FacebookXVKontakteTelegramWhatsAppViber

80 Jahre Schande

0 Kommentare

80 Jahre Schande - Stalin

Es nähert sich der 80. Jahrestag des Hitler’schen Einmarsches in die UdSSR und die Ukraine widmet diesem historischen Gedenktag vorhersagbar weitaus weniger Aufmerksamkeit, als das benachbarte Russland.

Im Eifer der nationalen Emanzipation erlangte der 22. Juni 1941 in unserer Gesellschaft einen etwas aufrührerischen Beigeschmack.

Oftmals wird das Datum als von Moskau aufgezwängte Täuschung wahrgenommen. Wie ein verlogener Bezugspunkt, der den wirklichen Beginn des Krieges für die Ukraine und die Ukrainer verdecken soll.

Von den Ereignissen des Sommers 1941 hörend, hält es der wohlmeinende Patriot für seine Pflicht zu unterstreichen, dass der Zweite Weltkrieg tatsächlich im Herbst 1939 entfesselt wurde.

Als Gegengewicht zum traditionellen sowjetischen Narrativ – „am 22. Juni, genau um vier Uhr, wurde Kiew bombardiert, wurde uns verkündet, dass der Krieg begonnen hat“ – versucht jemand die Bedeutung der Junitages des Jahres 1941 herabzusetzen. Doch dieses plumpe Streben ist kaum gerechtfertigt.

Erstens geht die Rede vom lebendigen Familiengedächtnis. Obgleich der große Krieg in die Ukraine 1939 kam, war der Großteil der Ukraine vom Krieg bis 1941 nicht betroffen.

Für die Zivilbevölkerung der zentralen und östlichen Regionen wurde eben der 22. Juni zum Wendepunkt, der die gewohnte Lebensweise zerstörte. Und es ist seltsam so zu tun, als ob dieser Tag keine schicksalsträchtige und tragische Zäsur der ukrainischen Geschichte war.

Und zweitens ist es sogar aus ideologischer Sicht unvorteilhaft das Jahr 41 zu missachten. Obgleich die Sowjetunion in den großen Krieg 1939 eintrat, trat eben 1941 der Krieg aus dem Rahmen des geplanten und annehmbaren für das Kremlimperium heraus.

Und was das anbelangt, so stellt der 22. Juni ein größeres Belastungsmaterial gegen das Stalin’sche Regime dar, als der 23. August, der 1. oder der 17. September.

Die einheimischen Enttarner der UdSSR ziehen es vor die Aufmerksamkeit auf die sowjetische Zusammenarbeit mit den Nazis zu richten, auf die Rolle des Kremls bei der Entfesselung des weltweiten Gemetzels, auf die vierte Teilung Polens und die Annexion der baltischen Staaten.

Den täglichen oder wöchentlichen Newsletter abonnieren und auf dem Laufenden bleiben!

Doch die Sache ist die, dass die Binnenlogik des Systems nicht mit den Einschätzungen außenstehender Kritiker zusammenfällt.

Für ein totalitäres Regime ist nichts Anstößiges dabei, aggressiv und unmoralisch zu sein. Eine Diktatur kann weder ein heimliches Komplott mit einer anderen Diktatur noch das Eindringen in benachbarte Länder oder die Eroberung fremden Territoriums diskreditieren.

Das Ziel rechtfertigt angeblich die Mittel, die Aggression ist ein Beweis von Stärke und Niedertracht wird als Wirksamkeit interpretiert.

Es ist sinnlos Stalins Fürsprecher mit dem Molotow-Ribbentrop-Pakt oder anderen Ereignissen der Jahre 1939-1940 zu beschämen: genauso wie es auch sinnlos ist den modernen Putinisten die Annexion der Krim vorzuwerfen.

Eine wirkliche Schande für jede Diktatur ist es als schwach, hilflos und impotent zu erscheinen. Eben so, wie das kriegerische Stalinimperium am 22. Juni 1941 dastand.

Vor 80 Jahren brach eben der Krieg über die Sowjetunion herein, auf den sich Moskau lange Jahre vorbereitet hatte. Eben jener Krieg, mit dem der Kreml eine Vielzahl von ambitionierten Plänen und Hoffnungen verband.

Eben der Krieg, an dessen Entfesselung die UdSSR unmittelbar teilnahm und der mehr als anderthalb Jahre als steuerbar und nützlich für das sowjetische Regime erschien.

Doch dann geriert er plötzlich außer Kontrolle: wie das magische Dämonsfeuer, das von einem ungebildeten Slytherin hervorgerufen wurde. [Bezugnahme auf Harry Potter, A.d.Ü.]

Der Stalin’sche Staat verwendete mehr als zehn Jahre alle Ressourcen für die Vorbereitung auf den zukünftigen Krieg. Warf Millionen Schicksale in das Feuerloch der Industrialisierung, schuf die mächtigsten Streitkräfte auf dem Kontinent, schmiedete Panzerkolonnen und Fliegerstaffeln.

Um im Juni 1941 den rasanten Zusammenbruch der sowjetischen Militärmaschine zu beobachten. Um die Luftwaffe bereits auf den Flugplätzen und die vieltonnigen Panzer auf dem Anmarsch zu verlieren. Um faktisch die Berufsarmee zu verlieren und das vernichtete Militärpotenzial der UdSSR wiederherzustellen.

Den täglichen oder wöchentlichen Newsletter abonnieren und auf dem Laufenden bleiben!

Der Stalin’sche Staat wollte mit wenig Blut auf fremdem Territorium kämpfen. Nahm eine Reihe von unbeschwerten und siegreichen „Befreiungsfeldzügen“ in Europa vorweg.

Um im Juni 1941 überrumpelt zu werden und sich unrühmlich bis zur Wolga und dem Kaukasus zurückzuziehen. Um dem Gegner fast die Hälfte der Vorkriegsbevölkerung zu überlassen und ein Territorium zu verlieren, das drei Frankreichs entspricht.

Um im Blut zu ertrinken und für den hart erkämpften Sieg mit 27 Millionen Menschenleben zu bezahlen.

Der Stalin’sche Staat setzte auf die Klassendemagogie und plante den Feind von innen zu zersetzen. Träumte von propagierten Arbeitern, die sich weigern ihr bürgerliches Vaterland zu verteidigen und vom Zusammenbruch des verfaulenden kapitalistischen Westens.

Um im Juni 1941 mit eingezogenen deutschen Proletariern konfrontiert zu werden, die keine internationale Solidarität kennen. Um eilig Hilfe bei den anglo-amerikanischen Kapitalisten anzufragen.

Um in Panik das eigene Volk mit Geschrei von Mütterchen Russland zu motivieren.

Der Stalin’sche Staat beanspruchte für sich eine harte, doch effektive Politik. Die Alternativlosigkeit und Gnadenlosigkeit des herrschenden Regimes wurde als Unterpfand für optimale Lösungen angesehen.

Dieser eingebildete Pragmatismus bleibt der Haupttrumpf der modernen Apologeten der UdSSR.

Diese werden unfreiwillig von vielen Antisowjets sekundiert, die den bolschewistischen Hunger und den repressiven Fleischwolf der 1930er Jahre als Ergebnis eines durchdachten Plans sehen: die totalitäre Maschine wirkt unmenschlich, doch funktioniert wie eine Uhr.

Jedoch der historische Mythos über das „effektive Management“ hält die Überprüfung des Jahres 41 nicht stand. Einfach alles in der Kriegsplanung des Kremls erwies sich als haltlos. Buchstäblich alles fand genau umgekehrt statt.

Alle sowjetischen Berechnungen, die Vorbereitungen und Strategien stürzten in ein schwarzes Loch, das fieberhaft mit den unerschöpflichen imperialen Ressourcen gestopft werden musste. Und wenn das kein episches Versagen ist, was kann dann als schändliches Scheitern angesehen werden?

Jemandem mag das eine ungerechte Korrektur des sowjetischen Images sein, die nach der Invasion der Nazis in die UdSSR geschah.

Sich der Anti-Hitlerkoalition anschließend, begannen die Moskauer Herrscher als Kämpfer des Guten angesehen zu werden. Doch weitaus wichtiger ist, dass sie im Juni 1941 aufhörten, wie Genies des Bösen auszusehen.

Die Vorstellung von der furchterregenden Gerissenheit, der teuflischen Tüchtigkeit und der monströsen Effizienz des Kremls brach zusammen.

Doch für eine Diktatur und ihre Erben bedeutet das mehr, als ein abstoßender moralischer Charakter. So war es vor 80 Jahren und so bleibt es bis zum heutigen Tag.

21. Juni 2021 // Michail Dubinjanski

Quelle: Ukrainskaja Prawda

Übersetzer:   Andreas Stein — Wörter: 1011

Hat Ihnen der Beitrag gefallen? Vielleicht sollten Sie eine Spende in Betracht ziehen.
Diskussionen zu diesem Artikel und anderen Themen finden Sie auch im Forum.

Benachrichtigungen über neue Beiträge gibt es per Facebook, Google News, Mastodon, Telegram, X (ehemals Twitter), VK, RSS und täglich oder wöchentlich per E-Mail.

Artikel bewerten:

Rating: 3.5/7 (bei 2 abgegebenen Bewertungen)

Kommentare

Neueste Beiträge

Kiewer/Kyjiwer Sonntagsstammtisch - Regelmäßiges Treffen von Deutschsprachigen in Kiew/Kyjiw

Karikaturen

Andrij Makarenko: Russische Hilfe für Italien

Wetterbericht

Für Details mit dem Mauszeiger über das zugehörige Icon gehen
Kyjiw (Kiew)28 °C  Ushhorod31 °C  
Lwiw (Lemberg)28 °C  Iwano-Frankiwsk29 °C  
Rachiw19 °C  Jassinja21 °C  
Ternopil24 °C  Tscherniwzi (Czernowitz)30 °C  
Luzk26 °C  Riwne27 °C  
Chmelnyzkyj29 °C  Winnyzja28 °C  
Schytomyr28 °C  Tschernihiw (Tschernigow)29 °C  
Tscherkassy29 °C  Kropywnyzkyj (Kirowograd)29 °C  
Poltawa29 °C  Sumy28 °C  
Odessa28 °C  Mykolajiw (Nikolajew)33 °C  
Cherson32 °C  Charkiw (Charkow)28 °C  
Krywyj Rih (Kriwoj Rog)31 °C  Saporischschja (Saporoschje)32 °C  
Dnipro (Dnepropetrowsk)30 °C  Donezk29 °C  
Luhansk (Lugansk)30 °C  Simferopol28 °C  
Sewastopol27 °C  Jalta24 °C  
Daten von OpenWeatherMap.org

Mehr Ukrainewetter findet sich im Forum

Forumsdiskussionen

„Was will Faschisten-Russland schon eskalieren? Haben die nicht sogar Truppen von den NATO-Grenzen abgezogen weil es eng wird?“

„Den direkten Konflikt mit Russland gibt es doch schon lange. Natürlich ist das kein heißer Konflikt. Aber, gesprengte Pipelines, diverse Hackerangriffe, Morde an in Europa lebenden russischen Migranten...“

„Die Einwanderung ist inzwischen leichter geworden. Siehe: unbefristete-aufenthaltsgenehmigung-ein ... 48448.html Ansonsten halt der übliche Kram: Ehe, KInd, ukrainische Ahnen, Ostfronteinsatz. Aber dann...“

„Die temporäre Aufenthaltsgenehmigung hat vor allem den Nachteil, dass du für die jeweilige Erneuerung jedes Mal eine Grundlage brauchst, deren Bedingungen sich ändern können. Mit einer befristeten...“

„In der Praxis habe ich auch noch von keinem Einwanderer hier gehört, dass er seinen ausländischen Führerschein umgetauscht hat. Allenfalls, dass sich Leute einen zweiten ukrainischen zugelegt haben....“

„Liebe Alle ich habe an anderer Stelle einiges zum Thema gelesen, jedoch nicht die wirklich passende Antwort gefunden. Vielleicht hier? Muss man wirklich, wenn man eine Aufenthaltserlaubnis für die Ukraine...“

„Hat jemand eine Idee wie ich mein Bike von köln beispielsweise nach krementschuk schicken kann? Gibt es jemanden der Transporte in die Ukraine macht? Dankeeee“

„Hatte gestern so eine Situation. Nach einer Mautstelle, stand polnische Policia und verfolgte mich anschließend mit Blaulicht. Bitte folgen, das war in Kattowitz. Sie meinten, ich hatte kein Licht an,...“

„Hallo Forengemeinde, bin heute früh 6 Uhr über Korczowa in die Ukraine eingereist. 1,5 h ohne Probleme. Straßen, sind teilweise sehr marode“

„Scheidungsurteile sind unbegrenzt gültig. Auch nach 10 oder 20 Jahren. Aus dem einfachen Grund, weil der Inhalt, also die Entscheidung, sich ja nicht mit Zeitablauf ändert. Normalerweise jedenfalls nicht....“

„Klingt irgendwie nach Wunschkonzert. Die Person erscheint mir wenig Schutz zu benötigen, reist ja immer hin und her. Paragraph 24 bedeutet, Du benötigst den Schutz, Du bleibst hier, Du lernst Deutsch,...“

„Ja das ist Blödsinn dass die Waffen nicht gegen Russland selbst eingesetzt werden sollten. Die bekloppten Russen-Faschisten fragen doch auch nicht ob sie ukrainische Zivilisten mit Iran-Drohnen beschiessen...“

„Hallo Waldi, im Grunde bin ich voll bei Dir! Da aber die Unterstützer der Ukraine ihre Rüstungsindustrie nicht hochfahren, die Produktion von Munition ist viel zu gering, wird es wohl nichts mit einem...“

„Wenn verhindert werden muss dass RU weiter (und noch stärker) eskaliert, müssen auch militärische Anlagen und Aufmarschgebiete in RU angegriffen werden können. Dies ist kein Eskalationsschritt sondern...“

„Hallo, vielleicht kann sich jemand zu folgenden Fragen äußern: - Ein Ukrainer mit biometrischem Pass war mit gültigem Visum von August 21 - August 22 in Deutschland (ohne gemeldet zu sein, bzw. Aufenthaltsgenehmigung...“

„Fahre immer schwarze Autos, vielleicht liegt es auch an der Farbe.“

„Bin da noch nie angehalten worden, vll. liegt es an deinem Auto. An der Grenze wird man grundsätzlich mit was konfrontiert was man sich nicht erklären kann und wo man nicht drauf vorbereitet ist. Ist...“

„@ensowo dazu gibt es wohl endlose Geschichten, selbst bin ich zweimal in gleicher Art und Weise kontrolliert wurde, das erste Mal, stichprobenartig, da gehe ich von einem Zufall aus. Beim zweiten Mal allerdings...“

„am 20.05.Ausreise über Budomiers mit dem Wohnmobil.Wir hatten Schwierigkeiten mit dem Ukrainischen Zoll. Das Wohnmobil hat ein Gesamtgewicht von 3500 Kg und die Zollbeamtin wollte das Wohnmobil als Lkw...“

„Ein Waffenstillstand hat den " Charme" keine Gebiete offiziell abtreten zu müssen und nur auf so was in der Art würden sich die Ukrainer eh nur einlassen. Putin hat einen Lauf, in 2024 wird sich eh nichts...“

„An einem wirklichen Waffenstillstand hat doch Putin gar kein Interesse, sieht man doch seit 2014. Nur dafür dass die Ukraine die besetzten Gebiete abtritt was sie nicht machen wird. Eine Offensive wird...“

„Hallo Waldi, im Grunde bin ich voll bei Dir! Da aber die Unterstützer der Ukraine ihre Rüstungsindustrie nicht hochfahren, die Produktion von Munition ist viel zu gering, wird es wohl nichts mit einem...“

„"Eine Apostille hat kein Ablaufdatum. Die Urkunde, die mit der Apostille versehen ist, kann aber eine Gültigkeitsfrist beinhalten. In der Regel dürfen seit der Ausstellung des Dokuments mit Apostille...“

„Verteidigung wird unter den jetzigen Umständen immer mehr zum Selbstmord! Was die ukrainische Armee dringend braucht sind schwere Waffen zur Verteidigung. Und dazu gehören nun einmal ATACMS-Raketen und...“

„Hallo nochmal.....wisst ihr wie lange mein apostilliertes Scheidungsurteil aus Belgien in der Ukraine gültig ist?“