Immer mehr Unternehmen kommen auf die Halbinsel wegen des nominellen Charakters der Sanktionen.
Ungeachtet der Sanktionen, die vom Westen gegen die Russische Föderation wegen der Annexion der Krim verhängt wurden, setzen nicht wenige europäische Firmen ihre Arbeit auf der Halbinsel fort. Außerdem gehen neue Unternehmen dorthin. Zum Teil steht das damit in Verbindung, dass das „Krim-Sanktionspaket“ von der Sache her nominell ist und ebenfalls aufgrund der sich verstärkenden Finanzkrise. Russland knausert bei Investitionen auf der Halbinsel nicht.
Möwenflügel und die Sanktionen
Vor kurzem flammte in der diplomatischen Welt ein Skandal auf: der Botschafter der Ukraine in Östereich, Alexander Schtscherba [Olexander Schtscherba], veröffentlichte Beweise für die Arbeit des österreichischen Architekturbüros Coop Himmelb(l)au auf der Halbinsel. Seinen Worten nach gab es bereits einige Zeit Gerüchte über die Beteiligung der Österreicher an der Realisierung eines Vorzeigeprojekts von Putin in Sewastopol. Eben deshalb setzte sich der Botschafter mit der Leitung des Architekturbüros in Verbindung.
„Anfang Oktober rief ich den Direktor des Büros, Wolf Prix, an und versuchte ihn davon zu überzeugen seine Reputation über die Beteiligung an dieser indirekten und gleichzeitig eindeutigen Legitimierung der Annexion zu zerstören. Leider hörte er nicht auf meine Argumente“, schrieb Schtscherba auf Facebook, hinzufügend, dass die Gerüchte lebhaft von russischen Massenmedien bestätigt wurden. „Mir bleibt nichts anderes als mein Bedauern auszudrücken und Architekt Prix mitzuteilen, dass die Ukraine ernsthaft die Frage der Verhängung von Sanktionen gegen ihn und sein Büro prüft. Unsere Partner auf der ganzen Welt werden informiert, dass das einst respektable Architekturbüro anrüchige Geschäfte mit Putin macht.“
Tatsächlich ist die Beteiligung der Österreicher keine Neuigkeit. Das Büro Coop Himmelb(l)au zeigte bereits im Februar 2019 Entwürfe eines Kulturzentrums in Sewastopol. Damals wurde es als „neues Bildungs- und Unterhaltungszentrum“ bezeichnet und dessen Eröffnung für 2023 annonciert. „Es befindet sich auf einem Territorium von 18,3 Hektar der Kristalllandzunge zwischen der Quarantäne-Bucht und der Artilleriebucht“, zitierten russische Massenmedien damals das Architekturbüro.
Den Plänen nach sollte der Komplex ein multifunktioneller werden: es wurde versprochen dort Theater, Oper und Ballett, eine Kunstakademie, ein Kino und einen Konzertsaal, einen Park und ein Museum, das der Verteidigung Sewastopols während des Zweiten Weltkriegs gewidmet ist, unterzubringen. „Die Silhouette des Gebäudes wird an die Flügel einer Möwe erinnern. Sie werden aus Glas und Metall gebaut und im Inneren werden zwei Theater mit 1300 Sitzplätzen untergebracht. Ebenso wird es dort Probesäle, Räumlichkeiten für die Veraltung, einen Panoramablick, VIP-Zimmer, ein Restaurant und anderes geben“, hieß es in der Präsentation.
Wer ist auf der Krim tätig?
Das Architekturunternehmen ist nicht der einzige Vertreter westlichen Geschäfts, der weiter auf der Halbinsel arbeitet, ungeachtet des Verbots, das von der Europäischen Union ausgesprochen wurde. Vor kurzem besuchten Korrespondenten der russischen Nowaja Gaseta die Krim und fanden heraus, dass unter der Umgehung der Sanktionen in der einen oder anderen Form Dutzende Unternehmen dort präsent sind: Adidas, Metro, Auchan, Volkswagen, DHL, Visa, das litauische Novus, Valve und Mastercard.
„Derartige Unternehmen gibt es nicht nur Dutzende, sondern bereits Hunderte. Einige liefern Waren nominell auf das Festland Russlands oder nutzen für den Gang auf die Krim Zwischenfirmen, unbekannte Marken und Eintagesfirmen“, sagt der Experte Ruslan Bortnik, der das Problem untersucht hat, der Zeitung Westi.
Das bekannteste Beispiel ist das Unternehmen Siemens, das gesetzwidrig vier Gasturbinen angeblich für den Bau des Kraftwerks in Taman (Gebiet Krasnodar [gegenüber der Krim]) lieferte, die am Ende auf die Halbinsel gerieten. Das Unternehmen verlangte auf dem Gerichtsweg die Turbinen auf das Festland zurückzuholen, doch verlor es das Verfahren. Es gibt auch Geschäfte, die auf der Halbinsel legal (oder halblegal) arbeiten: Visa und Mastercards gingen nach der Annexion von der Halbinsel weg, jedoch zwang die Zentralbank Russlands die Zahlungssysteme ihre Prozesszentren auf das Territorium der Russischen Föderation zu verlegen, wonach 2015 Bankkarten auf der Krim erneut zu funktionieren begannen.
Den Worten von Anton W. nach, einem Einwohner von Kertsch, der mit der Zeitung Westi sprach, kann er auf der Halbinsel faktisch alle Waren kaufen. „Autos fahren vom Festland her. Haushaltstechnik wird im Hypermarkt oder Internetgeschäften verkauft. Mit Visakarten konnten man nur zwei Jahre nicht bezahlen, in den Jahren 2015-2016, jetzt geht es“, erzählte er.
Offizielle Autohäuser gibt es auf der Krim nicht, doch inoffiziell (über Zwischenunternehmen) kann man Autos kaufen. „Aus juristischer Sicht ist das ein Verbrechen und die Unternehmen müssten unter internationale Sanktionen fallen“, sagte der Generalmajor des Innenministeriums und Doktor der Rechtswissenschaften, Juri Sednew, der Zeitung Westi. „Doch diese Unternehmen gehen sowohl auf die Krim als auch auf das nicht unter Kontrolle der Ukraine stehende Territorium des Donbass, nach Abchasien, Ossetien, das heißt überall hin, wo man Geld verdienen kann. Der Grund liegt im Investitionsvolumen, das die Russische Föderation auf die Krim bringt, wonach diesen Unternehmen die politische und informationelle Betreuung sichergestellt wird, damit ihre Anwesenheit rechtfertigend.“
„Zu Kämpfen ist sinnlos“
Die Reaktion des offiziellen Kiews – der Aufruf zur Verhängung von Sanktionen gegen Coop Himmelb(l)au durch die Europäische Union und die Bereitschaft eigene Beschränkungen einzuführen. Eben jener Leiter des Architekturbüros riskiert ein Einreiseverbot für die Ukraine (und sein Büro wird beispielsweise nicht mehr bei Ausschreibungen berücksichtigt. Übrigens hat es auch so nicht angestrebt, in das unter Kontrolle der Ukraine stehende Territorium zu gelangen). Und das ist alles.
„Unsere Führung vertritt das Thema Krim auf der internationalen Eben nicht so sehr. Es ist politisiert, wird hauptsächlich auf der Basis der Sicht der Krimtataren erhoben und alles andere ist bisher zur Seite gelegt worden“, behauptet der Politologe und Experte von KiewStratPro, Andrej Busarow, gegenüber Westi. „Das Problem besteht darin, dass die kommerziellen Interessen der europäischen Unternehmen Oberhand über die geopolitischen Positionen dieser Länder gewinnen, in denen die Unternehmen registriert sind, eben jenes Österreich. Dort ist die Situation so, dass die Unternehmen nicht an eine Anerkennung der Annexion durch die Regierung glauben.“
Zum Teil ist die Finanzkonjunktur, die sich in der Welt ergeben hat, daran schuld. „Die europäischen Unternehmen verstoßen nicht einfach gegen die Sanktionsbeschränkungen – sie werden von der Finanzkrise getrieben. Natürlich ist die Tendenz eine negative, und man kann vermuten, dass derartige Unternehmen immer mehr werden“, ist der Experte von KiewStratPro, Marik Dschagutinow, überzeugt. „Hier wird vieles von der Bereitschaft des EU-Parlaments abhängen, ein spezielles Sanktionspaket gegen derartige Unternehmen zu verhängen.“
Ob es eines solche Entscheidung geben wird, ist eine gesonderte Frage. Sednew behauptet, dass unsere europäischen und amerikanischen Partner heute andere Probleme als die Ukraine haben – sie haben eigene Probleme, die mit der Covid-Pandemie und den Wahlen verbunden sind. „Bei der Krim gibt es einen stillschweigenden Konsens: alle verstehen, dass die Halbinsel in nächster Zeit nicht zur Ukraine zurückkehren wird. Und die ‚Krim-Sanktionen‘ sind die schwächsten von denen, die gegen die Russische Förderation verhängt wurden“, fügt Bortnik hinzu. „Und alle begreifen, dass es keinen Sinn hat und unzweckmäßig ist der Wirtschaft zu verbieten auf der Krim zu tätig zu werden, wenn man das Investitionsniveau berücksichtigt, das die Russsische Föderation dorthin pumpt.“
„Danke von Putin“: Gegen die Architekten wird in Facebook gehetzt
Derweil wird auf Facebook zur „Volksrache“ gegen das Architekturbüro Coop Himmelb(l)au aufgerufen.
„Ich schlage vor, sie auf der Seite zu bewerten. Oder beim Link auf Google. Gebt ihnen Einsen. Der gierige Abschaum muss bestraft werden“, schreibt in einem Kommentar unter dem Beitrag des Botschafters der Facebook-User, Igor Dsjubenko. „Ich denke, dass unsere Gemeinschaft auch noch eine Demonstration mit den Fotografien der von Putin Getöteten vor diesem Büro durchführen kann. Und wenn einer mit einem offenen roten Farbtopf vorbeigeht, über das Pflaster stolpert und die Farbe sich über die ganze Fassade dieses Büros ergießt, dann wird das eine traurige, doch sehr angebrachte Situation sein“, teilt Swjatoslaw Batow seine Idee, der seinem Facebook-Profil nach zu urteilen, ein ehemaliger Mitarbeiter des Ministeriums für Informationspolitik der Ukraine ist.
Auf der offiziellen Seite von Wolf Prix und dem Büro Coop Himmelb(l)au tauchten unter den Publikationen Dutzende aggressive Kommentare auf Englisch auf: „Geld stinkt nicht“, „Verdient kein blutiges Geld“ und „Danke von Mister Putin!“
Bleibt anzumerken, dass Unternehmen ein derartiges „Bulling“ nicht zum ersten Mal erleben. 2017 haben ukrainische Facebook-Nutzer genauso die deutsche Siemens attackiert und ein Jahr vorher, im Jahr 2015, wurde das Parlament der Niederlande einer Attacke unterzogen, in dem Oppositionsfraktionen den Vorschlag zur Aufhebung der Ratifikation des Assoziierungsabkommens zwischen der Ukraine und der EU eingebracht hatten.
4. Dezember 2020 // Taras Kosub
Quelle: Westi
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