FacebookXVKontakteTelegramWhatsAppViber

Beginn der neuen politischen Saison 2009/2010 in der Ukraine

0 Kommentare

Von Dr. Kyryl Savin und Fabian Staben.

Die neue politische Saison in der Ukraine hat mit der Eröffnung der 5. Sitzungsperiode der Werchowna Rada am 01.09. 2009 begonnen. Dass sie nicht einfach aber sehr spannend sein wird, bestätigt die Tatsache, dass die Arbeit des Parlaments gleich nach der Eröffnung der Sitzung und nach einer erfolglosen Abstimmung nachhaltig blockiert wurde. Der Wahlkampf wird offiziell erst am 19.10.2009 beginnen, de facto wird er jedoch schon seit Juli dieses Jahres intensiv geführt.

Die Sommerpause haben fast alle politischen Kräfte genutzt, um mögliche Wahlkampfaussagen zu testen, Verhandlungen mit potentiellen Sponsoren und Partnern zu führen, um Experten, Wahlberater und Redetalente für ihre Teams zu rekrutieren und um administrative und finanzielle Ressourcen für den Wahlkampf zu sammeln. Das Land und die BürgerInnen gehen allerdings desillusioniert in den Präsidentschaftswahlkampf: Sie sind müde von der Politik und den PolitikerInnen, die ständig untereinander streiten und sich inhaltlich kaum voneinander unterscheiden, müde von permanenten Krisen, lauter Skandalen und innerparteilichen Streitereien. Einer Umfrage zufolge sagen gut 38 Prozent der UkrainerInnen heute, dass sie im Januar 2010 eine “Wahl ohne Auswahl” haben werden.

Präsidentschaftswahlkampf 2010: Janukowytsch führt mit Abstand

Im Dreieck der aussichtsreichen Präsidentschaftskandidaten Tymoschenko-Janukowytsch-Jazenjuk gibt es keine grundsätzlichen Änderungen. Die Zustimmungsquote für Janukowytsch liegt immer noch recht stabil bei 25-26 Prozent. Tymoschenko wird zurzeit von ca. 16-17 Prozent der WählerInnen unterstützt, ihr Zustimmungswert steigt langsam und wird sicherlich weiter wachsen, wenn sich die soziale und ökonomische Situation im Lande im Herbst nicht spürbar verschlechtert. Die Umfragewerte für Jazenjuk betragen heute ca. 10 Prozent, bei eher negativer Tendenz. Offenbar sind viele WählerInnen zunehmend davon enttäuscht, dass der Kandidat nicht formulieren kann, welche Politik er im Falle eines Wahlsieges verfolgen möchte.

ExpertInnen sind der Meinung, dass Janukowytschs Stimmenpotential in einem zweiten Wahlgang nicht mehr als 45-46 Prozent beträgt, da er im Westen der Ukraine aufgrund seiner klaren, pro-russischen außenpolitischen Orientierung grundsätzlich nicht wählbar ist. Tymoschenko jedoch kann potentiell bis zu 60-65 Prozent der Stimmen bekommen. Theoretisch kann sie damit Janukowytsch in einer Stichwahl schlagen. Dies setzt allerdings voraus, dass sie, wie immer in den letzten Monaten vor der Wahl, ihre potentiellen Wähler v.a. in der Zentralukraine mobilisieren kann. Insgesamt ist also trotz der guten und stabilen Umfragewerte für Janukowytsch in der Ukraine noch nichts eindeutig und entschieden ist. Deshalb dürfte es in den nächsten Monaten politisch noch sehr spannend werden.

Permanente Parlamentsblockade

Leider ist es absehbar, dass das ukrainische Parlament in den letzten Monaten 2009 seine Aufgabe als Gesetzgebungsorgan nicht wird erfüllen können: Abstimmungen über Gesetzesvorlagen wird man an den Fingern einer Hand abzählen können. Die Werchowna Rada wird offensichtlich zu einer Tribüne für Wahlkampfsslogans der PolitikerInnen und zu einer Arena des brutalen politischen Schlagabtausches. Vor allem Janukowytsch und seine Partei der Regionen (PdR) haben kein Interesse daran, dass das Parlament die für die Bekämpfung der Krise und für die Organisation des Wahlprozesses notwendigen Gesetze zügig verabschiedet. Sie werden sicherlich weiterhin “gute” Gründe finden, die Parlamentsarbeit mittels Blockaden physisch zu verhindern. Momentan ist der Anlass dafür die populistische PdR-Forderung, Mindestlöhne und -renten sowie das gesetzlich definierte Existenzminimum an die Inflationsentwicklung anzupassen (die reale Inflation beträgt zurzeit ca. 18 Prozent seit Jahresanfang).

Erneuter Streit um Verfassungsreform

Eine mögliche Verfassungsänderung ist wieder ein aktuelles Thema und wird es offensichtlich bis Ende des Jahres bleiben. Ende August ordnete Präsident Juschtschenko per Erlass eine öffentliche Debatte seines letzten Verfassungsänderungsentwurfs an. Dieser Schritt erinnert an den Versuch des ehemaligen Präsidenten Kutschma, seine Verfassungsreform im Jahre 2000 per Volksabstimmung durchzusetzen, der damals scheiterte. ExpertInnen sind sehr skeptisch, ob Juschtschenko ein erfolgreiches Referendum organisieren kann, um Verfassungsänderungen am Parlament vorbei legitimieren zu lassen.
Darüber hinaus sind bereits einige Verfassungsänderungen (von der PdR, vom BJuT und von Juschtschenko) in der Werchowna Rada registriert, die eine grundsätzliche Abschaffung der parlamentarischen und sonstigen Immunitäten der hohen Staatsbeamten und Richter vorsehen. Alle großen politischen Kräfte möchten offensichtlich schon wieder die parlamentarische Immunität bzw. ihre Abschaffung zum populistischen Wahlkampfthema machen. Ein weiteres Wahlkampfthema wird sicherlich die Bekämpfung der Wirtschaftskrise sein, die die Ukraine mit voller Wucht trifft.

Offener Konflikt mit Russland möglich?

Den täglichen oder wöchentlichen Newsletter abonnieren und auf dem Laufenden bleiben!

Das ohnehin angespannte russisch-ukrainische Verhältnis verschlechtert sich leider zunehmend. Ein offener Brief des russischen Präsidenten Medwedew zum Stand der russisch-ukrainischen Beziehungen vom 11.08.2009 an seinen ukrainischen Amtskollegen Juschtschenko war ein Katalysator für diesen Prozess. In dem Brief und einer gleichzeitigen öffentlichen Stellungnahme warf Medwedew Juschtschenko vor, er sei schuld an den schlechten bilateralen Beziehungen und forderte, die Ukraine müsse ihren außenpolitischen Kurs grundsätzlich in Richtung Russland ändern. Sehr interessant waren die Reaktionen der ukrainischen Politiker auf das absolute Einverständnis Janukowytsch und Symonenko (Kommunistische Partei) für Medwedew. Tymoschenko meldete sich auch zu Wort, ihre Erklärung war jedoch eher neutral und mit Absicht und Kalkül ziemlich zweideutig – die Ukraine werde selbstständig ihren außenpolitischen Kurs bestimmen, der künftige Präsident der Ukraine sollte aber eine konstruktive Zusammenarbeit mit der Russischen Föderation anstreben.

ExpertInnen sind der Meinung, diese harten Worte Medwedews seien nichts anderes als eine Art “öffentliche Ausschreibung” von Seiten Russlands für die Unterstützung im ukrainischen Wahlkampf. So bewarben sich die Kandidaten Janukowytsch und Symonenko wie zu erwarten sofort mit ihren Reaktionen um die russische Unterstützung. BeobachterInnen stellen auch fest, dass Präsident Medwedew die Zuständigkeit für die Ukraine vom russischen Premierminister Wladimir Putin übernommen hat. Dabei bleibt Putin weiterhin in den russisch-ukrainischen Beziehungen als “good cop” aktiv (sein Bereich sind die Wirtschaft bzw. die Gasbeziehungen), während Medwedew nun zum “bad cop” gegenüber der Ukraine wird.

Sowohl Putin als auch Medwedew stellen zu Recht fest, dass die Ukraine als Staat so schwach ist wie nie zuvor und dass der Präsidentenwechsel in der Ukraine eine reale Chance für die endgültige russische Revanche in der Ukraine bietet. Die Orangene Revolution wurde in Russland als bittere Niederlage wahrgenommen. Die Strategie des Kremls ist heute offenbar, die Ukraine im besten Falle wieder vollständig in die eigene Einflusszone zu integrieren und diese Tatsache durch den Westen bestätigen zu lassen. Falls dies nicht gelingt, strebt die russische Führung danach, die Situation in der Ukraine wenigstens zu destabilisieren und vor diesem Hintergrund die Krim nach dem georgischen Szenario (Abchasien und Südossetien) eventuell gar faktisch zu annektieren. Dabei sind selbst militärische russisch-ukrainische Grenzkonflikte auf lokaler Ebene grundsätzlich nicht ausgeschlossen. Nach wie vor wird Russland selbstverständlich die Gasressourcen als politische Waffe gegen die Ukraine verwenden.

Kirchenpolitik als außenpolitisches Instrument

Als ideologische Waffe gegen die “rebellische” Ukraine nutzt der Kreml immer aktiver die russisch-orthodoxe Kirche, die immer sehr loyal zur Machtspitze in Russland war und die immer noch viele offene Ohren in der Ukraine findet. Der neue Patriarch Kirill ist körperlich in viel besserer Verfassung als sein Vorgänger Alexij, kann daher öfter reisen und er sieht es offensichtlich als seine Aufgabe, die ukrainisch-orthodoxe Kirche unter russische Herrschaft zurückzubekommen. Kirill ist ein glänzender Theologe und Rhetoriker, der leicht mit Begriffen jongliert und dabei Charisma und Überzeugungskraft hat. Bei seinem Besuch in der Ukraine Anfang August warb er sehr aktiv für das Kreml-Konzept der “Russischen Welt” und versuchte die Ukrainer davon zu überzeugen, dass russische Werte geistiger Natur seien und somit den westlichen Werten, die auf Materiellem beruhten, überlegen seien. Er nutzte in seinen Reden oft die “Wir-Form” und kam mit seinen Thesen bei einigen Ukrainern (nicht nur im Osten) sehr gut an.

Quelle: Heinrich-Böll-Stiftung

Fabian Staben ist Mitarbeiter des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Kiew.

Autor:   Kyryl Savin und Andreas Stein — Wörter: 1239

Dr. Kyryl Savin war Leiter des Länderbüros der Heinrich-Böll-Stiftung in Kiew. Das komplette Dossier der Heinrich-Böll-Stiftung zur Demokratie in der Ukraine finden Sie hier

Hat Ihnen der Beitrag gefallen? Vielleicht sollten Sie eine Spende in Betracht ziehen.
Diskussionen zu diesem Artikel und anderen Themen finden Sie auch im Forum.

Benachrichtigungen über neue Beiträge gibt es per Facebook, Google News, Mastodon, Telegram, X (ehemals Twitter), VK, RSS und täglich oder wöchentlich per E-Mail.

Artikel bewerten:

Rating: 5.0/7 (bei 1 abgegebenen Bewertung)

Neueste Beiträge

Kiewer/Kyjiwer Sonntagsstammtisch - Regelmäßiges Treffen von Deutschsprachigen in Kiew/Kyjiw

Karikaturen

Andrij Makarenko: Russische Hilfe für Italien

Wetterbericht

Für Details mit dem Mauszeiger über das zugehörige Icon gehen
Kyjiw (Kiew)28 °C  Ushhorod31 °C  
Lwiw (Lemberg)28 °C  Iwano-Frankiwsk29 °C  
Rachiw19 °C  Jassinja21 °C  
Ternopil24 °C  Tscherniwzi (Czernowitz)30 °C  
Luzk26 °C  Riwne27 °C  
Chmelnyzkyj29 °C  Winnyzja28 °C  
Schytomyr28 °C  Tschernihiw (Tschernigow)29 °C  
Tscherkassy29 °C  Kropywnyzkyj (Kirowograd)29 °C  
Poltawa29 °C  Sumy28 °C  
Odessa28 °C  Mykolajiw (Nikolajew)33 °C  
Cherson32 °C  Charkiw (Charkow)28 °C  
Krywyj Rih (Kriwoj Rog)31 °C  Saporischschja (Saporoschje)32 °C  
Dnipro (Dnepropetrowsk)30 °C  Donezk29 °C  
Luhansk (Lugansk)30 °C  Simferopol28 °C  
Sewastopol27 °C  Jalta24 °C  
Daten von OpenWeatherMap.org

Mehr Ukrainewetter findet sich im Forum

Forumsdiskussionen

„Was will Faschisten-Russland schon eskalieren? Haben die nicht sogar Truppen von den NATO-Grenzen abgezogen weil es eng wird?“

„Den direkten Konflikt mit Russland gibt es doch schon lange. Natürlich ist das kein heißer Konflikt. Aber, gesprengte Pipelines, diverse Hackerangriffe, Morde an in Europa lebenden russischen Migranten...“

„Die Einwanderung ist inzwischen leichter geworden. Siehe: unbefristete-aufenthaltsgenehmigung-ein ... 48448.html Ansonsten halt der übliche Kram: Ehe, KInd, ukrainische Ahnen, Ostfronteinsatz. Aber dann...“

„Die temporäre Aufenthaltsgenehmigung hat vor allem den Nachteil, dass du für die jeweilige Erneuerung jedes Mal eine Grundlage brauchst, deren Bedingungen sich ändern können. Mit einer befristeten...“

„In der Praxis habe ich auch noch von keinem Einwanderer hier gehört, dass er seinen ausländischen Führerschein umgetauscht hat. Allenfalls, dass sich Leute einen zweiten ukrainischen zugelegt haben....“

„Liebe Alle ich habe an anderer Stelle einiges zum Thema gelesen, jedoch nicht die wirklich passende Antwort gefunden. Vielleicht hier? Muss man wirklich, wenn man eine Aufenthaltserlaubnis für die Ukraine...“

„Hat jemand eine Idee wie ich mein Bike von köln beispielsweise nach krementschuk schicken kann? Gibt es jemanden der Transporte in die Ukraine macht? Dankeeee“

„Hatte gestern so eine Situation. Nach einer Mautstelle, stand polnische Policia und verfolgte mich anschließend mit Blaulicht. Bitte folgen, das war in Kattowitz. Sie meinten, ich hatte kein Licht an,...“

„Hallo Forengemeinde, bin heute früh 6 Uhr über Korczowa in die Ukraine eingereist. 1,5 h ohne Probleme. Straßen, sind teilweise sehr marode“

„Scheidungsurteile sind unbegrenzt gültig. Auch nach 10 oder 20 Jahren. Aus dem einfachen Grund, weil der Inhalt, also die Entscheidung, sich ja nicht mit Zeitablauf ändert. Normalerweise jedenfalls nicht....“

„Klingt irgendwie nach Wunschkonzert. Die Person erscheint mir wenig Schutz zu benötigen, reist ja immer hin und her. Paragraph 24 bedeutet, Du benötigst den Schutz, Du bleibst hier, Du lernst Deutsch,...“

„Ja das ist Blödsinn dass die Waffen nicht gegen Russland selbst eingesetzt werden sollten. Die bekloppten Russen-Faschisten fragen doch auch nicht ob sie ukrainische Zivilisten mit Iran-Drohnen beschiessen...“

„Hallo Waldi, im Grunde bin ich voll bei Dir! Da aber die Unterstützer der Ukraine ihre Rüstungsindustrie nicht hochfahren, die Produktion von Munition ist viel zu gering, wird es wohl nichts mit einem...“

„Wenn verhindert werden muss dass RU weiter (und noch stärker) eskaliert, müssen auch militärische Anlagen und Aufmarschgebiete in RU angegriffen werden können. Dies ist kein Eskalationsschritt sondern...“

„Hallo, vielleicht kann sich jemand zu folgenden Fragen äußern: - Ein Ukrainer mit biometrischem Pass war mit gültigem Visum von August 21 - August 22 in Deutschland (ohne gemeldet zu sein, bzw. Aufenthaltsgenehmigung...“

„Fahre immer schwarze Autos, vielleicht liegt es auch an der Farbe.“

„Bin da noch nie angehalten worden, vll. liegt es an deinem Auto. An der Grenze wird man grundsätzlich mit was konfrontiert was man sich nicht erklären kann und wo man nicht drauf vorbereitet ist. Ist...“

„@ensowo dazu gibt es wohl endlose Geschichten, selbst bin ich zweimal in gleicher Art und Weise kontrolliert wurde, das erste Mal, stichprobenartig, da gehe ich von einem Zufall aus. Beim zweiten Mal allerdings...“

„am 20.05.Ausreise über Budomiers mit dem Wohnmobil.Wir hatten Schwierigkeiten mit dem Ukrainischen Zoll. Das Wohnmobil hat ein Gesamtgewicht von 3500 Kg und die Zollbeamtin wollte das Wohnmobil als Lkw...“

„Ein Waffenstillstand hat den " Charme" keine Gebiete offiziell abtreten zu müssen und nur auf so was in der Art würden sich die Ukrainer eh nur einlassen. Putin hat einen Lauf, in 2024 wird sich eh nichts...“

„An einem wirklichen Waffenstillstand hat doch Putin gar kein Interesse, sieht man doch seit 2014. Nur dafür dass die Ukraine die besetzten Gebiete abtritt was sie nicht machen wird. Eine Offensive wird...“

„Hallo Waldi, im Grunde bin ich voll bei Dir! Da aber die Unterstützer der Ukraine ihre Rüstungsindustrie nicht hochfahren, die Produktion von Munition ist viel zu gering, wird es wohl nichts mit einem...“

„"Eine Apostille hat kein Ablaufdatum. Die Urkunde, die mit der Apostille versehen ist, kann aber eine Gültigkeitsfrist beinhalten. In der Regel dürfen seit der Ausstellung des Dokuments mit Apostille...“

„Verteidigung wird unter den jetzigen Umständen immer mehr zum Selbstmord! Was die ukrainische Armee dringend braucht sind schwere Waffen zur Verteidigung. Und dazu gehören nun einmal ATACMS-Raketen und...“

„Hallo nochmal.....wisst ihr wie lange mein apostilliertes Scheidungsurteil aus Belgien in der Ukraine gültig ist?“