Diese Woche hat das State Department der Vereinigten Staaten das nächste Sanktionspaket gegen das Gasprom-Projekt „Nord Stream 2“ verkündet. Erinnern wir daran, dass nach den vorherigen Plänen die Gasleitung auf dem Ostseeboden vom russischen Wyborg ins deutsche Greifswald bis Ende 2019 gebaut sein sollte.
Eben dann endete die Geltung des vorherigen Vertrages zwischen Gasprom und UkrTransHas bezüglich des Transports von russischem Erdgas nach Europa. Und es ergab sich die ernsthafte Gefahr, dass der russische Gasriese auf die Verlängerung des Vertrages verzichtet und das leistungsfähige Gastransportsystem der Ukraine sich außerhalb des Spieles befindet und wir über zwei Milliarden US-Dollar jährlichen Gewinns verlieren. Übrigens wurde urch die Verzögerung des Baus von „Nord Stream 2“, die vor allem durch die amerikanischen Sanktionen verursacht wurde, das Megaprojekt nicht rechtzeitig vollendet.
Es wurde bis heute nicht vollendet, obgleich weniger als zehn Prozent der Röhren zu verlegen sind. Offensichtlich helfen die amerikanischen Sanktionen dabei, um den Tag noch weiter hinauszuzögern, an dem durch diese Röhre dennoch Gas aus Russland nach Deutschland fließt. Doch sollte man sich nicht mit der Hoffnung trösten, dass es dennoch nicht gelingen wird, das Projekt zu realisieren. Zu viel Geld haben sowohl Russland als auch die westeuropäischen Unternehmen in diese Gasleitung investiert, als dass sie gezwungen werden könnten, endgültig darauf zu verzichten.
Daher muss die Ukraine früher oder später aus einer Situation herausfinden, bei der in die lange ukrainische Röhre kein Kubikmeter russischen Gases mehr hineinfließt. Ob es eine Katastrophe für das Gastransportsystem selbst, die ukrainische Energiesicherheit, die Finanzierung des Staatshaushalts usw. sein wird? Vielleicht, wenn man sich auf diese Situation nicht rechtzeitig vorbereitet, keine alternativen Pläne für die Nutzung der Röhre und der größten Gasspeicher Europas ausklügelt.
Vor kurzem stieß ich in der angesehenen Schweizer Zeitung Neue Zürcher Zeitung auf einen Artikel des bekannten deutschen Politologen Andreas Umland, der seinerzeit auch in der Ukraine arbeitete und daher gut vertraut mit ihren Problemen ist. Der Titel des Artikels ist vielsagend: „Die Ukraine sitzt auf riesigen Gasreserven, die bisher vergessen gingen — sie könnten Europas Energieversorgung umkrempeln“.
Umland erinnert daran, dass die Ukraine seinerzeit die „Kornkammer Europas“ war und das bedeutet, dass ein ziemliches Potenzial im Bereich der Wiederherstellung der landwirtschaftlichen Produktion liegt. Übrigens verfügt die Ukraine seinen Behauptungen nach ebenfalls über bedeutende Gasressourcen, von denen kaum jemand weiß. Und daher ist sie in der Lage zu einer Art von Game Changer in diesem Bereich zu werden.
Fantasien? Ich stelle mir vor, wie sich die Watnyky [Von der russischen Opposition entlehnte abfällige Bezeichnung für Russlandanhänger, die ursprünglich für Putin-Anhänger stand. A.d.Ü.], die mit Anekdoten darüber, dass die Ukraine niemals eigenes Gas hatte und es immer in Russland kaufte, über diese Äußerung lustig machen würden. Nun wer erinnert sich noch an das Daschawaer Gas [1913 entdeckte Erdgaslagerstätte bei der Ortschaft Daschawa bei Stryj im Gebiet Lwiw, A.d.Ü.], mit dem seinerzeit der Energiebedarf der Moskauer und Leningrader gedeckt wurde. Doch ist die Daschawaer Lagerstätte bereits seit langem erschöpft. Also woher ist der Optimismus von Andreas Umland? Ist er doch nicht von den Leuten, die leicht mit leeren Thesen um sich werfen. Seine Überzeugung basiert darauf, wie er bekräftigt, dass die „die Ukraine heute über die zweitgrössten bekannten europäischen Gasvorkommen“ verfügt. Mehr Gas hat nur Norwegen. Jedoch geht es eben um Schiefergas, dessen Förderung bedeutend schwerer und ein technischerer Prozess ist, als beim gewöhnlichen Erdgas.
Tatsächlich haben wir irgendwie dieses Schiefergas vergessen. Und wie viele Gespräche, wie viele Streitereien gab es darum vor sieben-acht Jahren. Ich musste selbst mehrfach an diesen Diskussionen teilnehmen.
Auf dem Territorium der Ukraine gibt es zwei bekannte Schiefergaslagerstätten. Die erste Lagerstätte ist der Oleska ploschtscha, die sich über Teile der Gebiete Lwiw, Ternopil und Iwano-Frankiwsk erstreckt. Die zweite der Jusiwska ploschtscha, die sich über Teil der Gebiete Charkiw und Donezk erstreckt. Vorläufige Schätzungen der Gasmengen, die von verschiedenen Experten gemacht wurden, unterscheiden sich um einiges: von 1,5 Billion Kubikmeter bis zu 57 Billionen. Zu ernsthafteren geologischen Erkundungen, die Untersuchungen von Probebohrungen vorsehen würden, kam die Sache nicht. Warum? Weil den Enthusiasten der „Schiefergasrevolution“ in der Ukraine sehr viele Knüppel zwischen die Beine geworfen wurden. Dabei nicht nur im Osten der Ukraine, wo sich das britisch-niederländische Unternehmen Shell der Sache annehmen wollte, sondern auch in dem, wie es schien, fortschrittlichen Lwiwer Gebiet, wo das amerikanische Unternehmen Chevron Millioneninvestitionen anstrebte.
Ich habe persönlich mehrfach mit dem Generalmanager von Chevron in der Ukraine, Peter Clark, gesprochen, der aufrichtig die Erfahrung und die Technologie in die Ukraine bringen wollte, um gefahrlos das Schiefergas zu fördern. Während des Gesprächs beim Kaffee oder eines Interviews teilte Herr Clark seine Pläne mit, wie er die depressive Region im Osten des Lwiwer Gebiets in ein technologisches Klondike verwandeln wollte. Sein Unternehmen war bereit Geld in die dortige Infrastruktur, in das Sozialsystem, in den Wohlstand der Einwohner zu investieren. Ich erlaube mir, eine der Antworten von Clark während eines Interviews zu zitieren:
„Für das Unternehmen Chevron ist es sehr wichtig ein guter Nachbar, ein gutes Mitglied dieser Gemeinschaft zu sein, in welcher das Unternehmen zu arbeiten plant. Einer der Wege, wie wir das erreichen können, sind soziale Investitionen. Wir investieren in Schulen, Krankenhäuser, andere soziale Projekte. Eben daher sind wir hierher mit einer solchen Gruppe hergekommen, in der wir Experten und Berater zu sozialer Tätigkeit und soziale Investitionen versammelt haben. Wir sind bereit in soziale Projekte zu investieren, doch müssen wir noch festlegen, wohin man besser investiert. Also möchten wir die Meinung und die Empfehlung der Leute hören, die uns einen Rat in diesem Bereich geben können. Wir werden uns mit örtlichen Regierungsvertretern, Vertretern der Kreisräte, Vertretern von Nichtregierungsorganisationen treffen.“
Und das, ich betone, außerhalb der Hunderte von Millionen und vielleicht Milliarden US-Dollar, die Chevron unmittelbar in das Projekt selbst investiert hätte und gut bezahlte Arbeit für viele Bewohner des Lwiwer Gebiets garantiert hätte. Übrigens stand die örtliche Bevölkerung der Schiefergasförderung ziemlich vorsichtig gegenüber. Und das daher, da einige zu dieser Zeit populäre politische Kräfte gegen das Projekt auftraten.
Vor allem geht es um die Partei Swoboda [Freiheit], die in den Jahren 2012-2013 beinahe einen Heiligen Krieg gegen das Schiefergas führte. Wer erinnert sich noch an die Swoboda-Führungsfrau Iryna Sech? Eben sie machte auf dem Posten der Chefin des Lwiwer Gebietsrats das meiste dafür, damit die Förderung von Schiefergas in ihrer Heimat nicht beginnt.
Ein interessantes Moment in dieser Konfliktgeschichte ist, dass die Argumente der „patriotisch eingestellten“ Gegner des Schiefergases eins zu ein mit der Argumentation der Kremlpropagandisten zusammenfielen. Klar ist, dass für Russland Erdgas nicht nur ein Hauptbestandteil für die Haushaltsfinanzierung ist, sondern auch ein Instrument für außenpolitischen Einfluss. Und somit war das „Schiefergas“ eine Gräte im Hals des Kremls. Doch wozu zog Swoboda gegen das Schiefergas zu Felde, das zur Grundlage der Energieunabhängigkeit der Ukraine und des Wohlstands des Lwiwer Gebiets hätte werden können? Wir können nur unerbauliche Mutmaßungen anstellen.
Und was ist mit Chevron und Shell? Sie warteten und warteten darauf die geologischen Erkundungsarbeiten durchzuführen, doch die Regierung zögerte solange, bis der Krieg mit Russland begann. Den potenziellen Investoren blieb nichts anderes, als aus der Ukraine wegzugehen. Ob sie zurückkehren werden? Hoffen wir auf das Beste, wie es Andreas Umland macht.
Sein Optimismus basiert auf den fortschrittlichen Schritten, welche die Ukraine im Gasbereich in den letzten fünf Jahren machte. „In den letzten Jahren hat die Ukraine, oft auf Druck des Internationalen Währungsfonds (IWF), vormals verzerrende staatliche Eingriffe in ihren internen Gasmarkt abgebaut. Kiew hat Marktpreise für die Bevölkerung eingeführt und subventioniert nicht mehr ausnahmslos alle Privathaushalte. Diese neue und wirtschaftlich tragfähigere Situation in der Energiewirtschaft der Ukraine dürfte aus- und inländisches finanzielles Engagement in der ukrainischen Gasförderung und -exploration attraktiver machen, als dies in der Vergangenheit der Fall war“, behauptet er.
Also, wenn die Sache in diesem Bereich gut läuft, dann kann sich die Ukraine vom Gasimporteur schrittweise in einen Exporteur verwandeln, besonders, wenn sie ein paralleles Energiesparprogramm startet. Den Aussagen von Fachleuten nach können die derzeitigen jährlichen 32 Milliarden Kubikmeter Erdgasverbrauch in der Ukraine zumindest halbiert werden.
Außerdem könnte die Ukraine Europa Dienstleistungen bei der Lagerung von Gas anbieten [Das wird bereits getan, A.d.Ü.]. Denn noch ein weiteres wichtiges Element unserer Gasinfrastruktur sind ihre riesigen Gasspeicher. Ihr Gesamtvolumen übersteigt 31 Milliarden Kubikmeter. Zur gleichen Zeit in der die Gasspeicher aller Mitgliedsstaaten der Europäischen Union knapp 100 Milliarden Kubikmeter umfassen.
Fassen wir zusammen. Was hat die Ukraine in ihrem Gasaktiv? Reiche Schiefergaslagerstätten, ein leistungsfähiges Gastransportsystem und riesige Gasspeicher. Wenn das alles geschickt genutzt wird, richtige Investoren angelockt werden, dann geht der Prozess des Verzichts auf den Transport von russischem Erdgas nach Europa komplett schmerzlos vorüber.
22. Oktober 2020 // Ljubko Petrenko
Quelle: Zaxid.net
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