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Wie die EU der Ukraine helfen kann

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Die wichtigste Herausforderung im postsowjetischen Raum ist heute die Einheit und Souveränität des ukrainischen Staates. Um den Frieden in Osteuropa zu wahren und eine Wiederholung einer Konfrontation wie in Georgien 2008 zu verhindern, sollte sich die Hauptaufmerksamkeit des Westens nicht auf Kiew, sondern Moskau richten.

Die westlichen Medien waren in den vergangenen Wochen voller dramatischer Bilder und Berichte aus Kiew. Journalisten, Politiker und andere Beobachter bringen die teils inspirierenden, teils beunruhigenden Bilder aus der Hauptstadt der Ukraine mit jenen in Verbindung, die uns während der letzten Jahre aus Ägypten, Libyen oder Syrien erreicht hatten. Gleichwohl sind die häufigen Vergleiche der Ereignisse in Kiew mit den Unruhen in den islamischen Ländern südlich Europas irreführend. Das ukrainische Volk ist eine europäische Nation mit engen, vielfältigen Beziehungen zur EU und deren Mitgliedsstaaten. In dem jungen postkommunistischen Staat waren bis vor Kurzem ein maßvoller Lösungsmodus politischer Konflikte und friedlicher ziviler Widerstand Tradition. Der rücksichtslose Umgang Präsident Janukowitschs mit den jüngsten Protesten hat nun zum Bruch mit den einst gemäßigten Formen der Beilegung politischer Auseinandersetzungen in der Ukraine geführt und ein erhebliches Potenzial an Gegengewalt in der Bevölkerung mobilisiert. Dennoch ist weder im weiten Land noch in Kiew eine Eskalation der Gewalt oder gar ein Bürgerkrieg mit Hunderten oder Tausenden Toten wahrscheinlich.

Ebenso irreführend ist das populäre Szenario, wonach die Ukraine auf dem Weg in ein diktatorisches Regime wie im benachbarten Weißrussland sei. Die ukrainischen Parteien, Medien und Nichtregierungsorganisationen sind zu mannigfaltig, selbstbewusst und unabhängig für die Installation eines wirklich autoritären Regimes. Die europäische Orientierung der ukrainischen Außenbeziehungen sowie die Integration des Landes mit der EU gilt unter der überwiegenden Mehrheit der ukrainischen Politiker, Intellektuellen und Manager als unumstößlich. Mögen verschiedene Vertreter der Elite des Landes auch unterschiedlicher Meinung über das Wann und Wie eines Beitritts der Ukraine zur Union sein, so herrscht doch Einigkeit über das Ziel – die letztendlich volle EU-Mitgliedschaft. Überdies ist die europäische Integration unter weiten Teilen der Bevölkerung der Ukraine populär, vor allem unter der Jugend. Insofern unterscheiden sich die Grundlagen der ukrainischen Politik nicht nur objektiv von denen Weißrusslands und Russlands. Auch subjektiv verstehen die meisten der ukrainischen Bürgerrechtler, Experten, Journalisten und öffentlichen Personen, dass Versuche einer innerstaatlichen Zentralisierung oder internationalen Isolation des ukrainischen politischen Lebens zum Scheitern verurteilt sind. Früher oder später, darüber herrscht Einigkeit beim Großteil der ukrainischen Entscheidungsträger und Meinungsmacher, wird die Ukraine integraler Bestandteil des geeinten Europas sein.

Dennoch gibt es für Brüssel und die EU-Mitgliedstaaten keinen Anlass sich zurückzulehnen, was die jüngsten Entwicklungen in der Ukraine und Zukunftsperspektiven osteuropäischer Sicherheit betrifft. Die politische Achillesferse der Ukraine ist deren weithin bekannte regional-kulturelle Teilung; die russischsprachigen Gebiete der Süd- und Ostukraine haben zudem enge Bindungen an Russland. Überdies existiert unter vielen Bürgern der Russischen Föderation eine Art Pflicht- und Verantwortungsgefühl gegenüber den ca. acht Millionen ethnischen Russen sowie zusätzlichen Millionen russischsprachiger Ukrainer in der Bevölkerung der Ukraine. Die ukrainischen Russischsprecher leben vor allem in den Regionen entlang der ukrainisch-russischen Grenze und des Schwarzen Meeres. Politisch brisant ist, dass die Ukrainer freien Zugang zu etlichen Kreml-gesteuerten russischen Massenmedien haben und insbesondere unter dem Einfluss der drei wichtigsten russischen Fernsehkanäle „Perwy“ (Erster), „Rossija“ (Russland) und NTW stehen. (Im Übrigens können in Russland die russischsprachigen Fernsehkanäle der Ukraine nicht empfangen werden.) Moskaus effektive elektronische Propaganda-Maschine stellt die Proteste in Kiew als den Versuch eines Staatsstreichs durch einen renitenten Mob dar, der von russophoben Faschisten, ausländischen Agenten und amoralischen Liberalen gesteuert wird.

Das historische Muster, welches am ehesten ein mögliches Worst-Case-Szenario für den ukrainischen Staat darstellt, liefern weder das Regime Weißrusslands noch der Bürgerkrieg in Syrien. Vielmehr kann das Schicksal des postsowjetischen Georgiens und Tiflis’ bewaffneter Konflikt mit Moskau im Jahre 2008 als Beispiel dienen. Das russische Interventionsschema ist simpel: Ein bereits schwelender innerer Konflikt eskaliert mit etwas Beihilfe aus Moskau und schlägt in massive Gewalt um. Opfer, Zerstörung und Vertreibung liefern den Hintergrund zu einem scheinbar legitimen Schutzersuchen an den Kreml vonseiten der prorussischen Konfliktpartei, deren Existenz als von lokalen Ultranationalisten bedroht dargestellt wird. Ethnische Russen und/oder Inhaber eines russischen Passes werden als potenzielle Opfer eines angeblich hausgemachten Konflikts präsentiert, ja sie könnten sogar Gefahr laufen, Opfer einer ethnischen Säuberung zu werden.

In Reaktion auf verzweifelte Hilferufe solcher potenziellen Beute ruchloser antirussischer Neofaschisten startet Moskau eine humanitäre Intervention. Diese stützt sich auf drei Begründungen: Erstens hat Russland das Recht, zu seinem eigenen Schutz für Stabilität und Sicherheit entlang seiner Grenzen zur sorgen. Zweitens ist der Kreml verpflichtet, Menschen mit Bindungen zur Russische Föderation – entweder durch Blut (ethnische Russen) oder von Rechts wegen (Inhaber eines russischen Passes) – vor Unterdrückung und/oder Massenmord zu schützen. Drittens kann die russische Armee nicht umhin, die Rolle eines eurasischen Friedensstifters zu spielen. In den im Chaos versinkenden früheren Teilregionen des Russischen Reiches stellt Moskau wieder Ordnung her, und nur die russische Armee vermag es, unberechenbare radikalnationalistische Lokalpolitiker ruhig zu stellen. So hat Berichten kremlgesteuerter Medien zufolge die russische Armee im August 2008 in Südossetien nicht weniger als einen bereits anlaufenden georgischen „Genozid“ an schutzlosen Südosseten – von denen viele Inhaber russischer Reisepässe waren – gestoppt. Angeblich hatte Tiflis in dem fünftägigen Konflikt ca. 2.000 Südosseten massakriert – eine Opferzahl, die später auf ca. ein Zehntel reduziert wurde.

Die Relevanz des georgischen Modells für die heutige Ukraine wird durch die ambivalente Reaktion des Westens auf die russische Militärintervention in Georgien vom August 2008 noch erhöht. Weniger als Repräsentant Frankreichs, sondern als Vertreter der damaligen turnusmäßigen französischen EU-Präsidentschaft handelte Nicolas Sarkozy mit dem damaligen russischen Präsidenten Dmitri Medwedew ein Friedensabkommen aus, die einen Abzug der russischen Truppen nach Russland vorsah. Jedoch erfüllte Russland diese Vereinbarung nicht, und nicht nur das. Moskau konnte mit der EU später sogar eine Änderung der Vereinbarung nachverhandeln, was von der NATO kritisiert wurde. Noch erstaunlicher an der Georgienkrise und der Reaktion des Westens auf sie war der parallele zum Kriege in Südossetien russische Truppeneinmarsch in die wertvolle georgische Schwarzmeerregion Abchasien, in der es gar keine Kampfhandlungen gegeben hatte. Damit schrieb Russland auch die Anfang der 1990er erfolgte Vertreibung des Großteils der georgischen Bevölkerung aus Abchasien fest. Damals hatten die weniger als ein Fünftel der Einwohner der Region ausmachenden Abchasen auf wundersame Weise einen Krieg gegen die georgische Bevölkerungsmehrheit der Abchasischen Autonomen Republik gewonnen und Zehntausende Georgier aus Abchasien vertrieben.

Das inkonsequente und verworrene Verhalten des Westens im August-September 2008 half Russland bei seiner faktischen Annektierung von Ossetien und Abchasien. Der wachsende Handel zwischen der EU und Russland wurde durch diesen Krieg und die bis heute andauernde russische Okkupation kaum gestört. Der Kreml erhielt das Signal: Der Westen mag laute rhetorische Einwände gegen russische Militärinterventionen in seiner Nachbarschaft erheben. Doch ist die EU nicht fähig oder willens, ihr potenziell hohes politisches und wirtschaftliches Gewicht zur nachhaltigen Lösung zwischenstaatlicher Konflikte im postsowjetischen Raum einzusetzen.

Demnächst kommt es in der Ukraine womöglich zur Umsetzung eines ähnlichen Drehbuchs. Auf der Schwarzmeerhalbinsel Krim, die mehrheitlich von ethnischen Russen bewohnt wird, wenden sich prominente Politiker und Aktivisten bereits mit Schutzersuchen an Russland. Prorussische Medien und Organisationen in der Ost- und Südukraine repetieren die russische Behauptung, dass der Euromaidan ein Versuch extremer Ethnonationalisten sei, den ukrainischen Staat zu stürzen. Damit einher geht die Andeutung, dass dies ein Vorwand für eine Teilung des Landes sein könnte.

Um eine Verschärfung der Spannungen wie seinerzeit im Südkaukasus zu verhindern, sollte der Westen bereits jetzt Moskau signalisieren, dass er sich heute bezüglich der Ukraine anders verhalten wird, als im Falle Georgiens im August 2008. So könnte Brüssel deutlich machen, dass die EU-Staaten die russische Abhängigkeit vom europäischen Rohstoffmarkt nutzen würden, um, falls nötig, eine wiederholte russische Intervention und Annektierung exterritorialer Gebiete in der postsowjetischen Region zu sanktionieren. Die EU könnte gegebenenfalls sowohl ihre inzwischen erheblichen Reserven an Gas und Öl als auch verschiedene alternativen Energielieferanten und -quellen nutzbar machen, um im schlimmsten Fall eine Bestrafung Moskaus durchzuführen. Angesichts der hohen Bedeutung der EU-Energiezahlungen für das staatliche Budget und die wirtschaftliche Stabilität der Russischen Föderation würden derartige Sanktionen ohnehin letztendlich kaum notwendig werden. Dafür müssen diese Konsequenzen jedoch der Kremlführung bereits heute, noch bevor eine Eskalationsspirale einsetzt, klar gemacht werden.

Übersetzung aus dem Englischen: Thomas Meyer

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Dr. Andreas Umland (1967) ist seit 2010 Dozent am Fachbereich Politikwissenschaft der Kyjiwer Mohyla-Akademie (NaUKMA) und seit 2021 Analyst am Stockholmer Zentrum für Osteuropastudien (SCEEUS) des Schwedischen Instituts für Internationale Beziehungen (UI).

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