Natürlich betrifft diese Überschrift nicht die wirkliche Ukraine: die wirkliche war die ganze Zeit auf dem Boden. Sie betrifft die imaginierte Himmlische Ukraine,
die all diese Jahre in den Vorstellungen einiger Intellektueller existierte. Anfänglich entschieden sie, dass die gesamte Himmlische Ukraine auf den Majdan eben für die Werte ging, die sie teilen, die Intellektuellen. Sie waren sich sicher, dass jetzt diese Männer aus Radechow und Tetijiw auf dem Kyjiwer Pflaster dafür stehen, damit der grauhaarige solide Politiker in englischer Sprache in Brüssel schön von den Perspektiven der Ukraine erzählt. Und sie selbst standen dort ihrer Würde wegen.
Im fernen Jahr 2010 nahm ich an einer heimatkundlichen Reise durch das dörfliche Wolhynien teil. Das ist ein wundervoller Landstrich mit überwiegend wenig besitzenden, aber stolzen und weisen Leuten. Bäuerisch stolz und schlau. Und bereits damals verspürte man in den Gesprächen: „Lasst uns normal leben!“ Die Menschen erzählten von den Staatsbediensteten, über die örtliche politische Mafia, die aus einer Gangsterbande emporkam. Gerade habe ich den Namen eines der ehemaligen örtlichen Ex-Gangster gegoogelt: Er ist immer noch an der Macht. Sie sind alle noch an der Macht. Richter, Polizei – nichts hat sich geändert.
Petro Poroschenko trat als Kandidat radikaler Änderungen an. Radikaler. Eben das versprach er von den Wahlkampftribünen. Stattdessen verwandelte sich danach alles in ein „seid zufrieden mit dem, was ihr habt“.
Während die „Himmlische Ukraine“ in lichten Höhen wandelte, lebte die reale Ukraine in Armut und wartete. Ja, Sie haben sich nicht verlesen, ich sprach von Armut. Die Einwohner der Millionenstädte können soviel sie wollen über das Thema „zwei Bekannte haben dieses Jahr neue Wohnungen gekauft, drei neue Autos, alle reisten zum Urlaub ins Ausland“ tratschen, doch die Mehrheit der Gesellschaft kann sich allenfalls einen dreißigjährigen Schiguli-Lada, Urlaub in Satoka und eine Chruschtschow-Wohnung für zwei Familien leisten. Vor einem Jahr konnten sie sich noch anstelle des Schiguli einen hinreichend präsentablen Opel mit einem EU-Nummernschild leisten, doch Poroschenko prahlte mit einem Lächeln, dass jetzt diese Möglichkeit geschlossen ist.
Und die Bewohner der „Himmlischen Ukraine“ wollten hartnäckig die reale Ukraine nicht bemerken. Diese störte sie. Und plötzlich hat sich diese bei den Wahlen lautstark bemerkbar gemacht und die „Himmlische Ukraine“ stürzte rasant ab.
Und jetzt spreche ich nicht von den Wahlergebnissen. Ich spreche von einem gewissen (nicht kleinen) Teil der ukrainischen Gesellschaft, der sich eine alternative Realität errichtet hat, die für sie „die Ukraine“ ist und der ganze Rest ist für sie die „Nichtganz-Ukraine“ oder sogar die „Anti-Ukraine.“ Obgleich die Ukraine die gesamte Gesellschaft zusammen ist. Ja, sogar ihre russischsprachigen, ukrainischsprachigen, rumänischsprachigen, romanisprachigen, bulgarischsprachigen und allen anderen anderssprachigen Bürgern.
Sogar den Bürgern, die Bandera nicht lieben. [gemeint ist Stepan Bandera, westukrainischer Faschistenführer der Zeit um den Zweiten Weltkrieg. 1959 in München vom KGB ermordet. Gilt offiziell als Unabhängigkeitskämpfer. A.d.Ü.] Sogar der Bürger, die Stalin lieben. Die Ukraine, die sehr schwierig ist – ein gemeinsames Bild des historischen Gedenkens und der gemeinsamen Sicht kann und muss man sehr abwägend schaffen, nicht wenige problematische Fragen und Stolpersteine dabei berücksichtigend. Die Mehrheit der Ukrainer ist überzeugt: Unser Haus ist Europa, und wie dieses Europa aussieht und wie der Weg dahin ist, da beginnen spürbare Meinungsverschiedenheiten.
Ja, ein bedeutender Teil der Ukrainer hat 2014 den Euromajdan unterstützt und danach Poroschenko. Ein bedeutender Teil von ihnen unterstützt jetzt Selenskyj. Das ist kein „Verrat“ oder eine „Tragödie“, das ist Demokratie. Eben jene, die Generationen von Kämpfern gegen die totalitären Regime forderten. Es ist lediglich erforderlich das zu verstehen, es zu akzeptieren, die reale bodenständige Ukraine zu spüren und für ihre Zukunft zu arbeiten.
Und sich weniger auf das eigene Volk mit Worten der Art „Sklaven“ und „Kleinrussen“ zu werfen, auch wenn man es sehr möchte.
23. April 2019 // Pawlo Subjuk
Quelle: Zaxid.net
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