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Was riskiert Russland, wenn es die ukrainische Wirtschaft stranguliert?

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Um den Zerfall des größten Flächenstaates in Europa zu verhindern, müssen die EU und USA Moskau glaubwürdig signalisieren, dass ein russischer Handelskrieg gegen die Ukraine westliche Sanktionen gegenüber Russland zur Folge hätte.

In der westlichen Medienberichterstattung ist wenig davon zu spüren, dass sich derzeit ein womöglich explosiver politischer Konflikt im osteuropäischen Raum entwickelt. Die sich wöchentlich aufheizende Auseinandersetzung zwischen der Ukraine und Russland könnte schwerwiegende internationale Folgen haben, ja die gesamte nach dem Kalten Krieg entstandene europäische Sicherheitsarchitektur in Frage stellen könnte. Moskau zeigt sich unerwartet brüskiert über den Wunsch der Ukraine, demnächst ein weitgehendes Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union zu unterzeichnen. Der Abschluss dieses historischen Mammutvertrages wird entweder bereits im Rahmen des Gipfels der Östlichen Partnerschaft Ende November dieses Jahres in Vilnius oder andernfalls vermutlich 2014 erfolgen. Hervorzuheben ist, dass zahlreiche Vertragspunkte bereits unmittelbar nach der Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens, d.h. voraussichtlich 2014, in Kraft treten würden. Noch vor der Ratifizierung des Vertrages durch die 28 EU-Mitgliedstaaten, so hat Brüssel entschieden, soll ein Großteil seiner Artikel provisorisch angewendet werden.

Bis vor Kurzem noch schien es, dass die russischen antiwestlichen Vorbehalte sich lediglich gegen die NATO richten, die für viele Russen weniger eine westliche Verteidigungsallianz als ein anti-russisches Bündnis darstellt. Die letzten Wochen haben allerdings gezeigt, dass der Kreml nunmehr auch die EU als seinen geopolitischen Konkurrenten betrachtet, ja als unwillkommenen Eindringling in Moskaus privilegierte Interessensphäre, nämlich das Territorium der ursprünglichen Sowjetunion von 1922, ansieht. Zumindest entsteht solch ein Eindruck, wenn man das Verhalten etlicher russischer außenpolitischer Experten und Fernsehmoderatoren verfolgt. In Russland kursieren derzeit eine Vielzahl von mehr oder minder absurden Kommentaren zur europäischen Integration der Ukraine. Diese Bemerkungen entfachen nahezu tägliche Wortgefechte zwischen den beiden Staaten, deren Inhalte teils an Hysterie grenzen.

So erklärte etwa der offizielle Berater Präsident Putins für wirtschaftliche Integration Sergej Glasjew kürzlich, dass – falls Kiew das Assoziierungsabkommen mit Brüssel unterzeichnet – dies einen „politischer Selbstmord der Ukraine“ bedeuten würde und dass die ukrainische Regierung „gegen Grundprinzipien des Freundschaftsvertrags mit Russland verstößt, der die Basis der Beziehungen zwischen den beiden Staaten bildet“. Russland hat bereits jetzt etliche Handelserschwernisse für die Ukraine geschaffen und bereitet, allem Anschein nach, die Umsetzung weiterer Beschränkungen vor. Die als bloße „Schutzmaßnahmen“ verharmlosten, in Wirklichkeit jedoch empfindlichen Wirtschaftssanktionen würden sich sowohl auf den ukrainischen Export aus Russland, etwa im Energiebereich, als auch und vor allem auf den russischen Import aus der Ukraine erstrecken und viele ukrainische Industriebranchen treffen.

Die ökonomische Schwäche der Ukraine

Trotz einiger positiver Reformschritte der letzten drei Jahre droht der ukrainischen Wirtschaft, Währung und Staatlichkeit eine Krise, die erhebliche Risiken für die gesamte Region birgt. Die Reformpolitik Janukowytschs war stets unzureichend, und diejenigen offiziellen und inoffiziellen Neuregelungen, die während seiner Präsidentschaft seit 2010 umgesetzt wurden, haben teils die Geschäftsaktivität ukrainischer sowie ausländischer Unternehmen in der Ukraine nicht erleichtert, sondern erschwert. Etliche Neuerungen der ukrainischen Regierung im Wirtschaftsbereich waren widersprüchlich oder gar destruktiv und haben nicht zu wirtschaftlichen oder finanziellen Verbesserungen im Land geführt. Im Gegenteil, die wesentlichen strukturellen, ordnungspolitischen und Haushaltsproblemen der ukrainischen Wirtschaft blieben bestehen bzw. wurden verschärft. Dass die Weltbank kürzlich eine leichte Verbesserung des Geschäftsklima in der Ukraine feststellte oder dass die Ukraine den Direktimport russischen Erdgases erheblich reduzieren konnte, stellen zwar lobenswerte Fortschritte dar. Diese und einige andere partielle Reformfortschritte sind aber nicht ausreichend, um von einer prinzipiellen Stabilisierung der Wirtschaftslage der nach wie vor krisenanfälligen Ukraine zu sprechen.

Einige Bereiche der ukrainischen Wirtschaft hängen mehr oder minder stark von Russland ab. Dies betrifft in erster Linie den Zugang für ukrainische Hersteller zum russischen Markt, aber auch den Import bestimmter Rohstoffe, vor allem Erdgas, aus Russland. In Anbetracht ihrer schwierigen wirtschaftlichen Lage ist die Ukraine derzeit besonders anfällig für den sich langsam aber stetig erhöhenden Druck aus Moskau. Wenn Russland seine Einflusshebel voll zum Einsatz bringt, würde die ukrainische Wirtschaft kaum imstande sein zu widerstehen und könnte in einen freien Fall übergehen. Eine Zuspitzung der ökonomischen Situation wird wiederum ernste soziale Verwerfungen nach sich ziehen. Im Ergebnis würden sich die Spannungen zwischen den ukrainisch- und russischsprachigen Regionen der Ukraine verstärken. All dies verspräche wenig Gutes für den noch nicht konsolidierten ukrainischen Nationalstaat. Das ohnehin gespaltene Land könnte durch zentrifugale Tendenzen und im schlimmsten Fall einen Bürgerkrieg auseinandergerissen werden.

Mehr noch: wenn separatistische Tendenzen in der Ukraine an Stärke gewinnen, wird dies unweigerlich Russland auf den Plan rufen. Moskau würde seine besondere Verantwortung für die ca. acht Millionen ethnischen Russen, die zumeist im Osten und Süden der Ukraine leben, erklären. Ein besonders gefährlicher potenzieller Krisenherd ist und bleibt die Krim, die dicht von ethnischen Russen bevölkert und wo die russische Schwarzmeerflotte stationiert ist. Russland könnte sich kaum von seiner Rolle als Schutzmacht russischer und russophoner Staatsbürger der Ukraine zurückzuhalten, wenn – vor dem Hintergrund einer zusammenbrechenden ukrainischen Wirtschaft – mehrheitlich russischsprachige Regionen in der Ukraine ihren Wunsch äußern, Teile oder Protektorate Russland zu werden. Da es (anders als seinerzeit in der Tschechoslowakei) keine klaren Grenzen einer möglichen, wie immer gearteten Aufteilung der Ukraine gibt, wär eine kriegerische Auseinandersetzungen um den Verlauf einer Demarkationslinie – mit womöglich aktiver militärischer Beteiligung Russlands – nicht auszuschließen.

Russland vor sich selbst schützen

In Anbetracht solch schwerwiegender potenzieller Folgen und Unwägbarkeiten hat der Kreml womöglich gar kein strategisches Interesse an einer fundamentalen Destabilisierung der Ukraine und dann wohl unvermeidlichen russischen Involvierung in innerukrainischen Angelegenheiten. Betrachtet man die Situation aus Moskauer Perspektive nüchtern, so ist weder eine Eskalation innerpolitischer Spannungen infolge eines Zusammenbruchs der ukrainischen Wirtschaft, noch eine mögliche russische Intervention in die Ukraine, wie in Georgien 2008, strategisch sinnvoll für Russland. Solch eine tief greifende Umwandlung Osteuropas würde zu viele unwägbare internationale Reaktionen als auch erhebliche innenpolitische Risiken für das Putinregime implizieren.

Die russische Regierung will allerdings derzeit offensichtlich die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens zwischen der Ukraine und EU mit allen Mitteln verhindern. Einige russische Politiker haben sich in eine chauvinistische Rhetorik hineingesteigert, die zu immer beunruhigenderen Auslassungen führt. Sollte das Assoziierungsabkommen trotz des russischen Widerstandes früher oder später unterzeichnet werden, wird der Kreml in Versuchung geraten, die Ukraine dafür hart zu bestrafen – ein Prozess, der in Form sich verschärfender Zollbestimmungen bereits begonnen hat. Nach den ausufernden Wortgefechten der letzten Wochen zwischen Russland und der Ukraine könnte Putin keine andere Wahl haben, als dem aufgeheizten russischen Publikum mit entsprechenden „Schutzmaßnahmen“ die Macht Moskaus und Prinzipienfestigkeit seiner Außenpolitik zu demonstrieren.

Ob dies letztlich zu Krieg führen würde, wäre dann immer noch offen. Nicht vergessen werden darf jedoch, dass tiefe wirtschaftliche Krisen sowie sich hierdurch erhöhende ethnische und zwischenstaatliche Spannungen sowie anschließende großflächige Blutvergießen in den Nachfolgestaaten ehemals kommunistischer multinationaler Staaten eher die Regel als Ausnahmen darstellten. Dies betraf sowohl den Nord- oder Südkaukasus als auch den Westbalkan oder Zentralasien. Die Ukraine stellt diesbezüglich bislang einen bemerkenswerten Sonderfall dar, da ihre Entwicklung – trotz aller Handgreiflichkeiten im Parlament – erstaunlich friedlich verlief. Dieses erfreuliche, ja ungewöhnliche postsowjetische Entwicklungsmuster der Ukraine könnte allerdings im Resultat einer Eskalation der jüngsten Spannungen seinem Ende entgegen gehen.

Vor dem Hintergrund solch katastrophaler Szenarien müssen die EU, ihre Mitgliedstaaten sowie die USA der Moskauer Führung eindeutig und rechtzeitig signalisieren, dass wirtschaftlicher Druck seitens Russlands auf die Ukraine unzulässig ist. Der Westen sollte Moskau deutlich zu verstehen geben, dass der Kreml im Falle russischer Handelseinschränkungen gegenüber der Ukraine nicht nur mit ukrainischen Gegenmaßnahmen, sondern auch mit wirtschaftlichen Verlusten, diplomatischen Konflikten und politischen Spannungen in den Beziehungen zwischen Russland und dem Westen rechnen muss. Während Kiew nur wenige tatsächlich wirksame wirtschaftliche Hebel gegenüber Moskau besitzt, ist die EU potenziell machtvoller. Etliche Mitgliedsstaaten der EU – allen voran Deutschland – sind mit Russland durch vielerlei Handelsbeziehungen, Investitionsvorhaben, Kooperationsprojekte, Netzwerke und Joint Ventures verflochten. Die Integrität der Wirtschaft und des Staatshaushalts Russlands ist auf stabilen Warenaustausch mit dem Westen sowie die nachhaltige Modernisierung des Landes auf eine aktive Beteiligung von EU-Mitgliedsstaaten, nicht zuletzt Deutschlands, angewiesen. Dies betrifft insbesondere den Energiebereich, aber auch zahlreiche andere Sektoren der russischen Wirtschaft, Verwaltung, Wissenschaft oder Bildung.

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Die Enge und Vielfalt der Beziehungen der EU und ihrer Mitgliedsstaaten zu Russland macht diese auch zu indirekten Beteiligten im ukrainisch-russischen Konflikt. Der Westen sollte daher gegenüber Moskau keinen Hehl daraus machen, dass er bereit wäre, seine potenziellen Hebel einzusetzen, wenn Moskau Kiew in die Knie zwingen will. Russland muss rechtzeitig und deutlich klargemacht werden, mit welchen Folgekosten es zu rechnen hat, wenn es weiterhin die schleichende Untergrabung der ukrainischen Wirtschaft betreibt. Solche Warnsignale wären im ureigenen Interesse der EU, da sie damit nicht nur die Integrität des ukrainischen Staates, sondern auch die sicherheitspolitische Stabilität Osteuropas stärken würde. Wenn der Westen rechtzeitig Moskau über alle Folgen des russisch-ukrainischen Handelskrieges unterrichtet, würde er in gewisser Hinsicht auch im strategischen Interesse der Bürger Russlands agieren. Die EU und USA würden durch ihre Einmischung in den russisch-ukrainischen Konflikt einem Auseinanderdriften der beiden „Brudervölker“ im Ergebnis eines Handelskrieges, ja sich möglicherweise anschließenden richtigen Krieges zuvorkommen.

Die Gegenseitigkeit der Assoziierung zwischen der EU und Ukraine

Ermutigend ist, dass zumindest in Brüssel offensichtlich bereits verstanden wird, dass die EU nicht umhin kommen wird, selbst in den sich verschärfenden Konflikt zwischen der Ukraine und Russland einzugreifen. In seiner Resolution vom 12. September 2013 erklärte das Europäische Parlament im Namen von mehr als 500 Millionen EU-Bürgern, dass „mehr denn je auf den besorgniserregenden Druck hingewiesen werden muss, der auf die östliche Nachbarschaft der EU und das Projekt der Östlichen Partnerschaft selbst ausgeübt wird, das von Russland angefochten und infrage gestellt wird“. Die Union muss darüber hinaus sich selbst darüber klar werden, als auch ihren nationalen Regierungen klar machen, dass das bevorstehende Assoziierungsabkommen den Beziehungen der EU und ihrer Mitgliedsstaaten mit der Ukraine eine neue Qualität verleihen wird. Dies wird sowohl für die Kommission und den Rat der EU als auch für die Staats- und Regierungskanzleien sowie Außen- und Wirtschaftsministerien der Mitgliedsstaaten bedeuten, dass sich deren Politik nicht nur gegenüber der Ukraine, sondern ggf. auch gegenüber Russland ändern muss.

Das Assoziierungsabkommen verlangt, dass ein Großteil des sozialen, politischen und wirtschaftlichen Systems der Ukraine in Einklang mit dem acquis communautaire gebracht wird. Die Elite und Bürger der Ukraine würden es kaum verstehen, dass sie eine tief gehende Anpassung ihres gesamten Gesellschaftssystems an die EU vollziehen sollen, während einige EU-Mitgliedstaaten enge wirtschaftliche Beziehungen mit einem Land pflegen, das Kiew für dessen Assoziierung mit Brüssel bestraft. Schließlich wurde das Assoziierungsabkommen von der Europäischen Kommission im Interesse der EU-Mitgliedstaaten für die Ukraine vorgeschlagen, ausgearbeitet und propagiert, und es ist dieser Vertrag, der nun den Ärger des Kremls gegenüber Kiew auslöst. Die EU trägt damit ihren Teil der Verantwortung für die sich verschärfenden Spannungen zwischen der Ukraine und Russland sowie für die erheblichen Risiken, die daraus nun für die Wirtschaft und Integrität der Ukraine entstehen.

In den letzten Monaten hat die Europäische Union in der Ukraine unentwegt für das Assoziierungsabkommen geworben. Es ist für Brüssel, Berlin, Paris, London und Rom nun an der Zeit zu zeigen, wie ernst es ihnen tatsächlich mit der Östlichen Nachbarschaft und Assoziierungspolitik bezüglich der postsowjetischen Länder Osteuropas und des Südkaukasus ist. Das Europaparlament hat bereits eine bemerkenswert eindeutige Position in seiner genannten Septemberresolution eingenommen, in der es betont, „dass es für die EU notwendig ist, ihrer Verantwortung nachzukommen, die Staaten der Östlichen Partnerschaft im Geiste der Solidarität zu ermutigen und zu verteidigen, die offenem, beunruhigendem und zunehmendem Druck seitens Russland ausgesetzt sind, der darauf gerichtet ist, sie von der Assoziation mit der EU abzuhalten“. Das Europaparlament forderte darüber hinaus „die Kommission und den Rat auf, spezifische und effektive Maßnahmen zur Unterstützung der Partnerstaaten vorzulegen“.

Das Europäische Parlament hat allerdings kaum Prärogativen in der EU-Außenpolitik. Während der Rat und die Europäische Kommission die EU-Politik gegenüber Russland gestalten, haben auch diese allerdings kein Vetorecht bezüglich der internationalen Beziehungen einzelner EU-Mitgliedstaaten. Wenn sich die gegenwärtige Konfrontation weiter zuspitzt, wird die gesamte EU vor eine ganze Reihe schicksalsträchtiger Fragen gestellt: Sind die EU-Mitgliedstaaten und deren Steuerzahler sowie Unternehmen bereit, eventuelle Kosten und Verluste als Ergebnis europäischer Sanktionen gegen ein Russland zu tragen, dass versucht die ukrainische Wirtschaft zu destabilisieren? Werden die Brüsseler Institutionen sowie nationalen Regierungen der EU bereit sein, die teils engen Geschäftsbeziehungen europäischer Großunternehmen mit einflussreichen russischen Energiekonzernen im Interesse der europäischen Integration aufs Spiel zu setzen? Oder wird das Verlangen europäischer Geschäftslobbyisten nach Kooperation mit großen russischen Staatsunternehmen so groß sein, dass die EU-Mitgliedstaaten die Ukraine im Regen stehen lassen? Sind die relevanten Entscheidungsträger nicht nur in Brüssel, sondern auch in Berlin, Paris, Rom und London sich aller Folgen bewusst, die ggf. ein Zerfall des größten europäischen Flächenstaates im Ergebnis eines russischen Handelskrieges gegen die Ukraine nach sich ziehen würde?

Das vergessene Budapester Memorandum von 1994

Obwohl die USA weder einen direkten Anteil am derzeitigen russisch-ukrainischen Konflikt noch enge wirtschaftliche Beziehungen zu Russland haben, trägt auch Washington eine gewisse Verantwortung für die sich anbahnende Konfrontation. 1994 waren die USA eine tragende Kraft, die Kiew zur vollständigen nuklearen Abrüstung bewog. Zu diesem Zeitpunkt war die Ukraine die drittgrößte Atommacht der Welt – mit einem Kernwaffenarsenal, das größer war als das Großbritanniens, Frankreichs und Chinas zusammengenommen. Der damalige ukrainische Präsident Leonid Kutschma wollte zunächst einen Teil der ukrainischen Nuklearwaffen bewahren, um über ein Abschreckungsinstrument – in erster Linie gegenüber russischem Revisionismus – zu verfügen.

Vor dem Hintergrund der ukrainischen Befürchtungen erklärten sich die Vereinigten Staaten bereit, sicherheitspolitische Garantien gegenüber der Ukraine geben. Im sogenannten Budapester Memorandum von Ende 1994 verpflichteten sich die USA, Russland und Großbritannien dazu, die nationale Sicherheit der Ukraine im Falle einer vollständigen nuklearen Abrüstung des Landes zu wahren. Die drei Unterzeichnerstaaten garantierten unter anderem, sich „jeder wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen zu enthalten, die darauf gerichtet sind, ihrem eigenen Interesse die Ausübung der Rechte der Ukraine, die deren Souveränität innewohnen, unterzuordnen und sich damit Vorteile irgendwelcher Art zu verschaffen“.

Die Ukraine erfüllte die Bedingungen des damaligen Abrüstungsvertrages termingerecht und gab bis 1996 alle verbliebenen Atomsprengköpfe ab. Sie verfügt seitdem über keinerlei Massenvernichtungswaffen mehr. Nichtsdestoweniger hat Russland in Form verschiedener ökonomischer Sanktionen gegen die Ukraine in den vergangenen Jahren sowohl den Geist als auch die Buchstaben des 1994er Budapester Memorandums wiederholt verletzt. Dies galt insbesondere für das fünftägige russische De-facto-Embargo auf den gesamten ukrainischen Import im August 2013. Heute setzt Russland diese Politik fort und droht mit zahlreichen weiteren „Schutzmaßnahmen“, wenn die Ukraine das parafierte Assoziierungsabkommen mit der EU unterschreibt. Werden die USA, die einst die Ukraine dazu bewogen haben, auf ihre Nuklearwaffen zu verzichten, die Ukraine unterstützen, sollte die Konfrontation mit Russland eskalieren?

Ein rechtzeitiges Signal nach Moskau

Heute ist noch nicht vorherzusehen, welche weiteren Maßnahmen Moskau ergreifen wird, wenn Kiew und Brüssel in der Tat das Assoziierungsabkommen in diesem oder im kommenden Jahr unterzeichnen. Womöglich ist sich die russische Regierung selbst noch nicht sicher, wie weit sie bereit und willens ist, in diesem Fall zu gehen. Jedoch verringern die sich aufheizenden russischen Wortgefechte mit der Ukraine sukzessive den Handlungsspielraum für Moskau. Wenn die kremlgesteuerten Massenmedien auch weiterhin der ukrainische Regierung Verrat, Undankbarkeit und Doppelzüngigkeit vorwerfen werden, kann der Kreml in eine selbst gestellte Falle geraten. Zwischen den „Brudervölkern“ würde eine Konfrontation unvermeidlich werden, für welche dann auch Moskau einen hohen Preis wird zahlen müssen.

Die antiukrainische Kampagne, die die russischen Massenmedien derzeit betreiben, setzt sich fort und erhöht die Möglichkeit, dass der sich verschärfende Konflikt zwischen Kiew und Moskau außer Kontrolle gerät. Der Westen muss der russischen Regierung zügig und klar alle eventuellen ökonomischen, finanziellen, politischen und diplomatischen Folgekosten aufzeigen, mit denen Moskau rechnen muss, wenn es seinen wirtschaftlichen Druck auf Kiew aufrechterhält oder gar weiter erhöht. Ein solches baldiges Signal wird Moskau die Möglichkeit geben, sich rechtzeitig ein klares Bild darüber zu verschaffen, welches Spektrum an Risiken für Russland entsteht, sollte sein Konflikt mit Kiew eskalieren. Solche und ähnliche Signale würden Moskau helfen, die neue Realität einer sich schrittweise in das vereinigte Europa integrierenden Ukraine zu akzeptieren.

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Der Beitrag erschien zuerst am 8. November 2013 in der Kiewer Wochenzeitung „Dserkalo Tyshnja“ / „Serkalo Nedeli“ (Wochenspiegel). Aus dem Russischen übertragen von Ljudmyla Melnyk und überarbeitet von Andreas Umland.

Autor:    — Wörter: 2624

Dr. Andreas Umland (1967) ist seit 2010 Dozent am Fachbereich Politikwissenschaft der Kyjiwer Mohyla-Akademie (NaUKMA) und seit 2021 Analyst am Stockholmer Zentrum für Osteuropastudien (SCEEUS) des Schwedischen Instituts für Internationale Beziehungen (UI).

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