Julia Tymoschenko hat bis jetzt politisch noch nie verloren. Für sie ist es einfach nicht vorstellbar zu verlieren. Noch bitterer ist für sie die Niederlage nach dem Wahlkampf 2010. Sie hatte alle vorhandenen Ressourcen eingesetzt und am Wahlsonntag fast das Unmögliche erreicht – einen minimalen Abstand zu Janukowytsch.
Von Kyryl Savin und Andreas Stein
Dieser minimale Abstand gibt jetzt Tymoschenko Hoffnung, dass sie aus ihrer Niederlage doch noch einen Sieg machen kann. Es ist in entwickelten Demokratien üblich, dass der Wahlverlierer dem Wahlgewinner öffentlich zum Sieg gratuliert und damit den Wahlkampf beendet. In der Ukraine – und vor allem für Tymoschenko – wäre die Anerkennung des Wahlsieges von Janukowytsch nichts anderes als ein Zeichen der Schwäche. Deshalb darf sie nicht aufgeben, sondern muss allen klar machen, dass ihr Wahlsieg gestohlen wurde. Und dabei spielt es dann keine Rolle, dass bereits alle internationalen Beobachter den Wahlprozess in der Ukraine als demokratisch, fair und transparent bezeichnet haben: Tymoschenko wird „ihre Wahrheit“ solange wiederholen, bis auch Skeptiker_innen es zu glauben beginnen. Dies wird ihr eine sehr gute Grundlage für ihre spätere Revanche geben. Nach dieser Strategie baute Janukowytsch all seine Wahlkämpfe seit 2005 auf. Seine Wähler glaubten fest daran, dass 2004 Janukowytschs Wahlsieg gestohlen wurde und schuld seien die Orangen, also sind sie um jeden Preis abzuwählen. 2010 hat diese Strategie endlich Früchte getragen.
Spiel auf Zeit
Nach inoffiziellen Informationen hat Tymoschenko schon in der ersten Nacht nach der Wahl für sich selbst entschieden, dass sie nicht aufgeben wird. Am 08. Februar spät abends versammelte Tymoschenko Gerüchten nach ihre BJuT-Fraktion zu einer Krisensitzung. Bei dieser Sitzung gab es keine Diskussionen oder Auseinandersetzungen. Es war wie immer ein Solo von Tymoschenko: sie hat der Fraktion ihre Entscheidung verkündet, dass sie bereit sei, weiter zu kämpfen und dass dasselbe von allen anderen erwartet werde. Den Berichten zufolge gab es dabei keine Gegenmeinungen, die offen geäußert wurden. Trotzdem behaupten gut informierte Quellen, dass sich in der BJuT-Fraktion eine Gruppe von „Dissidenten“ um Tomenko, Schewtschenko, Stezkiw, Hryniw, Sobolew und sogar Portnow gebildet hat, die für die Anerkennung der Wahlergebnisse und den Übergang zur oppositionellen Arbeit sind. Doch keiner von ihnen traut sich bis jetzt, seine Meinung Tymoschenko ins Gesicht zu sagen.
Die Strategie von Tymoschenko besteht heute darin, Wahlergebnisse sowohl in einzelnen Wahllokalen (die Rede ist von über 900!!!) als auch im ganzen Land (Abstimmung mit Hilfe der Wanderurnen außerhalb der Wahllokale, Wählerregisteränderungen am Wahltag etc.) vor Gericht anzufechten. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass diese Gerichtsprozesse erfolgreich sein werden und es wieder zu einem dritten Wahlgang kommen wird. Tymoschenko hofft mit dieser Strategie kostbare Zeit zu gewinnen. Denn solange Gerichtsprozesse laufen, wird das amtliche Wahlergebnis nicht verkündet. Und je länger der gewählte Präsident Janukowytsch seine Arbeit nicht beginnen kann, desto niedriger wird seine „gefühlte Legitimität“ im Lande sein. Sein Wahlsieg wird damit in den Augen der WählerInnen nicht vollwertig sein.
Neuwahl des Parlaments unwahrscheinlich
Es ist absolut offensichtlich, dass Tymoschenko ihren derzeitigen Posten nicht freiwillig räumen wird, weil es dafür auch keinen verfassungsrechtlichen Zwang gibt. Um sie zum Rücktritt zu zwingen, kann die Partei der Regionen (PdR) im Parlament ohne große Probleme eine einfache Mehrheit von 226 Stimmen für eine Abstimmung zusammen bekommen. Doch in diesem Fall wird Tymoschenko geschäftsführend weiterhin im Amt solange bleiben, bis eine neue Koalition gebildet und ein neuer Premierminister ernannt wird. Wenn 60 Tage nach der Auflösung der Koalition keine neue Koalition gebildet wird, dann bkann Präsident Janukowytsch das Parlament aufzulösen und eine Neuwahl anordnen.
Vor einer Neuwahl, die vermutlich nicht vor September 2010 möglich sein wird, haben der Parlamentspräsident Lytwyn und seine Fraktion, aber auch die ganze Fraktion „Unsere Ukraine“ (UU) und ein Teil der Fraktion Block Julia Tymoschenko (BJuT) Angst. Lytwyn, der bei der Präsidentschaftswahl 2,35% bekommen hat, kann nicht wirklich davon ausgehen, dass seine politische Kraft bei der nächsten Parlamentswahl über 3% kommen kann. Dies würde bedeuten, dass Lytwyn alle parlamentarischen Immunitäten verliert und damit im Gongadse-Fall angreifbar wird. Das Bündnis „Unsere Ukraine“ würde im Fall einer Neuwahl sehr wahrscheinlich auseinander fallen und es ist gar nicht sicher, dass diese Kraft mit Juschtschenko zusammen über die Sperrklausel (3%) kommen würde. Wenn es zu vorgezogenen Parlamentswahlen kommt, dann ist so gut wie sicher, dass die BJuT-Fraktion im neu gewählten Parlament eher schrumpfen wird und dass sich nicht alle heutigen BJuT-Abgeordneten im Parlament wiederfinden. Zudem ist davon auszugehen, dass die Reihen vor der Wahllistenzusammenstellung „gesäubert“ werden.
Eine Neuwahl will zurzeit also keiner – weder Tymoschenko, noch Janukowytsch, noch die ukrainischen Oligarchen, die gerade massiv den Präsidentschaftswahlkampf finanziert haben und kein Interesse haben, weitere unsichere politische Investitionen zu tätigen.
Langer Prozess der Koalitionsbildung
Um eine neue Koalition in der heutigen Werchowna Rada zu bilden, muss die PdR nach Partnern suchen. Der natürliche Partner der Partei der Regionen sind die Kommunisten. Sie sind schon seit dem ersten Wahlgang bereit, eine Koalition mit der PdR zu bilden. Es gibt nur einen Vorbehalt: die Kommunisten wollen auf keinem Fall eine Koalition mit „Unserer Ukraine“ eingehen. Am 09. Februar machte auch die Lytwyn-Fraktion klar, dass sie auf jeden Fall eine Neuwahl verhindern wollen und dass sie bereit seien, mit dem Wahlgewinner zu koalieren. Aber die PdR mit dem Block Lytwyn und den Kommunisten haben zusammen nur 219 Stimmen. Selbst wenn man die fraktionslosen Abgeordneten (6 Personen) dazu rechnet, reicht es nicht für eine Mehrheit. Also ist Janukowytsch auf eine politische Union mit BJuT oder UU angewiesen. Im Moment ist eine große Koalition zwischen dem BjuT und der PdR nicht vorstellbar, deshalb kommt nur die UU in Frage.
Die UU-Fraktion besteht zurzeit aus 71 Abgeordneten, die in mehrere Kleingruppen gebündelt sind (Gruppen rund um Kostenko, Baloha, Tarasjuk, Luzenko, Kyrylenko). Diese Gruppen sind relativ autonom und es gibt de facto keine vertikale Führung in der Fraktion (der UU-Fraktionsvorsitzende hat eine eher symbolische Funktion). Diese Tatsache macht Verhandlungen, die Janukowytsch bereits mit Teilen von der UU angefangen hat, besonders schwer und es gibt am Ende keine Garantie, dass 36 UU-Abgeordnete gefunden werden, die den Koalitionsbeitritt beschließen können.
Es wird schon spekuliert, wer der neue Premierminister sein könnte. Die offizielle Kandidatur der PdR ist Mykola Asarow. Gerüchten zufolge hat Asarow aber keine großen Chancen gewählt zu werden, weil Achmetow mit Boris Kolessnikow seinen eigenen Kandidaten hat und weil Asarow bei potenziellen Koalitionspartnern kaum Unterstützung finden wird. Es ist so gut wie klar, dass die Fraktion UU erst dann zum „Verrat“ an ihrer Wählerschaft bereit wäre, wenn sie einen eigenen Premierminister stellen darf. Es könnte z.B. Jazenjuk oder Tihipko sein, die bei vorgezogenen oder regulären Parlamentswahlen gewährleisten könnten, dass der große Teil der Fraktion wieder Parlamentsmandate bekommen kann. Tihipko wird aber in der PdR seit 2004 als „Verräter“ abgestempelt, weil er während der Orangen Revolution 2004 nach dem ersten Wahlgang aus dem Janukowytsch-Lager flüchtete. Jazenjuk hat mehr Chancen als Tihipko gewählt zu werden, aber Janukowytsch ist gegen diese Kandidaten, weil er meint, dass die beiden sehr ernste politische Konkurrenten von ihm sind oder sein werden, sobald sie Regierungsverantwortung bekommen.
Also wird eine Koalitionsbildung wahrscheinlich mehrere Monate dauern und am Ende gibt es keine Garantie dafür, dass nicht doch noch Neuwahlen angeordnet werden. Es wird viel Fingerspitzengefühl erfordern, die Interessen der verschiedenen Gruppen im Parlament auszubalancieren und die Balance auch länger zu halten. Ob Janukowytsch und sein Team dieser schweren Aufgabe gewachsen sind, werden wir schon bald sehen.
Forumsdiskussionen
tenne in Hilfe und Rat • Re: Fahrzeuge mit Autogas in der Ukraine
„Super, danke für die schnelle Antwort und die vielen Links!“
tenne in Hilfe und Rat • Fahrzeuge mit Autogas in der Ukraine
„Привіт усім, ich habe in der Ukraine viele Ladas gesehen, die auf Gas umgebaut waren. Kann ich auch mit einem deutschen Auto, das mit LPG (Autogas) betrieben wird, problemlos in der Ukraine unterwegs...“
Haertig in Hilfe und Rat • Re: 2 Ukrainische Freundinen möchte nach Mariupol um Ansprüche zu machen…
„Du hast mich sehr geholfen. Vielen Dank“
Haertig in Hilfe und Rat • Re: 2 Ukrainische Freundinen möchte nach Mariupol um Ansprüche zu machen…
„Vielen Dank für dein Antwort. Dennoch gefällt mir das nicht wenn ich bedenke das Die nach Mariupol wollen. Werden die bei der Einreise eine Lügendetektor unterzogen? Kann ich denen nicht einfach ein...“
Haertig in Hilfe und Rat • 2 Ukrainische Freundinen möchte nach Mariupol um Ansprüche zu machen…
„Hi. Zwei Ukrainische Freundinen (Mutter, Tochter) musste aus Mariupol nach Deutschland flüchten. Hatte Eigentumswohnung und Bankkonto. Jetzt wollen die für ca. 3 Wochen über Moskau nach Mariupol um...“
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„Wundert mich dass ein beschädigtes E-Auto überhaupt über den Deich transportiert wird.“
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„was schluckst du für Zeug? das will ich nicht haben ...“
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„Wird Scholz von Putin erpresst? Kann er deshalb Taurus nicht liefern? Hat Putin nicht nur Generäle abgehört sondern auch Scholz und verfügt über vernichtende Details aus Cum Ex und Wirecard Sünden...“
Bernd D-UA in Hilfe und Rat • Re: Rechtlich: volljaehriges Kind eigene Wohnung?
„Will mit der Freundin zusammenziehen? Ist also nicht allein! Mein Sohn ist 23 Jahre alt, hat eine Freundin seit er 17 Jahre alt ist, er ist ebenfalls Student, und beide, also Sohn und Freundin wohnen Zuhause,...“
Bernd D-UA in Allgemeines Diskussionsforum • Re: Idee zur Unterstützung der Ukraine
„Alles relativ, wir sind der zweit größte Waffenlieferant nach den USA! Grundsätzlich hätte natürlich alles erheblich besser und schneller ablaufen können, allerdings läuft die Taurusdiskussion ins...“
bootsmann67 in Hilfe und Rat • Rechtlich: volljaehriges Kind eigene Wohnung?
„Halloechen! Ich wollte nachfragen, ob einem volljaehrigen Kind einer ukrainischen Fluechtlingsfamilie eine eigene Wohnung zur Miete zustehen wuerde. Die Situation: eine 4 koepfige Familie auf Mariupol...“
Bernd D-UA in Recht, Visa und Dokumente • Re: rechtliches Problem / 12 jähriger alleine in der Ukraine
„Habe gerade einen Aufsatz von DIJuF Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht e.V. ein Forum für Fachfragen gelesen, mit dem Thema "Ukrainisches Abstammungs- und Sorgerecht– Anerkennung...“
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„Stimmt. Meine Idee weicht etwas ab. Aber ggf. kein Grund, das noch einmal auszudiskutieren. Es verwundert mich aber doch sehr, dass diese Idee noch nicht in den großen Medien angekommen ist, um sie dort...“
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„Die Ukraine wird mit beispielloser Aggressivität mit Raketen (Stand 26.03.2024) vom russischen Terrorstaat angegriffen. Verteidigen kann sich die Ukraine inzwischen fast nur noch mit Hilfe der Unterstützung...“
ina868 in Recht, Visa und Dokumente • rechtliches Problem / 12 jähriger alleine in der Ukraine
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„Ihre "Verdächtigen" sind doch auch nur eine Lüge. Da ist einiges nicht wirklich logisch“
Frank in Ukraine-Nachrichten • Re: USA weisen Putins Äußerungen über die Verbindung der Ukraine zu dem Terroranschlag bei Moskau zurück
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„..... Na, da bin ich mal gespannt. Russland hat recht genaue Ziele und wird ganz sicher nicht mehr nach der westlichen Pfeife tanzen. ..... Ich denke mal, dass die Russen selber darauf gespannt sind, welche...“
Greg in Ukraine-Nachrichten • Re: Die Unternehmen von DTEK haben in den ersten beiden Monaten des Jahres drei Kohlemähdrescher hergestellt
„Kohlekraftwerk“
Frank in Ukraine-Nachrichten • Re: Die Unternehmen von DTEK haben in den ersten beiden Monaten des Jahres drei Kohlemähdrescher hergestellt
„Was soll ein "Kohlemähdrescher" sein?“