Mein vorhergehender Kyjiw gewidmeter Artikel hat unerwartet nicht wenig Popularität im Aggressorstaat [Russland, A.d.Ü.] erhalten. Offensichtlich gefiel den Feinden am meisten die Phrase „die Hauptstadt der Ukraine sieht leider nicht nur einfach wie eine Kopie von Moskau aus, sondern wie eine schlechtere Version von Moskau, in der alle Moskauer Krankheiten zur Absurdität geführt wurden.“ In diesem Moment müsste ich innehalten und ausrufen: „Oh, nein! Was habe ich getan? Jetzt werde ich nur über die Europäizität Kyjiws schreiben, in dem für zehn und ein paar Zerquetschte Millionen US-Dollar eine Fußgängerbrücke mit transparenten Einsätzen gebaut wurde!“
Ich scherze natürlich. Moskau mag Moskau sein, doch Kyjiw – bei all dem von Natur und Geschichte gegebenen Potenzial – verwandelt sich real in die schlechteste und unkomfortabelste Stadt unseres Staates, die kaum „Gesicht“ und nicht einmal „Rücken“ der Ukraine genannt werden kann.
Die letzte Nachricht: auf dem Tscherepanowa hora [Tscherepanow-Berg] ist anstelle des Gebäudekomplexes des Geologieerkundungstechnikums (das jetzt zur Kyjiwer Nationalen Universität namens Taras Schewtschenko gehört) geplant, ein Handels- und Vergnügungszentrum zu errichten. Ich erkläre es für die Leute, welche die Geografie Kyjiws schlecht kennen: das Gebäude im Stil des Klassizismus steht auf dem Berg, inmitten enger Straßen, die auch so unter den „punktuellen“ Hochhausbauten leiden. Klar ist, dass eine Mall hier den gesamten Stadtteil komplett „zupropft“. Ich rede nicht einmal mehr davon, dass ein Shoppingcenter statt einer Lehranstalt ins Zentrum zu stopfen nicht einmal Moskau ist, sondern irgendein Kabul. Stellen Sie sich vor, dass in Wien eine Universität abgerissen wird, um eine Shoppingmall zu bauen. Schwer vorstellbar? Eben. Im benachbarten Viertel ist geplant den Vorkriegsbau der UkrKinoChroniky abzureißen. Hier ein Museum der ukrainischen Kinematographie einzurichten? Wozu! Man kann die nächsten Hochhäuser bauen, von denen es so „wenig“ in Kyjiw gibt!
Die Kyjiwer Stadtregierung (weder die aktuelle, noch die davor) hat überhaupt keinen komplexen Ansatz für die Stadt. Die Bebauung findet nach dem Prinzip „wer gibt mehr Geld“ statt und das meiste Geld wird für Grundstücke in den zentralen Stadtteilen gegeben. Falls die örtlichen Einwohner protestieren – kommen die guten-alten „Tituschky“ [Schlägertypen], welche die Aktivisten verprügeln und einschüchtern. Doch selbst der teuerste Grund in der Ukraine wirkt sich überhaupt nicht auf die Entwicklung der Infrastruktur aus. Zwischen den supermodernen Wohn- und Bürohochhäusern sackt von Zeit zu Zeit die Erde ab und es sprudelt heißes Wasser hervor, darum herum fahren die lange ausgemusterten sowjetischen Kastenwagen von „Kyjiwwodokanal/KyjiwWasserKanal“ und auf den krummen und abgesenkten Gleisen schwanken die halbtoten tschechoslowakischen Straßenbahnen aus den 1970er Jahren. Und kein „transparentes“ Fußgängerbrückchen ist in der Lage diese Stadt auch nur entfernt den Städten in Europa gleichen zu lassen – sie erinnert eher an ein helles Pflaster auf dem Körper einer Leiche.
Und hier kann man sich endlos streiten, ob der unentwickelte ukrainische Staat Kyjiw entstellt, oder das missgebildete Kyjiw sich in der Form des ukrainischen Staates reproduziert. Fakt ist, dass die hauptstädtische Agglomeration die Elite der politischen, bürgerlichen und ökonomischen Gemeinschaft der ganzen Ukraine anzieht, doch das hilft weder der Stadt selbst, noch dem Land im Ganzen überhaupt nicht. Ja, in Kyjiw gibt es das höchste Lohnniveau und die besten Möglichkeiten zur Arbeitssuche – doch die Lebensqualität sinkt dabei langsam aber sicher. Dafür wachsen bei den verschiedenen „Experten“ unabhängig von ihrer Position rosa Brillen und sie hören auf, den Rest des Landes außerhalb von Kyjiw zu sehen. Vor kurzem haben solche „Experten“ in einem Artikel der Ukrajinska Prawda die hohen Einfuhrzölle für aus dem Ausland importierte Autos vertreten, dabei Singapur als Beispiel anbringend. Nunja, Singapur, ein Stadtstaat, ist ein gutes Beispiel für die Ukraine, wo außerhalb Kyjiws kein Leben existiert und wenn es existiert, dann wozu? Es müssen den Einwohnern der entfernten Dörfer günstige Autos verboten werden, in denen ein Bus alle zwei Tage fährt, damit nur die wichtigen Herrschaften im Zentrum der Hauptstadt fünf Minuten weniger in den Staus stehen!
Es gibt nicht wenige Staaten, in denen positive Veränderungen in der Hauptstadt begonnen haben und dann in die Provinzen gelangten. Leider verwandelt das derzeitige Kyjiw als mentaler urbanistischer Raum und als gesellschaftlich-politisches Umfeld das eher Schlechte in das noch Schlechtere und dafür ist keine Grenze in Sicht.
Daher ist es für mich absolut unwichtig, wie meine Worte von den Propagandisten „hinter dem Bürgersteig“ [in Russland; die Phrase „sa porebrik“ aus dem Petersburger Russisch, wurde 2014 in Kramatorsk von einem der aus Russland kommenden Bewaffneten bei der Besetzung der örtlichen Polizeistation verwendet. Seitdem steht die Phrase für im Donbass kämpfende Russen. A.d.Ü.] verwendet werden – ich möchte vor allem, dass meine Gedanken in der Ukraine vernommen werden. Kyjiw ist die krankeste Stadt unseres Staates. Und zur „Behandlung“ Kyjiws müssen alle Anstrengungen des ukrainischen Volkes aufgewandt werden, denn ohne Kyjiw ist die Errichtung einer modernen europäischen Ukraine kaum möglich.
18. Februar 2020 // Pawlo Subjuk
Quelle: Zaxid.net
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