Olesja Ostrowska-Ljuta leitet bereits mehr als vier Monate das „Kunst-Arsenal“. Davor wirkte sie im Rinat-Achmetow-Fond „Entwicklung der Ukraine“, in der Stiftung „Zentrum für Gegenwartskunst“ [der Soros-Stiftung in Zusammenarbeit mit der Mohyla-Akademie], aber auch als stellvertretende Kultusministerin. Die Ausstellungen „Ephemeroide“ [Vorübergehende] und „Horizont der Ereignisse“, die im „Kunst-Arsenal“ laufen und bereits am 27. November enden, waren die ersten Großprojekte nach der Ernennung Olesjas zur Direktorin.
Zu den Plänen der Leitung des „Kunst-Arsenals“ gehört, es nicht nur zum Veranstaltungsort von Ausstellungen zu machen, sondern auch zum Ort der Entwicklung von Kunst und ihrer Schöpfer.
Im Interview mit LB.ua erzählte Frau Ostrowska-Ljuta, wie sie diese Pläne in die Praxis umsetzen wird, teilte ihre Ansichten über den gegenwärtigen Stand der Kunst in der Ukraine mit und die Gefahren der Arbeit junger Künstler.
Foto: Darja Badjer„Ephemeroide“ und „Horizont der Ereignisse“ sind ihr Debüt in der Funktion der Direktorin des „Kunst-Arsenals“. Haben Sie Aufregung oder die Last der Verantwortlichkeit für sie verspürt?
Nein, eine wirkliche Aufregung war es nicht. Aber mir ist klar, dass beide Ausstellungen eigene Formen eines Symptoms sind. Sie zeigen, in welche Richtung das „Arsenal“ zu gehen plant, weshalb klar ist, dass sie für uns eine große Bedeutung haben. Für mich persönlich und für meine Kolleginnen war es sehr wichtig, die konzeptuellen und intellektuellen tiefen Dimensionen so weit wie möglich zu zeigen in einer so intensiven Zeit. Eine Ausstellung in wenigen Monaten zu schaffen hält man ja nur in der Ukraine für normal.
Ich muss allerdings sagen, dass die Arbeit an dem Projekt „Ephemeroide“ bereits ziemlich lange dauerte, als ich kam: Insgesamt betrug die Vorbereitungszeit dieser Ausstellung ungefähr ein Jahr. Die Frage war nur, ob dies Projekt verwirklicht wird oder nicht.
„Horizont der Ereignisse“ starteten wir irgendwann Ende Juni bis Anfang August während der Diskussionen mit den Kuratoren Oleksander Solowjow und Alissa Loschkin. Ziel war es zu zeigen, dass uns die Gegenwartskunst wichtig ist, aber dies nicht allein, sondern dass man auch darüber sprechen muss, was jetzt in der Welt und in der Gesellschaft, in der wir leben, vor sich geht.
Nur Schönes und für den Anblick Erfreuliches zu zeigen ist für eine so große Institution wie das „Kunst-Arsenal“ unzureichend, auch wenn das Schöne ein großes Publikum anzieht.
Foto: Max Trebuchow„Ephemeroide“ ist eine Art Blick in die Vergangenheit, während „Horizont der Ereignisse“ ein Versuch ist, sich mit der Gegenwart und Zukunft auseinanderzusetzen. Ist die gleichzeitige Durchführung dieser Ausstellungen ein durchdachter Schritt oder einfach nur Zufall?
Sie wuchsen miteinander. Die Diskussionen über diese Projekte liefen sogar nicht parallel, sie wurden von einer Arbeitsgruppe des „Arsenals“ geleitet. Man kann sagen, „Ephemeroide“ gehen in die Tiefe, „Horizont der Ereignisse“ hingegen fixiert einen Punkt. Hierzu thematisieren die „Ephemeroiden“ sehr viel Ideologie, Totalitarismus, Krieg, das, was wir heute erleben. In gewisser Weise extrapolieren wir unser heutiges Empfinden auf das gesamte 20. Jahrhundert. „Horizont der Ereignisse“ spricht über das aktuelle Empfinden der Menschen, wo die Welt plötzlich aufhört die zu sein, wie wir sie früher kannten. Dieses Gefühl der Unsicherheit hat Einfluss auf beide Ausstellungen.
Warum sind bei den „Ephemeroiden so wenig gesellschaftlich-alltägliche Plakate ausgestellt?
Während der Auswahl von Plakaten für „Ephemeroide“ haben wir uns zu allererst gestützt auf das, was es in ukrainischen Sammlungen gibt, in welchen Fonds es Originale gibt und was man für die Ausstellung bekommen kann. Auf der Ausstellung sind ein paar litauische und polnische Plakate aus dem Ausland präsentiert, die Mehrheit ist aber geliehen aus den Lemberger und Charkiwer Museen, aus dem Museum des 2. Weltkrieges, aus der Wernadsky-Bibliothek usw. Außerdem haben wir auf das Schauen der Ausstellung gestützt, was ist angemessen, was unangemessen, wie wird die Intensität und Dichte dieser Ausstellung.
Foto: Max TrebuchowLassen Sie uns über Ihre Ernennung sprechen. Nach der Durchführung der Ausschreibung für den Posten des Direktors des „Kunst-Arsenals“ gab es bestimmte Vorwürfe an Ihre Seite. Indirekt ging es darum, dass bei Ihrer Ernennung während der Ausschreibung Polittechnologien verwendet wurden. Sie seien mit anderen Worten ein Mensch des Regimes. Was sagen Sie dazu?
Dieser Vorgang hat sozusagen meine Legitimität untergraben und die Arbeit erheblich erschwert. Ich bin eher ein Mensch, der unter der Situation gelitten hat als jemand, der daraus Gewinn schöpfte. In welcher Weise bin ich ein „Mensch des Regimes“? Nun, das wird nach einiger Zeit sichtbar werden. Einstweilen musste ich nicht auf Vorwürfe reagieren, die aufwiesen, ich sei Kandidat des Regimes oder des „Kunst-Arsenals“ oder einer beruflichen Gruppe. Persönlich verstehe ich mich als Kandidat der Gemeinschaft der Kultur. Wenn Sie die Frage hinsichtlich des Grundstücks des „Arsenals“ interessiert, dann muss es selbstverständlich dem „Arsenal“ gehören, soll für kulturelle und öffentliche Belange genutzt werden und nicht für irgendetwas anderes. Und bislang bin ich noch nicht mit anderen Plänen für dieses Grundstück konfrontiert worden.
Foto: Darja BadjerIn ihrem Facebook-Account haben Sie geschrieben: „Es ist sehr wichtig, dass während der Wahl die Öffentlichkeit zugegen ist, vor allem aber sollte das eine professionelle Öffentlichkeit sein. […] Mir scheint, der beste Algorithmus zur Ernennung auf den Leitungsposten ist der, den es auch in Lemberg gab bei der Ernennung des Leiters des Lemberger Kunst-Palastes. Während die Öffentlichkeit bei der Anhörung der Programme der Kandidaten anwesend war, wurde die Entscheidung der Jury eigenständig und ohne Anwesenheit der Öffentlichkeit getroffen. Sie verstehen, die Jury braucht einen gewissen Raum für Diskussionen ohne Öffentlichkeit, ohne Interaktion mit Menschen im Saal.“ Welche Rolle soll dann die Öffentlichkeit spielen während der Prozedur der Berufung? Die Rolle eines Zuhörers?
Natürlich. Wir müssen verstehen, was diese „Öffentlichkeit“ in diesem Zusammenhang ist. Für die Entscheidung der Ernennung eines Direktors einer großen Institution bedarf es des Fachwissens. Das heißt, es müssen Experten auf einem bestimmten Gebiet sein. Sie gehören gesetzlich zur Kommission in der Form von Delegierten professioneller gesellschaftlicher Vereinigungen, ihr Anteil beträgt 33 Prozent an der Gesamtheit der Mitglieder der Berufungs-Kommission.
Die Anwesenheit einer informellen, nicht organisierten Öffentlichkeit am Verfahren der Beratungen der Kommission schafft einen ungeheuren Druck auf die letztere. Daher ist es viel besser, wenn die Kommission, in der die Öffentlichkeit in Form der Vertreter gesellschaftlicher Vereinigungen anwesend ist, in geschlossenem Raum diskutiert. Da in der Ukraine niemand irgendwem traut, gibt es eine Kamera, die eingeschaltet ist, das ist normal. Wir müssen aber verstehen, wenn man Dinge öffentlich besprechen soll, dann erschwert dies die Entscheidungen der Berufungs-Kommission in erheblichem Maß. Viele würden einfach nicht ihre Meinung äußern.
Hätten an der Ausschreibung, an der ich teilgenommen habe, nicht auch Vertreter von „Interessen-Gruppen“ mitgemacht, dann wäre es erheblich sinnvoller gewesen. Es hätte nicht diese Verwicklungen gegeben, die so einen schweren Rattenschwanz nach sich gezogen haben.
Wie soll man es mit der „einfachen“ Öffentlichkeit machen? Soll sie irgendeinen Einfluss haben auf das Verfahren der Wahl eines Direktors?
Nein, sie soll das nicht haben. So funktioniert die repräsentative Demokratie. Um solche Entscheidungen zu treffen, muss man bestimmte Kenntnisse haben, Erfahrung und Fähigkeiten. Du kannst nicht entscheiden, ob der Kosmonaut in den Weltraum fliegt, wenn Du nichts von Astrophysik verstehst.
Das „Arsenal“ hat ungefähr zehn Hektar Grundfläche. Welcher Anteil davon ist für die Nutzung geeignet? Wie wird es momentan genutzt?
Das gesamte Territorium, das für das Publikum genutzt werden kann, wird jetzt genutzt: das sind das alte „Arsenal“ und sein Hof. Der Rest des Territoriums ist grob gesagt eine Wüste, die eine „Bewirtschaftung“ benötigt. Dieses Territorium sollte ebenfalls als öffentlicher Raum genutzt werden: als Park oder etwas anderes. Momentan führen wir regelmäßig Strategie-Sitzungen durch mit den Kollegen, auf denen wir darüber sprechen, wie wir die Nutzung des gesamten Territoriums sehen, was es geben soll. Endgültige Entscheidungen gibt es jedoch nicht.
Lassen Sie uns etwas über Ihre Tätigkeitsvorhaben für die nächsten fünf Jahre sprechen. Dort ist festgehalten, dass die Tätigkeit des „Arsenals“ unterteilt ist in Segmente und Laboratorien (Literatur, Theater, Musik, Bildung). Funktionieren diese Laboratorien bereits? Warum erhebt sich überhaupt die Notwendigkeit der Funktion solcher Laboratorien?
Sie funktionieren natürlich noch nicht. Schließlich muss man hierfür Möglichkeiten schaffen. Für die bloßen Möglichkeiten gibt es Menschen, für deren Anheuerung Gehälter oder Finanzierung unablässlich sind. Das „Kunst-Arsenal“ hat aber eine lächerliche staatliche Finanzierung – sie ist zehnmal niedriger als bei anderen ukrainischen Institutionen vergleichbarer Größe. Daher muss man zunächst etwas gerade mit der Grundfinanzierung machen, die es erlaubt Arbeitsabläufe zu beginnen. Dies ist momentan der Hauptschwerpunkt meiner Aufmerksamkeit und der Aufmerksamkeit des Teams. Es wäre gut, wenn wir nächstes Jahr eines oder maximal zwei dieser Laboratorien schaffen.
Die Laboratorien sind dafür nötig, damit das „Arsenal“ nicht nur ein „Schaukasten“ ist, in dem man Ausstellungen wechseln kann, sondern eine Einrichtung, in dem es ein ständiges intellektuelles schöpferisches Köcheln gibt, aus dem etwas erwächst, was verschiedene Kräfte zur Mitarbeit anziehen kann. Beispielsweise Kompositoren, Schriftsteller, Kuratoren, Künstler. Hierfür braucht es diesen Laboratoriumsprozess. Er ist offen, zu ihm können Menschen stoßen und mit ihren Ideen beitragen.
Wie werden die Segmente Theater und Musik entwickelt werden?
Sie haben bereits ihren Platz im „Arsenal“, aber unsystematisch. Für ihre Verwirklichung bedarf es eines Kurators, der ein Programm schafft, täglich daran arbeitet, andere Menschen heranzieht. Hieraus werden auch Veranstaltungen für das Publikum erwachsen. Solche Fachleute gibt es aber momentan nicht bei uns.
Kommen wir zurück auf das Thema der Finanzierung. Ich verstehe, es ist eine schmerzliche Frage, dass es im Staat keine Gelder gibt. Welche zusätzlichen Quellen für Einkünfte gibt es?
Zu allererst Eintrittskarten. Das bedeutet, wir können nicht nur hermetische und experimentelle Projekte durchführen: es muss auch Ausstellungen geben, attraktiv und interessant für ein breites Publikum. Das Programm des „Arsenals“ muss das Gleichgewicht halten zwischen „Gescheitem“ und „Schönem“. Das ist keine leichte Herausforderung, da das „Arsenal“ als Institution dann völlig in Kritik gerät: Vonseiten derer, die ein tiefgründiges intellektuelles Produkt fordern und die, die Unterhaltung erwarten.
Die zweite Sache ist Fundraising. Ein gutes Beispiel hierfür ist in der Ukraine die Ukrainische Katholische Universität (UKU). Einnahmequelle könnte auch die Arbeit mit potenziellen Sponsoren und die Entwicklung von Produkten und Dienstleistungen sein, die potenziell Geld bringen können. Zum Beispiel Messen. Das „Buch Arsenal“ ist ein interessantes, tiefschürfendes, kulturell bedeutendes Ereignis, das gleichzeitig dem „Arsenal“ gestattet, seine Aktivitäten für mindestens einen Monat zu begleichen. Dazu gehört auch das „Weihnachts-Arsenal“. Ob es zugleich auch eine interessante Veranstaltung wird und Einnahmen für weitere Veranstaltungen erzeugen wird, werden wir dieses Jahr sehen.
Gehört „Kyiv Art Contemporary“ zu diesen Veranstaltungen?
Nein, ich glaube es gehört nicht dazu. Meine Kollegen und ich haben das Gefühl, dass es seine akute Relevanz verloren hat. Ich denke, zur Gegenwartskunst passen besser Formate der Ausstellungen. Außerdem hat „Kyiv Art Contemporary“ keine nennenswerten Einkünfte erzeugt.
Im Jahr 2014 hat eine Gruppe von Experten, der Sie angehörten, eine Entwicklungsstrategie namens „Kultur 2025“ ausgearbeitet.1 Im Mai des Jahres 2015 hat das Kultusministerium eine andere Strategie präsentiert.2 Welche ist angenommen? Welche konkreten Maßnahmen gab es seitens des Ministeriums?
Genehmigt ist die Strategie des Ministeriums. Jetzt hat man gerade begonnen, sie daraufhin durchzuschauen, um sie an andere Dokumente, beispielsweise die Strategie 2025 anzunähern und alles, was in anderen fertigen Dokumenten nützlich ist, einzufügen. Ich denke, das ist positiv.
Sie unterstützen also die Strategie des Ministeriums?
Nein, ich unterstütze die Idee, die Dokumente zu vereinen. Ich weiß nicht, ob im Ministerium bereits eine eigene Abteilung eingerichtet wurde, aber es gibt sicher bereits einen Menschen, der dafür zuständig ist und es hat bereits eine Reihe von Konsultationen begonnen. Das ist Jewhen Lawro.
Sie haben gesagt, dass man die zeitgenössische Kunst nicht versteht, man nimmt sie als Attraktion wahr. Haben Sie eine Idee, wie man die Haltung der Ukrainer zu ihr ändern kann? Was kann die Stereotypen von der „Unernsthaftigkeit“ der zeitgenössischen Kunst brechen?
Im Jahr 1998, als ich gerade in diesem Bereich zu arbeiten begann, hatte die zeitgenössische Kunst ein Publikum, das sich auf vielleicht tausend Menschen im gesamten Land erschöpfte. Seither hat es eine schnelle Entwicklung gegeben, so dass ich optimistisch auf diese Situation blicke. Wir müssen nur begreifen, dass die zeitgenössische Kunst eine Sache ist, die schwer zu verstehen ist. Das ist genau so, als wollten wir, dass plötzlich alle philosophische Werke lesen. Man darf nicht von allen das gleiche Maß an Interesse, Verständnis und Einblick erwarten. Olexander Rojtburd [3] hat einmal gesagt: „Die zeitgenössische Kunst ist wie eine Serie: Du schaust Episode 558, und man muss wissen, was 500 Episoden zuvor passiert ist.“ Sie ist oft autoreferenziell, bezieht sich auf sich selber. Um sie zu verstehen, muss man ziemlich gut die Geschichte der Kunst kennen.
Gute Arbeiten spielen auf beiden Ebenen: sie beziehen sich auf die Geschichte und auf die direkte Erfahrung der Menschen. Eine andere Frage ist: man muss lernen, diese Arbeiten zu interpretieren, in dem Maß, wie das Publikum wächst, in dem Maß wächst auch das Nachdenken. Deshalb sind Bildungsprogramme nötig, Programme für Interpretation und Interesse für Medien, um dabei zu helfen, zeitgenössische Kunst zu interpretieren. Wichtig sind übrigens Texte, wie Sie in Galerien sehen: Man soll sie nicht als eine Auswahl unverständlicher Phrasen auffassen, obgleich sie es manchmal sein können (lacht). Diese Texte sind Schlüssel zum Verständnis von Ausstellungen.
Mir scheint (das ist mein intuitives Empfinden), dass vor 7-8 Jahren zeitgenössische Kunst ein „heißes Thema“ war, sehr sexy. Und plötzlich ist dieser Moment vergangen. Ich denke, dass seinen Platz jetzt Kino und Theater eingenommen haben.
Eine weitere interessante Sache ist passiert: Vor zehn Jahren waren Kino, zeitgenössische Kunst, Literatur und Musik hermetisch voneinander abgetrennt, kannten einander nicht. Aber jetzt hat sich alles verändert – diese Szenen überschneiden sich und interagieren viel mehr.
Foto: Max TrebuchowIn letzter Zeit kann man ziemlich viele Diskussionen über das Gogol-Fest hören. Das Festival wurde kommerziell und konzentriert eher sich darauf, Geld zu verdienen als auf die Popularisierung von Kunst im Allgemeinen. Haben Sie nicht die Idee gehabt, ein Festival zeitgenössischer Kunst mit Unterstützung des „Arsenals“ zu schaffen?
Nein, ich halte diesen Wunsch, in jeder Ecke ein eigenes Festival zu schaffen, für schädlich. Es ist nötig, eine Konsolidierung zu versuchen und sich wechselseitig zu unterstützen, nicht aber Egoismus hervorzukehren.
Ein Festival ohne Finanzierungsquellen zu gründen ist extrem schwierig. Deshalb würde ich nicht voreilig den Vorwurf erheben, dass etwas kommerziell geworden ist. Dies kann ein Ergebnis äußerer Umstände sein, die dazu zwingen, zwischen dem Gescheiten, Tiefgründigen und dem, was verkauft wird, ein Gleichgewicht zu schaffen.
In Ihrer Strategie zur Entwicklung des „Arsenal“ und im Aktionsprogramm ist nichts gesagt über die Zusammenarbeit mit jüngeren Künstlern. Wird das „Arsenal“ in dieser Richtung arbeiten?
Im „Arsenal“ gibt es eine kleine Galerie, in der zumeist junge Künstler ausgestellt sind. Wir haben auch schon gesprochen über die Schaffung eines Laboratoriums der zeitgenössischen Kunst, das es erlaubte, Möglichkeiten für verschiedene Generationen von Künstlern zu eröffnen. Insgesamt habe ich den Eindruck, dass ein Akzent nur auf junge Künstler nicht gerechtfertigt ist. In entwickelten westeuropäischen Szenen sieht es so aus: Es gibt Kunstschulen und Formen der Unterstützung für junge Künstler. Anschließend kommen die Künstler in den Kreis der Museen und Galerien, wo man sie verkauft. Später können sie an Akademien, Schulen und Kunst-Hochschulen gehen, um als Dozenten zu arbeiten und so den Lebensunterhalt zu verdienen.
Bei uns ist es so: Die Bildung lässt viel zu wünschen übrig, und die Künstler wirken nicht aufgrund von Bildung, sondern im Gegensatz dazu. Es gibt eine gewisse Form der Unterstützung junger Künstler, wenig, aber doch etwas. Weiter gibt es aber bereits nichts, denn der Markt der Galerien ist klein und der Platz reicht nicht für alle. Die Museen sind so arm, dass sie weder Honorare zahlen noch Arbeiten für die Sammlung kaufen können. Dann werden die Künstler 35 Jahre alt, es gibt praktisch keine Möglichkeiten zur Realisierung, denn Chancen zur Lehre an Akademien gibt es kaum, und der Lohn dort ist noch geringer. Das heißt, diese Formen der Unterstützung bis 35 sind die am meisten realistische Unterstützung. Aber was soll man nach 35 machen? Dies ist eine äußerst riskante Lebensphase. Die Konzentration nur auf junge Künstler ist wie der Slogan „live fast, die young“.
Haben Sie nach der Entschuldigung vor [Wolodymyr] Kusnetzow4 irgendwelche Beziehungen oder einen Dialog mit ihm aufgenommen?
Ich denke, das wird ein langer Prozess. Es reicht nicht, bloß einmal zu sagen „Entschuldigung“. Wir haben uns getroffen, sehr offen gesprochen, jetzt versuchen wir im Team des „Arsenals“ darüber zu sprechen. Ich würde sagen, es ist alles im Prozess. Diese Situation hat sehr stark das „Arsenal“ und die Kunstszene traumatisiert. Wir haben gesagt und versichern gegenüber den Künstlern, die bislang das Arsenal boykottieren, dass es für sie weiter absolut offen ist. Das bedeutet nicht, dass sie irgendeine Verpflichtung haben. Sie sollen die Position einnehmen, die sie für nötig halten, aber ich möchte, dass sie wissen, dies „Arsenal“ ist eine Institution, die bereit ist, mit verschiedenen Formen zu kooperieren.
25. November 2016 // Marina Mikeladse und Jekaterina Opanassenko
Quelle: Lb.ua 25.11.2016
Anmerkungen:
1 Zum Programm „Kultur 2025“ vgl. die Facebookseite, die genannte Studie ist oder war abgelegt unter der Webseite culture2025.org.ua.
2 Das Programm des Kultusministeriums in der überarbeiteten Form vom 6. Oktober 2015 findet sich auf der Seite des Kultusministeriums der Ukraine .
3 Olexander Rojtburd, * 1961 in Odessa, ist einer der bekanntesten zeitgenössischen Künstler. 2016 erschien in Kyjiw bei Osnowy der gleichnamige umfangreiche Kunstband zu seinem Schaffen.
4 Wolodymyr Kusnezow, * 1976, hatte im Juli 2013 für die Kunstausstellung „Groß und Prächtig“ anlässlich der 1025-Jahr-Feier des Christentums in der Ukraine im Kunst-Arsenal entgegen der Verabredung das kritische Gemälde „Kolijiwschtschyna: Das jüngste Gericht” zu malen begonnen, auf dem Polizisten und Priester als gesellschaftlich verhasste Gruppen karikiert wurden. Unter der Leitung der damaligen Direktorin Natalja Sabolotna und zur Zeit der Regierung Wiktor Janukowytschs wurde das Gemälde als „Sauerei“ zerstört.
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