Im Taras-Schewtschenko-Nationalmuseum macht man es möglich einen neuen Blick auf die Geschichte des ukrainischen Kobsarentums in der Ausstellung „(R)EVOLUTION des Mythos: Transformation des Kobsarentums im XIX bis XXI Jahrhunderten“ zu werfen.
Die Vergangenheit neu zu überdenken ist die globale ukrainische Tendenz der letzten Jahre. Sie hat die Lehrbücher berührt, schwappte auf die „entkommunisierten“ Straßen der umbenannten Städte über. Und natürlich macht sich der Trend in den heimischen Museen bemerkbar, die um die Wette die Dauerausstellungen auswechseln. Und in Form von temporären Forschungsprojekten bieten sie gleichzeitig unerwartete Ausstellungen an.
Das Nationale Kunstmuseum der Ukraine rühmt sich seiner Novation, in der die „die Sechziger“ neu überdacht werden, Kunst von Ideologie trennend. Im Gegenzug ist man empört über die völlige „Ignoranz“ der Kollegen der Sowjetzeit. Laut den Worten der Direktorin des Nationalen Kunstmuseum der Ukraine Julia Litwinetz, wird in der erneuerten Dauerausstellung des „Haupt“-Kunstmuseums, welche dem Publikum bereits in der nächsten Saison vorgestellt wird, mit nur einem Bild eine ganze Periode in der Kunstgeschichte der Ukrainischen SSR präsentiert – der Sozialistische Realismus (den Platz der offiziellen Kunst wird gute inoffizielle Kunst einnehmen).
Aber darum geht es nicht, nicht mal um die nationale Kunst.
Die Zeit der Unstetigkeit und des Suchens, des Nachdenkens über das Alte und der Suche nach einer neuen Sicht der Dinge hat das Nationalmuseum Taras Schewtschenkos nicht weniger berührt. Aber seltsamerweise, im Gegensatz zur Bedeutung von Taras Grigorjewitsch für alle Ukrainer, scheint es, als ob die Transformation des berühmten Herrenhauses am Schewtschenko-Boulevard und seine Ausstellungen, am öffentlichen Bewusstsein vorbei zu gehen scheinen.
Vergeblich! Auch das fast bis zu Unkenntlichkeit sowohl von Außen, als auch (was die Hauptsache ist) im Inneren gewandelte Schewtschenko-Museum kann komplett als materialisiertes Symbol (oder das bereits gesehene kann man als Versuchsfeld bezeichnen?) der Veränderungen wenigstens im Museumsbereich gesehen werden. Inwieweit die verschiedenen konkreten Projekte der Schewtschenko-Leute erfolgreich sind, ist eine gesonderte Frage.
„In unserer Zeit ist es notwendig, den Museums-Archaismus zu verlassen. Wir brauchen eine moderne Sprache und ein modernes, neues Niveau der wissenschaftlichen Forschung“, sagt der Direktor des Taras-Schewtschenko-Nationalmuseums Dmytro Stuss, als wir die Ausstellung „(R)EVOLUTION des Mythos: Transformation des Kobsarentums im XIX bis XXI Jahrhundert“ diskutieren.
An dieser Ausstellung hat das Team ungefähr zwei Jahre lang gearbeitet. Doch laut Herrn Stuss, wurde eine Ausweitung des Vorhabens durch die bescheidene Haushaltsfinanzierung gestört. Gern die Lenk- und Leitprinzipien („Verzicht auf die Archaik“) erläuternd, nach denen sich das Museum entwickelt, schlägt Stuss vor konkrete Fragen über die laufende Ausstellung ihren unmittelbaren Autoren zu stellen.
Die Kuratoren des Projekts „Kobsar“, Wiktorija Antonenko und Anastassija Aboleschewa und ihr Co-Autor, der Historiker Oleg Magditsch, sind sehr jung, unter 30. Und offensichtlich sehr von ihrer Arbeit begeistert.
Der Haupttreiber des Museumwandels heute sind junge Menschen, die erst kürzlich in den Beruf eingetreten sind. Dieser Faktor bedingt die Mehrheit der Plus- und Minuspunkte, die wir in den evolutionierenden Museen sehen können.
Zum größtem Minuspunkt wird die immer bemerkbarere vagere Vorstellung von den „sowjetischen“ Realien. Was nicht selten zu Idealisierung bzw. „Plakatisierung“ der Sowjetzeit, des Sowok führt.
Die „(R)EVOLUTION des Mythos“ ist frei von diesem Mangel. Aber noch öfter bekommt man das Gefühl, dass die Autoren der Ausstellungen einfach keine emotionale Beziehung zur Vergangenheit ausgebildet haben.
Als einen weiteren Minuspunkt der „Transformation des Kobsarentums in den XIX – XXI Jahrhunderten“ zähle ich noch den großen Enthusiasmus der Autoren für das Thema selbst, den Gegenstand der Forschung. Zum Nachteil seiner Eigenwerbung, seiner Repräsentativität.
Nur aus den Erklärungen eines der Kuratoren während der Exkursion kann der gewöhnliche Zuschauer die wissenschaftliche Neuheit des Ansatzes der Autoren der Ausstellung zum Thema Kobsar erfahren. Und auch von absolut neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen, die das Museumspersonal bei der Arbeit am Ausstellungsprojekt gemacht hat.
Die Neuheit, die Nicht-Trivialität der Ansätze, die Freiheit von Schablonen – ist das wichtigste „Plus“ der Ausstellungen und wissenschaftlichen Forschungen, die von einer neuen Generation von Museumsarbeitern geschaffen wurde – gleichwohl es nur schlecht die Mängel des eines reinen Expositionsplans abdeckt. Entgegen den Erwartungen zur „(R)EVOLUTION der Mythen“ erwies sie sich als konzeptionell. Lakonisch. Logozentrisch.
In vielerlei Hinsicht – basierend auf Texten und Infografiken. Interaktiv. „Die neue Generation“ weiß nichts von den „Pluderhosen“, denn sie wurden in der Ästhetik von Steve Jobs geboren – „und es ist unwichtig, ob man dieses Faktum errät“, Ilja Kobakow.
„In Anbetracht des Bildes des Kobsars in der ukrainischen Kultur haben wir drei seiner wichtigsten „Komponenten“ identifiziert: Das sind der Mediator, der Übersetzer, der Künstler. Aber die unterschiedlichen Hypostasen sind in jedem konkreten Fall durchaus sehr vielseitig gemischt. Daher ist der traditionelle chronologische Ansatz für eine Ausstellung wie die unsere absolut unangebracht. Drei verschiedene Hypostasen des Kobsarentums wurden in drei Ausstellungshallen gezeigt“, sagt Kuratorin Wiktorija Antonenko.
„Übrigens“, – merkt sie an, „numerisch, herrschten in der Ukraine Lyriker. Und am allerwenigsten gab es Kobsa-Spieler. Aber sie sind am häufigsten in den visuellen Künsten vertreten. Derart ist das Paradox.“
Die Ausstellung im Schewtschenko-Museum ist an sich schon paradox. Einschließlich Infografiken über die Wahrnehmung des Bilds der Kobsaren durch die modernen Ukrainer. Oder – ein Angebot an Besucher des Museums, um zu hören, wie spezifisch Kobsa, Lyra und Bandura klingen. (An den Musikinstrumenten sind winzige Audioplayer und Kopfhörer angebracht.)
Der Blick auf das Bild des Kobsa-Spielers in Schewtschenkos Kunst selbst ist originell. Das Museum bietet einen neuen Blick auf die bekannten Radierungen von Taras dem Künstler, darauf achtend, dass die Figur des Kobsa-Spielers nicht versehentlich im Hintergrund ist, als ob er die Entwicklung der Ereignisse beobachtet und sich darauf vorbereitet, sie später seinem Publikum zu erzählen. Es stößt einen praktisch vor dem Kopf – eine schelmische Collage an Porträts von Puschkin, Schukowskij u.a. am Anfang der Exposition.
Ziemlich kindisch: man erfreut sich an einer interaktiven „Karte“ über den Slang der Kobsaren. Zusammengestellt aus den Materialien der Monografien „Starziwstvo„ („Bettler: Fahrende Sänger-Musiker (XIX. – Anfang des XX.)“) von Wolodymyr Kuschpet und „Tradyzijne spiwoztwo“ (Traditioneller Gesang) von Kost Tscheremskyj.
Was aus diesen kuratorischen Ideen ist sekundär? Was wird den Test der Zeit nicht bestehen? Das ist eine „andere Sache“.
Die Hauptsache ist, dass sie weit von den Schablonen entfernt ist, die auch die Zuschauer dazu zwingen sich in das Spiel einzuklinken, und dies erweist sich, wie es sich herausstellt, als die eigentliche Ausstellung.
Eine nichttriviale (und umstrittene) Bewegung der Autoren von „(R)Evolution der Mythen“ wird direkt in der Ausstellung „Falschak“ (Fälschung) präsentiert.
„Jeder kennt den Mythos des von Stalin ‚erschossenen‘ „Kobsar – Kongresses“. Regisseur Oles Sanin drehte sogar den berühmten Film „Powodyr/The Guide“(2014) zu diesem Thema“, sagt Oleg Magdytsch. „Aber tatsächlich gibt es kein einziges Dokument, das die Richtigkeit dieser Geschichte bestätigt: sie basiert nur auf mündlichen Überlieferungen. Und in der UdSSR war selbst der repressive Apparat sehr bürokratisiert, alles wurde dokumentiert!“
Durch die Fertigstellung einer eigenen „Fotokopie“ einer Zeitung der Stalinzeit mit der Ankündigung des Kobsar-Kongresses, wollten wir zeigen, wie man mithilfe von Photoshop in einer Minute einen neuen Mythos kreieren kann.
Das Problem ist, dass es die Aufmerksamkeit der Gesellschaft von einer echten Tragödie ablenkt. In der Zeit der UdSSR wurden Dutzende von Banduristen, Lyra-Spielern und Kobsaren unterdrückt, aber sie starben nicht gleichzeitig. Sie wurden über viele Jahre hinweg beseitigt. Darüber muss man reden und nicht über einen ausgedachten „Kongress“.“
Den Worten vom Herrn Magditsch nach hat die Arbeitsgruppe während der Vorbereitung des Ausstellungsprojektes Informationen über alle Kobsaren und Lyra-Spieler der Sowjetzeit studiert, deren Namen bekannt sind. Wir benutzten das Verzeichnis von Bogdan Scheplinskij, wendeten uns an die Namensdatenbank der ukrainischen und russischen Sektionen von „Memorial“ usw.
Es wurde extra die Echtheit der berühmten „Liste der 72 unterdrückten Kobsa-Spieler“ geklärt, die im Internet kursiert. Davon wurden nur ein paar Namen bestätigt. Es stellte sich heraus, dass im Gegensatz von der in der Referenzliteratur erwähnten Zahl als erfolgreich Überlebenden der Repressionen im Gegenteil dazu viele Mitglieder der Kobsar-Zeche in den Lagern starben. Oder sie durchliefen die stalinistischen Verliese.
„Insgesamt haben wir eine Liste von 43 Namen zusammengestellt. Diese stellten wir im Ausstellungssaal mit einem Kommentar auf“, sagt Magditsch. „Es gibt auch Kobsar- und Bandura-Spieler, deren Schicksal wir nicht verfolgen konnten. Zuallererst sind dies Bewohner des Kuban. Die Archive des russischen FSB sind verschlossen. Und alle Informationen sind dort. Werden wir im Museum eine solche Recherchearbeit fortsetzen? Natürlich ja. Und wir haben schon einige neue Ideen.“
2. März 2018 // Anna Parowatkina
Quelle: Serkalo Nedeli
Die Ausstellung wurde am 22. Februar eröffnet. Details finden sich auf der Museumsseite: Schewtschenko-Museum
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