Ich habe gelernt zu vergeben, und dabei dennoch nichts zu vergessen. Genau deswegen bin ich in dem Land geblieben, das mich einen besonders gefährlichen Staatsverbrecher nannte, weil ich den einfachen und verständlichen menschlichen Wunsch hatte, die Wahrheit zu sagen. Genau deswegen unterhalte ich mich leicht, ohne dass mir der Hass den Hals hinaufsteigt, mit Leuten, die die Folter und den Tod meiner Gefängnisgenossen Wassyl Stus und Walerij Martschenko begleitet haben.
Aber es gibt eine Grenze für meinen Wunsch und mein Vermögen zu vergeben. Deswegen habe ich die ehemaligen politischen Gefangenen Lew Lukjanenko und Jewhen Pronjuk nicht in ihrer Bemühung unterstützt, General Martschuk, der zuvor selbst die „politische“, fünfte Abteilung des KGB leitete, als neuen Präsidenten der Ukraine zu sehen.
Ich weiß schon lange, dass Hass zerstörerisch ist. Auf jeden durchgeführten Vergeltungsakt folgt eine wachsende emotionale Leere. Der befriedigte Hass hindert daran, zu leben. Aber es gibt diese Illusion: Derjenige, der an deinem Schmerz schuld ist, musst bestraft werden, dann wird auch dein Schmerz leichter werden. Jedoch funktioniert Rache wie eine Droge. Sie verlangt eine immer weitere Erhöhung der Dosis.
Vor einigen Tagen hat eine Fernsehkamera eine professionelle „Hasenjagd“ festgehalten. Gut ausgerüstete Leute mit den neuesten Schusswaffen und teuren Zielfernrohren schossen auf sich langsam bewegende Zielscheiben, auf unbewaffnete Zielscheiben. Das waren keine Hasen, auf die geschossen wurde, es waren Menschen. Die Jagd war glorreich, ungefähr hundert Stück an einem Tag. Nachdem ich auf dem Fernsehbildschirm nur eine solche Episode sah, wie unbewaffnete Leute erschossen wurden, habe ich verstanden: dies darf man nicht verzeihen. Ein Staat, der solche erzieherische Erschießungen einer Minderheit mit dem Ziel einer Verhaltenskorrektur der Mehrheit durchführt, ist ein krimineller Staat. Ein Präsident, der einem solchen Staat voransteht, hat kein Recht auf Vergebung.
Aber ich weiß auch folgendes: diesem Präsidenten wurde die Macht von der Hälfte der Bevölkerung meines Landes übertragen. Ganz gleich, dass ich ihm meine Stimme nicht gegeben habe… Meine Mitbürger wollten ihn zum Präsidenten machen. Und er, unser Präsident, hat einen Teil meiner Mitbürger zu professionellen Jägern gemacht, die zielgenau auf sich bewegende Zielscheiben schießen, auf Zielscheiben jeglicher Art.
Es wurde bereits vor langem festgestellt: wenn es ein Gesellschaftssystem gibt, dass Kriminelle für die Durchführung von besonderen Aufgaben benötigt, kann man davon überzeigt sein, dass es solche Kriminelle immer finden wird. Umso mehr in einem post-totalitären Land, das die staatliche Förderung von „Osobisten“ (Mitarbeitern der politischen Abteilung der Geheimdienste) bewahrt hat (des Gefängnishenkers, des Scharfschützen, dem sein Ziel gleichgültig ist und ähnlichen Typen).
Die moralische Inflation ist das natürliche Gesetz des Despotismus. Die zufällig, unverdient erhaltene Unabhängigkeit hat uns dahingehend wenig verändert. Heute weiß ich: das Monopol der despotischen Macht kann nicht stückweise entfernt werden. Gestern erschien mir das noch möglich. Die Brutalität des Gesellschaftssystems hängt in Vielem davon ab, in welchem Maße die Menschen, die in ihm leben, von dessen Härte überzeugt sind. Wir, die Einwohner von Kiew, Wradijewka (Ortschaft, in der die Einwohner, nachdem Milizionäre eine Frau brutal vergewaltigten, die Milizstation zu stürmen versuchten, A.d.R.) und Lwiw, sind heute davon überzeugt. Im Gegensatz zu manch anderen unserer Mitbürger sind wir auch davon überzeugt, dass daraus nicht folgt, dass die Kriterien der Moral durch die kalten Kriterien des Nutzens ersetzt werden sollten. In diesem Zusammenhang stelle ich mir die Frage, die zuvor für mich nicht existiert hat: wo sind die Grenzen des Vergebens? Nein, ich werde keine Antwort von dem Generalstaatsanwalt des Landes erbitten, auch nicht von dem obersten Repräsentanten der Kirche oder dem Oberhaupt des Staatskomitees für gesellschaftliche Moral, die keineswegs als Antipoden zur „Berkut“ (ehemalige Spezialeinheit der Miliz, A.d.Ü.), feststehen…
Ich sollte und muss auf diese Frage selbstständig antworten. Ich verstehe klar: Hass ist wirklich zerstörerisch, und Rache ist ein niedriges, ein gemeines Gefühl. In meinem Land ist immer noch eine Tradition der Unterwürfigkeit und der Furcht lebendig.
Wo sind sie, die Grenzen des Vergebens? Oder andersherum, in der Sprache der Philosophie: wie kann man Toleranz praktizieren gegenüber Ansichten und Handlungen der Intoleranz?
***
In den Tagen des Aufstands auf dem Maidan und während der autoritären Herrschaft habe ich mich nicht gefürchtet – obwohl ich auch nicht an einen schnellen Sieg der Gerechtigkeit und der Herrschaft des Gesetzes geglaubt habe. Ich habe gesehen, wie sich mein Land und mein Volk gewandelt haben. Es trat klar zutage: das frühere System tritt zurück, schmerzhaft, aggressiv und blutig. Der Maidan hat gesiegt. Nicht die Politiker, die sich im zugesellt haben.
Heute ist mir furchtbar zumute. Genau die gleichen Anführer-Nichtsnutze bestimmen die Zukunft meines Landes; genau die gleichen, verschiedenartigen Abgeordneten, die sich nur um eines sorgen – um ihre persönliche Teilnahme an den nächsten Wahlen. Rachsüchtige, lasterhafte Nullen, die sich einfach einem fremden Sieg zugesellen. Einem bitteren Sieg, bei dem die Blutflecke auf dem Asphalt und auf dem Straßenpflaster kein einziges Abgeordnetenblut enthalten.
Ein unnützer Sieg? Vergeblich hingegebenes Leben? Nach dem Geschehen im Parlament zu urteilen, ist es genau so. Bitter und fürchterlich. Rudkowskij und Ljaschko, Farion und Martynjuk, die aus der politischen Nicht-Existenz entstanden sind, bestimmen erneut die Zukunft meines Landes. Eine furchtbare und bittere Zukunft.
24. Februar 2014 // Semjon Glusman
Quelle: Lb.ua
Forumsdiskussionen
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„"§ 107 Wahlbehinderung (1) Wer mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt eine Wahl oder die Feststellung ihres Ergebnisses verhindert oder stört ..." Hat mit seinem Anliegen irgendwie gar nix zu tun na...“
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„Toleranz ist das Stichwort und im Grunde befindet er sich zum großen Teil unter Gleichgesinnten und erkennt es nicht, sehr schade, allerdings sind seine Umgangsformen etwas eingeschränkt, was ebenso...“
Bernd D-UA in Nützliche und interessante Sachen • Re: Botschaftshinweise: Onlineeintragung in die "Deutschenliste" zur Krisenvorsorge
„@tombi Die Meinung anderer zu achten ist nicht so Dein Ding, Du musst sie ja nicht teilen. Dies ist aber eine grundlegende Regel einer Diskussion, daher macht die Diskussion mit Dir wenig Sinn, offensichtlich...“
Frank in Politik • Re: Der Ukraine droht ein schmerzhafter Abschied vom Donbass
„... keine macht den Drogen ... such dir mal Hilfe“
Tombi in Nützliche und interessante Sachen • Re: Botschaftshinweise: Onlineeintragung in die "Deutschenliste" zur Krisenvorsorge
„@tombi, das Land hat andere Probleme als Dir Deine Wahlunterlagen hinterher zu tragen. Soll auch so bleiben, kostet nur unnötig Steuergelder! Soweit alles Verstanden? Aha, wieder so ein Widerling der...“
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„Handrij, ich vermute Du bist ein FSB-Agent, da ich mit Euch Moördern nicht zusammen arbeiten möchte, und mir Deine Zensur zu peinlich ist: gehe ich, ich verlasse Dich & Deine Desinformation, deine...“
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„Mich würde es Interessieren, ob die Amis sich auch raushalten, wenn der Zwerg Alaska besetzt oder Teilbesetzt. Es könnte ja zu einem Atomkrieg kommen, wenn die Amis Truppen schicken. Sie senden anscheinend...“
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„Klar, ist aber trotzdem auch heute noch - vielleicht gerade heute wo tausende Kinder Hilfe benötigen - ein Thema und wenn der Teilnehmer nicht gelöscht ist, kann man doch fragen, oder? Mehr als KEINE...“
Bernd D-UA in Nützliche und interessante Sachen • Re: Botschaftshinweise: Onlineeintragung in die "Deutschenliste" zur Krisenvorsorge
„@tombi, das Land hat andere Probleme als Dir Deine Wahlunterlagen hinterher zu tragen. Soll auch so bleiben, kostet nur unnötig Steuergelder! Es ist Deine Entscheidung im Ausland zu leben, offensichtlich...“
Frank in Hilfe und Rat • Re: Adoption / Adoptieren eines ukrainischen Kindes
„Hast aber schon gesehen dass das 8 Jahre alt ist?“