FacebookXVKontakteTelegramWhatsAppViber

Tomasz Konicz: Machtkampf auf der Titanic

0 Kommentare

Ukraine zwischen Pragmatismus und Westorientierung: Offener Streit zwischen ehemaligen Partnern der »orangen Revolution«

Während die politische Elite der Ukraine sich einen gnadenlosen Machtkampf liefert, taumelt das 46 Millionen Einwohner zählenden osteuropäische Land am Rande des wirtschaftlichen Zusammenbruchs. Um die Zahlungsfähigkeit des zwischen der EU und Rußland gelegenen Staates aufrechtzuerhalten, bemüht sich die ukrainische Regierungschefin Julia Timoschenko derzeit verzweifelt um neue Kredite. Entsprechende Verhandlungen führte sie bereits mit den USA, Japan, China, der EU und selbst Rußland, mit dem die Ukraine noch vor wenigen Wochen einen erbitterten »Gaskrieg« um den in 2009 zu entrichtenden Erdgaspreis führte.

Nun scheint die Ukraine ausgerechnet in Moskau auf offene Ohren zu stoßen. Rußland erklärte sich bereit, zur Deckung des ukrainischen Haushaltsdefizits einen Kredit in Höhe von fünf Milliarden US-Dollar zur Verfügung zu stellen. Die USA signalisierten derweil weitere Verhandlungsbereitschaft.

Eigentlich wurde Kiew vom Internationalen Währungsfonds (IWF) am 6. November 2008 ein Notkredit in Höhe von 16,4 Milliarden US-Dollar gewährt, doch ist das zusehends in eine Depression abdriftende Land nicht mehr in der Lage, die anachronistischen, neoliberalen Bedingungen des IWF zu erfüllen, die an die Kreditvergabe geknüpft waren. Der Währungsfonds forderte unter anderem – in einer Zeit, in der milliardenschwere Konjunkturprogramme allerorten aufgelegt werden – von der Ukraine, das Haushaltsdefizit zu beseitigen. Nachdem die erste, 4,6 Milliarden US-Dollar umfassende Tranche des IWF-Kredits im November ausgezahlt wurde, will der Währungfonds angesichts des ukrainischen Haushaltsdefizits von drei Prozent jegliche weiteren Zahlungen einstellen.

Dabei befindet sich das Land am Schwarzen Meer in einer dramatischen Lage. Es ächzt unter Auslandsschulden in Höhe von 105 Milliarden US-Dollar. Deren Bedienung ist – auch wegen des freien Falls, in dem sich die ukrainische Währung befindet – nahezu unmöglich: 25 Prozent aller Kreditnehmer sind inzwischen im Verzug mit ihren Ratenzahlungen. Im Dezember brach die Industrieproduktion um 25 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum ein. Bereits jetzt sind eine Million Menschen arbeitslos, wobei neuesten Prognosen zufolge binnen weniger Monate bis zu vier Millionen Erwerbslose zu erwarten sind. Die ukrainische Schwerindustrie leidet unter dem Verfall der Stahlpreise, so daß bereits etliche Hochöfen stillgelegt werden mußten. Hinzu kommen die Mehrbelastungen durch die gestiegenen Preise für russisches Erdgas.

Trotz dieser düsteren Aussichten nutzen der ukrainische Präsident Viktor Juschtschenko und Julia Timoschenko jede Möglichkeit, sich gegenseitig zu behindern und anzugreifen. Im kommenden Jahr finden in der Ukraine Präsidentschaftswahlen statt, doch führen die ehemaligen Verbündeten und Akteure der westlich finanzierten »orangen Revolution« bereits jetzt Wahlkampf. So kritisierte Präsident Juschtschenko am Dienstag die Kreditverhandlungen mit Moskau als »eine verhängnisvolle Politik, die Gefahren für das nationale Interesse der Ukraine« mit sich bringe. Der Präsident warnte, daß diese Abmachung Rußland die Möglichkeit verschaffe, Kontrolle über die ukrainischen Gaspipelines zu erhalten, die einen Großteil des russischen Erdgases in die EU befördern.

Gerade bei der Energiepolitik brechen immer wieder neue Differenzen zwischen der eher pragmatischen, zwischen Ost und West lavierenden Timoschenko, und dem strikt antirussischen Juschtschenko aus. So kritisiert der Staatschef immer noch den von der Ministerpräsidentin am 19. Januar gefundenen Kompromiß im Gasstreit mit dem Kreml, den er als »unfair« bezeichnet. Gegenüber dem nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrat der Ukraine vertrat der Präsident am Dienstag sogar die Meinung, daß Timoschenko in dieser Hinsicht ihre Autorität klar mißbraucht habe. Zudem will der ukrainische Staatschef gegen den Willen der Ministerpräsidentin das Pipelineprojekt Odessa–Brody realisieren, mit dem kaspisches, vor allem aserbaidschanisches Öl an Rußland vorbei in die EU gelangen könnte.

Nur noch der blanke Machterhalt hält die Regierungskoalition der Parteien Timoschenkos und Juschtschenkos im ukrainischen Parlament zusammen. Einen Mißtrauensantrag, der von der ostukrainischen »Partei der Regionen« des ehemaligen Premiers Viktor Janukowitsch eingebracht wurde, überstand Timoschenko nur knapp. Dennoch zeigte sich Janukowitsch zuversichtlich: »Dies ist der letzte orange Winter der Ukraine.«

Autor:    — Wörter: 606

Der Autor ist freier Journalist und berichtet über Osteuropa und die Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Seine Texte finden sich unter der Adresse im Netz.

Hat Ihnen der Beitrag gefallen? Vielleicht sollten Sie eine Spende in Betracht ziehen.
Diskussionen zu diesem Artikel und anderen Themen finden Sie auch im Forum.

Benachrichtigungen über neue Beiträge gibt es per Facebook, Google News, Mastodon, Telegram, X (ehemals Twitter), VK, RSS und täglich oder wöchentlich per E-Mail.

Artikel bewerten:

Rating: 5.0/7 (bei 1 abgegebenen Bewertung)

Neueste Beiträge

Kiewer/Kyjiwer Sonntagsstammtisch - Regelmäßiges Treffen von Deutschsprachigen in Kiew/Kyjiw

Karikaturen

Andrij Makarenko: Russische Hilfe für Italien

Wetterbericht

Für Details mit dem Mauszeiger über das zugehörige Icon gehen
Kyjiw (Kiew)15 °C  Ushhorod13 °C  
Lwiw (Lemberg)13 °C  Iwano-Frankiwsk11 °C  
Rachiw7 °C  Jassinja7 °C  
Ternopil12 °C  Tscherniwzi (Czernowitz)14 °C  
Luzk14 °C  Riwne15 °C  
Chmelnyzkyj13 °C  Winnyzja14 °C  
Schytomyr15 °C  Tschernihiw (Tschernigow)12 °C  
Tscherkassy16 °C  Kropywnyzkyj (Kirowograd)16 °C  
Poltawa13 °C  Sumy11 °C  
Odessa19 °C  Mykolajiw (Nikolajew)18 °C  
Cherson19 °C  Charkiw (Charkow)14 °C  
Krywyj Rih (Kriwoj Rog)18 °C  Saporischschja (Saporoschje)17 °C  
Dnipro (Dnepropetrowsk)16 °C  Donezk16 °C  
Luhansk (Lugansk)11 °C  Simferopol14 °C  
Sewastopol19 °C  Jalta18 °C  
Daten von OpenWeatherMap.org

Mehr Ukrainewetter findet sich im Forum

Forumsdiskussionen

„Schöner Joke. Tatsachen wären mir aber lieber.“

„"Übrigens, dort ging am Wochenende ein Referendum durchgeführt und 97.5 % der Einwohner des Oblasts Kursk stimmten für den Anschluss zur Ukraine." Wäre mir ganz neu, hast Du Belege dafür ? Nein. hat...“

„"Übrigens, dort ging am Wochenende ein Referendum durchgeführt und 97.5 % der Einwohner des Oblasts Kursk stimmten für den Anschluss zur Ukraine." Wäre mir ganz neu, hast Du Belege dafür ?“

„Natürlich ist Rheinmetall einer der Gewinner des Krieges: die Aktien dieser Fa. haben seit Kriegsanfang um 550% zugelegt. Mal zu dem Russophilen-Kriegsverlierer: Gazprom hat 2023 mit 6.5 Millarden USD...“

„Ja, machen einige EU Länder, besonders Ungarn & Österreich, ein wenig auch die Slowakei. das wurde diesen auch erlaubt, weil sie 'rumstöhnten". Östereich hat sich übrigens bereits kräftig in...“

„Das Putin Regime ist ja noch nicht einmal fähig genug Söldner mehr zu finden, um Kursk zu befreien. Übrigens, dort ging am Wochenende ein Referendum durchgeführt und 97.5 % der Einwohner des Oblasts...“

„Westliche Staaten sollten der Ukraine ermöglichen das techn. Knowhow das noch fehlt, bzw. entspr. Technologie, zukommen zu lassen. Dies sollte möglich sein ohne unangemessene Technik zu übergeben. Die...“

„Westliche Staaten sollten der Ukraine ermöglichen das techn. Knowhow das noch fehlt, bzw. entspr. Technologie, zukommen zu lassen. Dies sollte möglich sein ohne unangemessene Technik zu übergeben.“

„Wir das jetzt die Ausrede um irgendwie doch westliche Waffen für Angriffe tief in russisches Territorium zu ermöglichen? Wird auch nichts bringen. Wer sich kürzlich die Rede von Lloyd Austin angehört...“

„dramatisch! Eine Freundin lebt in Charkiv“

„Ja, das ist so. Das war schon so lange der Fall, wie ich denken kann. Vor dem Krieg konnte man das aber auf 2-3 Tage verkürzen. Das war der Sinn, dieser sog. "Heiratsbüros", was in der Regel Kommunalunternehmen...“

„Hallo aus krementschuk..... mittlerweile mein 4ter Aufenthalt dort.....unsere heiratspläne rücken näher.....jetzt bin ich davon ausgegangen das ich nach übersetzung aller Papiere einen Heiratstermin...“

„Naja, das Experiment mit der Demokratie in Russland ist doch schon ziemlich böse in die Hose gegangen. Ein wenig sind die den gleichen Weg gegangen, den auch Deutschland nach dem 1. WW und seinen ersten...“

„Na, wer da noch einen Willen nach dem Nawalny MOrd noch erkennt, ist wohl blind.“