“Die Venedig-Kommission befürwortet Änderungen, die auf eine Ausweitung der Machtbefugnisse des Parlaments zielen und empfahl, mehr Begrenzungen und Gegengewichte zu den Machtbefugnissen des Präsidenten vorzusehen. So ist eine der wichtigsten Empfehlungen unserer Experten, dass sich die Ukraine nicht auf dem Status quo ausruhen, sondern auch weiterhin demokratische Verfassungsreformen verfolgen sollte.“
Thomas Markert, Sekretär der Europäischen Kommission „Für Demokratie durch Recht“ (Venedig-Kommission) des Europarates, Kiew, 30. November 2010
Die zahlreichen politischen Krisen der letzten 15 Jahre haben anschaulich demonstriert, dass die ukrainische Verfassung revidiert werden muss.
Jedoch werden die heutigen Diskussionen, die Verfassungsreformen zum Gegenstand haben, meist ohne Berücksichtigung von Forschungsergebnissen der Politikwissenschaften zur Eignung der einen oder anderen Demokratieform für postsowjetische Transformationsstaaten geführt.
2006 veröffentlichte Steven M. Fish, Professor für Politikwissenschaft an der University of California at Berkley, einen grundlegender Artikel unter dem bezeichnenden Titel ‘‘Je stärker die Legislativen, desto stärker die Demokratien’‘. Die Studie basiert auf einer quantitativ-komparativen Analyse und wurde im einflussreichen “Journal of Democracy” veröffentlicht, welches vom “National Endowment for Democracy” (NED) herausgegeben wird.
In seiner statistischen Vergleichsstudie von fünfundzwanzig postkommunistischen Staaten untersucht Fish diese hinsichtlich der relativen politischen Macht des Parlaments und des Erfolges des Landes bei der Implementierung von Demokratie. Er stellt einen unerwartet klaren Kausalzusammenhang zwischen diesen beiden Phänomenen fest. Das Ausmaß der in der Verfassung verankerten Prärogativen der gesetzgebenden Gewalt in postkommunistischen Staaten hat einen bedeutenden, wenn nicht entscheidenden Effekt auf die demokratische Qualität des politischen Regimes des jeweils untersuchten Landes.
Zu dem Zeitpunkt, als die von Fish analysierten Länder ihre Verfassungen in den 1990er Jahren erließen, konnte eine Korrelation zwischen dem Maß ihrer damaligen Demokratisierung und institutionellen Machtverteilung noch nicht beobachtet werden.
Demokratisierung und Parlamentsmacht. Herkunft: Steven Fish: "Stronger Legislatures, Stronger Democracies", Journal of Democracy Volume 17, Number 1 January 2006 http://www.journalofdemocracy.org/articles/gratis/Fish-17-1.pdf
Innerhalb einiger Jahre, im neuen Jahrhundert, erwiesen sich jedoch die Länder, die eine starke Legislative hatten, weitaus demokratischer, als jene Länder, die ein verhältnismäßig schwaches Parlament haben.
Parlamentsprärogative und Demokratieniveau im Moment der Verabschiedung der Verfassung, Herkunft: Steven Fish: "Stronger Legislatures, Stronger Democracies", Journal of Democracy Volume 17, Number 1 January 2006 http://www.journalofdemocracy.org/articles/gratis/Fish-17-1.pdf
Bezüglich der Transformationsländer Zentral- und Osteuropas, sowie der ehemaligen Sowjetrepubliken kommt Fish, ausgehend von diesen Ergebnissen, zu einer eindeutigen Schlussfolgerung: “Die erhaltenden Daten zeigen anschaulich, dass eine starke gesetzgebende Gewalt ein eindeutiges Plus für den Demokratisierungsprozess darstellt”. Bezüglich der Stärke der Korrelation zwischen der Macht des Parlaments einerseits und des Fortschritts der Demokratisierung andererseits, bemerkt Fish: “Die Korrelation ist sehr stark. Die Machtbefugnisse der gesetzgebenden Gewalt sind bedeutsam, ja vielleicht der wichtigste institutionelle Schlüssel zur Demokratisierung”.
Ausgehend von diesen Ergebnissen, empfiehlt er: “Die praktischen Schlussfolgerungen aus den gewonnenen Ergebnissen sind offensichtlich: Jene Politiker, die ihr Land demokratisieren wollen, sollten ihre Bemühungen auf die Schaffung einer starken Legislative fokussieren.
In politischen Systemen mit schwachen Parlamenten sollte die wichtigste Priorität der Demokraten in der Durchführung verfassungsrechtlicher Reformen, die auf eine Stärkung des gesetzgebenden Organs abzielen, liegen.“
Es muss angefügt werden, dass die Ergebnisse der Studie Fishs auf empirischen Erhebungen beruhen, das heißt auf tatsächlichen Erfahrungen von Ländern, die mit der Ukraine vergleichbar sind. Die gesellschaftlichen Debatten in der Ukraine zu diesem Thema basieren hingegen oft auf schwammigen politischen Deduktionen, unangebrachten interkulturellen Vergleichen, beispielsweise mit den USA, oder gewagten kontrafaktischen Mutmaßungen.
Gelegentlich geht dies soweit, dass die eine oder andere verfassungsrechtliche Regelung mit historischen Spekulationen oder metaphysischen Einwürfen gerechtfertigt wird.
Angesichts der Resultate Fishs wird die wichtigste Frage der nächsten Monate sein: Wollen die neuen Machtinhaber der Ukraine eine Demokratisierung?
Sind sie tatsächlich bereit, sich diesem Ziel zu verschreiben? Oder werden sie versuchen, einen alternativen Aktionsplan zu verfolgen, der ausschließlich auf wirtschaftliche Erholung, politische Stabilität und administrative Reformen ausgerichtet ist?
Das Verhalten des jetzigen Präsidenten der Ukraine, Janukowitsch, während der “Orangen Revolution”, wie auch die jüngsten Handlungen seines Kabinetts und der Partei der Regionen lassen eher Letzteres vermuten.
Jedoch liegt darin ein Problem: Demokratie ist eine wichtige Voraussetzung für nachhaltige politische Stabilität, rationale Wirtschaftsführung und effektive öffentliche Verwaltung. Darüber hinaus ist im Falle der Ukraine eine konsolidierte Demokratie im doppelten Sinne wichtig für die Zukunft des Landes.
Zum Einen stellt Demokratie einen Mechanismus zur Bewältigung der tiefgehenden Konflikte sowohl zwischen den habgierigen Wirtschaftsmagnaten des Landes, als auch zwischen der kulturell gespaltenen Bevölkerung der verschiedenen Regionen der Ukraine bereit.
Zum Zweiten ist die Demokratisierung ein Schlüssel für die langfristigen Perspektiven des Landes auf der internationalen Bühne, sprich zu einem schlussendlichen Beitritt zur EU.
Die Idee der europäischen Integration mit dem Ziel des Beitritts der Ukraine zur EU stellt wiederum ein wichtiges integratives innenpolitisches Konzept dar. Es führt die sich bekämpfenden politischen Lager und sozialen Gruppen des Ostens und Westens auf einen gemeinsamen Nenner.
Das oben Genannte verdeutlicht, dass die Implementierung eines schwachen semipräsidentiellen Systems mit der Werchowna Rada als dominierende Gewalt oder einer rein parlamentarischen Republik ein wichtiger Schritt in Richtung Stabilisierung des ukrainischen Staates sowie seiner künftigen innenpolitischen Entwicklung und Integration in die internationale Gemeinschaft demokratischer Staaten wäre.
(Dieser Artikel ist Teil eines ausführlicheren Essays, der in Ukrainisch in der Zeitschrift „Ukrajinskyj tyshden“ erscheinen wird.)
Quelle: Ukrainskaja Prawda
Die Rückübersetzung aus dem Russischen nahm Yvonne Ott vor.
Forumsdiskussionen
Frank in Nützliche und interessante Sachen • Re: Botschaftshinweise: Onlineeintragung in die "Deutschenliste" zur Krisenvorsorge
„"§ 107 Wahlbehinderung (1) Wer mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt eine Wahl oder die Feststellung ihres Ergebnisses verhindert oder stört ..." Hat mit seinem Anliegen irgendwie gar nix zu tun na...“
Bernd D-UA in Politik • Re: Der Ukraine droht ein schmerzhafter Abschied vom Donbass
„Toleranz ist das Stichwort und im Grunde befindet er sich zum großen Teil unter Gleichgesinnten und erkennt es nicht, sehr schade, allerdings sind seine Umgangsformen etwas eingeschränkt, was ebenso...“
Bernd D-UA in Nützliche und interessante Sachen • Re: Botschaftshinweise: Onlineeintragung in die "Deutschenliste" zur Krisenvorsorge
„@tombi Die Meinung anderer zu achten ist nicht so Dein Ding, Du musst sie ja nicht teilen. Dies ist aber eine grundlegende Regel einer Diskussion, daher macht die Diskussion mit Dir wenig Sinn, offensichtlich...“
Frank in Politik • Re: Der Ukraine droht ein schmerzhafter Abschied vom Donbass
„... keine macht den Drogen ... such dir mal Hilfe“
Tombi in Nützliche und interessante Sachen • Re: Botschaftshinweise: Onlineeintragung in die "Deutschenliste" zur Krisenvorsorge
„@tombi, das Land hat andere Probleme als Dir Deine Wahlunterlagen hinterher zu tragen. Soll auch so bleiben, kostet nur unnötig Steuergelder! Soweit alles Verstanden? Aha, wieder so ein Widerling der...“
Tombi in Politik • Re: Der Ukraine droht ein schmerzhafter Abschied vom Donbass
„Handrij, ich vermute Du bist ein FSB-Agent, da ich mit Euch Moördern nicht zusammen arbeiten möchte, und mir Deine Zensur zu peinlich ist: gehe ich, ich verlasse Dich & Deine Desinformation, deine...“
Tombi in MDR • Re: Ukraine-News: Russland meldet Rückeroberung von Großteil besetzter Kursk-Region
„Wer ist eigentlich so naiv, und verbreitet immer noch putinsche Propaganda Meldungen, in diesem Forum? Ihr wisst doch genau, dass der keinen mehr hoch bekommt. Ausser Lügen stemmt der doch gar nichts...“
Tombi in Ukraine-Nachrichten • Re: Kellogg muss Putin überzeugen, sich aus der Ukraine zurückzuziehen
„Quatsch, Kellogs muss nur Putin überzeugen, die Ukraine zu verlassen, und sein Morden einzustellen. wer schreibt diesen hinterhältige Putinschen Propaganda Artikel eigentlich, sind diese dämlich? Geht...“
Obm100 in MDR • Re: Ukraine-News: Selenskyj: USA können Russland zum Frieden zwingen
„Wohl eher umgekehrt. Putin würde es aus Angst vor amerikanischen Atomwaffen niemals wagen Alaska oder andere US-Territorien direkt anzugreifen. Von angeblicher Rechtlosigkeit der dort noch ansässigen...“
Awarija in MDR • Re: Ukraine-News: Selenskyj: USA können Russland zum Frieden zwingen
„Wohl eher umgekehrt. Putin würde es aus Angst vor amerikanischen Atomwaffen niemals wagen Alaska oder andere US-Territorien direkt anzugreifen. Von angeblicher Rechtlosigkeit der dort noch ansässigen...“
Obm100 in MDR • Re: Ukraine-News: Selenskyj: USA können Russland zum Frieden zwingen
„Mich würde es Interessieren, ob die Amis sich auch raushalten, wenn der Zwerg Alaska besetzt oder Teilbesetzt. Es könnte ja zu einem Atomkrieg kommen, wenn die Amis Truppen schicken. Sie senden anscheinend...“