In den Jahren vor meiner Verhaftung ging ich immer am 29. September mit einem kleinen Blumenstrauß nach Babij Jar. Irgendwo dort war die Asche meines Großvaters Abram Glusman. Ich erinnere ich mich genau daran, wie jemand, der Blumen auf einen symbolischen Stein legen wollte, zwei Linien von KGB-Offizieren durchlaufen musste. Es war Einschüchterung, offen, unverschämt. Aber die Leute kamen immer noch. Nicht nur Juden und Zigeuner. Es gab auch solche, die bald ukrainische bürgerliche Nationalisten genannt und in Lagern und psychiatrischen Krankenhäusern untergebracht wurden. Ringsherum, in den Innenhöfen, standen Gefangentransporter.
Einmal sah ich eine ältere Jüdin direkt auf der Asphaltstraße knien (jetzt nur noch ein paar Meter von der Metrostation Dorogoschitschi entfernt) und lange den Asphalt küssen. Ohne etwas zu verstehen, fragte ich ihren Begleiter: Warum macht sie das? Ihr Sohn, dies war ihr Sohn, er antwortete: „Hier, unter dem Asphalt liegt die Asche, die ganze Familie meiner Mutter wurde hingerichtet.“ So war es in der UdSSR.
Als die Behörden zur Besinnung kamen, organisierten sie am Nachmittag des 29. Septembers ihr Meeting des Schewtschenko Parteikomitees, wo von der Ladefläche eines LKWs speziell zu diesem Zweck ausgewählte sowjetische Bürger auftraten, die niemals die verbotenen Wörter „Jude, Zigeuner, ukrainischer Patriot“ aussprachen.
Am Ende errichteten sie ein Denkmal. Ein klassisches sowjetisches heroisches Denkmal. Nicht für die Opfer, sondern für Helden. Aber Babij Jar selbst blieb ein „Erholungspark“. Während zu Beginn der 2000er Jahre das American Jewish Joint Distribution Committee nicht beschloss, auf der Asche von Tausenden von Opfern des Nationalsozialismus ein „Community and Cultural Heritage Centre“ aufzubauen. Damals entschied die ukrainische Intelligenz, ihr „Nein“ zu sagen. Ein öffentlicher Ausschuss wurde organisiert, der aus bekannten Leuten bestand. Nach einem langen Kampf gelang es uns, diese Gotteslästerung zu stoppen. Ich erinnere mich auch an eine solche Episode, als der bekannte Geschäftsmann, damals noch nicht Parlamentsabgeordneter ,Wadim Rabinowitsch seinen Standpunkt veröffentlichte, nach der er das Gebiet von Babij Jar kaufen wird, so dass niemand dort „Joint“ störe… Daraufhin antwortete ich ihm öffentlich und bot an, gleich auch noch das Gebiet von Buchenwald oder Auschwitz aufzukaufen.
Wie Sie verstehen, stand der ukrainische Staat in keiner Beziehung zu diesem Kampf und zu dem Problem der Erinnerung an Tausende von unschuldigen Opfern. Er, der Staat, war nicht interessiert. Wie es ihn auch heute nicht interessiert.
Aber russische Oligarchen haben sich dafür entschieden, der Ukraine zu helfen. Sie wollen ein Holocaust-Gedenkzentrum Babij Jar von ihrem eigenen Geld bauen. Nicht mehr auf der Erde mit der Asche derer, die erschossen wurden, sondern in der Nähe, auf dem Territorium des alten jüdischen Friedhofs, was nach dem religiösen jüdischen Gesetz streng verboten ist. Nun, wir haben uns früher gegen die Amerikaner gestellt, jetzt gegen die Russen. Übrigens stehen zwei dieser Wohltäter aufgrund ihrer extremen Nähe zu Putin auf der Liste der US-Regierung als mögliche Sanktionsobjekte.
Und – das Unerwartete. Es stellt sich heraus, dass der Grund von Babij Jar für mehrere Jahrzehnte verpachtet ist. Ja-ja, ausgerechnet an sie, an die russischen Oligarchen. Am 4. April, als ich im parlamentarischen Kulturausschuss war, habe ich das von den offiziellen Vertretern der russischen Oligarchen gehört, die dort anwesend waren. Komische Logik: Die US-Behörden bestrafen Menschen, die tatsächlich die Aggression Russlands in der Ukraine unterstützen, und unsere Behörden unterstützen diese Menschen, indem sie ihnen Land zur langfristigen Pacht geben. Und dann noch was für ein Land …
Eine sich über Jahrzehnte hinziehende Blamage. Doch besteht die Gefahr, dass die russischen Wohltäter die ukrainischen Experten nicht mit der Konzeption der zukünftigen Gedenkstätte vertraut machen wollen. Das weckt Argwohn. Es kann nur beunruhigen. Genauso wie das, wer von unseren hochgestellten Staatsbediensteten das Dokument über die unbehagliche Pacht unterzeichnet hat.
9. April 2018 // Semjon Glusman
Quelle: Lewyj Bereg
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