Gestern weigerte sich das Petschersker Stadtbezirksgericht in Kiew das Strafverfahren gegen die ehemalige Ministerpräsidentin Julia Timoschenko zu schließen, die der Überschreitung ihrer Vollmachten bei der Unterzeichnung der Gasabkommen mit Russland im Jahre 2009 beschuldigt wird. Diese Entscheidung war für Timoschenko nicht überraschend, die gestern das Datum nannte, an dem ihr Urteil verkündet wird. Den Informationen der Quellen der Ex-Ministerpräsidentin in der Präsidialadministration nach findet dies am 15./16. September statt und bereits jetzt begann die Regierung damit aus der gesamten Ukraine Angehörige der Spezialabteilung „Berkut“ in Kiew zusammenzuziehen.
Die Sitzung des Petschersker Gerichts in der Sache der Überschreitung der Amtsvollmachten durch die ehemalige Ministerpräsidentin Julia Timoschenko begann mit einer Antragsstellung von Seiten der Verteidigung. Anwalt Jurij Suchow unternahm den Versuch Fotographen und Videoübertragungen des Prozesses im Gerichtssaal wieder zuzulassen, doch Richter Rodion Kirejew stellte diese Frage nicht einmal zur Diskussion.
Danach gab der Richter Staatsanwalt Alexander Mikitenko das Wort, der darum bat Publikationen aus Internetquellen und eine Reihe von Dokumenten der Hauptmilitärstaatsanwaltschaft Russland in die Materialien der Strafsache einzubeziehen, darunter die Kopie einer Anordnung vom 26. Dezember 2005 über die Schließung des Strafverfahrens gegen Julia Timoschenko auf nicht rehabilitierender Grundlage (detaillierter zu diesem Dokument “Kommersant-Ukraine” vom 27. Dezember 2005). „Die Staatsanwälte betreiben negative PR. Die Kopien der Dokumente der Hauptmilitärstaatsanwaltschaft Russlands sind von der Generalstaatsanawaltschaft der Ukraine beglaubigt! Wie kann das sein“, empörte sich Julia Timoschenko. Sie drohte damit, dass falls das Gericht diese Dokumente zulässt, dann „bringen wir morgen ähnliche Dokumente, die von der Partei ‘Batkiwschtschyna/Vaterland’ beglaubigt wurden“.
Dem Antrag der Vertreter der Staatsanwaltschaft wurde vom Gericht teilweise stattgegeben; Rodion Kirejew ließ nur die Kopien der Dokumente der Hauptmilitärstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation zur Strafsache zu. Unerwartet für Julia Timoschenko und ihre Anwälte ordnete Rodion Kirejew an zu der Strafsache den konsolidierten Jahresabschluss der NAK (Nationalen Aktiengesellschaft) „Naftogas Ukrainy“ für 2009 und die Ergebnisse des Audits durch das Unternehmen Ernst & Young zuzulassen. Zur Erinnerung: vorher hatte sich das Gericht geweigert, dies zu tun (Ausgabe des „*Kommersant-Ukraine*“ vom 1. und 2. September). Dieser Bericht, sind sich die Anwälte sicher, widerlegt die Version der Vorermittlung darüber vollständig, dass im Ergebnis des Abschlusses der Gasabkommen 2009 die NAK Verluste einfuhr. Wie vorher der Anwalt der Ex-Ministerpräsidentin, Nikolaj Siryj, erklärte, „falls diese Materialien in der Sache auftauchen, kann man das Verfahren sofort schließen“. Außerdem wurde zu der Sache eine Auskunft von der NAK „Naftogas Ukrainy“ über die Mengen der Förderung, des Verbrauchs und der Lagerung von Erdgas in den ukrainischen Untertagespeichern im Januar 2009 zugelassen.
Nachdem Richter Kirejew diesen Anträgen nachkam, entschloss sich die Verteidigung den Moment auszunutzen und stellte einen neuen Antrag – über die Schließung des Strafverfahrens gegen Julia Timoschenko.
„Angeklagte, unterstützen Sie das Gesuch?“, fragte der Richter ironisch nach. Julia Timoschenko lächelte und begann den Antrag zu begründen.
„Es gibt insgesamt zwei Umstände: ich werde dessen beschuldigt, dass ich die Direktiven für die Delegation von ‘Naftogas’ ohne die Regierung unterzeichnet habe, doch in den Gesetzen ist nicht angegeben, dass ein Wirtschaftssubjekt Direktiven zu folgen hat“, sagte die ehemalige Ministerpräsidentin. „Der zweite Umstand: aus den zur Strafsache zugelassenen Dokumenten geht klar hervor, dass ‘UkrTransGas’ aus dem Gastransport in den Jahren 2008/2009 keine Verluste gemacht hat!“
Die Angeklagte war sich sicher, dass diese Faktoren vollständig ausreichend für ihre Rechtfertigung seien und dass es in der Strafsache „weiter nichts mehr zu klären gibt“.
„Ich bitte Sie“, wandte sich Julia Timoschenko an den Richter, „schließen Sie diese Sache und befreien sich mich aus der ungesetzlichen Haft“.
Zum gesagten fügte Anwalt Nikolaj Siryj hinzu: in den Materialien der Strafsache fehlen Beweise dafür, dass Julia Timoschenko bei der Unterzeichnung der Gasabkommen mit Russland vorsätzlich handelte oder einen persönlichen Vorteil verfolgte. „Der vorliegende Paragraph (§365 Strafgesetzbuch) ist bei offensichtlichem Amtsmissbrauch anwendbar. Es gibt keine Beweise, dass Julia Wladimirowna (Timoschenko) gegen irgendwelche Verbote oder Einschränkungen verstoßen hat“, betonte er.
Staatsanwalt Alexander Mikitenko sagte, dass das Gericht, indem es die Strafsache prüft, diese tatsächlich schließen kann, doch in dieser Phase „ist es dazu verpflichtet sie (die Strafsache) abzuschließen“. „Im Falle der Abwesenheit von Straftatbeständen entscheidet das Gericht auf Freispruch. Das Gericht ist dazu verpflichtet ein Urteil zu verkünden“, erklärte der Vertreter der Staatsanwaltschaft. Julia Timoschenko erinnerte im Gegenzug entrüstet daran, dass das Gericht das Recht hat in jeder Phase die Strafsache zu schließen. Die Meinungen der beiden Seiten zu Ende anhörend, zog sich der Richter in das Beratungszimmer zurück.
Nach der Pause verkündete Rodion Kirejew, dass das Gericht sich weigert das Strafverfahren gegen die ehemalige Ministerpräsidentin einzustellen. „Gemäß dem Strafgesetzbuch, wenn im gegebenen Stadium des Gerichtsverfahrens Umstände aufgedeckt wurden, die Grundlage dafür sein könnten, dass die Strafsache geschlossen wird, ist das Gericht in jedem Fall dazu verpflichtet die Strafsache zu Ende anzuhören und im Falle von Beweisen für die Unschuld der Angeklagten einen Freispruch zu verkünden“, sagte der Richter, dabei vollständig die Argumente des Staatsanwalts wiederholend.
Diese Entscheidung erwies sich für Timoschenko wenn auch als unangenehm, so doch nicht als unerwartet. Ihre Verteidiger sind überzeugt davon, dass der ehemaligen Ministerpräsidentin ein Schuldspruch verkündet wird. Daran zweifelt auch Julia Timoschenko nicht. Zumal sie gestern mitteilte, dass ihr bekannt ist, wann das geschehen wird – am 15. oder 16. September. Davon erfuhr die ehemalige Ministerpräsidentin von ihren Informanten in der Präsidialadministration und bei der Generalstaatsanwaltschaft. „Uns wurden sehr eindeutige Informationen übergeben und ich möchte Ihnen mitteilen, dass Ihnen am 15./16. September die Aufgabe gestellt wird, das Urteil – einen Schuldspruch – zu verkünden, ungeachtet aller Umstände“, erklärte die Ex-Ministerpräsidentin, sich dabei an Richter Kirejew wendend. Ihren Informationen nach begann das Innenministerium, da es Massenunruhen befürchtet, bereits jetzt damit in Kiew Angehörige der Spezialkräfte „Berkut“ aus allen Oblasten der Ukraine zusammenzuziehen.
Bleibt anzumerken, dass Julia Timoschenko Anfang August bereits die Prognose bezüglich des endgültigen Urteils in ihrer Strafsache gab. „Unseren Daten nach gab Janukowitsch dem Richter über die Mitarbeiter seiner Administration die Anweisung, dass ich bis zum Unabhängigkeitstag, bis zum 24. August, verhaftet werde. Damit dann ein unfaires Urteil ausgesprochen wird, welches Janukowitsch bestellt hat und damit er bis zum 20. Jahrestag der Unabhängigkeit vollständig mit der Opposition abgerechnet hat“, verkündete die ehemalige Ministerpräsidentin am 1. August. Diese Prognose wurde zum Teil realisiert – ein Urteil wurde nicht verkündet, doch wurde Julia Timoschenko am 5. August verhaftet und im Lukjanowkaer Untersuchungsgefängnis untergebracht.
Olga Kurischko
Quelle: Kommersant-Ukraine
Forumsdiskussionen
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