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Der rückwärtsgewandte Präsident

Ich bin mir nicht sicher, ob Wladimir Putins kürzlich gehaltene Rede während des Internationalen Diskussionsklubs “Waldai” in Sotschi in die Annalen der Geschichte eingehen wird – sind doch derzeit im politischen Weltgeschehen Taten und nicht Worte gefordert, besonders nicht die Worte eines russischen Präsidenten, der bereits mehrfach eine erstaunliche Bereitschaft dazu gezeigt hat, heute das zu widerrufen, was er gestern noch gesagt hatte. Dennoch lohnt es sich, einen Blick auf diese Rede zu werfen, um eben eines zu erkennen: dass er einer von gestern ist.

Putin ist ein durchschnittlicher Sowjet-Mensch, der nichts dafür tun musste, um der Präsident Russlands zu werden. Ich möchte mich an dieser Stelle nicht weiter mit der Frage beschäftigen, wie er auf den Präsidenten-Sessel kam, ob das mit dem Willen Boris Jelzins in Verbindung zu bringen ist, der damit seine korrumpierten Kapitaleinlagen und den Einfluss seiner Familie absichern wollte, oder ob während der Benennung Putins der Einfluss der Ljubjanka auf die russische Regierung bereits so groß war, dass sie – natürlich in Zusammenarbeit mit den “Oligarchen” – jeden ihrer Repräsentanten auf den Sessel hätte setzen können. Zig Untersuchungen wurden dazu schon angestellt, auch ich bin in den letzten Jahrzehnten nicht drum herum gekommen, das Thema immer wieder zu kommentieren.

Doch wichtig ist vor allem eines – und dabei handelt es sich um einen Fakt, den auch ein noch so hitziger Putin-Verehrer nicht bestreiten kann: dass er, um den Präsidenten-Posten zu bekommen, nichts aber auch gar nichts tun musste. Er hat sich noch nie mit politischer Arbeit befasst, er hat noch nie eine Partei gegründet, noch nie Ansichten ausformuliert oder als Abgeordneter kandidiert. Sogar während seiner Beamten-Laufbahn nahm er eine schlichte Stellung ein. Dass er sich auf einmal in Moskau befand, verdankt er ausschließlich dem Zerfall der Gruppe seines Petersburger Wohltäters Anatolij Sobtschak und dessen schonungslosen Stellvertreter, Wladimir Jakowlew. Gerade deshalb hat in Putins Bewusstsein während der Präsidentschaftswahl, die nur Dank titanenhafter Kräfte eines Boris Beresowskij und der Familie Jelzins zustande kam, eine Substitution stattgefunden, die ganz charakteristisch ist für die Psychologie jedes Ursupators: Er bildete sich ein, der Gesalbte des Herrn zu sein (und übrigens sind seine innigen Worte darüber, dass er sich ein Leben ohne Russland nicht vorstellen kann, gesagt in Sotschi, nur ein weiterer Beleg dafür – auch wenn sich der echte Putin, der Putin vor der Präsidentschaft, während seines Dienstes in der DDR auch dort pudelwohl gefühlt hat).

Das, was Putin sagt, kann in jeder x-beliebigen Zweiraumwohnung eines Moskauer, Nowosibirsker oder Krasnodarsker Hochhauses gehört werden. Diese von Putin geäußerten Gedanken werden miteinander geteilt, während man Fernsehen guckt und Bier trinkt und sich entscheidet, über Politik zu reden. Und immer wieder kommt dabei dieser ausgelassene, blödsinnige und unüberwindbare Neid und Zorn zum Ausdruck, wenn über die USA die Rede ist. Und immer wieder wird den alten Zeiten nachgetrauert, als Chruschtschow während seiner Rede bei der UN-Vollversammlung “mit seinem Schuh aufs Pult geschlagen haben soll” (so etwas in der Art ist jedoch nie vorgefallen, denn es handelt sich dabei um eine legendenhafte Episode, an die Putin und all die anderen sowjetischen Menschen jedoch glauben) und “uns von da an alle fürchteten”. Immer wieder diese Unwissenheit, die als Gebildetsein ausgegeben wird.

Sie glauben nicht daran, dass Putin und seine Berater ungebildet sind? Dann lesen Sie einmal jene Passage in Putins Rede, die sich Neurussland (Noworossija) widmet. Über eine “Region, dessen Zentrum in Noworossijsk liegt”, was bei den Zuhörern sogleich den Eindruck erwecken soll, dass sich selbst das Zentrum des ukrainischen Ostens in Russland befindet. Ja, selbstverständlich war einst das Zentrum des Gouvernements Neurussland Noworossijsk – wer will das schon bestreiten. Jekatarinoslaw – dem heutigen Dnepropetrowsk –, ist so sechs Jahre lang unter der Herrschaft von Zar Paul I. bezeichnet worden, der damit die Erinnerung an seine Mutter ausmerzen wollte. Allerdings erwähnt Putin in der Zusammensetzung von Neurussland auch Charkow, das jedoch nie Teil des Gouvernements Neurussland war, Lugansk und Donezk, die lediglich sechs Jahre lang dazu gehörten. Ich bin davon überzeugt, dass es sich hierbei nicht um Manipulation, sondern einfach um Bildungsphilister handelt. Ergänzen Sie das ganze mit einem absoluten Unverständnis für die heutige Welt, dem innigen Glauben daran, dass Russland dessen Zentrum ist (wozu sollte man das vor Ausländern denn verheimlichen) und der Überzeugung, dass “der Bär alles darf” – und der “Sowok” bereit ist.

Der Unterschied zwischen Putin und einem Durchschnittsrussen ist der, dass ein Russe außer seiner Wohnung aus der Chruschtschow-Zeit (Chruschtschowka), seinem alten Auto und seinem Sparbuch nichts weiter hat, Putin aber ist reich wie ein Krösus. Der Unterschied zwischen Putin und einem Durchschnittsrussen ist der, dass dieser für nichts verantwortlich ist, von Putin aber hängt das Schicksal der Mitbürger und Bürger solcher Staaten ab, in die Putin seine Killer mit oder ohne russische Militäruniform schickt. Der Unterschied zwischen Putin und einem Durchschnittsrussen ist der, dass dieser ein Bedürfnis nach verantwortungsbewussten Politikern hat, die das Land und sein eigenes Leben verändern können, für Putin aber ist alles in Butter, er will rein gar nichts verändern, das einzige was er möchte, ist, dass die Amerikaner ihn fürchten, und dafür ist er bereit mit den Leben von Russen und Ukrainern zu bezahlen.

Um zu verstehen, dass dieser Präsident mit seiner in der sowjetischen Vergangenheit geeichten Haltung Russland zum völligen Zusammenbruch führen könnte, muss man noch nicht einmal seine Sotschi-Rede lesen. Da reicht es schon aus, die Taten des Wladimir Putin weiter zu beobachten.

26. Oktober 2014 // Witalij Portnikow

Quelle: Lewyj Bereg

Übersetzerin:   Maria Ugoljew — Wörter: 913

Maria Ugoljew ist freischaffende Journalistin und Übersetzerin. Sie hat erst Slawistik, Kunstgeschichte sowie Musikwissenschaft in Greifswald und Brno studiert und dann bei einer Lokalzeitung volontiert. Heute lebt sie in Berlin.

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