In den ukrainischen Dörfern sinkt die Zahl der Kühe beständig. Die Bewohner schlachten ihr Milchvieh zum Essen. „Strana“ war in einigen „Milchdörfern“ und fand heraus, warum es sich für die Bauern nicht lohnt Kühe zu halten.
Wovor sich die Dorfbewohner fürchten
Ehrlicherweise sollte man erwähnen, dass der Rückgang der Viehbestände bereits in den 90er Jahren begann, sich dann aber in den 2000ern nach der Umformung der kollektiven landwirtschaftlichen Betriebe, der Nachfolger der Kolchosen und Sowchosen, beschleunigte, wo die Dorfbewohner Futter für ihre Kühe erhalten (oder häufig einfach stehlen) konnten. Zu Beginn der 2000er Jahre kamen dann private Investoren in die Dörfer und dieses Thema war für immer beendet.
Dementsprechend begann sich der Viehbestand auf den privaten Höfen zu verringern. Dabei wurde diese praktisch nicht durch die Erhöhung des Viehbestands in Großbetrieben kompensiert. Erst in der zweiten Hälfte der 2000er begann die Umsetzung von Projekten in der Tierhaltung (und hier vor allem in der Schweinemast), aber der Prozess kam nur langsam voran, und mit Beginn des Krieges und der Krise im Jahr 2014 kam er ganz zum Stehen.
Die Einwohner des Dorfes Obschiloje im Kreis Balta des Odessaer Gebiets erinnern sich daran, dass man in der Sowjetunion in der hiesigen Kolchose mehrere tausend Milchkühe zählte und es keine Schwierigkeiten mit der Verarbeitung der Milch gab. Zum Vergleich – heute gibt es in den Dörfern Obschiloje und Beresowka, die eigentlich eine Siedlung bilden, insgesamt 165 Kühe.
Unter den Bedingungen der insgesamt sinkenden Bestände konnten sich die Dorfbewohner mit ihren Kühen wieder in den Markt einbringen. Und für viele Höfe war das eine, wenn auch kleine, aber stabile Einnahmequelle. Aber in letzter Zeit erlitten diese herbe Rückschläge.
Die örtlichen Bewohner sagen, dass es noch vor einem Jahr doppelt so viele Kühe gab, aber in einem Jahr fast die Hälfte der Kühe geschlachtet wurde. Gründe für die Schlachtung sind, dass sich die Haltung von Kühen nicht lohnt und es beunruhigende Neuigkeiten über die Einführung neuer Standards für den Ankauf von Milch gibt.
Im Grunde genommen fügt die Nachricht über das Inkrafttreten der Vereinbarungen der Ukraine mit der EU und die Einführung des neuen Standards 3662:2015 „Rohmilch von der Kuh. Technische Bedingungen“ zum 1. Juli 2018, in dem das Verbot der Einzelverwertung von Milch der sogenannten zweiten Sorte vorgesehen ist, nur Emotionen zur Panik der Eigentümer weniger Kühe hinzu.
In Bezug auf die Vereinbarungen mit der EU über die Milch zweiter Sorte beeilte sich Ministerpräsident Groisman zu versichern, dass niemand beabsichtigt den Kleinproduzenten den Verkauf von Milch zu verbieten. Das heißt, dass der Ministerpräsident faktisch zu verstehen gegeben hat, sagt man, dass man auf dem Basar einzeln Milch verkaufen kann, dass man die Großmütter nicht fortjagen wird.
Einzig der Fakt bleibt ein Fakt: ab dem 1. Juli 2018 werden die Ankäufer aufhören Milch zweiter Sorte zu kaufen (wenn das Datum der Einführung der neuen Regel nicht verschoben wird). Gerade die Absage der Ankäufer für die Milch bringt die Bauern dazu, sich von ihren Milchkühen zu trennen. Die Sache ist die, dass praktisch 95 Prozent der Milch von ukrainischen Bauernhöfen nur der zweiten Sorte entspricht.
Typische Wirtschaft im "Milchdorf" ObschilojeDie Ökonomie einer Kuh
In allen Dörfern, in denen „Strana“ war, im Odessaer und im Kirowograder Gebiet, hält man im Durchschnitt auf einem Bauernhof zwei, drei Kühe. Im Durchschnitt gibt eine Kuh 12 bis 18 Liter Milch, in Abhängigkeit von Rasse, Futter und Gesundheit, die wiederum abhängig ist von den Haltungsbedingungen und der Möglichkeit des Besitzers notwendige Futterzusätze und Medikamente zu kaufen.
In den Dörfern werden die Kühe wie vor 100 Jahren mit der Hand gemolken, da Melkmaschinen zu teuer sind.Die Qualität der Milch hängt in erster Linie von den Bedingungen des Melkens ab. Auf den meisten kleinen Höfen melkt man die Kühe wie vor zweihundert Jahren – von Hand.
Die Bewohner des Dorfes Obschiloje geben zu, dass der Preis für eine Melkmaschine – siebentausend Hrwynja (etwas mehr als 200 Euro, A.d.R.) – für die meisten Kuhbesitzer nicht im Budget ist.
„So einen Apparat haben nur zwei in unserem Dorf. Siebentausend Hrwynja, das ist sehr viel Geld, dafür muss man ein Jahr sparen. Aber wie sparen? Strom muss bezahlt werden, Futter muss bezahlt werden – das Geld reicht gerade so. Die meisten, die auf dem Hof Kühe halten, haben keine Arbeit oder andere Einkünfte. Die Kühe sind unser Hauptverdienst. Die Ankäufer drücken offen die Preise. Vor ein paar Monaten gaben sie für den Liter fünf Hrwynja, jetzt ist der Preis etwas höher, es gibt sieben Hrwynja. Aber das ist immer noch ein Minusgeschäft!“, erzählt Nikolaj aus Obschiloje.
Die Ökonomie der Milchproduktion auf kleinen Dorfbauernhöfen ist einfach, hat aber ihre Schwächen. Der mittlere Melkertrag liegt bei 15 Litern Milch am Tag, und unter der Bedingung des Erhalts von 6-7 Hrwynja pro Liter von den Zwischenhändlern beträgt der Ertrag von einer Milchkuh im Monat 2700 – 3150 Hrwynja. Doch das ist die Theorie. Tatsächlich werden Kühe, wie auch Menschen, krank. Antibiotika kosten 200-300 Hrwynja im Monat, manchmal auch deutlich mehr. Der Besuch des Tierarztes kostet 100 Hrwynja. Übrigens wird sogar in der Zeit der Erkrankung das Melken nicht eingestellt. Die Besitzer bevorzugen es, die Tiere bis „zum Bersten“ mit Antibiotika vollzustopfen. Und wenn die Kuh weiterhin krank ist, wird sie geschlachtet.
Etwa 600-700 Hrwynja gehen fürs Futter drauf, etwa das Gleiche muss man dem Hirten zahlen, 5-8 Hrwynja für die tägliche Weide. Im Ergebnis bleibt dem Eigentümer der Kuh etwas mehr als 1700 Hrwynja (etwas über 50 Euro, A.d.R.). Übrigens ist es nicht gesagt, dass die Kuh nach der Behandlung weiterhin große Mengen an Milch gibt. Das heißt, der Ertrag aus Milchkühen ist eine Art Lotterie.
Außerdem sollte man beachten, dass die Sorge für eine Milchkuh schwere Arbeit ist; ausmisten, aufräumen, Stall reparieren, die Vorbereitung der Kuh vor dem Melken, das Melken selbst. Übrigens wird jede Kuh vor dem Melken unbedingt gereinigt, die Melkerin wäscht das Euter mit Seife.
Allerdings entsprechen auf fast allen kleinen Höfen, auf denen „Strana“ war, die Bedingungen nicht den Hygienestandards. Die Kühe befinden sich in engen Verschlägen, die Böden sind bis zu den Knien mit dichten Schichten Mist bedeckt. Die Halter einer geringen Anzahl von Kühen erklären selbst, dass sie sich den Bau moderner und den Hygienerichtlinien entsprechender Ställe nicht leisten können.
Bild aus Obschiloje, Kreis Balta, Gebiet Odessa.Gute Milch ist teuer
„Damit die Kuh Milch wenigstens der ersten Sorte gibt, ganz zu schweigen von gehobener oder Extra-Qualität, muss man mehrere tausend Hrwynja für den Bau guter Kuhställe ausgeben, die man ordnungsgemäß reinigen könnte. Die große Anlage sollte beheizt werden, sonst werden die Kühe krank. Demzufolge muss man zig Kühe halten, sonst lohnt sich die Mühe nicht. Zwei, drei, sogar fünf oder zehn Kühe decken die Ausgaben nicht. Kleinproduzenten haben nicht die Möglichkeit Milch erster oder gehobener Sorte zu produzieren. Geld dafür haben nur große Farmen und Agrarbetriebe. Aber versuche mal auf der Bank einen Kredit für den Hof zu bekommen – die ziehen dir die Hosen aus. Sie sagen, es gibt Förderprogramme um die Milchproduzenten zu unterstützen, aber die betreffen nur Großbauernhöfe“, sagte uns Jurij Fjodorowitsch aus dem Dorf Sagnitkowo.
Nach Meinung des Dorfältesten des Bezirks Obschiloje Dmitrij Forostjanyj lebt der Großteil der Einwohner seines Dorfes vom Milchverkauf. „Wenn die Milch nicht mehr aufgekauft wird, heißt das, dass unser Dorf stirbt. Die Menschen haben keinen Lohn, die Kühe sind die einzige Einnahmequelle für die Menschen hier“, bekräftigt der Älteste.
Die Beamten aus dem Ministerium für Agrarpolitik und Lebensmittel der Ukraine sehen einen Ausweg aus der sich entwickelnden kritischen Situation in einer Kooperation der einzelnen Milchproduzenten.
„Eine der effektiven Möglichkeiten für kleine Höfe die Milchqualität zu erhöhen kann die Kooperation werden. Die Vereinigung zu Kooperativen ermöglicht es bedeutende staatliche Unterstützung für entsprechende Ausstattung zu erhalten. Dazu sind in 2018 folgende Programme vorgesehen: Entwicklung der Tierhaltung, Entwicklung von Agrarbetrieben und Kooperationen, und Kompensationen für Landwirtschaftstechnik, in deren Verzeichnis auch die Ausstattung für die Milchbranche steht“, erklärte Jelena Kowaljewa, Vertreterin des Ministers für Agrarpolitik und Lebensmittel.
Aber das Zitat der stellvertretenden Ministerin über die ländlichen Kooperationen ruft bei den Bewohnern aller Dörfer, in denen „Strana“ war, Skepsis und bissige Bemerkungen hervor.
„Es ist das eine Milch zum Basar zu fahren, etwas anderes, in einen Betrieb. Einmal beschloss einer von uns, selbstständig Milch abzugeben. Er sprach mit den Nachbarn, sie gründeten eine Art Kooperative. Er sammelte Milch von einigen Höfen, fuhr die Milchkannen zum Milchwerk im Kreiszentrum, aber da lachten sie ihn aus und wiesen ihn ab. Sie sagten, sie nähmen Milch nur von ihren „eigenen“ verlässlichen Lieferanten. Sagten, bei den Lieferanten sei die Qualität höher und sie seien „stabiler“. Und du, sagten sie, bringst heute was und morgen bist du nicht da. Und uns bei der heutigen Zahl von Kühen zusammenzuschließen ist Unsinn. Kooperation, das heißt, das jeder Eigentümer von Kühen eine bestimmte Summe für den Bau eines Kuhstalls und den Kauf einer Melkmaschine einbringen muss. Aber niemand hat Geld. Deshalb schlachtet man die Kühe, es lohnt sich nicht, sie zu halten. Jetzt wurde schon die Hälfte geschlachtet, und nach dem ersten Juli schlachtet man die andere Hälfte. Das Dorf stirbt und in den Städten wird das nicht einmal bemerkt, sie werden polnische Milch kaufen“, erzählte Pjotr Bojko, Einwohner des Kreises Bolgrad.
Über die Unrentabilität der Kooperation kleiner Milchproduzenten spricht auch der Dorfälteste von Obschiloje im Kreis Balta, Dmitrij Forostjanyj, selbst der Einschluss der heutigen Stückzahl von 165 Kühen in eine gemeinsame Kooperative sei nicht rentabel.
Viehhalter im Kreis Balta, Gebiet Odessa.Die Aufkäufer der Milch lassen keine Fremden ins Geschäft
Selbstständig eine geringe Menge Milch selbst auf den Bauernmarkt im Kreiszentrum zu bringen lohnt sich nicht. Kraftstoff ist teuer und es ist nicht gesagt, dass der Eigentümer es schafft, die gesamte Milch an einem Tag zu verkaufen. Das Problem lösen Mittelsmänner.
Die Aufkäufer der Milch in den Dörfern sind in der Regel keine Einheimischen. Die Sammlung der Milch vollzieht sich ebenso auf alte Weise. Das Auto des Aufkäufers fährt von Hof zu Hof, sammelt die Milchkannen mit dem fertigen Produkt ein. Dann bringt man die Milch zum Sammelpunkt im Dorf, wo sie in eine Zisterne umgefüllt und gekühlt wird.
Interessant ist, dass die hygienischen Bedingungen in den ländlichen Annahmestellen auch weit entfernt vom Ideal sind. „Dort ist auch Dreck, wie auf dem Hof, so in der Einrichtung. Denken Sie, die Umfüller selbst arbeiten mit sterilen Handschuhen und in schneeweißen Schürzen? Somit ist noch unbekannt, wer mehr Dreck in die Milch trägt, der Erzeuger oder der Umfüller“, bekräftigt Nikolaj, Einwohner des Dorfes Obschiloje.
Die Kuhbestzer in Obschiljoe glauben nicht an Kooperativen und fürchten die neuen EU-Standards.Nach den Worten der Einheimischen gibt es unter den Aufkäufern keine „Fremden“. „Die Aufkäufer konkurrieren untereinander, wenn einer 5,5 Hrwynja für den Liter gibt, dann senkt der andere schon auf 5,3 Hrwynja. Das heißt aber nicht, dass man die Sache in die Hand nehmen und selbstständig ein Milch-Kauf-Business beginnen kann. Die sind auch eine Mafia. Wenn du beschließt Aufkäufer zu werden und über die Dörfer fährst und Milch kaufst, können sie dir alle Reifen durchstechen. Oder dein Auto gerät „zufällig“ in Brand. Aber die Hauptsache ist, dass durch die Aufkäufer alles beim Annahme-Milchwerk„besetzt“ ist. Dort weiß man, wie man aus Milch zweiter Sorte gehobene Qualität macht. Aber von dir privat nimmt niemand etwas, nicht einmal wenn du es darauf anlegst, eine Melkmaschine kaufst und einen sauberen Kuhstall baust. Trotzdem wird dein Produkt als nichtabnahmefähig anerkannt“??, zuckt Nina Sawgorodnjaja, Einwohnerin des Kreises Balta mit den Schultern.
Die Zahl der Kühe in anderen ländlichen Kreisen verringert sich mit fantastischer Geschwindigkeit. Zum Beispiel hat sich im Nachbardorf von Obschiloje Perejma in fünf Jahren die Zahl der Kühe von hundert auf zehn reduziert.
Interessant ist, dass nach der Statistik des Ministeriums für Agrarpolitik und Lebensmittel der Ukraine in neun Monaten des Jahres 2017 in weiterverarbeitende Betriebe 3.392.000 Tonnen Milch gebracht wurden. Von dieser Menge wurden 2.053.900 Tonnen aus landwirtschaftlichen Betrieben aufgekauft. Individualbetriebe gaben die Hälfte 1.004.500 Tonnen.
Nur, zum 1. Juli 2018 wird sich die Statistik voraussichtlich grundlegend ändern. Eine erdrückende Zahl kleiner Produzenten kann keine Milch liefern, die den neuen Standards entspricht. Demzufolge werden die verbleibenden Kühe geschlachtet. Und die großen Agrarbetriebe werden zu Monopolisten auf dem Milchmarkt. Ob diese Veränderungen die Mütterchen betreffen, die auf dem Markt Milch verkaufen, ist noch nicht klar. Obwohl der Ministerpräsident strenge Strafen für die versprochen hat, die den Verkauf verbieten; ob seine Worte die Ohren der Marktbesitzer finden, ist die Frage.
Die einzige Hoffnung besteht darauf, dass man sich in Anbetracht der sich nähernden Wahlen davor fürchtet, unpopuläre Schritte zu machen und die Einführung verschiebt. Immerhin spricht man darüber jetzt immer öfter.
26. Februar 2018 // Alexander Sibirzew
Quelle: Strana.ua
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