Ungefähr dreitausend Ausländer studieren an den Hochschulen Ternopils. Nach Angaben der Abteilung für internationale Zusammenarbeit des Stadtrates von Ternopil sind es vor allem junge Menschen aus arabischen und afrikanischen Ländern. Die Zahl der Studenten aus Europa, den USA und Kanada wächst.
Die größte Anzahl von Ausländern gibt es an der medizinischen Horbatschewskyj-Universität von Ternopil. Die ersten Studenten aus den arabischen Ländern erschienen hier 1997. Aus Afrika 2007. Jetzt kommt etwa ein Drittel aller Ausländer an den Hochschulen aus europäischen Ländern und Amerika. Sie wählen Medizin, weil, wie sie selbst angeben, es hier eine exzellente und preiswertere Ausbildung gibt. Für die Stadt sind ausländische Studenten Investitionen. Daran verdienen alle – von der Gastronomie, den Freizeitorten, den Immobilienagenturen bis hin zu den Taxifahrern.
„Im vergangenen Jahr haben unsere ausländischen Studenten ungefähr eine Million Hrywnja gebracht, ohne die Mieten für Wohnungen und andere Dienstleistungen zu zählen. In Afrika und Indien ist die Ausbildung teurer als bei uns. Deshalb wurde Ternopil eine solche Stadt, in der es leise und ruhig ist, wie die Studenten selbst sagen, es gibt keine unnötige Versuchung, man kann lernen“, erzählt der Dekan der Fakultät für ausländischen Studenten der medizinischen Universität, Petro Selskyj.
Heute gibt es dort 1706 Ausländer aus 58 Ländern der Welt. Junge Leute aus dem afrikanischen Nigeria und Ghana rangieren an erster Stelle. Die Anzahl der Hindus nimmt zu. Fast alle kehren nach Abschluss der Studien in ihre Länder zurück.
Wie die Ausländer sich in Ternopil verliebt haben
„In Afrika und Indien mangelt es an medizinischem Nachwuchs. Sie kommen zu uns sowohl wegen der Qualität als auch wegen des Preises. Bei uns ist es nämlich billiger als dort. Ich kann mich nicht an solche Afrikaner erinnern, die hier geblieben wären. Alle kehren sie zurück. Bei den Indern die gleiche Geschichte. In Indien nehmen junge Menschen im allgemeinen Darlehen für ein Studium bei uns auf. Dann kehren sie zurück und arbeiten“, erklärt Selskyj.
Ein ausländischer Student bekommt am Anfang der Ausbildung ein Merkblatt, welches die Verhaltensregeln in der Ukraine beschreibt. Hier geht darum, wie man sich in der Hochschule während der Lehrveranstaltungen und außerhalb der Universität verhält, und vor allem um alle Informationen über den Verkehr in der Stadt, Polizei- und Erste-Hilfe-Kontakte – also alles, was ein Ausländer über Ternopil wissen muss.
„Wenn unsere Leute aus Ternopil Ausländer sehen, suchen sie keinen Kontakt. Im Gegenteil, sie fangen an, ihnen falsches Verhalten vorzuwerfen. Aber das sind Leute aus verschiedenen Ländern. Mit eigenen Mentalitäten. Du kannst ihnen nicht vorwerfen, dass sie gerade angekommen sind und nicht wissen, wie sie sich bei uns verhalten sollen. Man sollte besser erklären, dass wir uns anders verhalten“, sagt Olena Pokryschko, eine Dozentin für Mikrobiologie an der medizinischen Universität.
Sie arbeitet seit über zehn Jahren mit Ausländern. Und das für sie mehr als nur ein Job.
Die Dozentin für Mikrobiologie der Medizinischen Universität Olena Pokryschko mit der Studentin Sharon„Ich finde es spannend mit ihnen. Das Anstrengendste sind die verschiedenen Kulturen. Ausländische Studenten kann man nicht so zurechtbiegen, dass sie so leben und denken, wie man bei uns denkt. Wir erklären, wie es bei uns ist, fragen, wie es in ihren Ländern geht und suchen nach gemeinsamen Berührungspunkten. Ich hatte eine Situation, in der ein junger rechtgläubiger Muslim beschloss, mir während der Vorlesung vorzuwerfen, dass ich unbedeckte Schultern hatte. Bei ihnen haben die Frauen in der Gesellschaft eine völlig andere Rolle, aber er verstand, dass er in einem anderen Land war. Anschließend gingen wir mit der gesamten Gruppe von Studenten chillen und von seiner Seite kamen keine weiteren Vorwürfe.“
In zehn Jahren hat sich die Einstellung der Ternopiler gegenüber Ausländern geändert. Früher konnten Kinder mit ihren Fingern auf dunkelhäutige Studenten zeigen und fragen, warum sie nicht weiß sind, aber jetzt gibt es so etwas nicht, versichert Olena.
Afrikanische Studenten haben keine Eile – die African time unterscheidet sich von der ukrainischen Zeit. Olena erinnert sich, dass Treffen und Partys, die von afrikanischen Studenten organisiert wurden, zum Beispiel für sieben Uhr abends angesetzt waren und um elf oder zwölf begannen.
„Vor den Veranstaltungen widmen die jungen Leute viel Zeit dem Fotografieren, verschiedenen Begegnungen. Daher frage ich oft, um wie viel Uhr die geplante Veranstaltung beginnt“, sagt Pokryschko.
Um junge Menschen aus anderen Ländern einzuladen, führen die Hochschulen dort Werbekampagnen und Vorträge durch. Nicht weniger wichtig ist die informelle Kommunikation. Eine Studentin aus Ghana erhielt ihre Ausbildung in Ternopil, kehrte in ihr Heimatland zurück und empfiehlt anschließend ihren Freunden, jüngeren Brüdern oder Schwestern, in Ternopil zu studieren.
Stadt der Ruhe und beinahe tolerant
Die Studenten versichern, dass sie beinahe keine feindselige Haltung in Ternopil spüren. Es gibt vereinzelte Fälle, die in Zusammenhang mit Sprachbarrieren oder kulturellen Unterschieden stehen. Hier sprechen die Ausländer oft kein Ukrainisch und die Leute aus Ternopil oft kein Englisch.
Achmed aus Ägypten ist einer von denen, die die ukrainische Sprache erlernt haben und ukrainische Freunde zu finden ist für ihn einfacher als für andere. Er studiert im vierten Jahr an der Medizinischen Universität. Er erzählt über Ternopil so, als ob er hier ein halbes Leben lang gelebt hätte.
„Jetzt ist es einfacher für mich, mich hier zu unterhalten. Wenn sie in einem Geschäft oder auf der Straße mein Ukrainisch hören, fragen sie mich, woher ich komme. Und so kommt ein Gespräch zustande. Hier sind gute Leute. Und es ist ruhig. Es gibt nicht so viele Versuchungen wie in Lwiw, so dass man mehr Zeit mit Lernen verbringen kann.“
Achmed aus Ägypten - einer derjenigen, der Ukrainisch lernteIhm fehlten vier Punkte, um in Ägypten zu studieren. Interessierte sich dann für das Studium in anderen Ländern, und auf den Rat von Freunden bewarb er sich in Ternopil. Nach dem Abschluss denkt er daran, nach Hause zurückzukehren.
„Meine Freunde arbeiten bereits in Ägypten als Ärzte. Meine Familie ist dort. Ich fahre einmal im Jahr nach Ägypten. Ich vermisse sie ein wenig, aber ich denke, die Verwandten werden hierher kommen. Vielleicht beim Abschluss“, Achmed lächelt und fügt hinzu, dass er überlegt, nach dem Studium noch ein zweijähriges Praktikum zu machen.
Sein Lieblingsort in Ternopil liegt in der Nähe des Sees in der Innenstadt.
„Ich liebe Ternopil! Ich habe hier weder Beleidigung noch Demütigungen erlebt. Obwohl meinen Freunden verschiedene Dinge passiert sind“, verschweigt der Ägypter nicht, aber er weigert sich, Details zu erzählen.
Er sagt, wie so oft in Konfliktsituationen sind beide Seiten schuld.
„Es ist hier schwierig, weil es lange bis zum Sonnenuntergang dauert. Wenn wir Ägypten im Ramadan haben, essen wir nicht vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang. In Ägypten ist diese Zeit viel kürzer. Hier aber ist das ein langer Tag“, gibt Achmed zu.
In der Ukraine war der junge Mann von den ukrainischen Speisen beeindruckt und er sah zum ersten Mal in seinem Leben auch Schnee. Achmed und seine Freunde nahmen an vielen Freiwilligen-Projekten teil, die auch die Hilfe für die ukrainische Armee und Kinderheime betreffen.
„Wir hatten ein Freiwilligen-Projekt der Universität, bei dem Gelder für den Bau des Sportplatzes in einem Waisenhaus in Ternopil gesammelt wurden. Ich mag es sehr, freiwillig zu arbeiten, weil das uns verbindet. Und wir sehen, wie glücklich die Kinder sind.“
Omar aus Jemen studiert im zweiten Jahr. Ein künftiger Zahnarzt. Ternopil ist für ihn eine ruhige Stadt. Der Junge vermisst seine Heimat und plant, nach Hause zurückzukehren.
Omar aus dem Jemen lernt im zweiten Studienjahr. Ein zukünftiger Zahnarzt.„Ich mag die Leute von Ternopil wegen ihrer Gastfreundschaft. An der Universität fühle ich mich wie in einer Familie. Persönlich habe ich keine Fälle von Belästigung, keine Diskriminierung erlebt. Und würde so etwas geschehen, dann deshalb, weil sich jemand unangemessen verhält.“
Der Student hat sich der Arbeit des Roten Kreuzes angeschlossen. Er sagt, er hat verschiedene Freunde, sowohl Ukrainer als auch aus anderen Ländern. Er geht gerne ins Fitnessstudio.Sharon aus Nigeria hat sich nicht nur Freiwilligen-Projekten angeschlossen und aktiv am Leben der Universität teilgenommen, sondern leitete auch an der medizinischen Universität die Assoziation der Studenten aus Nigeria. Die nigerianische Studentengemeinschaft ist eine der größten in der Gesamtheit der künftigen Ärzte. Mehr als 300 ihrer Vertreter studieren hier.
Die nigerianischen Studenten initiierten einst die Gründung zweier Zweige internationaler Nichtregierungsorganisationen, der European Medical Students Association und der Medicare and Social Welfare Initiative. Die erste Organisation befasst sich mit der Präsentation von wissenschaftlichen Arbeiten der Studenten auf europäischer Ebene, der Durchführung von Bildungsprogrammen. Die andere ist auf Wohltätigkeit ausgerichtet. Die Studenten kümmern sich um ältere Menschen in Altenheimen, sozial nicht abgesicherte Menschen im Wohltätigkeitsfonds „Caritas“ usw.
Sharon packt schon ihre Sachen und kehrt bald nach Hause zurück. In diesem Jahr hat die junge Frau ihr Studium abgeschlossen und wird in Nigeria in der Gynäkologie arbeiten.
„Möchten Sie hier bleiben?“, frage ich. Sie überlegt ein paar Sekunden. „Ich weiß es nicht. Nigeria ist meine Heimat. Ich muss zurückkehren. Ich liebe meine Heimat. Aber hier ist alles anders. Bei uns ist alles sehr teuer, Internet, andere Dienste, hier aber nicht. Ich habe mich in diese Stadt verliebt. Ich habe Freunde hier.“
Sharon packt bereits ihre Sachen und kehrt bald nach Hause zurückDie Frau aus Nigeria spricht offen von den Vorzügen von Ternopil und erinnert sich schon nostalgisch an ihr Leben hier. Aus den sechs Jahren Studium erinnert sie sich nicht an intolerante Einstellungen. Im Gegenteil, alle Einheimischen waren aufmerksam und mitfühlend.
Für die Studenten aus den afrikanischen und arabischen Ländern ist die Frage des Transports in der Stadt sehr wichtig. Fast alle erklären einstimmig, dass es diesbezüglich in der Stadt keine Probleme gibt.
Und im Gegensatz zu den Zügen in Indien zum Beispiel sind die Züge hier viel besser. Es gibt auch andere Transportarten, Minibusse, Taxis.
„Als ich erstmals nach Ternopil kam, war ich überrascht, dass es morgens in den Minibussen so viele Menschen gab und schwierig war, zur Universität zu kommen, gesteht Achmed aus Ägypten. ??„In meinem Land gibt es auf jeder Straße Transportmittel, kleinere und größere. Und wenn Sie zum Beispiel in einer Straße wohnen, in der es keine Minibusse gibt, dann gibt es ein kleineres Taxi. Und übrigens sehr billig. Daher ist es ein kleines Minus, dass es hier wenig Transportmittel gibt.“
Ich gehe, und man kreischt hinter mir her: „eine Schwarze!“
Wenn man durch die Straßen der Stadt wandert, kann man bemerken, wie Ausländer und Ukrainer getrennt spazieren gehen, in ihren eigenen Gruppen in den Cafés chillen, Nachtclubs besuchen. Sofort stellt sich die Frage: Warum gibt es keine wechselseitige Kommunikation?
Die Studenten sind überzeugt, dass es sie gibt. Sie ist bloß nicht so aktiv, wie man sie gerne sehen würde. Die Vielfalt der Kulturen hat ihre Folgen, die manchmal zu Straßenkämpfen oder zu Prügeleien auswachsen können.
Und es passiert auch dies: Wenn du ein dunkelhäutiges Mädchen bist, dann verkauft die ortsansässige Oma auf dem Markt Dir vielleicht kein Obst.
Isa aus Nigeria und Joshua aus Ghana berichten von einem anderen Ternopil, in dem es sowohl Diskriminierung als auch Respektlosigkeit gibt. Sie sind Studenten der lokalen polytechnischen Universität.
Isa aus Nigeria und Joshua aus Ghana erzählen vom anderen TernopilJoshua ist erst seit kurzem in Ternopil, lebt in einem Studentenwohnheim mit anderen Ausländern in einem Gebäude, die ukrainischen Studenten in einem anderen. Diese Aufteilung verwundert den jungen Mann.
Isa studiert hier seit fast zwei Jahren. Sie spricht über Fälle von Diskriminierung und lacht selbst darüber, als ob sie immer noch nicht glaube, dass so etwas möglich ist.
Die Erstsemester verstehen Ukrainisch nicht gut, sprechen aber noch schlechter. Von Zeit zu Zeit wiederholt die junge Frau das Wort „ein bisschen“. Viele Ausländer erinnern sich an dieses Wort fast als das erste Wort von den ukrainischen Wörtern in Ternopil.
„Ich habe Ternopil nicht ausgewählt. Mein Bruder hat es mir vorgeschlagen. Zuerst überlegten wir, in Marokko zu studieren. Es hat nicht geklappt, und wir haben die Ukraine gewählt.“
Die junge Frau fühlte sich hier rassistisch diskriminiert.
„Ich gehe Lebensmittel auf dem Markt kaufen, und sie sagen mir, sie werden nichts verkaufen, weil ich schwarz bin. Manchmal gehst du, man zeigt mit den Fingern auf Dich und kreischt hinter Dir her: „Eine Schwarze, eine Schwarze!“.“
„Unterhältst Du Dich mit deinen ukrainischen Gruppenkameraden?“, frage ich.
„Nein, wir unterhalten uns nicht. Wir haben getrennte Gruppen. Aber das sollte nicht sein“, fügt die junge Frau hinzu.
Sie studiert Management an der Ternopiler Polytechnischen Universität und mietet eine Wohnung.
Konflikte auf den Straßen zwischen Ukrainern und Ausländern sind meistens mit Unverständnis füreinander verbunden, versichert Olena Pokryschko.
Vor ein paar Jahren gab es in Ternopil Gruppen von Jugendlichen, die Ausländer angriffen. Oft ist das nicht mit Diskriminierung verbunden, wohl aber mit Hooligan-Aktionen, weil Ausländer Geld haben.
Wie die Hauptverwaltung der Nationalpolizei in der Region Ternopil berichtete, ist die Zahl der Angriffe auf Ausländer in den letzten fünf Jahren zurückgegangen. Und diese Angriffe erfolgten hauptsächlich aus Hooligan-Motiven.
Richtig ist, die Stadt hat ein Problem mit menschlicher Gleichgültigkeit. Es kommt vor, dass gewöhnliche Menschen in Ternopil Zeuge eines Kampfes zwischen Ausländern und Ukrainern werden, und dann nicht versuchen, sie auseinander zu bringen, sondern sie sehen einfach zu.
So berichteten die Medien von Ternopil kürzlich über einen Zusammenstoß zwischen Ukrainern und Ausländern im Stadtzentrum. Die Lehrerin Olena Pokryschko war Zeuge dieser Situation.
„Unsere ukrainischen Jungs gingen zu den Ägyptern und haben angefangen, sie zu provozieren, um zu kämpfen. Sie haben sich gegenseitig geschlagen. Die Ukrainer begannen, den aggressivsten wegzuziehen. Einer der Ägypter wollte jedoch herausfinden, warum die Ukrainer das taten, aber die Unseren sahen dies als Fortsetzung des Kampfes an. Da sind die einen wie die anderen schuldig.
Aber ich habe Angst vor etwas anderem. Das ist die menschliche Gleichgültigkeit Unbeteiligter. Ein älterer Mann schob mich fort vom Kampfplatz und sagte: „Ich solle mich nicht einmischen und sie mögen das selber lösen.“
Bei diesen Worten stockte mir der Atem. Und ich wollte sofort fragen: „Hast du Kinder?“
Das heißt, anstatt solche Konfliktsituationen zu stoppen, ignoriert die Gesellschaft sie entweder oder beobachtet einfach“, derartige Schlussfolgerungen zieht Olena Pokryschko aus der Gleichgültigkeit der Leute von Ternopil.
20. September 2018 // Arina Krapka
Quelle: Ukrajinska Prawda – Schyttja
Anmerkung des Übersetzers:
Der Titel spielt mit dem Namen des seit 2013 stattfindenden Open Air Musikfestival „Feine Stadt Ternopil“, der seinerseits sich dem gleichnamigen Song der noch in Sowjetzeiten entstandenen Lemberger Rockgruppe „Braty Hadjukiny“ von 1994 verdankt.
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