Der vor Gericht freigesprochene Journalist erzählt „Strana“, was er über Nadeschda Sawtschenko denkt, warum man ihn erneut abhört und was er im Falle seiner Einberufung machen würde.
Der Journalist Ruslan Kozaba aus Iwano-Frankiwsk wurde über Nacht berühmt, als er die Ukrainer aufrief, ihrer Einberufung nicht zu folgen und den Kriegsdienst zu verweigern. Dafür wurde er zu Beginn 2015 verhaftet und vor Gericht gestellt. Die internationale Menschenrechtsorganisation Amnesty International nannte ihn einen politischen Gefangenen. Vor drei Wochen wurden alle Anklagepunkte auf Beschluss des Berufungsgerichtes fallengelassen. Jetzt ist er ein freier Mensch. Womit er sich jetzt in Freiheit beschäftigt, hat er „Strana“ erzählt.
Was haben Sie die ersten Tage nach Ihrer Freilassung gemacht?
Momentan genieße ich noch mein Leben. Klar, ich verbringe jeden Tag bis zur Mittagszeit im Gericht und beim SBU (Sluschba Besbeky Ukrajiny – Geheimdienst, A.d.R.). Weil sie mir noch nicht mein beschlagnahmtes Eigentum oder mein Geld zurückgegeben haben – eine Kamera und ein Telefon. Und ohne Telefon bin ich quasi wie gelähmt. Bereits am 12. Mai hat das Gericht in erster Instanz die SBU-Mitarbeiter verpflichtet, mir mein Eigentum zurückzugeben. Das ist jetzt vier Monate her. Sie sagen mir jeden Tag, dass ihr Vorgesetzter im Urlaub ist und der Ermittlungsbeamte irgendwo anders. Einfach ausgedrückt heißt das: Sie schikanieren mich. Mal abgesehen davon, soll ich laut Urteil 4.796 Hrywnja und 95 Kopeken an „Verfahrenskosten“ für eine „linguistische Expertise“ zahlen soll (Der SBU hat ein Video Kozabas auf einen Straftatbestand hin untersuchen lassen. – Anm. d. Red.) Die Expertise hat der SBU im Übrigen noch vor meiner Verhaftung durchführen lassen. Und solange diese Schuld nicht beglichen ist, kann ich beispielsweise nicht ins Ausland reisen. Wie es aussieht, kann ich mich noch nicht einmal im Land frei bewegen, und das, nachdem ich eigentlich vor Gericht recht bekommen habe. Ganz zu schweigen davon, dass ich erneut abgehört werde.
Woher wissen Sie das?
Kann ich Ihnen nicht sagen, aber ich bin mir sicher.
Warum werden Sie abgehört?
Ich sag‘s mal so. Nach dem Gerichtsurteil hat mir eine sachkundige Person mitgeteilt, dass man mich wegen einer anderen Straftat an Kiew überstellen möchte. Und tatsächlich hat mich ein SBU-Oberst über einen Ermittlungsbeamten ausfindig gemacht und wollte, dass ich zur Sache Sergej Korsunskij, mit dem ich mal ein Interview führte, aussagte. Das ist der ehemalige LNR-Anführer, den der „Isbuschka“ (auf die Abkürzung SBU bezogenes Wortspiel, dtsch. Holzhäuschen, Hütte) – wie in Lugansk der SBU genannt wird – fasste und in Kiew festnahm.
Und was konnten Sie über ihn sagen?
Nichts. Ich habe mich mit ihm in der „grauen Zone“, im sogenannten Null-Perimeter getroffen. Er hat mir einfach ein Interview gegeben, das sich auch auf meinem Youtube-Kanal befindet. Und beim SBU wollte man, dass ich die Namen der zum Bataillon „Ajdar“ gehörenden Personen nenne, die mich begleiteten. Darum ging es. Und ich habe gesagt, dass ich mich nicht erinnere.
Was glauben Sie ist der Grund für Ihren Freispruch?
Ich denke, dass dieser auf europäische Bemühungen zurückzuführen ist. Meine Angelegenheit wurde zweimal in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates diskutiert, meine Anwältin Tatjana Montjan hat sich ständig mit den Europäern getroffen, meine Frau fuhr nach Deutschland, um sich mit Menschenrechtsaktivisten auszutauschen. Und ich wurde auch als einziger als politischer Gefangener anerkannt. Alles Kleinigkeiten, die zusammengenommen einen Unterschied machten. Und ein politischer Gefangener kam anscheinend nicht gut, wenn man (die Regierungsspitze – Anm. d. Red.) den IWF um Geld anbetteln wollte.
Wie ist man Ihnen nach der Freilassung begegnet? Kollegen, Freunde? Erkennt man sie auf der Straße?
Ja, die Menschen erkennen mich auf der Straße und gratulieren mir. Sie sagen: „Wir haben für Sie gebetet“. Aber die Kollegen … Als mein Urteil verkündet wurde, war nicht ein Journalist da. Nur ein mir bekannter Blogger kam und den habe ich selbst eingeladen. Ich war also allein im Gerichtsaal. Allein! Und als ich dann endlich wieder im Internet surfen konnte und las, wie sie sich über mich lustig machten, während ich in einer Zelle saß … Darunter waren sogar einige Leute, die ich zu meinen Freunden zählte, und sie haben mich mit Schmutz beworfen. Das hat mich nicht gerade optimistisch gestimmt. Ich bin bereits seit drei Wochen frei und nicht einer der lokalen Journalisten hat mich bislang interviewt. Bei uns, müssen Sie wissen, befürchten alle, dass „etwas Schlimmes passieren könnte“. Und schließlich sagt der Generalstaatsanwalt, dass er Kozaba für schuldig hält und die Staatsanwaltschaft in Berufung gehen werde. Eingeweihte Leute haben mir gesagt, dass sie mir gern eine Vorstrafe anhängen würden. Dann könnte ich mich beispielsweise nicht als Abgeordneter zur Wahl stellen.
Haben Sie das denn vor?
Dafür braucht man einen Wahlkampfstab. Allein ist das schwierig. Ich sehe doch, wie sie Nadeschda Sawtschenko niedertrampeln, obwohl sie begann, intelligente Sachen zu sagen. In solchen Fällen pflege ich zu sagen „Stäbe schreiben – Stäbe lesen“. Sie hatte kein Team hinter sich und war allein. Sie sollte sich also nicht zu sehr grämen. Ich habe sie übrigens mal interviewt, als sie noch im Bataillon „Ajdar“ diente. Vorgeschlagen in die Politik zu gehen, hat mir tatsächlich Wadim Rabinowitsch (Parlamentsabgeordneter, der eine eigene neue Partei gründet ). Ich habe mich mit ihm auch extra getroffen. Er erklärte, dass ich unbedingt ein Wahlkampfteam finden müsse. Ohne dieses wäre alles bereits nach zwei Wochen vorbei.
Und er wollte, dass Sie seiner Partei beitreten?
Ja.
Und wie haben Sie sich entschieden?
Ich weiß nicht, zunächst einmal muss ich mich an meine Freiheit gewöhnen. Weil mich momentan alles daran erinnert, dass ich im Gefängnis war. Ich habe Angst davor, mein Essen mit dem Messer zu schneiden, da ich zwei Jahre lang kein Messer in der Hand hatte. Das heißt, ich muss mich erst einmal psychisch erholen, bevor ich an Politik denken kann. Und ehrlich gesagt, glaube ich auch nicht, dass die Regierungsspitze Neuwahlen zulassen würde, denn das wäre ihr Ende. Bei einem Machtwechsel müsste sie doch sofort ins Gefängnis.
Und wie ist die Stimmung in der Westukraine? Was denken die Menschen über Krieg, über die Regierung?
Wissen Sie, ich unterhalte mich mit den unterschiedlichsten Leuten. Ich wage nicht zu behaupten, dass diese repräsentativ sind, aber ich spüre und sehe eine deutliche Kriegsmüdigkeit. Alle sagen das, was ich vor zwei Jahren gesagt habe. Übrigens hat mir ein Mitarbeiter vom Wehrersatzamt, der wegen Bestechung ebenfalls im Gefängnis saß, gesagt: „Ruslan, du hast die Wahrheit gesagt, aber du hast es als Erster getan. Und daher wollten sie an dir ein Exempel statuieren, damit sich diese nicht wie eine Infektion ausbreiten kann und dann alle die Wahrheit sagen.“ Und nachdem ich aus dem Gefängnis gelassen wurde, habe ich im Internet ein passendes Wortspiel gelesen: statt „mobilisazija“ (dtsch. Mobilisierung) wurde „mogilisaziaj“ (abgeleitet von „mogila“, dtsch. „Grab“) verwendet.
Wenn Sie die Zeit zurückdrehen könnten, würden Sie Ihre Tat wiederholen?
Wahrscheinlich ja. Es gibt Dinge, die einfach anders nicht gehen – und auch nicht sollten. Ich war auf beiden Seiten der Front. Habe mich unterhalten, Interviews geführt, den Leuten in die Augen geschaut. Und ich weiß doch, fühle doch, wann mir ein Mensch die Wahrheit sagt und wann nicht. Und letzten Endes ist dies alles auch eine moralische Frage …
Und wie würden Sie selbst reagieren, wenn Sie Ihre Einberufung erhielten?
Ich würde verweigern. Im Übrigen wäre das immer noch eine Möglichkeit für die Behörden. Ich habe ja keine drei Kinder und bin noch keine 60 Jahre alt. Dann käme ich definitiv ins Gefängnis. Ich möchte aber nicht durch ein Zielfernrohr auf die Menschen schauen.
Sawtschenko sagte, dass sie bereit wäre, in die LNR/DNR zu fahren, um mit den Separatisten zu reden. Würden Sie das auch riskieren?
Ich glaube an etwas, dass man als Volksdiplomatie bezeichnen könnte. Was würde uns daran hindern, mit Journalisten eine Skype-Konferenz zu organisieren? Um Argumente auszutauschen? Um einen Dialog mit den Witwen zu eröffnen, dann mit den Separatisten, die eigentlich auch von allem genug haben. Die auch verstehen, dass sich der Krieg hinzieht und jeder Tote uns näher an den Point of no Return bringt. Ich denke, dass ich karitativ tätig sein könnte, wenn durch diese Tätigkeit Leben gerettet würden.
Glauben Sie, dass die Minsker Gespräche irgendwie zu einer raschen Versöhnung beitragen können?
Ich denke, dass sich Merkel und Hollande selbst nichts Gutes getan haben, als sie die Verträge unterzeichneten. Schließlich tragen sie die Hauptlast durch die Sanktionen gegen Russland. Und wir sollten auch endlich ein paar Schritte in Richtung eines Friedensabkommens machen. Denn selbst hier in der Westukraine, im patriotischen Iwano-Frankiwsk ist man des Krieges müde und bereit, sich Polen, Ungarn oder gar der Slowakei anzuschließen. Solange es wieder anständige Löhne und Renten gibt – und Frieden. Aber eine Politik des Friedens kommt unseren Politikern nicht zupass, weil dann der Schmuggel und das Geld für die Demarkationslinie wegfiele. Haben Sie die sogenannte „Mauer“ von Jazenjuk gesehen? Hier bei uns werden mit solchen Geflügelnetzen die Hühner in den Dörfern eingezäunt. Ein Panzer merkt noch nicht mal, dass er drübergefahren ist.
Wie wird sich Ihrer Meinung nach die Situation des Landes entwickeln?
Alles zeigt Richtung Staatsstreich. Uns Ukrainern wird dieser allerdings keine Vorteile bringen. Aber er wird mit Hilfe der Freiwilligenbataillone durchgesetzt. Ich sehe doch all die mit Waffen vollgestopften Bataillone. Ich habe heute einen bekannten SBU-Oberst getroffen, er hat mich zur Seite genommen. Ein Rentner. Er hatte sich beklagt, dass „,er zwar gerne seinem Land dienen würde – ein Gehorsam aber gegenüber diesen Vorgesetzten unerträglich sei“, er hatte seine Rente beantragt. Aber darum geht es nicht. Er sagte Folgendes: „Für diese Regierung würden wir nicht einen Finger krumm machen. Denn sie haben uns bereits 2014 verraten. Und kein Polizist, weder wir noch die Nationalgarde wird sie beschützen.“ Ich denke, der Mensch kann die Stimmung der Sicherheitsbeamten ganz gut bewerten, immerhin diente er auf hoher Ebene.
4. August 2016 // Anastassija Rafal
Quelle: Strana.ua
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