „gefälscht“ bezeichnen, unabhängig von der formalen Korrektheit der Abläufe. Tonnen von Agitations-Papiermüll und Durcheinander in den Wahllokalen, das ist alles nur Nachahmung von Demokratie, solange die Prozedur nicht mit realem politischem Inhalt gefüllt ist. Das heißt, so lange, wie die ukrainische Demokratie noch keine repräsentative im eigentlichen Sinne des Wortes geworden ist.

Dafür bedarf es nur einer Kleinigkeit. Die Bürger müssen lernen, gemeinsame Interessen zu artikulieren, und die Gewählten dazu anhalten, das, was die Wähler ihnen aufgetragen haben, auch auszuführen. Das heißt, die Bürger müssen Subjekte der Verwaltung ihres Landes werden – und das nicht erst nach einigen kalten Monaten eines weiteren Maidan, sondern immer, überall und auf allen Ebenen. Die Optimisten haben recht: der Prozess hat bereits begonnen, und ein Teil der Ukrainer ist schon von Untertanen zu Bürgern geworden. Wie lange aber die vollständige Umwandlung der Gesellschaft dauern wird, ist ungewiss.

26. Oktober 2015 // Maksym Wichrow

Quelle: Zaxid.net

Übersetzerin:   Ariane Barnick — Wörter: 1028

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