OK!

Diese Website setzt Cookies für personalisierte Werbung und statistische Zwecke ein und es werden Daten zeitweilig gespeichert. Mehr Informationen zum Datenschutz

FacebookXVKontakteTelegramWhatsAppViber

Warum Putin eskaliert, aber doch nicht in den Krieg ziehen könnte

0 Kommentare

Andreas Umland: Warum Putin eskaliert, aber doch nicht in den Krieg ziehen könnte

Russland und die Ukraine stehen möglicherweise am Rande eines offenen und großen zwischenstaatlichen Krieges. Er könnte im schlimmsten Fall ein im Nachkriegseuropa nie dagewesenes Ausmaß erreichen. Die beiden territorial größten europäischen Staaten sind beide militärische Schwergewichte. Russlands konventionelle Streitkräfte übertreffen die der Ukraine freilich sowohl quantitativ als auch qualitativ bei weitem. Zudem ist Russland eine nukleare Supermacht, während die Ukraine ein Nichtkernwaffenstaat ist, dem der Atomwaffensperrvertrag den Erwerb von Nuklearsprengköpfen untersagt.

Dennoch hat die Ukraine in den letzten sieben Jahren eine beachtliche konventionelle Armee aufgebaut, die kampferprobt ist. Die ukrainischen Streitkräfte sind jetzt teilweise mit modernen High-Tech-Waffen ausgestattet – sowohl aus ukrainischer Produktion als auch aus dem Ausland. Im Falle einer Eskalation würden sie durch weitere westliche Waffen und Geheimdienstinformationen unterstützt werden. Angesichts dieser Faktoren ist es unklar, ob Russland so leicht und schnell einen offensichtlichen Sieg erringen könnte, wie dies etwa im russisch-georgischen Fünftagekrieg im August 2008 der Fall war.

Darüber hinaus ist ungewiss, wie die westliche und russische Öffentlichkeit auf einen solchen Krieg reagieren würden. Die Erfahrungen der Vergangenheit scheinen darauf hinzudeuten, dass viele Russen erfolgreiche Gebietsexpansionen befürworten. Russlands unverblümte Besetzung eines Fünftels des georgischen Territoriums im Jahr 2008 und die offizielle Annexion der Krim im Jahr 2014 waren beide im Volk Russlands beliebt. Sie verstärkten die Unterstützung für Putins Regime und antiwestlichen Gefühle.

Schlimmer noch: Die Reaktionen des Westens auf Russlands Südexpansion waren erstaunlich zurückhaltend. Im Jahr 2008 wurden keinerlei nennenswerten Sanktionen gegen Moskau verhängt. Merkwürdigerweise verbesserten sich die russisch-westlichen Beziehungen stattdessen nach dem Krieg und der Teilbesetzung Georgiens. Im Jahr 2014 wurden Russlands offene Annexion der Krim und verdeckte Intervention im Donbass zunächst mit geringfügigen Sanktionen geahndet. Deren begrenzte Wirkung ermutigte den Kreml zu weiterer Eskalation.

Zwar verhängte die EU im Sommer 2014 endlich einige (wenn auch nur moderate) sektorale Sanktionen gegen Moskau. Sie waren jedoch offensichtlich eine Reaktion auf die Tötung von über 200 EU-Bürgern an Bord des Fluges MH17 der Malaysian Airlines, den eine russische reguläre Armeeeinheit am 17. Juli 2014 über der Ostukraine abgeschossen hatte. Dies könnte Putin & Co. suggerieren, dass russische territoriale Expansion für den Westen kein großes Problem darstellt. Der Kreml muss nur verhindern, dass EU-Bürger in größerer Zahl umgebracht werden.

Was kann die Ukraine heute angesichts von Moskaus Abenteuern 2008 und 2014 tun? Die Schlüsselvariable, die sowohl das dargelegte vergangene als auch mögliche künftige Verhalten Moskaus bestimmt, sind die relativen Kosten militärischer Eskalationen und die öffentliche Bewertung dieser Kosten in Russland. Die materiellen und menschlichen Verluste im Ergebnis von Moskaus Eskapaden 2008 und 2014 erschienen damals und erscheinen auch heute noch vielen Russen als verhältnismäßig gering.

Was Moskaus Georgien-Operation 2008 betrifft, so waren und blieben sie ganz objektiv gering. Im Falle des russischen Angriffs auf die Ukraine wurde der deutlich höhere Preis von der russischen Öffentlichkeit auch als erträglich wahrgenommen. Die Auswirkungen des nationalen Triumphs von 2014, als Putin die schöne Halbinsel Krim im Handstreich eroberte, sind noch heute zu spüren. Viele Russen tolerieren angesichts der Krim-Annexion die anhaltende sozioökonomische Stagnation Russlands, die unter anderem auf das 2014 errichtete westliche Sanktionsregime zurückzuführen ist.

Das Verhalten des Kremls war daher sowohl 2008 als auch 2014 in gewissem Sinne rational. Die expansionistischen Aggressionen erhöhten die öffentliche Unterstützung für Putins Regime und verringerten die Popularität des Westens. Gleichzeitig hielten sich die politischen und finanziellen Kosten für Putins Regime in Grenzen. Man kann nur spekulieren, dass die Entscheidungsträger im Kreml beide Auswirkungen – sowohl die großen und unmittelbaren innenpolitischen Gewinne als auch die geringen oder gedämpften außenwirtschaftlichen Verluste – erwartet haben. Aus ihrer Sicht wäre es eine Unterlassungssünde gewesen, die Gelegenheiten, die sich im August 2018 in Georgien und im Februar 2014 in der Ukraine boten, nicht entschlossen zu nutzen.

Die Schlussfolgerungen aus der Vergangenheit für das Verhalten der Ukraine und des Westens in der aktuellen Situation sind dreierlei Natur. Erstens sollten die Regierung und Gesellschaft der Ukraine darauf achten eine Situation zu vermeiden, die vom Kreml nach außen und gegenüber der russischen Bevölkerung als Casus Belli dargestellt werden und den Eindruck innerukrainischer Schwäche erwecken könnten. Kiew muss innenpolitische Konflikte vermeiden, die zu Instabilität führen könnten, welche der Kreml nutzen könnte.

Zweitens müssen der ukrainische Staat und die ukrainische Nation Moskau unmissverständlich signalisieren, dass sie bereit und geeint sind, auch einen großen Krieg von Anfang bis Ende auszutragen. Der Kreml sollte den Eindruck gewinnen, dass eine erneute russische Invasion, anders als im Fall der Krim 2014, sofortigen und entschlossenen militärischen Widerstand auslösen wird und dass es keinen voreiligen Waffenstillstand zu welchen Bedingungen auch immer geben wird, wie in Georgien 2008.

Den täglichen oder wöchentlichen Newsletter abonnieren und auf dem Laufenden bleiben!

Drittens muss der Westen über öffentliche und nicht-öffentliche Kanäle seine Bereitschaft kommunizieren, Sanktionen zu verhängen, die mehr als nur symbolisch sind. Insbesondere müsste die EU einen Weg finden, öffentlich zu beschließen und plausibel zu signalisieren, dass sie nicht erst wieder auf eine russische Massentötung von EU-Bürgern warten wird, bevor zusätzliche sektorale Sanktionen verhängt werden. Es wird nicht leicht sein, eine solche einheitliche Entscheidung aller 27 Mitgliedsstaaten zu erreichen. Die Spitzenbeamten der EU sollten ihr Möglichstes tun, um eine solche Einigkeit mit Unterstützung interessierter Mitgliedstaaten zu erreichen. Leider ist das putinkritische Vereinigte Königreich nicht mehr Mitglied. Polen, der größte Fürsprecher der Ukraine in der EU, wird durch einen hausgemachten Konflikt mit Brüssel behindert. Die Ukraine wird daher auf andere Mitglieder der Union angewiesen sein und darauf, dass sie eine Führungsrolle bei der Anregung und Durchsetzung von Sanktionen übernehmen.

Auch wenn die Lage düster aussieht, ist noch nicht alles verloren. Ein wesentlicher Unterschied zwischen den derzeitigen Spannungen und denen vor Moskaus Angriffen auf Georgien 2008 und die Ukraine 2014 besteht darin, dass die sozioökonomischen Aussichten Russlands heute schlecht sind. Die russische Bevölkerung will im Prinzip keinen Krieg mit der Ukraine. Auch sind die Russen heute vielleicht weniger geneigt, sich auf ausländische Abenteuer einzulassen als in Zeiten relativen wirtschaftlichen Erfolgs. Wenn die Ukraine und der Westen einen kühlen Kopf bewahren und genügend Entschlossenheit zeigen, kann ein neuer großer Krieg vermieden werden.

Autor:    — Wörter: 986

Dr. Andreas Umland (1967) ist seit 2010 Dozent am Fachbereich Politikwissenschaft der Kyjiwer Mohyla-Akademie (NaUKMA) und seit 2021 Analyst am Stockholmer Zentrum für Osteuropastudien (SCEEUS) des Schwedischen Instituts für Internationale Beziehungen (UI).

Hat Ihnen der Beitrag gefallen? Vielleicht sollten Sie eine Spende in Betracht ziehen.
Diskussionen zu diesem Artikel und anderen Themen finden Sie auch im Forum.

Benachrichtigungen über neue Beiträge gibt es per Bluesky, Facebook, Google News, Mastodon, Telegram, X (ehemals Twitter), VK, RSS und täglich oder wöchentlich per E-Mail.

Artikel bewerten:

Rating: 3.8/7 (bei 4 abgegebenen Bewertungen)

Kommentare

Neueste Beiträge

Aktuelle Umfrage

Werden die von Trump eingeleiteten Friedensgespräche erfolgreich sein?
Ja!
21% / 22 Teilnehmer
Nein!
40% / 42 Teilnehmer
Es wird erst gar nicht zu Verhandlungen kommen!
12% / 13 Teilnehmer
Welche Friedensgespräche?
24% / 25 Teilnehmer
Weiß nicht ...
3% / 3 Teilnehmer
Stimmen insgesamt: 105
Abstimmen
Frühere Umfragen
Kiewer/Kyjiwer Sonntagsstammtisch - Regelmäßiges Treffen von Deutschsprachigen in Kiew/Kyjiw

Karikaturen

Andrij Makarenko: Russische Hilfe für Italien

Wetterbericht

Für Details mit dem Mauszeiger über das zugehörige Icon gehen
Kyjiw (Kiew)10 °C  Ushhorod11 °C  
Lwiw (Lemberg)9 °C  Iwano-Frankiwsk9 °C  
Rachiw7 °C  Jassinja7 °C  
Ternopil9 °C  Tscherniwzi (Czernowitz)10 °C  
Luzk8 °C  Riwne8 °C  
Chmelnyzkyj9 °C  Winnyzja11 °C  
Schytomyr9 °C  Tschernihiw (Tschernigow)10 °C  
Tscherkassy11 °C  Kropywnyzkyj (Kirowograd)13 °C  
Poltawa13 °C  Sumy13 °C  
Odessa15 °C  Mykolajiw (Nikolajew)16 °C  
Cherson15 °C  Charkiw (Charkow)14 °C  
Krywyj Rih (Kriwoj Rog)16 °C  Saporischschja (Saporoschje)14 °C  
Dnipro (Dnepropetrowsk)15 °C  Donezk13 °C  
Luhansk (Lugansk)13 °C  Simferopol16 °C  
Sewastopol15 °C  Jalta18 °C  
Daten von OpenWeatherMap.org

Mehr Ukrainewetter findet sich im Forum

Forumsdiskussionen

„@lev dann wünsche ich Dir eine gute Reise, es war sehr schön in LVIV, muss unbedingt nochmals so eine Rundreise machen. Ich habe so wundervolle Menschen kennengelernt, ich bin zutiefst beeindruckt! Es...“

„Danke Bernd für deine Eindrücke. Ich fahre Ende Mai wieder für mehrere Wochen nach Lviv. Nicht um Urlaub zu machen, sondern in unsere Wohnung. Hatte sie ja vor dem Krieg, aufwendig saniert und möchte...“

„Hallo liebe Forengemeinde und Mitleser, ich bin gerade auf einem Kurztripp durch die Ukraine. Es ist wunderschön wieder hier zu sein. Es fehlen die Touristen, gestern habe ich einen persönlichen und...“

„Kurzer Bericht, hab dann doch den Wachwechsel erwischt, bei den Polen ging dann bestimmt 45 Minuten gar nix. Und dann wurde in zwei Schüben eingelassen, ich finde, dann ging es in einem guten Tempo voran....“

„Bin jetzt da, 10 PKW vor mir, das ist akzeptabel, ist ja auch der 1.Mai. Bin zufrieden mit der Situation. @Frank Fahre immer noch ein schwarzes Auto... kennst doch meine Erfahrung mit der Polizei in UA...Kaffeebraun...“

„Probier doch einfach. Wenn der offen ist doch alles ok. Bin da glaube mal zurück drüber gefahren. War dann nur eine ewige Kurverei bis zur A4. Bin da aber eh erstmal bis Krakau. Kann natürlich auch...“

„Schade, dass es keine Info´s zu Zosin gibt, wer aber noch was weiß, bitte schreiben, ich fahre jetzt in 30 Minuten los und kann immer noch in ca. 10h bei einem Stopp nochmals nachlesen. Google Maps schickt...“

„Diesen Grenzübergang hatte ich schon auf dem Schirm, kenne ihn nur noch nicht. Kann jemand noch etwas zu Zosin sagen, wäre ja auch machbar oder lieber nicht? Vielen Dank Bernhard.“

„Hallo Bernd Es hängt etwas davon ab, wohin Du in Ukraine fahren möchtest. So wie es scheint möchtest Du (wie ich normalerweise) in Richtung Kiew fahren. Ich benütze deshalb seit Jahren den Übergang...“

„Ergänzend, möchte nach Luzk fahren, ist ja sicherlich nicht uninteressant für einen Ratschlag.“

„Möchte morgen über Nacht in die Ukraine fahren und plane die Ankunft an der Grenze sehr früh am Morgen. Fahre entweder über Polen oder ggf. über Tschechien, je nachdem was google maps empfiehlt. Normalerweise...“

„Das ist ein simples D-Visum, wie man es auch in Deutschland für die Beantragung einer Aufenthaltsgenehmigung braucht. Man benötigt dazu keine Mindestaufenthaltszeit. Auch bei der Aufenthaltserlaubnis...“

„Zunächst möchte ich sagen, daß die PKP für die Sitzplatzzüge, die zum Beispiel von Kattowitz bis nach Przemysl fahren, die Preise nicht erhöht hat. Allgemein gilt die Polnische Staatsbahn eher als...“

„"Warum verlangt die PKP von den Fahrgästen solch einen Preis ?" - Weil sie es können ... Die Nachfrage dürfte weiter hoch sein und weil es keine vergleichbaren Alternativen gibt (Buslinien über Nacht...“

„Die Polnische Staatseisenbahn PKP Intercity S.A. erhöhte für den Schlafwagen-Zug D 68 am 1. Februar 2025 die Fahrpreise um + 38 Prozent. : Vom Warschauer Ostbahnhof fährt abends um 17.49 Uhr der Schlafwagen-Zug...“

„Hallo. Meine Ex-Frau ist schon über 22 Jahre in Deutschland. Jetzt benötigt sie einen Termin für das Konsulat. Aber es werden nur Termine über Diia vergeben. Kann uns jemand erklären wie das genau...“

„Hallo..... Ich benötige nochmals euer Schwarmwissen.... Bin seit Dezember letzten Jahres in der Ukraine verheiratet worden Jetzt meine Frage.....ich habe auf der Seite der ukrainischen Botschaft einen...“