Die Gerüchte über die Ausrufung des Kriegszustands Anfang letzter Woche haben die Bewohner von Odessa ernsthaft beunruhigt. Das zugehörige Gesetz eilten sich sogar die zu lesen, die noch nie in ihrem Leben ein Gesetz gelesen haben, und das Gelesene wurde zu einem der beliebtesten Themen für Erörterungen. Im Übrigen haben sich heute, eine Woche nachdem das Regime des Kriegszustands in Kraft getreten ist, die Menschen in Odessa etwas beruhigt.
Alltagsdinge
Ein verlässliches Barometer für die Stimmung der Bevölkerung sind schon seit vielen Jahren die Anzeigetafeln an den Geldwechselstuben. Und auch dieses Mal trügen sie nicht.
Schon am Montag, dem 26. November, als die Frage nach der Ausrufung des Kriegszustands nur diskutiert wurde, stieg der Kurs der Hrywnja [zum Dollar] in die Höhe: zum Beispiel von 27,9 Hrywnja auf 28,8 Hrywnja und höher. Nach der erfolgreichen Abstimmung zur Einführung des Kriegszustands am Dienstag überschritt der Kurs erfolgreich die 30-Hrywnja-Marke. Allerdings war es damit dann auch schon zu Ende: schon am nächsten Tag sank der Kurs wieder auf 28,5 – 28,7 Hrywnja und stabilisierte sich dann gegen Ende der Woche bei der Marke von 28,2 -28,3 Hrywnja pro Dollar. Das sind jedoch trotzdem 30 -40 Kopeken mehr als der „Vorkriegswert“.
Allem Anschein nach lag das Kalkül beim alten ökonomischen Instinkt der Bürger der Ukraine, in jeder unklaren Situation Devisen zu kaufen. Allerdings, wenn es ein solches Kalkül tatsächlich gab, ging die Rechnung nicht auf. Vielleicht stand das diesmal im Zusammenhang damit, dass es ein für Spekulanten „unglücklicher“ Zeitpunkt war: Monatsende und die Leute hatten praktisch keine frei verfügbaren Hrywnja zur Hand. Und dazu noch die Neujahrs-Feiertage vor der Nase, eine Zeit, in der die ukrainischen Bürger eher Devisen „rauswerfen“ zum Kauf von Geschenken und für andere Ausgaben.
Ja und zum Ende der Woche hin spielten auch die Beteuerungen der Staatsangestellten eine Rolle, dass keine extremen Ereignisse in der Wirtschaft oder in anderen Lebensbereichen im Zusammenhang mit der außergewöhnlichen Lage zu erwarten sind. So fiel der Kurs wieder.
Eine ähnliche Situation findet man auch in den anderen Gebieten, zum Beispiel wurden nirgendwo die von vielen erwarteten Aufregungen, wie der Kauf lange haltbarer Lebensmittel beobachtet. „Änderungen in der Nachfragestruktur stellen wir nicht fest“, erzählt ein Vertriebs-Mitarbeiter eines der großen Odessaer Händlernetze. „2014, da haben wir so etwas tatsächlich beobachtet, es wurden Konserven, Getreideprodukte, Kerzen und Ähnliches gekauft. Zurzeit ist die Nachfrage absolut normal.“
Die Führung beruhigt, trifft aber Vorkehrungen
Am 28. November gab der Gouverneur des Gebietes Odessa Maxim Stepanow eine Pressekonferenz, auf der er den Bewohnern der Region versicherte, dass keine außergewöhnlichen Maßnahmen im Zusammenhang mit der Einführung des Kriegszustandes vorgesehen sind. Nach den Worten des Leiters der Gebietsverwaltung ist keine Sperrstunde geplant, nicht die Begrenzung des Handels mit Alkohol, und schon gar nicht die Heranziehung zur gemeinnützigen Arbeit, die Beschlagnahme von Vermögen und ähnliches. Die ungewöhnlichen Maßnahmen, die im Zusammenhang mit der Einführung des Kriegszustandes ergriffen werden, beschränken sich nach seinen Worten auf den Bereich der Sicherheit: die Überwachung von Bahnhöfen, Flughäfen usw. wird verstärkt.
Im Odessaer Rathaus sagt man, dass man ebenfalls nichts Außergewöhnliches plant und nur über Maßnahmen zur Sicherstellung der Lebensbedingungen im Falle ungewöhnlicher Ereignisse nachdenkt. Übrigens ist das verständlich; wenn irgendetwas passiert, wird die außergewöhnlichen Maßnahmen nicht das Rathaus in Kraft setzen, sondern eine stattdessen eingerichtete Wehrverwaltung. Allerdings hat niemand die Absicht, eine solche einzurichten – zumindest bisher.
Die Polizei der Region hat mit Ausrufung des Kriegszustands ein verschärftes Dienstregime eingeführt. Für Polizeiangehörige gilt ein 12-Stunden-Arbeitstag, Mitarbeitende werden aus dem Urlaub geholt. Die Gesetzeshüter werden sich mit jener Bewachung der Schlüsselobjekte beschäftigen, ebenso ist die Errichtung von Kontrollposten an den Ausfahrtsstraßen aus Odessa und an anderen Magistralen des Gebietes wie im Jahr 2014 vorgesehen. Genauso bereitet man sich auf verstärkten Patrouillendienst in den Straßen und verstärkte Ausweiskontrollen vor. Tatsächlich wartet man dazu noch auf konkrete Anweisungen aus Kiew.
Auch die Wehrämter nahmen die Arbeit nach dem Kriegsgesetz auf. Bereits ab dem 3. Dezember läuft hier die Arbeit mit den Reservisten, die zu Reservistenübungen geschickt werden. In der Regel geht es um Menschen, die schon an den Kriegshandlungen im Donbass teilgenommen haben: man schickt sie zur Erhöhung der Kampfbereitschaft in Trainingszentren der ganzen Ukraine, auch in Brigaden der Streitkräfte der Ukraine. Einen Teil der Kämpfer bringt man im Odessaer Kinderlager „Wiktoria“ unter, das traurige Berühmtheit erlangte, als im September 2017 ein Feuer drei Schulkindern das Leben nahm.
Voraussichtlich dauern die Übungen 2-3 Wochen, man hat den Reservisten versprochen, sie zu Neujahr nach Hause zu schicken.
Was die Mobilmachung angeht, äußert man sich darüber in den Wehrämtern verhalten: wenn es die oberste Führung befiehlt, dann tun wir es. In nicht offiziellen Gesprächen sagen die Mitarbeiter der Wehrämter übrigens, dass sie die Vorbereitungen zur Mobilmachung bereits im Sommer durchgeführt hätten, im Ernstfall sind sie bereit, die praktischen Handlungen buchstäblich von einer auf die andere Minute zu beginnen.
Noch ist nicht klar, ob auch Bau-Maßnahmen zur Verstärkung der Verteidigungsfähigkeit durchgeführt werden, wie das Ausheben von Gräben, die Ausstattung von Feuerpunkten an der Küste, die den Odessaern aus den Jahren 2014-2015 in Erinnerung sind.
Schließlich hat man in zwei Odessaer Hochschulen die Lehrer zur Durchführung erzieherischer Gespräche verpflichtet, mit dem Thema: Warum die Ausrufung des Kriegszustands gerade jetzt notwendig war. Den Lehrern wird empfohlen, besondere Aufmerksamkeit den vom Präsidenten verlautbarten Fakten zu schenken, nach denen Russland einen direkten Angriff auf die Ukraine vorbereitet, darunter auch von dem Gebiet der nicht anerkannten Republik Transnistrien aus.
Jedoch haben die Lehrer dem darüber informierenden Autor dieser Zeilen schon vorher gesagt, dass sie „sich mit diesem Unsinn nicht beschäftigen werden.“
Bedrohliche, schreckliche Gerüchte
Der Konflikt in der Meerenge von Kertsch und die Ausrufung des Kriegszustands bleiben einigermaßen aktuelle Themen in den sozialen Netzwerken in Odessa. Auf der größten Odessaer Seite „Moja Odessa“ auf facebook (198.000 Follower) erschien in der letzten Woche buchstäblich eine ganze Welle von Veröffentlichungen hurra-patriotischen Charakters, die hauptsächlich von verschiedenen Meinungsführern aus dem pro-poroschenko-Lager gepostet wurden, die ihre Mitbürger von der Richtigkeit der Ausrufung des Kriegszustandes überzeugen wollen und die Skeptiker des unzureichenden Patriotismus bezichtigen, und mitunter des direkten Hochverrats. Nicht selten wurde auch über das Schicksal der gefangenen ukrainischen Seemänner geschrieben, unter denen bekanntermaßen Odessaer sind.
Übrigens wenn der Inhalt der Postings einen pro-präsidialen Charakter trägt, bringen die Kommentare (und davon konnte man unter den stärker beachteten Posts mehrere Hundert finden) wie üblich andere Sichtweisen zum Ausdruck. Mit den Seemännern hat man im allgemeinen Mitgefühl, allerdings gibt man eher [Präsident Pjotr] Poroschenko als der russischen Führung die Schuld an ihrer Not. Und die Idee der Ausrufung des Kriegszustandes ist man geneigt eher als PR-Kampagne im Vorfeld der Wahlen zu betrachten, als etwas aus realen verteidigungspolitischen Gründen Unvermeidbares.
Tatsächlich haben sich gegen Ende der Woche auch diese Diskussionen etwas beruhigt und die Veröffentlichung kriegspatriotischer Thematik wurden von üblicheren Themen verdrängt: Anzeigen aus dem Wohltätigkeitsbereich, Bitten um Hilfe für obdachlose Tiere und Fotografien der Stadt, zumal am 1. Dezember in Odessa zum ersten Mal in dieser Saison Schnee gefallen ist.
2. Dezember 2018 // Jurij Tkatschow
Quelle: Strana
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